Liebe Freund:innen des Demokratischen Salons,

die Januarausgabe 2024 des Demokratischen Salons muss ich leider mit einer sehr traurigen Botschaft einleiten. Einer meiner Autoren und Partner ist am 25. Januar 2024 gestorben: Hans Frey war einer der wichtigen und belesensten Experten der literarischen Science Fiction. Seine Bücher sind eine Fundgrube für alle, die sich mit Literatur und Science Fiction befassen möchten. Er analysierte und beschrieb Science Fiction als einen wesentlichen Indikator politischer Entwicklungen, schon in der Kaiserzeit, in der Weimarer Republik, bis in die heutige Zeit. Er kannte und analysierte die demokratischen Bücher ebenso wie er vor dem Geist der faschistischen und anti-demokratischen warnte. Er war ein engagierter und vorbildlicher Sozialdemokrat, bis zum Jahr 2005 als Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags. Er war mit Leib und Seele Gelsenkirchener. Im Demokratischen Salon veröffentlichte er von September bis November 2024 den Dreiteiler Science Fiction als Wirklichkeitsmaschine. Ich werde mich immer an unser letztes Gespräch in seiner Wohnung in Gelsenkirchen erinnern. Danke, Hans. Du hast mich inspieriert und bereichert.

Hans Frey erlebte sie nicht mehr bewusst, aber sie sind in seinem Sinne, die beeindruckenden aktuellen Demonstrationen gegen AfD und Rechtsextremismus. Sie dominieren die mediale Berichterstattung seit der Correctiv-Recherche über das Potsdamer Treffen von Mitgliedern von AfD und Werteunion mit ausgewiesenen Rechtsextremisten. In der Jüdischen Allgemeinen vom 18. Januar 2024 kommentiert Ronen Steinke das Treffen und stellt klar, dass das, was die AfD wolle, eine „ethnische Säuberung“ ist, nicht mehr und nicht weniger.

Dies ist auch Thema im Editorial der Januarausgabe 2024 des Demokratischen Salons: „Wider den Diskurs der Negativität – Tocqueville, die Thermodynamik und das Dreikörperproblem“.

Wie üblich finden Sie neben der folgenden Kurzvorstellung der neuen Texte Empfehlungen zu Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerben sowie weitere Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen.

Für die Bilder dieses Newsletters danke ich Christiane Herz, Stadt Hilden. Die Bildern können Sie vielleicht inspirieren, die beiden Ausstellungen „Freiheit“ mit 50 Fotografien, die in einem Workshop mit Michael Ebert entstanden, und „Magic Mountains Mystery Tour“ von Güdny Schneider-Mombaur, vielleicht auch die ein oder andere Begleitveranstaltung zu besuchen. Weitere Informationen unten in den Empfehlungen.

Acht neue Texte im Demokratischen Salon:

  • Shelly Kupferberg hat mit ihrer Erzählung „Isidor“ ihrem Urgroßonkel Isidor neues Leben geschenkt, ihm, seiner Familie, seinen Geschwistern, seinen Geliebten. Unser Gespräch knüpft an das poetisch-geheimnisvolle Titelbild der Erzählung an: „Das Reh im Palais“. Es ist die Geschichte des „Dandys“ Isidor und einer Familie von Selfmademen und Selfmadewomen, die aus Galizien nach Wien kamen, dort ihren Weg machten, deren Welt dann jedoch nach dem Einmarsch der Nazis zerstört wurde. Eine untergegangene Welt, die in den Briefen, die Shelly Kupferbergs Großvater Walter Grab nach Israel mitnehmen konnte, aufbewahrt wurde und in „Isidor“ zu neuem Leben erwachte. (Rubriken: Jüdischsein, Shoah)
  • Lamya Kaddor MdB war im Dezember 2023 in Israel, an der Grenze zu Gaza, in Kairo. Wir haben das Gespräch unter dem Titel „Zerrissen und verzweifelnd“ veröffentlicht. Es ist eine Reportage aus erster Hand, in den Gesprächen mit Angehörigen der Geiseln der Hamas, mit Geflüchteten aus Gaza, mit offiziellen Vertreter:innen, auch der Arabischen Liga. In den arabischen Ländern gibt es ausgesprochen heterogene Ansichten zur Perspektive der Region. Thema waren neben den außenpolitischen Aspekten innenpolitische Entwicklungen in Deutschland, gerade im Hinblick auf die Neigung, Antisemitismus mit Muslimfeindlichkeit zu bekämpfen. (Rubriken: Levantinische Aussichten, Islam)
  • Klaus Farin ist Geschäftsführer des Hirnkost-Verlags. Sein Programm und seine Erfahrungen stellt er unter dem Titel „Demokratie wagen“ vor. Er hat sich zeitlebens für die Demokratie engagiert und sich als Journalist und Buchautor in die Höhle der Löwen begeben, von denen sich viele als kleine furchtsame Katzen herausstellten. In seinem Verlagsprogramm veröffentlicht er Berichte und Dokumentationen zu Jugendkulturen und Subkulturen, zu Punk, zu Neo-Nazis, zu Jesus-Freaks und vielen anderen, darüber hinaus auch Klassiker der Science Fiction wie Theodor Herzkas „Freiland“ oder Theodor Herzls „Altneuland. (Rubriken: Treibhäuser, Science Fiction)
  • Agnieszka Łada-Konefał, Vizedirektorin des Deutschen Polen-Instituts, bewertet den Start der neuen liberalen polnischen Regierung unter der Überschrift „Regierungswechsel schwer gemacht“. Die bisherige von der PiS gestellte Regierung hat sich in zum Teil verfassungswidrigen Gesetzen Medien und Justiz gefügig gemacht. Kurzfristige Änderungen sind wegen des stets drohenden Vetos des Staatspräsidenten, der erst 2025 wieder zur Wahl steht, schwierig. Die neue Regierung bewegt sich mit kreativen Lösungen zum Teil am Rande der Rechtsstaatlichkeit. 2024 stehen Europa- und Kommunalwahlen an, erste Stimmungstests für die neue Regierung. (Rubrik: Osteuropa)
  • Christoph Rückel hat die Ausstellung „How To Catch A Nazi“ zur Entführung von Adolf Eichmann durch den Mossad nach Israel aus den USA nach München geholt. Er war in den jüngsten NS-Prozessen Vertreter der Nebenklage. Unter dem Motto „Zivilcourage und Rechtsstaat“ berichtet er von diesen Prozessen und seinen Begegnungen mit den beeindruckenden Zeuginnen. Er vertritt die Auffassung, dass der Rechtsstaat alle Mittel bereithält, um gegen anti-demokratische Umtriebe vorzugehen. Wir brauchen die Zivilcourage, die Fritz Bauer zeigte, als er seine Stellung und seine Freiheit riskierte, um Israel den entscheidenden Hinweis zu geben, der zur Entführung von Eichmann führte. (Rubriken: Shoah, Treibhäuser)
  • „Weiter Schreiben“ ist eine Plattform, über die Autor:innen, die vor Diktatur und Krieg flüchten mussten, ihre literarische Arbeit in Deutschland fortführen können. Das Portrait des mit vielen Preisen ausgezeichneten Programms trägt den Titel „Weltliteratur im Exil“. Es nennt die Programmelemente und stellt einige (subjektiv ausgewählte) Autor:innen vor. Beachtenswert ist die Sammlung von kurzen Erzählungen afghanischer Autorinnen „My Pen is the Wing of a Bird“. Der Text setzt sich mit der Frage auseinander, wie die Texte in Europa rezipiert werden und wie ein eurozentrischer Blick auf Literatur aus außereuropäischen Ländern aufgelöst werden könnte. (Rubriken: Kultur, Migration, Levantinische Aussichten)
  • Sebastian Stoppe hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Elemente klassischer Utopien (Thomas Morus, Campanella, Bacon) sich in Star Trek finden. Ergebnis: „Star Trek – ein politisches Projekt“, das sich nach den Ideen des Erfinders Gene Roddenberry als humanistisches Projekt charakterisieren ließe. Auf der anderen Seite gibt es Gegenbilder zur Föderation, intern der Maquis, der in Frage stellt, ob die Föderation überhaupt ihre eigenen Werte lebt, extern die Borg, die ein kollektives, jede Individualität negierendes Gegenbild darstellen. Die diversen Serien des Franchise Star Trek spiegeln politische Debatten und Entwicklungen, das heutige Star Trek ist dunkler als frühere Serien. (Rubrik: Science Fiction)
  • Benjamin Bigl und Sebastian Stoppe haben 30 Autor:innen versammelt, die sich mit der Frage befassen, wie Journalist:innen über Gaming, E-Sports, Spiele berichten. Norbert Reichel hat die Ergebnisse unter dem Titel „Die Macht der Spiele“ mit Thesen von Marshall McLuhan, Karl Marx, Siegfried Kracauer und anderen konfrontiert. Dabei spielen technische und wirtschaftliche Aspekte eine wichtige Rolle, aber auch die Formierung von menschlichem und gesellschaftlichem Verhalten im Sinne kommunizierender Röhren. Ein zweiter Band könnte sich Fragen der Migration, der geschlechtsspezifischen und einer sozial differenzierenden Nutzung widmen. (Rubriken: Science Fiction, Kultur)

