Liebe Freund:innen des Demokratischen Salons,

der Newsletter und alle neuen Beiträge des Demokratischen Salons von Juli und August 2025 werden in einer Zeit veröffentlicht, in der wir vielleicht auf Wolf Biermann hören sollten: Du, lass dich nicht verhärten / in dieser harten Zeit. / Die allzu hart sind brechen, / die allzu spitz sind stechen / und brechen ab sogleich." Ein Gegenprogramm zu dem Gedicht „An die Nachgeborenen" von Bertolt Brecht, in dem er um „Nachsicht" warb, dass man in „diesen finsteren Zeiten", nicht „freundlich sein" konnte? Wie schwer es ist, in dieser Zeit nicht zu „verhärten", dokumentiert Sarah Levy in ihrem im August 2025 bei Rowohlt erschienen zweiten Buch „Kein anderes Land – Aufzeichnungen aus Israel", Pflichtlektüre für alle, die sich nicht von radikalisierenden, verhärtenden Parolen vereinnahmen lassen möchten. Es ist – so Saba-Nur Cheema„ein Buch für alle, die jenseits der polarisierten Nahostdebatte nach Zwischen- und Grautönen suchen."

Im Editorial wagt Norbert Reichel einige Anmerkungen zur politischen Kommunikation, nicht zuletzt im Kontext der ersten 100 Tage der Regierung Merz. Der Titel beruht auf einem Vorschlag von Ivan Krastev: „Hamlet widerlegen".

In Berlin im Hamburger Bahnhof. Foto: Hans Peter Schaefer.

Inhalte der im Demokratischen Salon neu veröffentlichten Beiträge  sind vergleichende Genozidforschung im Hinblick auf Shoah und Tutsizid (Anne Peiter), das Bonner Zentrum für Versöhnungsforschung (Hans-Georg Soeffner), die zensierte Zukunft in der DDR (Karlheinz Steinmüller), der US-amerikanische Science-Fiction-Autor Ben Bova (Fritz Heidorn), Gedanken zur Materialität der Schwarz-Weiß-Fotografie von Nicole Günther, ein Gespräch mit Regina Hellwig-Schmid über die Bonner Heldinnen-Ausstellung und über Künstler:innen aus Ost- und Südosteuropa, eine Ausstellung über Frauen im geteilten Deutschland (Clara Marz) sowie Anti-Dystopien und Zukunftsvisionen als Gegenmittel zu apokalyptischen Diskursen (Norbert Reichel). Eine Anmerkung zu den Rubriken: Die Rubrik „Science Fiction" heißt jetzt „Utopien / Science Fiction", um den Blick aus einem literarischen Genre philosophisch, historisch und politisch zu weiten (für den Vorschlag danke ich ganz herzlich Wolfgang Both vom Science-Fiction-Club ANDYMON).

Die Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen beziehen sich auf die Vergabe des Deutschen Kulturpreises an Monika Grütters, eine Rede von Matthias Brandt zum 20. Juli 1944, einen Versuch, mit Thukydides die USA zu erklären, die Zusammenhänge zwischen Daseinsvorsorge und Demokratie, Fehlanreize im Bürgergeld, den Zusammenhang von Bürgergeld und Mieten, Frauenfeindlichkeit als Thema in der Schule, Digitalisierung von DDR-Schulbüchern, Bahnhöfe als Orte der Verfolgung in der NS-Zeit, die Proteste des Zentrums für politische Schönheit gegen die Vorsitzende der AfD, 50 Jahre KSZE, einen Beitrag von Eva Illouz über Gaza und Israel, ein Feature von Manuel Gogos zur Erinnerung an Frantz Fanon, eine kurze Geschichte der Vertreibungen im Nahen Osten, eine literarisch-künstlerische Auseinandersetzung mit der Rückkehr nach Syrien im Programm Weiter Schreiben, Katajun Amirpur über den Iran nach den Angriffen Israels und der USA, einen Bericht über den Alltag im Iran, muslimische Solidarität mit Israel, ein Interview über die Zukunft des Rechtsstaats in den USA, die Praxis der Verhaftungen und Abschiebungen in den USA, die katastrophalen Folgen der Streichungen des Programms USAID sowie des Resettlement-Programms in den USA.

Empfehlungen für den Besuch von Veranstaltungen und Ausstellungen finden Sie jetzt nicht mehr im Newsletter, sondern auf einer eigenen Seite, nach Orten sortiert. Die Empfehlungen werden regelmäßig aktualisiert.

Die neuen Beiträge im Demokratischen Salon:

  • Anne Peiter
    spricht in „Des génocides populaires" über ein schwieriges Kapitel vergleichender Genozidforschung, insbesondere im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede von „Shoah" und „Tutsizid". Sie verknüpft kultur-, literatur- und geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse im Sinne einer „konfluierenden Erinnerung", beschreibt die engen Grenzen juristischer Aufarbeitung und demaskiert „Ethnifizierung" und „Tribalisierung" in Deutschland und Frankreich. (Rubriken: Afrikanische Welten, Shoah)
  • Hans-Georg Soeffner
    stellt eine ganz besondere interdisziplinäre Einrichtung mehrerer Fakultäten der Universität Bonn vor: „Das Zentrum für Versöhnungsforschung". Grundlagen sind „Multiperspektivität" und „Ambiguitätstoleranz", verbunden mit einem „Polytheismus der Werte" im Sinne von Max Weber als Gegengewicht zu den seit dem 19. Jahrhundert populären Fundamentalisierungen über „Religion" und „Nation". „Versöhnung" reicht weiter als bloße Friedensschlüsse. (Rubriken: Weltweite Entwicklungen, Treibhäuser)
  • Clara Marz
    stellt in „Frauen im geteilten Deutschland" die von ihr kuratierte Ausstellung der Bundesstiftung Aufarbeitung vor. Sie dokumentiert internationale Verflechtungen, bietet Einblicke in Arbeitswelt und Freizeit, Privates und Politisches. Sie diskutiert nach wie vor offene Fragen der Frauenrechte im Jahr 2025, nicht zuletzt angesichts aktueller Bedrohungen. Die Ausstellung präsentiert auf 21 Tafeln verschiedene Lebensbereiche von Frauen in Ost und West, vor und nach der Friedlichen Revolution. (Rubriken: Liberale Demokratie, DDR, Gender)
  • Karlheinz Steinmüller
    dokumentiert in dem Essay „Die zensierte Zukunft" die Zensur von Zukunftsromanen in der DDR. Die Autor:innen erlebten eine Abfolge von Eiszeiten und Tauwettern im Gewirr des Zusammenspiels der staatlichen Behörden und Verlage, manche resignierten und zensierten sich selbst. Zentrale Vorgaben waren Klassenauftrag, Perspektivbewusstsein und Parteilichkeit. Bei einigem Geschick entstanden Spielräume für unmöglich Erscheinendes. (Rubriken: Utopien / Science Fiction, DDR)