Veranstaltungen, Ausstellungen, Wettbewerbe:

  • „Wir werden wieder tanzen“: „Um 6.29 Uhr kam der Horror.“ Dies ist die Überschrift des Berichts von Sabine Brandes vom 14. Dezember 2023 in der Jüdische Allgemeinen über die Ausstellung 6.29 in Tel Avivs Messe-Expo, die an die 360 Ermordeten des Supernova-Festivals erinnern soll. Die Ausstellung ist „eine akribische Nachstellung des Festivals“. Zu sehen sind Fotos sowie Originalgegenstände, sogar Sand vom Ort des Festivals, die Tonausrüstung des ermordeten Tontechnikers Matan Lior, Tische voller Schuhe, Rucksäcke, Sonnenbrillen, Puderdosen und Lippenstifte, ein Schminktäschchen mit dem Aufdruck ‚Berlin‘. (…) Die Ausstellungsbesucher durchlaufen komplexe Emotionen, wenn sie entlang der Installationen laufen, die durchgehend in ein Halbdunkel getaucht sind.“ Aber: „Am Ausgang ist es plötzlich hell und bunt. An der Wand hängt ein Poster in allen Farben des Regenbogens. ‚We will dance again‘ steht in farbigen Buchstaben darauf: ‚Wir werden wieder tanzen‘.“ In derselben Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen berichtet Sabine Brandes von Mia Schem, eine der fünf inzwischen freigelassenen Geiseln des Nova-Festivals. Sie trägt ein Tattoo mit den Worten „Wir werden wieder tanzen“.
  • Aus der Ausstellung „Freiheit“. Foto: Ehsan Fayaz.

    Freiheit: Am Freitag, 2. Februar, 19.30 Uhr, eröffnet Bürgermeister Claus Pommer, Stadt Hilden, die Ausstellung „Freiheit“ in der Städtischen Galerie im Bürgerhaus, Mittelstraße 40, 40721 Hilden. Leonie Ziegler wird einführen, für musikalische Begleitung sorgt Morteza Ebtekar. Die Ausstellung ist bis zum 23. März 2024 zu sehen. Die gezeigten Fotos sind in Fotoworkshops mit dem Fotografen Michael Ebert im Rahmen des Projektes „Zusammen aktiv vor Ort – Gesellschaftliche und Politische Teilhabe gestalten“ entstanden. Zu sehen sind 50 unterschiedliche Bilder und Statements, deren Ziel es ist, den abstrakten Begriff der Freiheit sichtbar zu machen, gerade auch im interkulturellen Kontext. Leonie Ziegler schreibt im Programm: „Dabei darf man nicht vergessen, die Freiheit, die wir zum Beispiel hier in Deutschland erleben, ist nicht die gleiche wie in anderen Ländern. Was wir hier für selbstverständlich nehmen, ist in anderen Ländern nicht nur verboten, sondern wird auch streng bestraft. Das Ausleben seines individuellen Glaubens, seiner Meinung, seiner politischen Standpunkte, das Ausleben seiner eigenen Sexualität kann in anderen Ländern zu schwerwiegenden Konsequenzen führen. Man sollte sich der Freiheit, in der wir leben immer bewusst sein und neben unseren Bildern ist das auch ein Ergebnis dieses Workshops.“

  • Science Fiction: In den Räumen des Kulturrings Berlin-Treptow trifft sich jeden zweiten Donnerstag im Monat der SF-Club Andymon. Das nächste Treffen findet am 8. Februar 2024, 18.30 Uhr in Berlin-Treptow (Ernststraße 14-16, S-Bahnstation Baumschulenweg) statt. Februarthema ist eine Annäherung an Star Trek. Alle Termine des Jahres 2024 finden Sie hier. Der Club bietet Informationen und Austausch über aktuelle Themen der Science Fiction, neue Publikationen und Filme, Jahrbücher und Zeitschriften sowie Debatten mit Autor:innen über Texte und Filme vergangener Zeiten. Organisator der Treffen ist Wolfgang Both, dessen Buch „Rote Blaupausen – Eine kurze Geschichte der sozialistischen Utopien“ 2021 bei Beck erschien.
  • Junge Kunst für Hanau: Am 13. Februar 2024, 18.00 Uhr, eröffnet Kulturstaatsministerin Claudia Roth eine Ausstellung im Kulturforum der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Matthäikirchplatz, 10785 Berlin). Die Veranstaltung wird von der Initiative Kulturelle Integration und dem Fachverband für Kunstpädagogik (BDK) angeboten. Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland ihre Werke, in denen sie sich mit Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen der Ausgrenzung beschäftigen. Die Veranstaltung ist dem Gedenken an die Opfer der Morde vom19. Februar 2020 in Hanau gewidmet. Anmeldung wird bis zum 6. Februar 2024 erbeten.
  • Zukunftsszenarien: Das Szenarioprojekt „Neue Horizonte 2045 – Missionen für Deutschland” zielt auf die gemeinsame Entwicklung positiver Narrative für eine gelingenden Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Das Jahr 2045 ist das Jahr, in dem Deutschland laut der Klimagesetzgebung klimaneutral sein soll. Es geht aber nicht „nur“ um Klimaneutralität, sondern gleichermaßen um sozialen Zusammenhalt, der mehr sein muss als das alte Wohlstandsversprechen. Das Team des Projektes beabsichtigt, Zielkonflikte, die in allen Handlungsfeldern existieren, herauszuarbeiten, um kompromissfähige Transformationspfade und Missionen im Dialog mit den jeweiligen Stakeholdern für das Jahr 2045 zu entwickeln. Der Prozess wird mit dem Open Forsight-Ansatz interdisziplinär angelegt, ist aber offen für Kritik und Experimente. Auch die Leser:innen des Demokratischen Salons sind eingeladen, die vorliegenden D2045-Szenarien in einem verdichteten Verfahren (mit nur 20 Fragen) zu bewerten. Dabei ist es möglich, die eigenen Eintragungen unmittelbar im Kontext der bestbewerten Szenarien als Chart zu sehen. Hier geht es zum Fragebogen. Am 7. Februar 2024, 18.30 bis 20 Uhr werden anlässlich der 29. Futures Lounge die Szenarien vorgestellt und diskutiert.
  • Geburtstag von Gerhard Schneider: Anlässlich seines 85. Geburtstags hat Gerhard Schneider die Ausstellung „In den Strudeln der Zeit“ im Zentrum für verfolgte Künste weitgehend selbst kuratiert. Sie ist dort bis zum 11. Februar 2024 zu sehen. Die Sammlung Gerhard Schneider wurde in einem Gespräch mit Jürgen Kaumkötter unter dem Titel „Der Tod hat nicht das letzte Wort“ (so auch der Titel eines Buches von Jürgen Kaumkötter) im Demokratischen Salon vorgestellt. Sie präsentiert eine große Zahl leider oft übersehener und ungewürdigter Künstler:innen.
  • Kindertransporte nach Großbritannien 1938: 2024 jährt sich der Beginn dieses Kindertransports zum 85. Mal. Die Initiative zur Rettung von jüdischen Kindern und Jugendlichen vor nationalsozialistischer Verfolgung steht vom 31. Januar 2024 bis zum 23. Februar 2024 im Mittelpunkt der Sonderausstellung der Berthold Leibinger Stiftung „I said, ´Auf Wiedersehen‘“ im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags (beachten Sie bitte die Sicherheitsvorkehrungen bereits bei der Anmeldung). Das Ausstellungsprojekt wird von Ruth Ur, der Geschäftsführerin des Freundeskreises Yad Vashem, kuratiert und geleitet. Die Schirmherrschaft übernahmen die britische Botschafterin Jill Gallard und der deutsche Botschafter in London Miguel Berger. Die Ausstellung präsentiert in fünf Themenstationen anhand von fünf Familiengeschichten fünf Aspekte der Geschichte dieses einzigartigen Rettungsprojektes. Die Informationsstelen wurden in der äußeren Form von Briefen gestaltet. Durch die Kindertransporte von Deutschland nach England wurden mehr als 10.000 jüdische Kinder vor Kriegsbeginn dem nationalsozialistischen Massenmord gerettet, doch ihre Eltern blieben zurück. Fünf Originaldokumente, vier aus der Wiener Holocaust Library und eines aus der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem, erzählen von der einzigartigen Geschichte der Rettungsinitiative.
  • Red Mountain I. Aus der Ausstellung „Magic Mountains Mystery Tour“.

    Magic Mountains Mystery Tour: Diese Ausstellung wurde am 14. Januar 2024 im Kunstraum Gewerbepark-Süd (Hofstr. 64, 40723 Hilden) eröffnet und ist noch bis zum 10. März 2024 zu sehen. Der volle Titel der Ausstellung der Künstlerin Güdny Schneider-Mombaur: „Magic Mountains Mystery Tour – Eine Reise in die Gegenwart“. Die Reise, die im Ausstellungstitel anklingt, hat wirklich 1994 stattgefunden. Es war ein internationaler Künstleraustausch zwischen Deutschland und der Volksrepublik China. Gemeinsam mit zehn deutschen und internationalen Künstlern wurden zehn Provinzen in China bereist. Es gibt mehrere Begleitveranstaltungen, am Samstag, 17. Februar 2024, 15:30 Uhr im Hildener Kunstcafé mit der Künstlerin und Sandra Abend, am Freitag, 1. März 2024, 18.00 Uhr „Art & Wein – Genuss auf hohem Niveau: Magic Mountains im Glas“ mit der Weinexpertin Daniela Rothschuh. Am Donnerstag, 7. März 2024, 18:00 Uhr, gibt es eine Führung durch die Ausstellung mit der Künstlerin und Sandra Abend.