  • Fritz Heidorn
    porträtiert einen US-amerikanischen Science-Fiction-Autor auf seinen Reisen durch Wissenschaft, Religion und Literatur als Erforscher möglicher Zukünfte: „Ben Bovas Grand Tour – Eine Reise durch das Sonnensystem ins 21. Jahrhundert". Ben Bova war Herausgeber mehrerer bedeutender Zeitschriften. Er erfand nicht nur Geschichten, sondern verstand sich auch als Religions- und Gesellschaftskritiker. Fritz Heidorn resümiert: „Wir sehen neue Welten und erkennen unsere Eigenheiten." (Rubrik: Utopien / Science Fiction)
  • Nicole Günther
    veröffentlicht in „Die Magie von Licht und Schatten" ihre Gedanken zur Materialität der Schwarz-Weiß-Fotografie. Analoge Wurzeln, digitale Projekte, Inspiration über Musik und Musiktheater sorgen für Resonanzräume und eine widerständige Kultur des Innehaltens: „Meine Ästhetik ist keine Flucht. Sie sucht keine heile Welt. Sie will nicht betäuben, sondern öffnen. Ich verstehe meine Arbeit als Alchemie des Realen: Das Gesehene wird nicht verändert, sondern rhythmisiert, aufgeladen, durchdrungen." (Rubrik: Kultur)
  • Regina Hellwig-Schmid
    hat mit Marianne Pitzen die Ausstellung „Heldinnen / Sheroes" im Bonner Frauenmuseum kuratiert: „Kunst mit dem Körper". Politische Kunst ist performative Kunst, von Pussy Riot über Femen bis hin zu den Women in Black und vielen einzelnen Künstlerinnen, von denen manche selbst zu Heldinnen wurden, andere Heldinnen künstlerisch dokumentieren. Gegenstand der Arbeit von Regina Hellwig-Schmid ist die Entwicklung des Kunstraums Ost- und Südosteuropa seit Mitte der 1990er Jahre. (Rubriken: Osteuropa, Kultur, Gender)
  • Norbert Reichel
    stellt in dem Essay „Mehr Anti-Dystopie wagen! Eine popkulturelle Annäherung" drei Bücher zur Popularität von apokalyptischen Fantasien beziehungsweise der Gegenmittel für eine utopische Zukunft vor. Die Analyse des Horrorgenres von Tammo Hobein beschreibt die Ausgangslage, die „Zukunftsbilder 2045" von Reinventing Society und ein Ausblick von Isabella Hermann auf eine „Zukunft ohne Angst" bieten popkulturelle Überwindungen der Lust am Dooming. (Rubriken: Treibhäuser, Utopie / Science Fiction)

Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen
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  • Deutscher Kulturpreis für Monika Grütters
    : Am 24. September 2025 verleiht der Deutsche Kulturrat laut Pressemitteilung vom 5. August 2025 in der Staatsbibliothek zu Berlin zum fünften Mal den Deutschen Kulturpreis an Monika Grütters, nach meiner bescheidenden Sicht die erfolgreichste und beste Kulturstaatsministerin, seit das Amt eingerichtet wurde. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates Olaf Zimmermann bezeichnete ihre Amtszeit als „Glücksfall für Kunst und Kultur". Die Laudatio zur Verleihung wird Bundestagspräsident a.D. Wolfgang Thierse. In der Märzausgabe 2025 der Zeitschrift Politik & Kultur hatte Andreas Kolb Monika Grütters porträtiert. In der Juniausgabe 2025 der Zeitschrift plädierte sie persönlich für die Aufnahme eines Staatsziels Kultur ins Grundgesetz, eine Forderung, die eine Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages bereits im Jahr 2007 (Drs 16/7000) gestellt hatte. In den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD hat diese Forderung es wieder einmal nicht geschafft (auch nicht in den der Ampel). Monika Grütters schrieb: „So wie das Bundesverfassungsgericht müssen wir daher auch unser Kulturleben resilient machen, es vor Feinden schützen – durch ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz." „Denn nur in einem Klima geistiger Freiheit und Offenheit gedeihen die Selbstheilungskräfte der Demokratie gegen das Gift rechtspopulistischer Sprache, Erzählungen und Denkmuster: Widerworte, Zweifel und der zivilisierte Streit sind fundamental in einer freien Gesellschaft." Monika Grütters hat sich im Übrigen nicht an den ominösen Abstimmungen über einen von CDU und CSU eingebrachten Entschließungsantrag zur Migration am 29. und 31. Januar 2025 beteiligt. Unter anderem dazu, aber auch zu ihren Vorstellungen einer liberalen christdemokratischen Politik hat sie sich in einem ausführlichen Interview im ZEIT-Magazin geäußert.
  • Matthias Brandt über den 20. Juli 1944
    : Am 20. Juli 2025 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen beeindruckenden Gastbeitrag von Matthias Brandt: „Was hätte ich damals getan?" Es handelt sich um die Rede, die er an diesem Tag in der Gedenkstätte Plötzensee gehalten hatte. Er zitiert seinen Vater Willy Brandt, der am 19. Juli 1955 gesagt hatte: „Euer Opfer hat doch einen Sinn gehabt, die Welt hat das in zunehmendem Maße erkannt … und das wird euer nachträglicher Sieg sein." Seiner Mutter verdanke er, die Klarheit, dass „Nichtstun ebenfalls eine Entscheidung ist". Sie sagte: „Man muss nicht laut sein, um standhaft zu sein. Es reicht, wenn man weiß, wer man ist – und auf welcher Seite man steht." Am Beispiel seines aus dem Exil zurückgekehrten Vaters erinnert Matthias Brandt daran, wie diejenigen, die dem NS-Terror widerstanden, nach ihrer Rückkehr ständig diffamiert wurden. Ein Vorbild Willy Brandts war der am 5. Januar 1945 ermordete Julius Leber. Heute werden wieder Menschen für unerwünscht, nicht dazugehörig erklärt, ausgegrenzt, bedroht. Hoffnung gibt die Begegnung mit einer Schulklasse aus Potsdam, die Matthias Brandt im Programm „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" als Pate begleitet: „Ich hörte ihnen zu – ich sah dabei in ihnen auch mein Kind, unsere Kinder – und dachte plötzlich: Ihr seid das. Ihr seid der nachträgliche Sieg, von dem mein Vater damals vor siebzig Jahren hier an dieser Stelle sprach." In der Schule gibt es eine Gedenktafel für Helmuth James Graf von Moltke, der – ein Jahrhundert zuvor – genau hier zur Schule gegangen war. Und wieder schien es, als würden sich Lebens- und Gedankenwege für eine Sekunde berühren."