  • Zwei Ausstellungen der Bundesstiftung Aufarbeitung: Die Ausstellungen „Friedliche Revolution und Deutsche Einheit kompakt“ und „Niños robados. Gestohlene Kinder. Stolen Children“ über die Internetseite der Bundesstiftung Aufarbeitung (vor)bestellt werden. Die Ausstellung „Friedliche Revolution und Deutsche Einheit kompakt“ veranschaulicht mit Karten und illustrierten Zeitleisten die chronologischen und geografischen Zusammenhänge des Jahres 1989/1990. Auf sechs Tafeln werden zeitgleiche Entwicklungen, insbesondere im Hinblick auf Ostmitteleuropa, sichtbar. Die Ausstellung ist ab sofort bestellbar und kann ab dem 18. März 2024 präsentiert werden. Die Ausstellung „Niños robados. Gestohlene Kinder. Stolen Children“ zeigt Lebensgeschichten von Betroffenen insbesondere aus Argentinien, Deutschland, El Salvador, Kanada, der Sowjetunion und Spanien. Die Ausstellung wurde gemeinsam mit der Elisabeth-Käsemann Stiftung Sie steht in deutscher Sprache als gedrucktes Poster-Set im Format DIN A1 sowie als Druckdatei im Format 85 (B) X 200 (H) Zentimeter zur Verfügung, bis Ende Februar darüber hinaus in englischer und spanischer Sprache als Druckdatei.
  • Klimazukünfte: Das Klimahaus Bremerhaven und der Hirnkost Verlag haben den Literaturwettbewerb Klimazukünfte ins Leben gerufen. Unterstützt wird der Literaturwettbewerb durch VS Bundesvorstand, Writers For Future, Respekt! – Die Stiftung. Finanziert wird er von Sylvia Mlynek und Fritz Heidorn aus Oldenburg. Der Preis wird in den Kategorien für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene vergeben: „Der Literaturpreis KLIMAZUKÜNFTE 2050 soll Menschen jeden Alters, professionelle wie nicht-professionelle Autor:innen anregen, sich mit dem Klima und möglichen Zukünften auseinanderzusetzen und diese literarisch vorzustellen. Möglich sind alle Formen der literarischen kurzen Auseinandersetzung mit dem Thema, sei es Prosa oder Lyrik, als Science-Fiction-Erzählung, Dystopie oder Utopie, als Fabel oder Märchen. Auch Graphic Novels und Slam-Poetry-Texte sind willkommen. Wichtig ist, dass die Schreibenden eine eigene Erzählform finden, die ihre Gedanken und Gefühle zugänglich machen: Wie wird das Leben in Deutschland, Europa und der Welt im Jahre 2050 aussehen?“ Einsendeschluss ist der 31. März 2024 (nur digitale Einsendungen werden berücksichtigt). Die Auszeichnungen erfolgen während der Leipziger Buchmesse 2025. Der Band mit den Beiträgen einer ersten Wettbewerbsrunde erschien im April 2023 beim Hirnkost-Verlag.
  • KlimaFiktionen 2024: Vom 26. bis zum 28. April 2024 findet im Rottstr5 Theater in Bochum das Festival KlimaFiktionen 2024“ statt. Der menschengemachte Klimawandel stellt auch die Literatur vor Herausforderungen: Wie lässt sich angemessen vom Klimawandel erzählen? Welche besonderen Schreibweisen, welche neuen Narrative bildet die Gegenwartsliteratur aus, um diese globalen, sehr komplexen Vorgänge, die den Klimawandel prägen, zu beschreiben? Und zudem: Können Klimafiktionen Impulse für die Gegenwart setzten und zum Beispiel als „Ideen-Inkubator“ (Klaudia Seibel, Zukunftsforscherin) fungieren? Das Festival möchte diesen Fragen mittels einer Vielzahl an Lesungen, Buchvorstellungen, Vorträgen und Gesprächen nachgehen. Zu Gast sind unter anderem Schriftstellerin Theresa Hannig, Autorx Aiki Mira, Autorin und Kulturwissenschaftlerin Alessandra Reß, Musiker und Wissenschaftler Michael Wehren, Verleger Klaus Farin (Hirnkost Verlag), Sebastian Vollmar (Artdirector und Fellow bei Reinventing Society) und Dominik Irtenkauf (freier Autor und Journalist). Der Demokratische Salon wird in den folgenden Monaten Texte und Interviews rund um das Festival veröffentlichen. Organisation und Kontakt: Markus Tillmann.
  • Ausstellung über Ergreifung und Prozess Adolf Eichmanns: Im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst (SMÄK) in München ist bis zum 30. April 2024 die Ausstellung „Operation Finale“ unter dem Titel „How To Catch A Nazi“ zu sehen. Sie zeigt, wie der israelische Geheimdienst Mossad und der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Jahr 1960 Adolf Eichmann in Argentinien ausfindig machten, wie seine Entführung nach Israel durchgeführt und wie ihm schließlich der Prozess gemacht wurde. Es war der erste große Prozess, indem Opfer des Holocaust vor der Weltöffentlichkeit Zeugnis von den Verbrechen der Nazis ablegten. Die Ausstellung ist eine Multimedia-Ausstellung. Sie stammt aus Israel und den USA und wurde von der Adolf Rosenberger gGmbH und dem SMÄK erstmalig nach Deutschland gebracht. Der Film „Operation Finale“ ist auch bei Netflix im Programm.
  • Film „Stella – Ein Leben“: Zu den meistgelesenen Texten im Demokratischen Salon gehört „Das ‚Stella-Dilemma – Wahrheit und Verrat in der Erinnerungskultur“, meine Besprechung der Biographie Stella Goldschlags von Peter Wyden und des Romans „Stella“ von Takis Würger. Jetzt kommt der Film „Stella – Ein Leben“ von Kilian Riedhof“ ins Kino, nicht der erste Film, der die Geschichte Stella Goldschlags thematisiert. Sophie Albers Ben Chamo hat ihn in der Jüdischen Allgemeinen unter dem Titel „Das deutsche Gespenst“ Sie schreibt, „stilistisch scheint die Produktion so unschlüssig wie seine Kritikerin. Ein bisschen Eldorado KaDeWe-Ästhetik trifft auf Arthouse-iges ‚Ganz-nah-dran‘ an Stellas starrem Gesicht, gemixt mit ZDF-Erklärungsnot.“ Ihr Text endet mit einem starken Statement von Michel Friedman beim „Special-Screening mit anschließender Diskussion in Berlin“: „Der, wie es Friedmans Art ist, entschuldigt sich zuerst höflich, vernebelt die Köpfe mit ein paar Abschweifungen, sagt, dass er nichts bewerten wolle, um dann in aller Schärfe rauszuhauen, was er denkt: Die Nachfahren der Täter sollen endlich damit beginnen, sich die Taten in ihren eigenen Familien anzusehen, anstatt auf die Opfer zu starren, die zu all dem rein gar nichts konnten. ‚Damit wir lernen, wie das Gift des Hasses überhaupt in die Menschen eindringen konnte.‘ Gerade jetzt.“  

Hintergrundinformationen und Leseempfehlungen:

  • Aus der Ausstellung „Freiheit“. Foto: Ehsan Fayaz.

    Bring them home now! Immer noch hält die Hamas 136 Menschen gefangen, die sie am 7. Oktober 2023 entführte. Die Angehörigen haben seit Wochen keine Lebenszeichen erhalten. Niemand weiß, ob sie alle noch leben. Saara von Alten, Barbara Nolte und Lars von Tönne berichteten. „‚Die Familien der Entführten leiden besonders darunter, dass sie keinerlei Informationen über ihre Angehörigen bekommen‘, sagt die israelische Kommunikationsberaterin Melody Sucharewicz, die die Angehörigen der Geiseln dabei unterstützt, ihr Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen. Denn je länger die Bodenoffensive dauert, die von der israelischen Regierung unter anderem mit der Befreiung der Geiseln begründet wurde, desto mehr rückt ihr Schicksal in den Hintergrund.“ Die jüngste Geisel hatte am 18. Januar 2024 ihren ersten Geburtstag, Kfir Bibas. Über ihn und die anderen Angehörigen der Familie Bibas, die noch in Hamas-Haft gehalten werden, berichteten Karin Christmann und Valerie Höhne. Sie dokumentieren Berichte der Angehörigen ausführlich. Die Hamas behauptet, die entführten Kinder der Familie Bibas lebten nicht mehr, aber niemand weiß, ob dies stimmt oder nur Teil des begleiteten Psychoterrors ist. Tristan Fiedler sprach mit Danielle Aloni, die mit ihrer Tochter und ihrer Nichte entführt wurde. Danielle Aloni berichtet von den jubelnden Gazais (die Zivilbevölkerung hat wirklich nichts mit der Hamas zu tun?) denen sie vorgeführt wurden, von Menschen, die in Tunneln gefesselt und ohne Medikamente gehalten wurden. Ihr Mann ist immer noch in Geiselhaft, ihre Schwester und deren dreijährige Zwillingstöchter wurden mit ihr am 27. November freigelassen. Sie tritt jetzt im Fernsehen auf: „Wir müssen schreien, wir müssen reden und wir müssen viel Lärm machen. Alle müssen zurückkommen.“ Jochen Wegner sprach mit Noam Peri und Nili Margalit, die in Davos berichteten. Nili Margalit schildert die Bedingungen, unter denen sie (sie kam nach 55 Tagen frei) und die Geiseln gehalten wurden und werden: Brillen und Hörgeräte wurden zerstört, die Geiseln leben in Dunkelheit. „Es gab keine Belüftung, nicht genügend Sauerstoff, kaum Essen. Nur Reis zum Mittag und ein halbes Fladenbrot zum Abend, keine Vitamine und Mineralien. Wir konnten uns nur alle fünf oder manchmal sogar nur alle zehn Tage mit kaltem Wasser in einem Waschbecken waschen. Es gab keine medizinische Versorgung, einige wenige Medikamente, aber bei Weitem nicht genug. Ich habe versucht, die Älteren zu versorgen, zu verstehen, was sie essen sollten, welche Art von Medikamenten sie brauchen und diese einzufordern. Alle schliefen auf Matratzen. Wir aßen auf dem Boden. Es gab keine Stühle. Für alte Menschen ist es schwierig und schmerzhaft, jedes Mal aufzustehen. Also habe ich ihnen gezeigt, wie sie verhindern, hinzufallen. Im Alter bricht man sich leicht den Femur. Im Tunnel, ohne Operation, ohne Zugang zu einem richtigen Krankenhaus, ist ein Oberschenkelbruch ein Todesurteil.“

  • Jüdischsein in Deutschland und der 7. Oktober: Für die taz sprach Jan Feddersen mit Mirna Funk über Jüdischsein in Deutschland und den 7. Oktober. Das Gespräch fand bewusst wenige Tage vor dem Holocaustgedenktag am 27. Januar statt. Der Einstieg von Mirna Funk: „Die politische Lage ist nicht so, wie wir sie bis zum 7. Oktober Sie war nicht gut, aber sie war besser einzuschätzen.“ Sie sagt, sie wache jeden Morgen mit einer „Spaltung“ auf, den Gedanken an ihre Freund:innen und ihre Familie in Israel und ihren Alltag in Berlin, die Angst angesichts der Drohungen der Hamas, das sei nur der Anfang gewesen. Sie spricht über ihre erste Israelreise nach dem Mauerfall, die auch ihre erste Auslandsreise war. Jetzt findet sie immer wieder nur antiisraelische „Schlagworte“, doch von der Hamas werde nicht gesprochen. Sie sagt auch: „Ich erlebe keine blinde Israelliebe. Blinde Palästinaliebe schon.“ Sie wehrt sich dagegen, dass Juden immer nur als „Opfer“ gesehen würden. „Der Jude wird beschwiegen, er ist und bleibt ein unerkannter Fremder – und er bleibt Opfer. Als Opfer wird der Jude geliebt, als lebendiger Mensch nervt er nur oder macht Ärger wie momentan im Nahen Osten. Man will sie nicht haben, aber ihnen am Ende hinterhertrauern dürfen.“ Das Judentum sei keine „Opferreligion“. Erinnerungskultur in Deutschland habe viel Gutes, es gebe aber auch die deutschen Rituale mit ihren „feierlichen, ermahnenden Reden“. Sie empfiehlt den Film „Golda“ von Guy Nativ mit Helen Mirren, der immer noch keinen deutschen Verleih gefunden hat. Über ihre Erfahrungen hat sie auch in ihrem neuen Buch „Von Juden lernen“ geschrieben (dtv, 2023).
  • Berliner Antisemitismusklausel: Der Berliner Kultursenator Joe Chialo hat seine Antisemitismusklausel zurückgezogen. Eine Kulturförderung aus öffentlichen Mitteln sollte von einem entsprechenden Bekenntnis gegen Antisemitismus abhängig gemacht werden. Offenbar war es nicht möglich, eine rechtssichere Lösung für den ursprünglich unter anderem vom Zentralrat für Juden begrüßten Vorschlag. Ähnlich dürfte es Vorschlägen gehen, ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels zur Einbürgerungsvoraussetzung zu machen. Kritiker:innen der Klausel wiesen darauf hin, dass Bekenntnisse kontraproduktiv wirken dürften und die Fronten eher verhärten, denn auflösen dürften. Kathrin Sohns sprach für den Tagesspiegel mit Meron Mendel, einem Kritiker dieser Klausel, der die Entscheidung von Joe Chialo begrüßte. Dafür verdiene der Kultursenator Respekt. Initiativen wie „Strike Germany“, die von Annie Ernaux und Judith Butler unterstützt werden, sind „nicht produktiv“ und „vertreten eine totalitäre Ideologie, die sie sie mit allen Mitteln durchsetzen wollen.“ Meron Mendel plädiert für Gespräche, gerade im Kulturbereich. „Viele Institutionen suchen gerade das Gespräch – es gibt öffentliche Diskussionsrunden, auch eröffnen sich nicht öffentliche Gesprächsräume. Hinter all dem steckt immer die gleiche Frage: Wie kommen wir aus der Boykott- und Gegenboykott-Logik raus und starten eine konstruktivere Debatte? Ich meine damit Boykottbestrebungen in beide Richtungen, und ich meine sowohl den offenen Boykott als auch den stillen. Die Boykottmentalität ist ein ganz großes Problem.“ Auch hier gilt der Buchtitel von Michel Friedman: „Streiten? Unbedingt!“ (Berlin, Dudenverlag, 2021)
  • Aus der Ausstellung „Freiheit“. Foto: Ehsan Fayaz.