  • Thukydides und die USA
    : In den Analysen der aktuellen Entwicklungen in den USA und anderswo werden gelegentlich „Der peloponnesische Krieg" von Thukydides und „Der Fürst" („Il principe") von Machiavelli In der Tat lässt sich aus den Schriften des italienischen Analytikers ebenso viel lernen wie aus dem Studium der Stadt Athen in den Zeiten des Perikles, des Kleon und des Alkibiades, nicht nur in Bezug auf die USA unter Trump, auch über Putin und manch andere Autokraten. In der Augustausgabe 2025 des „Merkur" gibt es ein online frei lesbares Lektüregespräch zwischen dem Literaturwissenschaftler Helmut Müller-Sievers und dem Software-Unternehmer Greg Laugero: „Christian Meiers ‚Athen' in der Ära Trump". Grundlage ist das 1993 erschienene und mehrfach wieder aufgelegte Buch „Athen – Ein Neubeginn der Weltgeschichte" des Althistorikers. Die beiden Gesprächspartner verweisen auf die „Fragilität" von Demokratie, die Kleon und Alkibiades ausnutzten. Ihr Handeln bietet eine Vielzahl von Erklärungen für das Handeln Trumps. Eine wichtige Motivation sei die „mēnis", das berühmte erste Wort der Ilias des Homer. Greg Laugero schließt sich der Übersetzung von Emily Wilson an: „cataclysmic Wrath", Helmut Müller-Sievers bietet im Deutschen „Groll" und „Zorn" an. Die „mēnis" ist „eine reaktive Kraft, eine Manie, die Götter und Helden gleichermaßen erfasst, wann immer sie glauben, sie seien gekränkt oder beschämt worden. Sie führt dann zu wüster und wahlloser Zerstörung." Es gibt „keine moralischen Richtlinien und keine Werte", die Rede ist von „taking back" und „making great", „Geschichte" wird „als fortschreitender Sündenfall" verstanden, all dies verbunden mit der Mobilisierung des „Ressentiment(s) der Menge". Kleon und Alkibiades schaffen es, mit diesen Kontexten Aufmerksamkeit für sich zu erzeugen. „Geradezu grotesk anschaulich für dieses Spiel um die Aufmerksamkeit ist die Anekdote, die Meier über Alkibiades erzählt: Er kauft sich einen ungeheuer teuren Hund, nur um ihm dann den Schwanz abzuschneiden – weil dann die Leute über ihn reden." (Diese Anekdote mag an das Verhalten von Kristi Noem erinnern, die Heimatschutzministerin Trumps, die ihren Welpen erschoss.) Wurzeln des heutigen Trumpismus sieht Greg Laugero im Vietnamkrieg. Er empfiehlt den bei Netflix verfügbaren Dokumentarfilm „Turning Point", der unter anderem am Vietnamkrieg zeigt, dass und wie „die gegenwärtige Malaise der politischen Kultur in den USA – Zynismus, Polarisierung, Misstrauen in große Regierungsprojekte – in diesen Jahren entstanden ist." Dieser „Zynismus wurde genährt von der wachsenden Einsicht, dass die Regierung wusste, dieser Krieg war nicht zu gewinnen, während sie ihn gleichzeitig mit einer Kühnheit verteidigte, die sich auf die amerikanische Tapferkeit in den Weltkriegen bezog". Eine Variante des „US-Exzeptionalismus", in dessen Geist Generationen von jungen Menschen erzogen wurden. Mir liegt fern, Putin und Trump gleichzusetzen, aber in diesem Punkt gibt es durchaus ähnliche Verhaltensweisen. Gibt es eine Medizin gegen die Kleons und Alkibiadesse unserer Zeit? Vorerst sollten wir – auch das lässt sich aus Meiers Buch lernen – Nietzsche lesen, dessen „These von der Ewigen Wiederkunft des Gleichen" „eigentlich nur (zeigt), dass ähnliche Bedingungen ähnliche Resultate (…) haben." Demokratische Politik, so Meier, gibt es erst mit beziehungsweise nach der Suspension von Rache, und die wiederum impliziert die Akzeptanz von Institutionen, die über brudermörderische Gewalt reflektieren, sie abmildern oder rekodieren." (Ergänzender Hinweis: Zu einem umfassenden Verständnis von Machiavelli empfehle ich das Buch „Machiavelli – Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz" von Herfried Münkler.)
  • Daseinsvorsorge und Demokratie
    : Eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung beim Institut für Landes- und Stadtentwicklung (ILS) beauftragte Studie befasste sich mit Korrelationen zwischen antidemokratischen Wahlerfolgen und prekärer Daseinsvorsorge. Julia Bläsius, Elisabeth Bollrich und, Jonathan Overmeyer fassen ihre Ergebnisse in drei prägnante Begriffe „Abgebaut, Abgehängt, Abgewählt". „Räumliche Disparitäten in der lokalen Daseinsvorsorge spiegeln sich in den AfD-Wahlergebnissen von 2025 auf Kreisebene wider. Als besonders signifikant erweisen sich Indikatoren wie Breitbandausbau, Kinderbetreuung und Schulbildung. Allerdings weichen subjektive Bewertungen der Daseinsvorsorge teils stark von den objektiv messbaren Indikatoren ab." Reale und gefühlte Defizite verstärken sich gegenseitig. Altindustrielle Regionen im Westen und strukturschwache ländliche Räume im Osten verzeichnen die höchsten Anteile von AfD-Wähler:innen. Die Zusammenfassung enthält auch Karten, aus denen „Resilienz und Zukunftsfähigkeit" in den diversen Regionen ersichtlich sind. Daraus ergeben sich konkrete Erfordernisse an die Politik, Ungleichheiten sichtbar zu machen und die kommunale Handlungsfähigkeit (wieder) herzustellen. Wichtig sei die Vermittlung von „Zukunftsvertrauen durch Innovation und gute Arbeit". (Für den Hinweis danke ich dem ZMI-Newsletter vom 27. Juli 2025.)
  • Fehlanreize im Bürgergeld?
    Den Empfänger:innen wird pauschal unterstellt, dass sie wegen der Höhe der staatlichen Zuwendungen nicht arbeiten wollten. Das trifft so natürlich nicht zu, allerdings gibt es durchaus Fehlanreize, die behoben werden sollten. Am 21. Juli 2025 dokumentierten Bastian Brinkmann und Roland Preuß in einem Gespräch mit dem Ökonomen Andreas Peichl vom IfO-Institut in München in der Süddeutschen Zeitung das Dickicht der „Fehlanreize". Peichl kritisiert die Existenz von Parallelsystemen, die das deutsche Sozialsystem zu einem „Sanierungsfall" haben werden lassen. Ein Beispiel: Ein Paar in München verdient 3.500 EUR brutto, hat aber keinen Cent netto mehr zur Verfügung, wenn es 5.500 EUR brutto verdiente, denn dann fallen Kinderzuschlag und Wohngeld we (laut Beispielrechnung bleiben 4.430 beziehungsweise 4.429 EUR). Dazu kommen zusätzliche Kosten für die Kinderbetreuung. Ein großes Problem ist die „Zersplitterung" von Sozialleistungen, die zu hohen Verwaltungskosten führe, weil sich die Betroffenen an mehrere Behörden wenden müssten. Eine aktuelle – noch nicht abgeschlossene – Zählung ergebe etwa 500 verschiedene Sozialleistungen. Das derzeitige System fördere ferner „Schwarzarbeit", die aber nicht aufgedeckt werden kann, weil es keinen Datenaustausch zwischen Zoll und Jobcentern gibt. Andreas Peichl schlägt Sozialleistungen aus einer Hand vor: „Wir wollen das Existenzminimum und den Wohnbedarf der Menschen sichern. Im Prinzip kann man dies mit einer Leistung abdecken, von einer Behörde, für Eltern und auch für Kinder. Wohngeld und Kinderzuschlag wurden nur eingeführt, damit man Menschen aus der Bürgergeld-Statistik herausholt – und damit das Familienministerium mit dem Kinderzuschlag und das Bauministerium mit dem Wohngeld noch je ein eigenes Spielzeug haben in der Sozialpolitik." Andreas Peichl ist nach der Berechnung von 60 Reformvarianten skeptisch, dass die erforderlichen Reformen gelingen.