    Comics nach dem 7. Oktober: Oft können ein Comic, eine Graphic Novel, ein animierter Film den Schrecken eines Ereignisses viel besser darstellen als jeder Bericht, jede Dokumentation es könnte. Ein, wenn nicht der Klassiker ist Art Spiegelmans „Maus“. Der Tagesspiegel wies auf die Internetseite „Wie geht es dir?“ hin, „Zeichner*innen gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus“. Der Text enthält mehrere Beispiele. „ Die Initiative zu dem Projekt kam neben Barbara Yelin von den Zeichnerinnen und Zeichnern Hannah Brinkmann, Nathalie Frank, Michael Jordan, Moritz Stetter und Birgit Weyhe. Jede Woche soll ein neuer Comic auf der Website veröffentlicht werden, zahlreiche weitere Künstlerinnen und Künstler haben bereits ihre ehrenamtliche Teilnahme zugesagt.“ Hinter den Links der jeweiligen Namen finden Sie Beispiele.

  • Wer ist Carola Rackete? Am 1. Januar 2024 veröffentlichten Boris Hermann und Angelika Slavik für die Süddeutschen Zeitung ein Gespräch mit Carola Rackete über ihre Absicht, auf der Liste der Linken für einen Sitz im Europaparlament zu kandidieren. Sie kandidiert als Parteilose auf Platz 2. Ob sie zu einem späteren Zeitpunkt in die Partei eintrete, ließ sie offen. Sie sieht die Linke als eine Partei, die weiter geht als die Grünen, indem sie sich für ein Wirtschaftssystem einsetze, das ohne ständiges Wachstum auskomme. Auch grüne Technologien müssten auf ihren Ressourcenverbrauch geprüft werden. Sie verweist auf eine Oxfam-Studie, die besagt, dass das reichste Prozent der Deutschen 15mal so viele Ressourcen verbrauche wie die untere Hälfte. Bereits im November 2023 hatten Jana Hensel und Katharina Schuler für die ZEIT mit ihr gesprochen.
  • Die Linke in Europa: Neun Journalist:innen der taz bieten unter der Überschrift „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ einen Überblick über Entwicklungen und Status linker Parteien vor der Europawahl, In Deutschland aktuell durch die Gründung des „Bündnisses Sahra Wagenknecht“. Im Europaparlament hat die Fraktion der Linken zurzeit 38 Abgeordnete aus 13 Ländern. Für den Fraktionsstatus werden 23 Abgeordnete aus sieben Ländern benötigt. In manchen Ländern kämpfen linke Parteien ums Überleben, beispielsweise in Spanien, Griechenland und Deutschland, in anderen gibt es durchaus gute Wahlchancen, beispielsweise in Irland und in den skandinavischen Ländern. Der Überblick umfasst detaillierte Berichte über Entwicklungen in Belgien, Dänemark, Italien, den Niederlanden, Österreich und Italien. Zu den Besonderheiten gehören die jüngsten Erfolge der KPÖ im Land Salzburg und in der Stadt Graz, wo sie jetzt die Bürgermeisterin stellt.
  • Gespaltene Linke: War es nicht schon immer so? Linke Organisationen spalteten sich und die Rechte profitierte? Die KPD betrachtete in der Weimarer Republik die SPD als ihren Hauptgegner und trug ihren Teil zum Erfolg der NSDAP bei. Die Analyse verschiedener Wahlen der jüngeren Vergangenheit zeigt ebenfalls, dass es rechten und rechtsextremen Parteien leichter fiel, Bündnisse zu schließen, als linken Parteien, beispielsweise in Italien. Dies ist die eine Seite der Medaille, die andere ist eine von manchen Linken seit dem 7. Oktober 2023 an den Tag gelegte Opferkonkurrenz. Eva Illouz kommentierte unter dem Titel „Unter Opfern“ am 18. Januar 2024 in der Süddeutschen Zeitung: Wir sind jetzt dazu angehalten, uns für ein Lager zu entscheiden: zwischen dem Kampf gegen Islamophobie und dem Kampf gegen Antisemitismus. Zwischen tugendhafter Zensur und freier Meinungsäußerung. Zwischen den Menschen in Gaza und dem Existenzrecht Israels.“ (…) Im Wettbewerb der Opfer behauptet jedes Lager auf unerträgliche Weise, nur die eigenen Opfer zählten.“ Sie nennt Beispiele: Der Verzicht der Brandeis University in Massachusetts im Jahr 2014 auf die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Ayaan Hirsi Ali, weil dies dazu führe, dass sich „muslimische Studenten (…) unwillkommen fühlen würden.“ Der Chicago Dyke March 2017, von dem zwei Teilnehmerinnen ausgeschlossen wurden, die Regenbogenflaggen mit Davidstern trugen. Wer auf frauenfeindliche Praxis in muslimischen Ländern hinwies, wer Karikaturen (Jyllandsposten, Charlie Hebdo) der „Meinungsfreiheit“ zurechne, wurde als westlich gesteuert markiert, man bevorzuge „Christentum“ und „Judentum“. Judith Butler habe solchen Positionierungen „ein intellektuelles Gütesiegel“ Eva Illouz fragt, wie sich dies zur ständigen Präsenz antisemitischer Karikaturen verhielte? „Was für die Muslime akzeptabel und legitim ist, wird als abscheulich dann gebrandmarkt, wenn es von Juden kommt. Wenn das keine intellektuelle Scheinheiligkeit ist, so sieht es zumindest schwer danach aus.“ Diese Kritik – ich darf ergänzen – trifft auch manche Liberale. Es sind nicht nur Linke, die der Rechten mit ihrer anti-muslimischen Agenda den Weg bereiten, der letztlich auch ein antisemitischer Weg ist.
  • #breaking news #libretto. Aus der Ausstellung Magic Mountains Mystery Tour.

    Staatsbürgerschaftsrecht: Die gute Nachricht: Einbürgerung wird in Deutschland erleichtert. Wer Deutsche:r werden will, muss seine bisherige Staatsbürgerschaft nicht ablegen (was in manchen Staaten auch gar nicht möglich wäre), die Wartezeiten verringern sich. Es wäre jedoch verwunderlich, wenn ein Gesetz rundum gelungen wäre. Es gibt Wermutstropfen. Verständnis lässt sich meines Erachtens dafür aufbringen, dass die Einbürgerungswilligen ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können sollten. Aber was ist mit kranken Menschen oder gar mit denjenigen, die als sie nach Deutschland kamen, noch gesund waren, aber dann plötzlich krank und mit ihrer Krankheit arbeitsunfähig wurden? Was ist mit Menschen, die Angehörige, die Eltern, ein behindertes Kind, pflegen und daher nicht oder nur eingeschränkt arbeiten können? Es soll zwar die Möglichkeit zur Anerkennung als „Härtefall“ geben, aber was das letztlich bedeutet, bleibt angesichts der bekannten deutschen Bürokratie offen. Constanze von Bullion hat dieses Problem an mehreren Beispielen in ihrem Beitrag „Deutscher Pass am besten nur für Gesunde“

  • Autokratisierung: Das Berliner Wissenschaftszentrum hat den Beitrag „Autokratisierung und ihre Folgen“ von Vanessa Boese und Sebastian Hellmeier veröffentlicht (den Hinweis verdanke ich Correctiv). Die beiden Wissenschaftler:innen werteten Statistiken aus, die die Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre nachzeichnen und in ihrem historischen Kontext bewerten. Seit 2010 nimmt Demokratisierung ab, Autokratisierung zu. 1990 gab es einen Peak von über 70 Ländern, in denen sich Demokratisierung abzeichnete, 2000 war davon nur noch etwa die Hälfte übrig. „Während des gesamten 20. Jahrhunderts waren nie so viele Länder gleichzeitig einem Prozess der Autokratisierung unterworfen wie im Jahr 2021.“ Autokratisierung ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein schleichender Prozess. Wichtige Elemente sind Desinformation und die Manipulation von Statistiken. Auch die Gewaltbereitschaft autokratischer Staaten ist gestiegen, nicht nur mit dem russischen Überfall auf die Ukraine, auch in innerstaatlichen Konflikten, beispielsweise in vielen afrikanischen Ländern.
  • Nerds and Incels: Man muss kein Politiker sein, um sich wie ein Autokrat zu verhalten. Es gibt eben nicht nur Donald Trump und seine Freunde. Walter Isaacson hat bei Simon and Schuster eine Biographie von Elon Musk veröffentlicht, die auch in deutscher Sprache vorliegt (erschienen bei Bertelsmann). Walter Isaacson kennt die Szene gut, zuvor hatte er eine Biographie von Steve Jobs geschrieben. Ben Tarnoff bietet in der New York Review of Books vom 18. Januar 2024 eine differenzierte Besprechung mit viel Einblick in die Welt eines Nerds. Er beschreibt ein gefährliches Bild von Männlichkeit: „Ultra Hardcore“. Um sich ein Bild zu machen, hier der erste Absatz seines Textes: „To be a man is to dominate others. This is what I absorbed as a boy: masculinity means mastery, power, control. To be socialized into manhood I to gain a love of hierarchy and a willingness to do whatever is necessary to preserve your own position within it. One of the many tragedies of this arrangement is that the people it makes miserable can nonetheless become its most loyal defenders. An extreme example from recent years is the incel phenomenon, whereby men who feel excluced from conventional masculinity develop a violent attachment to it. Nerd culture as a whole often exhibits the same dynamic. The nerd is not the opposite of the jock but a different iteration of the same logic. Nerds have their own flavor of macho. Rather than relinquishing the script, they find alternative ways to perform it.” Wer mehr über INCELs wissen möchte, schaue sich im Kino „Royal Hotel“ von Kitty Green Spielt zwar in Australien, aber gibt doch tiefe Einblicke in die potenziellen Fans von Trump, Musk und ihren Aficionados.
  • Demokratiebildung in Brandenburger Schule – ein Neuanfang: 2023 kam sie in die Schlagzeilen, weil zwei Lehrkräfte, die rechte und rechtsextreme Übergriffe von Schüler:innen öffentlich machten, die Schule verlassen mussten. Im Kollegium wollten einige Lehrkräfte nicht wahrhaben, was in Klassen geschah, in den Klassen gab es eine Spaltung, die zu Mobbing und Gewalt führte. Schule kann „nicht neutral sein“ – so der neu eingesetzte Schulleiter Markus Mandel in einem Gespräch mit Jeannette Otto für die ZEIT. Es gibt erste Ergebnisse: „Die verfeindeten Lehrkräfte haben eine Art friedliche Koexistenz vereinbart, obwohl manche immer noch unterschiedliche Lehrerzimmer benutzen, damit sie sich nicht begegnen müssen. Die Spannungen im Alltag sind weniger geworden. Und in vielen Klassen gelingt es jetzt wieder, miteinander zu reden.“ Markus Mandel hat eingeleitet, was ein Beschluss der KMK vom Oktober 2018 zur Demokratiebildung fordert: „Wir erarbeiten gerade ein Demokratiekonzept für die Schule. Es soll dafür sorgen, dass die politische Bildung fächerübergreifend einen viel größeren Stellenwert bekommt. Es wird damit Aufgabe aller Lehrkräfte sein, an der Demokratieerziehung mitzuwirken.“ Der Schulleiter weist allerdings auch darauf hin, dass man es „mit einer aggressiveren Elternschaft“ zu tun habe. Gespräche mit Eltern können sich als „Balanceakt“ In dem Gespräch nennt Markus Mandel mehrere konkrete Beispiele. Die Schulaufsicht und das Brandenburger Ministerium schauen inzwischen sehr genau hin.