  • Bürgergeld und Mieten
    : Die Debatten um das Bürgergeld haben vor allem einen wunden Punkt, die Mieten. CORRECTIV demonstriert in einer Graphik, dass 334.000 Haushalte im Schnitt 116 EUR aus dem Regelsatz des Bürgergeldes aufbringen müssen, um die Miete zu bezahlen. Und wer fordert, Empfänger:innen des Bürgergeldes sollten sich eine kleinere und damit billigere Wohnung suchen, hat nicht verstanden, wie der heutige Mietmarkt aussieht. In der ZEIT belegten Caterina Lobenstein und Selina Rudolph, wie Wohnungskonzerne den Staat als verlässlichen Kunden mit den Mieten für Empfänger:innen des Bürgergeldes ausbeuten: „Wo der Staat die höchsten Mieten zahlt". Die Konzerne machen mit den Jobcentern ein gutes Geschäft: „Die Jobcenter finanzieren deshalb mittlerweile auch solche Wohnungen, die weit über der eigentlich geltenden Preisgrenze liegen – wenn die Bürgergeldempfänger glaubhaft versichern können, dass sie nichts Günstigeres finden. Monika Schmid-Balzert, Geschäftsführerin des Mieterbunds in Bayern, sagt: ‚In Märkten wie München sind diese Menschen kaum in der Lage, in eine billige Wohnung umzuziehen. Weil es im bezahlbaren Segment schlicht nichts gibt.'" Die Recherche enthält Karten, aus denen ersichtlich ist, in welchen Regionen das Problem in welchem Maße festzustellen ist. Immerhin gibt es inzwischen Städte, beispielsweise Dresden, die früher verkaufte Wohnungen zurückkaufen, um wieder Einfluss auf die Mietgestaltung zu gewinnen.
  • Frauenfeindlichkeit als Thema in der Schule
    : Antifeminismus und Frauenfeindlichkeit sind – so eines der Ergebnisse der Leipziger Autoritarismusstudie – die Brückenideologie schlechthin zum Rechtsextremismus. In Großbritannien gehen Schulen inzwischen mit verpflichtenden Lerneinheiten dagegen vor. Der Guardian berichtete am 15. Juli 2025: „Secondary schools in England to tackle 'incel' culture and teach positive role models": „Margaret Mulholland, the special needs and inclusion specialist at the Association of School and College Leaders, said: 'Sadly, boys are often exposed to harmful and toxic misogynistic content online, which can impact on their behaviour in the real world. The focus of this updated guidance on tackling these issues is timely and welcome.'" Zum Curriculum gehören auch gesundheitliche und sexualpädagogische Themen, alles Themen, die von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten vehement bekämpft werden. (Hinweis nach ZEIT-Newsletter „Nur gute Nachrichten" vom 19. Juli 2025.)
  • Digitalisierung von DDR-Schulbüchern
    : Die Forschungsbibliothek des Leibniz-Instituts für Bildungsmedien / Georg-Eckert-Institut (GEI) hat mit der Digitalisierung von rund 1.000 Schulbüchern aus der DDR begonnen. Im Mittelpunkt stehen die Fächer Geschichte und Staatsbürgerkunde. Das Projekt wird von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert. Ergebnisse werden für Juli 2027 erwartet. In seiner Pressemitteilung vom 8. Juli 2025 teilte das GEI unter anderem mit: „Schulbüchern kamen in der DDR als staatlich gesteuertem Massenmedium eine grundlegende Rolle bei der Durchsetzung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung und einer staatlichen Identifikation zu. Mit dem einzigartigen digitalen Korpus im Umfang von rund 120.000 Seiten wird eine Quellengrundlage für Forschungen geschaffen, die auch mit digitalen Methoden Kontinuitäten und Diskontinuitäten bei der Entwicklung von Schulbuch- und Bildungsinhalten untersuchen können." Unter anderem geht es in dem Projekt auch um die Frage, wie sich die Inhalte der Schulbücher im Verlauf der Jahre möglicherweise veränderten. Die Digitalisierung dient auch „der langfristigen Sicherung der stark gefährdeten physischen Bestände." Weitere Informationen erhalten Sie über die Pressestelle des Instituts.
  • Bahnhöfe als Orte der Verfolgung in der NS-Zeit:
    Kulturstaatsminister Wolfram Weimer und die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) fördern gemeinsam 13 neue Projekte zur Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Im Mittelpunkt des Bundesprogramms „MemoRails Halt! Hier wird an NS-Geschichte erinnert" stehen Bahnhöfe, die als historische Orte der NS-Verfolgung sichtbar gemacht und ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden sollen. Gefördert werden lokale zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich mit den Geschichten von Opfern sowie Täterinnen und Tätern auseinandersetzen und durch Bildungs-, Gedenk- und Veranstaltungsformate an die Schicksale und Verbrechen erinnern wollen. Eine unabhängige Jury hat 13 Vorhaben ausgewählt, die ersten Projekte starten Anfang September 2025. Die Vorstandsvorsitzende der Stiftung EVZ, Andrea Despot, erinnert, daran, dass man an Bahnhöfen „nur wenige Spuren findet", obwohl sie „Zentrale Orte nationalsozialistischer Gewaltausübung waren". Thema der Vorhaben sind Zwangsarbeit, Deportationen und Spuren der von den Nationalsozialisten verschleppten, gequälten und ermordeten Menschen. (Quelle: Pressemitteilung der Stiftung EVZ vom 17. Juli 2025.)
  • Proteste gegen die AfD
    : Für den Tagesspiegel sprach Sebastian Leber wenige Tage nach dem denkwürdigen Sommerinterview der ARD mit der Fraktions- und Parteivorsitzenden der AfD mit dem Initiator, Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit: „Ist Widerstand nur für den Geschichtsunterricht?" In verschiedenen Kommentaren wurde kritisiert, dass solche Störungen nur der AfD nützten. Philipp Ruch fragt provokant zurück: „Ich besetze die AfD gerne in der Opferrolle. Wollen wir gesichert Rechtsextreme lieber in der Täterrolle sehen? Es wundert mich, wo manche ihre Prioritäten setzen. Als sei es das Allerwichtigste, jetzt zu verhindern, dass sich die AfD als Opfer inszeniert. Diese Frage ist nicht entscheidend. Die Opfererzählung ist auch 1930 und 1932 nicht das, womit die NSDAP Wahlen gewonnen hat." Er kritisiert mit Recht die naive Eingangsfrage des Moderators, warum der Politikerin „Ehrlichkeit so wichtig" wäre, obwohl er sich darüber im Klaren gewesen sein muss, dass er mit der Vertreterin einer Partei spricht, die ständig Unwahrheiten verbreitet, gleichviel zu welchem Thema, gleichviel an welchem Ort, in den sozialen Netzwerken ebenso wie im Deutschen Bundestag. Ihm gehe es nicht um einen Vergleich der AfD mit der NSDAP der Jahre 1933 bis 1945, sondern mit der NSDAP vor Januar 1933: „Auch im Hinblick auf die Frage: Wie tarnt sich so eine Partei? Die NSDAP hat auf ihren Wahlplakaten nicht für die Diktatur oder einen Holocaust geworben." In der taz betonte Gareth Joswig die Legitimität von Protesten gegen die AfD und stellte fest, dass das ARD-Interview nur eine einzige neue Information erbracht habe: „Alice Weidel kann keine drei Dinge benennen, die sie an Deutschland gut findet. Auch das kein Wunder: Sie lebt in der Schweiz und weiß nicht mal, wie viele Einwohner ihr Wahlkreis hat. Das wiederum weiß man aus einem gut recherchierten Beitrag im ZDF, bei dem Weidel nach ein paar Fragen empört das Interview abbrach – kritischer Journalismus, der dank Kontext und Einordnung viel besser funktioniert als jedes seichte Interview im Sommer-Ambiente."
  • 50 Jahre KSZE
    : In ihrer Ausgabe vom 12. Juli 2025 erinnert die Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte" an die Unterzeichnung des KSZE-Vertrags am 1. August 1975. Irina Scherbakowa begibt sich im einleitenden Essay auf die „Suche nach dem ‚Geist von Helsinki'". Sie stellt ebenso wie mehrere andere Autor:innen fest, dass vor allem die Stärkung der Zivilgesellschaft (Korb III) eine grundlegende Errungenschaft war, die mit der Zeit zum Zusammenbruch des Sowjetimperiums geführt habe. Ähnlich argumentiert Sarah B. Snyder in ihrer Analyse, beginnend mit der Moskauer Helsinki-Gruppe sowie die diversen zivilgesellschaftlichen Initiativen der Folgezeit und stellt fest, dass Breschnew die Bedeutung von Korb III unterschätzt habe. Die demokratische Zivilgesellschaft war „unterdrückt und doch wirksam". Programmatisch ließe sich auf die heutige Zeit die Überschrift des Beitrags von Bradley Reynolds übertragen: „Kooperation in unkooperativen Zeiten". Bernd Rother bewertet die deutsche Ostpolitik 1969-1973, Wolfgang Templin die Menschenrechtsarbeit in der DDR, die er selbst mitgestaltet hat. Nadja Douglas bietet einen Ausblick auf die heutige Zeit, unter anderem auf der Grundlage der 2011 gegründeten „Civic Solidarity Platform". Oliver Bange zitiert Jürgen Habermas, der „den Begriff der ‚antagonistischen Kooperation'" eingeführt hat. Er hält auf die aktuelle Situation bezogen fest: „Die Sicherheitsarchitektur der KSZE/OSZE fußt jedoch auf Vertrauen in das Gegenüber und die Zuverlässigkeit des Gegenübers. Ein solcher Gesprächspartner ist in Moskau derzeit allerdings nicht erkennbar." Wie viel Hoffnung auf eine Wiederbelebung des „Geistes von Helsinki" bleibt? Irina Scherbokowa: „Es ist heute kaum möglich, sich Putins Russland als zukünftigen Teil des demokratischen Europas vorzustellen. Der humanitäre Geist der Schlussakte von Helsinki ist völlig verbrannt. Aber ich bin überzeugt, dass die Wiederbelebung Russlands, wenn sei denn jemals möglich sein sollte, mit der Wiederbelebung dieses Geistes beginnen wird." Zum Thema siehe auch im Demokratischen Salon den Beitrag von Paul Schaefer vom April 2025: „Jalta oder Helsinki?"
  • Über Gaza und Israel sprechen
    : Es gibt kaum etwas Schwierigeres. Die israelische Soziologin Eva Illouz hat sich immer wieder prominent und kritisch geäußert. So auch am 7. August 2025 in der ZEIT: „Der Antisemitismus ist globaler und tiefer in die Sprache politischer Eliten eingeschrieben als je zuvor". In der Anmoderation des Beitrags verspricht sie „Vier Warnhinweise für die intellektuelle Diskussion über Gaza und Israel". Besonders schwer haben es jüdische Intellektuelle: Sie sind „nicht nur mit radikal widersprüchlichen Ausprägungen menschlicher Torheiten konfrontiert, sondern auch mit einander widerstreitenden Loyalitäten." Kritik an Israel, Kritik an der israelischen Regierung von jüdischer wie von nicht-jüdischer Seite sollte „nur unter bestimmten intellektuellen Vorsichtsmaßnahmen" geäußert werden. Diese fehlten jedoch, wenn Israel lediglich als „Wiedergutmachung für den Holocaust" oder gar als „Kolonialprojekt" markiert werde. Beides ist einfach falsch. Israel lebt seit seiner Gründung „im permanenten Kriegszustand", sodass in Israel die Menschen täglich unter Raketenangriffen und Terroranschlägen leiden. Und nicht zuletzt: „Die Debatte, ob Israel einen Genozid begeht, verschweigt, dass die Freilassung der Geiseln den Krieg de facto beendet hätte." Die Hamas habe die Reaktion Israels nach dem 7. Oktober bewusst in Kauf genommen. Zum Abschluss ihres Beitrags formuliert Eva Illouz eine „rote Linie für die Welt": „Wenn Netanjahus Regierung – wie von ihm selbst verkündet – eine dauerhafte Besatzung Gazas anstrebt und zugleich die Unabhängigkeit der Justiz endgültig aushebelt, werden Sanktionen zu einer angemessenen Antwort. Bis dahin dürfen Israels Freunde nicht die Augen verschließen vor dem Charakter der Regierung in Jerusalem: vor ihrer Inkompetenz, ihren Kriegsverbrechen, der von ihr verschuldeten humanitären Katastrophe und einem Gaza-Krieg, der längst jede Rechtfertigung verloren hat. Zugleich gilt es zu bedenken, dass ebenjener Extremismus und jene Paranoia der Regierung genährt werden vom Antisemitismus der arabischen wie der westlichen Welt." Am 15. September 2025 erscheint bei Suhrkamp das neue Buch von Eva Ilouz: „Nach dem 8. Oktober".
  • Dekolonisierung – Im Gedenken an Frantz Fanon
    : Manuel Gogos, Geistige Gastarbeit, hat für den Deutschlandfunk ein Feature über Frantz Fanon (1925-1961) gestaltet: „Vordenker der Dekolonisierung". Seine Biographie fasst Manuel Gogos wie folgt zusammen: „Auf Martinique aufgewachsen, schließt er sich im Zweiten Weltkrieg gerade 18-jährig der französischen Armee in ihrem Kampf gegen die Naziherrschaft an. Um dann als man of colour selbst auch unter Franzosen Rassismus zu erfahren. Nach dem Krieg studiert Fanon Psychiatrie – fast sein ganzes Erwachsenenleben lang arbeitet er in Kliniken, überwacht die Krankheitsverläufe seiner Patienten. (…) Am Ende seines Lebens ist er – mit gerade einmal 36 Jahren – Wortführer und wichtigster Stichwortgeber einer weltweiten postkolonialen und antirassistischen Bewegung." Zentrale Werke sind „Schwarze Haut, Weiße Masken'" (1952) und „Die Verdammten dieser Erde", Bücher, ohne die die heutigen Initiativen zur Aufarbeitung des Kolonialismus kaum denkbar wären. Zu „Die Verdammten dieser Erde" schrieb Jean Paul Sartre das Vorwort. Eine kritische Frage ist die Rechtfertigung von Gewalt. In seinem Werk verbindet Fanon immer wieder Geschichte, Politik und Psychologie. Nach wie vor berufen sich weltweit zahlreiche Aktivist:innen auf ihn, in den USA aus der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre ebenso wie heute aus der Bewegung „Black Lives Matter", dort und in vielen anderen Ländern Menschen und Organisationen, die sich für einen Ausgleich zwischen den ehemals kolonisierten und kolonisierenden Ländern engagieren.
  • Geschichte der Vertreibungen im Nahen Osten
    : Es ist ausgesprochen schwer, einen Überblick über die vielen verschieden Vertreibungen, Fluchten und Umsiedlungen in der MENA-Region (Mittlerer Osten und Nordafrika) zu behalten. Thomas Speckmann ist dies am 10. Juli 2025 in der ZEIT gelungen. In seinem Beitrag zur Rubrik „Geschichte" mit dem Titel „Von Exodus zu Exodus" referiert er anschaulich und übersichtlich die Geschichte der vergangenen rund 100 Jahren. Thema sind die Nakba ebenso wie die Vertreibungen von Jüdinnen und Juden aus dem nordafrikanischen Raum nach der Staatsgründung Israels, die Umsiedlungen und Vertreibungen während der verschiedenen Kriege der Folgezeiten bis heute. Besorgnis erregen heute die von Trump und der israelischen Regierung formulierten Pläne für die Menschen in Gaza sowie die schon seit längerer Zeit erfolgende Abwanderung von gut gebildeten Israelis, Wissenschaftler:innen, Künstler:innen, Gründer:innen aus Israel, unter anderem in Länder der Europäischen Union.
  • Rückkehr nach Syrien
    : Das Programm Weiter Schreiben hat im Juli 2025 unter Leitung von Dima Albitar Kalaji und Lama Al Haddad die siebte Ausgabe seines Magazins veröffentlicht: „Wenn wir wiederkommen – Texte zu Syrien". Das Magazin enthält Reportagen, Reflexionen, Gedichte von Dima Albitar Kalaji, Baraa Altrn, Odai Al Zoubi, Hala Al Hmeidan, Ahmad Katlesh, Asma Kready, Dellair Youssef, Hanadi Zarka, Fotografien von Mohamad Khayata („Stitching my Syria back"), künstlerische Zeugnisse sowie Posts der beteiligten Autor:innen und Künstler:innen in den sozialen Medien vom 8. Dezember 2024, dem Tag, an dem „der Ewige" Im Vorwort benennt die Redaktion die ambivalenten Gefühle: „Die Euphorie, von der die ersten Texte nur strotzten, ist verflogen, das Land ist nun konfrontiert mit einer tiefen Traurigkeit und Sorge. Da ist das Bewusstsein für die vergangene Zeit, da sind die Hundertausenden von Verschwundenen, die Spuren der massiven Zerstörung, die Assad und seine Verbündeten im ganzen Land hinterlassen haben, da sind die Massaker an der Küste und da ist die Sorge vor dem Unbekannten, das dem Land bevorsteht." Was bedeutet es, nach 13 Jahren zurückzukehren, das ehemalige syrische Zuhause nicht mehr als Zuhause zu empfinden, weil man nicht einmal mehr den arabischen Kaffee verträgt. Odai Al Zoubi schreibt: „Und heute finden Millionen Syrer kein Zuhause mehr vor, in das sie zurückkehren könnten. / Und ich? Ganz einfach: Mein Zuhause ist mein Sohn!" Der kein Arabisch spricht. Dima Albitar Kalaji fragt, welche Erinnerungen die Zurückkehrenden und die Gebliebenen teilen, ob Assad das Verbindende war oder ob „uns ein Gedächtnis ohne Assad vereinen" könnte: „Werden wir jemals in der Lage sein, uns ohne ihn zu definieren?" Mohamad Khayata sieht in seinen Fotografien „eine visuelle Suche nach Verbundenheit". Eben dies ist auch die Frage der Texte, gleichviel in welcher Form sie geschrieben wurden. Es ist – so der Titel des Gedichtes von Asma Kready „Heimat in der Last der Abwesenheit". Hanadi Zarki fragt in ihrem Gedicht: „Kommen wir jetzt zur Wirklichkeit zurück?" Das Programm Weiter Schreiben wurde im Demokratischen Salon auf der Grundlage eines Gesprächs mit den beiden Kuratorinnen des Bändchens porträtiert: „Weltliteratur im Exil", die Arbeit des Trägers von Weiter Schreiben in einem Gespräch mit der Co-Vorsitzenden Caroline Assad: „Wir machen das. Jetzt! – Wie Begegnungen und Partnerschaften Zukunft schaffen".
  • Iran nach den Angriffen Israels und der USA
    : In der Ausgabe vom August 2025 der Blätter für deutsche und internationale Politik beschreibt Katajun Amirpur in ihrem Beitrag „Waffenruhe und Repression – Wie der Westen die iranische Opposition allein lässt" die politische Lage im Iran aus der Perspektive der Opposition. Es gab durchaus einige, die die Luftangriffe Israels und der USA begrüßten. Diese Stimmung kippte schnell, als auch die Zivilbevölkerung von den Angriffen betroffen war. Katajun Amirpur verweist darauf, dass ein von außen herbeigeführter Regimewechsel ohnehin weitgehend abgelehnt wird, nach wie vor erinnern sich Menschen im Iran an den durch die USA und Großbritannien herbeigeführten Sturz des einzigen jemals demokratisch gewählten Premierministers Mossadegh im Jahr 1953. Katajun Amirpur zitiert Amir Hassan Cheheltan, der am 29. Juni 2025 im Spiegel schrieb: „Israel hat seinen einzigen Freund in der Region verloren." Die Unterdrückung durch das Regime nahm nach den Luftangriffen wieder zu, beispielsweise gegen die jüdische Bevölkerung sowie die Baha'i, die als israelische Spione verdächtigt werden. Die Einhaltung der Bekleidungsvorschriften wird wieder schärfer kontrolliert. Nach wie vor hat der Westen keine Strategie zur Unterstützung der Opposition. Der Sohn des 1979 gestürzten Schah spielt nur eine untergeordnete Rolle. Hilfreich wäre es, wenn die westlichen Demokratien die iranische Opposition im Iran finanziell unterstützen würde. Dies ist aber durch den Ausschluss des Iran aus dem internationalen Zahlungssystem so gut wie unmöglich. Auch die Unterstützung der Nutzung von VPN wäre eine wichtige Hilfe. Im Magazin der Heinrich-Böll-Stiftung dokumentierte Rezvaneh Mohammadi am 8 Juli 2025 den verschärften Kurs der iranischen Führung nach den Luftangriffen von Israel und USA: „Iran nutzt Todesstrafe als Instrument der Herrschaft und Unterdrückung".
  • Alltag im Iran
    : Auf der Plattform mena-watch beschreibt Farzad Amini am 28. Juli 2025 die desaströse Lage im Iran: „Der Iran in Schutt und Asche". Wirtschaft, Medien, Parlament, Regierung sind kurz vor dem Zusammenbruch – so scheint es auszusehen. Die einzige Strategie der herrschenden Regierung liegt in der Verschärfung der Unterdrückung. „Der Iran steht nun an einem historischen Scheideweg, an dem die Bevölkerung zwischen Überleben und Zusammenbruch ringt. Der Krieg mit Israel mag vorbei sein, aber ein größerer Krieg geht weiter: der Kampf um Wahrheit, Würde und das Recht, in einem Land zu leben, das Zerstörung nicht als Schicksal hinnimmt." In einem weiteren Beitrag vom 5. August 2025 beschreibt Farzad Amini, wie das iranische Regime der Bevölkerung die Ressourcen des Alltags verknappt: „Stille im Land des Lichts". „Im Iran haben Worte eine andere Bedeutung als überall sonst auf der Welt. Hier bedeutet Planung, dass die Menschen die Zeiten der regelmäßigen Stromausfälle besser kennen als die Sendezeit der Abendnachrichten. Technik bedeutet, um drei Uhr in der Nacht mit einem Wasserbehälter in der Hand am Wasserhahn zu stehen, in der Hoffnung, ein paar Tropfen zu sammeln. Hier gibt es etwas, das ‚islamische Gerechtigkeit' genannt wird, was praktisch bedeutet, dass der Strom für alle abgeschaltet werden muss – außer natürlich in Teilen des nördlichen Teherans, wo die Elite, die Beamten und ihre privilegierten Kinder leben. Für die Massen? – Stromausfälle. Für die Kinder der Herrschenden? – Ständiges Licht." Warum? Weil sie „ihr eigenes Volk mehr fürchten als jeden ausländischen Feind."
  • Muslimische Solidarität mit Israel
    : Auf mena-watch berichtet Noor Dahri von einem Besuch europäischer Imame am 6. Juli 2025 in Israel. Er selbst war Teil der Delegation. Er bezeichnet den Besuch als „historisch": „Für uns war der 6. Juli 2025 also ein historischer Tag. Muslimische Religionsführer aus ganz Europa kamen nach Israel und verurteilten öffentlich die Handlungen der Hamas, während sie die friedlichen Grundsätze ihrer Religion bekräftigten. Dies war ein wichtiger Meilenstein seit dem 7. Oktober 2023 und spiegelte das Bekenntnis zum interreligiösen Dialog und zum Frieden wider. Das in Israel eingegangene Engagement stellte einen schwierigen Weg dar, und wir waren uns der möglichen Auswirkungen unserer friedlichen Initiative voll bewusst." Die Imame besuchten unter anderem Yad Vashem, Re'im, den Ort des Nova-Musikfestivals, den Kibbuz Kfar Aza und die drusische Gemeinde Majdal Shams im Norden. Es gab Gespräche mit Überlebenden des Hamas-Massakers und Familien muslimisch-arabischer Familien in Israel. „Israel ist ein Zentrum der abrahamitischen Religionen und spielt eine wichtige Rolle in der politischen Landschaft des Nahen Ostens. In diesem Sinne haben wir eine Botschaft des Friedens aus dem Heiligen Land an die Welt übermittelt."
  • Rechtsstaat in den USA
    : CORRECTIV veröffentlichte am 20. August 2025 ein Interview von Jean Peters mit dem Bürgerrechtsanwalt Ben Wizner: „Der Mann, der Trump verklagt". Er berichtet, dass Trump Anwaltskanzleien unter Druck setzt, sodass manche keine Mandate mehr übernehmen, die nicht in Trumps Sinne sind. Die Anwält:innen, die den Rechtsstaat gegen das Vorgehen der US-Behörden verteidigen, haben nicht immer die Kapazitäten einzuspringen. Seine Prognose für die Zukunft ist jedoch vorsichtig optimistisch: „Ich glaube nicht, dass wir bereits in einer Krise stecken, aus der es kein Zurück gibt. Aber wir erleben einen Angriff auf Gesetze und Normen in einem Tempo und Ausmaß, wie wir es in der modernen amerikanischen Geschichte nicht kannten. Trump glaubt, unsere Institutionen seien schwach. Doch ich glaube, sie sind stärker, als er denkt. Es gibt mehr Widerstand, als er erwartet hätte. Und es wird einen Backlash geben." Vergleichbare Initiativen habe es auch schon früher gegeben, zum Beispiel nach 9/11. Allerdings habe es früher keine „massenhaften Deportationen" Zur Strategie Trumps gehört die Einschüchterung der Medien, die bei unliebsamen Berichten verklagt werden und sich in der Regel auf teure Vergleiche einlassen müssen. Gerichte haben mehrere Vorhaben Trumps gestoppt, die Anwendung des Alien Enemies Act ebenso wie die Abschaffung des Geburtsrechtsprinzips. Ben Wizner betont, Trump sei nur durch Wahlen zu stoppen. Sollte er sie nicht anerkennen, würde er scheitern. Fünf Millionen Menschen nähmen inzwischen an den „No-Kings-Protesten" teil, auch viele Republikaner wollen, dass Trump Gerichtsurteile achtet, seine Beliebtheit sinkt deutlich. Das von Ben Wizner geleitete ACLU-Projekts für Rede- und Pressefreiheit hat seit Trumps Amtsantritt 79 Klagen gegen die Regierung eingereicht und in drei Vierteln der Fälle Recht bekommen.
  • Abschaffung des Rechtsstaats in den USA – zwei Reportagen und eine Satire
    : Im New York Review of Books vom 26. Juni 2025 berichtet die in New York lebende Journalistin Rozina Ali über das Vorgehen der für Abschiebungen zuständigen Behörde ICE gegen Studierende, die der US-Regierung nicht passende Meinungen zum Nahost-Konflikt vertreten: „They're Here To Detain Me". Unter dem Vorwand, man gehe gegen Antisemitismus an Hochschulen vor, werden Studierende von maskierten, nicht als Polizisten kenntlichen Männern in nicht als Behördenautos erkennbaren Autos entführt und in weit entfernt gelegene Gefängnisse, insbesondere in Louisiana und Texas, verschleppt, weil die dortigen Gerichte in der Regel im Sinne der Regierung entscheiden. Anwält:innen werden behindert oder gar nicht erst zugelassen. Ohne Haftbefehl und ohne weitere Dokumente wird den Festgenommenen mitgeteilt, dass ihre Visa, ihre Green Card aufgehoben worden wären, weil dies eben der Wille hochstehender Persönlichkeiten in der Regierung wäre. Der bekannteste Fall war der Fall von Mahmoud Khalil, der öffentlich Meinungen vertrat, die man sicherlich nicht teilen muss, die aber vom ersten Verfassungszusatz geschützt wären, wenn die US-Regierung diesen nicht nur für eigene Äußerungen im Sinne einer „male and white supremacy" gelten ließe. Verstoßen wird auch gegen das im fünften Verfassungszusatz garantierte Rechtsstaatsprinzip. Keine:r der Verhafteten hatte sich einer Straftat schuldig gemacht. Rozana Ali schließt mit einem Verweis auf Hannah Arendt, die geschrieben hatte: „The first essential step on the road to total domination is to kill the juridical person in man". Eine weitere Reportage über das Vorgehen des ICE veröffentlichte Xifan Yang in der ZEIT vom 14. August 2025: „Verschwunden im zehnten Stock". Er benennt mehrere Fälle, in denen vermummte Mitarbeiter des ICE in Missachtung aller rechtsstaatlichen Verfahren Menschen auf den Fluren von Gerichten, in Schulen, vor Baumärkten, in Krankenhäusern, in Restaurants, Gemüsefarmen und Autowaschanlagen in Autos ohne Nummernschilder zerren und in Abschiebehaft nehmen. Die Festnahmen werden auf sozialen Netzwerken gepostet, „millionenfach geklickt. Trump-Fans kommentieren: ‚Mehr davon!'" Kaum jemand kann sich einen Anwalt leisten, Freilassung auf Kaution wurde von Trump per Erlass verboten. Das ICE wirbt mit hohen Gehältern und einem Antrittsbonus von 50.000 Dollar. Es soll zur größten Behörde ausgebaut werden. „170 Milliarden Dollar will die US-Regierung in den kommenden Jahren für Migrationsabwehr ausgeben, davon 45 Milliarden Dollar für den Bau neuer Haftanstalten." Inzwischen fanden diese Verfahren Eingang in die US-amerikanische Serie South Park (auf Paramount+ zu sehen). Nichts ist erfunden, nur die letzte Konsequenz: Das ICE fährt mit seinen Pick-Ups in den Himmel, um Latinos zu verhaften, die seiner Ansicht nach dort nicht hingehören. Während der Razzien erschießt die ICE-Chefin Kristi Noem in der Serie ständig Hunde.
  • USAID
    : Am 26. Juli 2025 berichtete Boris Hermann in der Süddeutschen Zeitung über die Folgen der Zerschlagung von USAID durch die Regierung Trumps. USAID ist seit dem 1. Juli 2025 nicht mehr existent. In seiner Reportage „Eine Kiste, ein Kind, ein Leben" stellt er die gemeinnützige Organisation Edesia Nutrition in Rhode Island und ihre Gründerin und Chefin Navyn Salem In einer Halle lagern 185.535 Kisten einer hoch konzentrierten Erdnusspaste. Jede dieser Kisten könnte ein Kind vor dem akuten Hungertod bewahren. Doch niemand holt diese Kisten ab, denn Entwicklungshilfe gilt unter Trump als „unamerikanisch". Alle, die wussten, wie man Essen verteilt, wurden entlassen. „Nach Informationen der Welthungerhilfe sterben jeden Tag mehr als 6600 Kinder an den Folgen von Hunger und Mangelernährung. Eines etwa alle dreizehn Sekunden." Kein Problem – so Nancy Salem – sei einfacher zu lösen. Einer Studie zufolge, die Ende Juni in der renommierten, medizinischen Fachzeitschrift The Lancet publiziert wurde, könnte die Auflösung von USAID weltweit zu 14 Millionen zusätzlichen Todesfällen bis 2030 führen, davon etwa ein Drittel Kinder unter fünf Jahren. Wenn man in dieser Lagerhalle in Rhode Island steht, zwischen mehr als zwanzig Millionen sich allmählich dem Ablaufdatum nähernden Tüten mit Erdnusspaste, dann muss man nicht allzu polemisch werden, um auf den Gedanken zu kommen: Es sind auch Trumps tote Kinder."
  • Resettlement
    : Das Resettlement-Programm in den USA unterstützte seit über 80 Jahren Verfolgte aus anderen Ländern in den USA. Trump schränkte es in seiner ersten Präsidentschaft ein, Biden führte es wieder ein, jetzt wird es von Trump wieder gestrichen. Caroline Moorehead, Autorin unter anderem einer Biographie über Mussolinis Tochter Edda, beschreibt im New York Review of Books vom 21. August 2025 am Beispiel von Geflüchteten aus dem liberianischen Bürgerkrieg zu Beginn der 2000er Jahre deren Integration und die Folgen der Streichungen des Resettlement-Programms: „After Resettlement". Die diffamierende Rhetorik und Ignoranz Trumps und seiner Anhänger:innen ist die eine Seite der heutigen Realität, die andere ist der unermesslich hohe Beitrag der über das Programm in die USA eingewanderten Menschen zum Wohlstand des Landes: „Between 2005 and 2019, according to a 2024 report by the US Department of Health and Human Resources, refugees and asylees contributed $581 billion in tax revenues, far exceding the $ 457 billion spent on them by federal, state, and local governments." Caroline Moorehead erinnert an George Washington, der am 2. Dezember 1783 „wrote that the ‚bosom of America is open to receive not only the opulent & respectable Stranger, but the oppressed & persecuted of all Nations … if by decency & propriety of conduct they appear to merit the enjoyment' of it". Die Biographien der liberianischen Geflüchteten belegen diese Aussage, aber dies ist für die vorhersehbare Zukunft wohl vorbei.     

Der Newsletter des Demokratischen Salons erscheint künftig in etwas größeren Abständen, in der Regel alle acht Wochen. Die nächste Ausgabe lesen Sie Ende Oktober 2025. Neue Beiträge werden selbstverständlich wie bisher laufend eingestellt.

Mit den besten Grüßen verbleibe ich

Ihr Norbert Reichel

(Alle Internetzugriffe erfolgten am 20. und 21. August 2025.)

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.