  • Pädagogische Berufe: Der Fachkräftemangel in Schulen ist enorm hoch. Es fehlt an Lehrer:innen, Sozialarbeiter:innen, Erzieher:innen. Kindertagesstätten und Schulen konkurrieren um die beiden zuletzt genannten Berufsgruppen und werden dabei von so mancher Landesregierung im Stich gelassen. Während die Landesmittel für die Träger der Beschäftigten in Kindertagesstätten in Nordrhein-Westfalen wegen der Inflation eine Erhöhung der Fördersätze um zehn Prozent erhielten, erhielten die Träger der Beschäftigten für ihr Personal in offenen Ganztagsschulen nichts. Die Gehälter der deutschen Lehrkräfte liegen im internationalen Vergleich sowie im Vergleich zu Sozialarbeiter:innen und Erzieher:innen auf einem hohen Niveau. Aber dies ist es nicht allein. Verständlich ist der Unmut angesichts der Lehrerschelte des OECD-Experten Andreas Schleicher, der sinngemäß meinte, Lehrer:innen müssten sich einfach nur besser auf die Kinder einstellen. Anne Jeschke protokollierte für die ZEIT die Kommentare von drei Lehrkräften, die deutlich machten, unter welchen Bedingungen sie arbeiten müssten. Die Äußerungen von Andreas Schleicher erschienen ihnen wie ein Hohn. Es mangelt an Rückzugsräumen, an Gelegenheit zum Austausch, an Entlastung in schwierigen Situationen, an Zeit. Eine Arbeitszeiterfassung gibt es nicht. Dies wäre ohnehin einmal eine Aufgabe: realistische Arbeitserfassung für pädagogische Berufe. Nur leider haben die in Bildungseinrichtungen Beschäftigten weder Lokomotiven noch Traktoren. All dies gilt im Übrigen auch für die Pflegekräfte.
  • Literatur in der DDR – ein Archiv für unterdrückte Literatur: Ines Geipel erhielt 2023 den Erich-Loest-Preis. Ihre Dankesrede „Keine Kerben im Kolben“ wurde im Demokratischen Salon veröffentlicht, dort auch die Hinweise zu weiteren Texten zur Arbeit von Ines Geipel, Essays und Interviews. Das Archiv bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur enthält über 70.000 Seiten von 115 weitgehend unbekannten Autorinnen und Autoren. Deutschlandfunk Kultur informierte am 12. Januar 2024 in einem sehr lohnenden 38 Minuten langen Feature von Alexa Hennings über das Archiv und die Lebenswege der Autorinnen und Autoren. Ines Geipel, die gemeinsam mit Joachim Walther die „Verschwiegene Bibliothek“ (zehn Bände erschienen, weitere zehn Bände wurden wegen Unwirtschaftlichkeit vom Verlag nicht mehr veröffentlicht) herausgegeben hat, beschreibt Lebensumstände und Wirkung, auch nach 1989, in West- wie in Ostdeutschland. Zu hören sind eindrucksvolle Texte, beispielsweise von Anne Golin, Edeltraut Eckert, Franziska Groszer und Radjo Monk, Interviews bieten einen Rückblick auf das Schicksal der Autorinnen und Autoren. Im Frühjahr 2024 erscheint die erweiterte Neuauflage des Buches „Gesperrte Ablage“ im Lilienfeld Verlag, die auch Gegenstand von Veranstaltungen sein wird, die der Demokratische Salon gemeinsam mit Ines Geipel im Herbst 2024 anbieten wird (save the date: September 2024, 19 Uhr, im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn, 5. November 2024, 18 Uhr, in der Düsseldorfer Stadtbibliothek), 7. November 2023 (Uhrzeit noch offen) im Zentrum für Verfolgte Künste in Solingen). Am Ende des Beitrags macht Ines Geipel mehrere Vorschläge, um die unterdrückte Literatur bekannter zu machen, unter anderem eine Internetseite sowie eine Anthologie, die auch von Schulen genutzt werden könnten.
  • Kindesentführungen: Nicht nur die Hamas hat Kinder entführt. Reuters berichtete über von Russland aus der Ukraine entführte Kinder. Verantwortlich ist neben Putin die russische Kinderrechtsbeauftragte Maria Lvova-Belova, gegen die wie gegen ihren Vorgesetzten ein internationaler Haftbefehl vorliegt. Die Rede ist von etwa 4.000 entführten ukrainischen Kindern. Nur wenige konnten bisher zurückgeholt werden. Die Recherche von Reuters zeigt eine Karte der Orte, in die die Kinder vermutlich verschleppt wurden. (Den Hinweis verdanke ich Correctiv). Für die Süddeutsche Zeitung berichtete Paul Munzinger über die von der Terror-Organisation Boko Haram in Nigeria entführten Mädchen, Titel des Beitrags: „Die Mädchen aus dem Wald“. Es begann vor etwa zehn Jahren mit 276 Schülerinnen. Ziel der Entführung war es, die Mädchen zu verheiraten, denn dies wäre ihre wahre Bestimmung, Schulbesuch und Bildung hingegen wäre Sünde, „haram“. Die von Boko Haram entführten Mädchen waren auch Thema des Buches „Die geraubten Mädchen“ von Wolfgang Bauer (Berlin, Suhrkamp, 2016) und des Romans „Das Mädchen“ von Edna O’Brien (Hamburg, Hoffmann und Campe, 2020, englisches Original 2019 „The Girl“).
  • Kollektive Hilflosigkeit: Seinem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 16 Januar 2024 gab Etgar Keret den Titel „Du und ich und alle anderen Verlierer“. Er fragt, ob wir nicht alle zurzeit auf der Verliererseite stünden, niemand sähe eigentlich so richtig zufrieden aus, auch nicht diejenigen, die für die Unbilden und den Terror dieser Zeit verantwortlich seien. Das spiegele sich im Alltag: „Das Spiel, das wir Gesellschaft nennen, hat sich längst in eine Schlägerei verwandelt.“ Etgar Keret berichtet von einer Frau, die ihm, dem einzigen Israeli, den sie durch seine Bücher kannte, drohte, seine Bücher nicht mehr zu lesen, wenn er nicht den „Völkermord in Gaza stoppe“. Es stellte sich heraus, dass die Frau in Mexiko lebte, die sagte, sie hätte einfach etwas tun müssen. Eine Aktion, um „sich etwas weniger hilflos“ zu fühlen, wie so viele andere, die zum Beispiel ihren Facebook-Eintrag mit einer ukrainischen Flagge schmücken: „Keine Frage, wir tun unser Bestes, wir geben uns erdenkliche Mühe. Aber egal, welche Meinung wir haben oder welchem Lager wir angehören, letztlich haben wir noch immer das Gefühl, dass die dumme Welt um uns herum nichts versteht, dass die Probleme nicht wirklich gelöst werden und dass wir wieder mal verloren haben.“ Etgar Kerets Plädoyer: Wir brauchen eine „Auszeit“ und sollten „uns gemeinsam auf neue Regeln einigen“.
  • Westjordanland – eine Reportage: Im Windschatten des Gaza-Krieges versuchen Siedler mit Unterstützung der rechtsextremen Mitglieder der israelischen Regierung im Westjordanland Palästinenser zu schikanieren oder gar zu vertreiben. Es gab schon Tote. Andererseits versucht die israelische Regierung, ihnen Einhalt zu gebieten. Tomas Avenarius berichtete für die Süddeutsche Zeitung, Titel seiner Reportage: „Unversöhnlich“. Er sprach mit Palästinensern sowie mit Siedlern, die das Land als das ihnen in der Bibel versprochene Land betrachten. Inzwischen leben etwa eine halbe Million Siedler in 279 Siedlungen. Seit Netanjahu regiert, hat die Zahl der Siedlungen zugenommen. Die Vereinbarungen von Oslo sind offensichtlich inzwischen Makulatur.
  • Aus der Ausstellung „Freiheit“. Foto: Ehsan Fayaz.

    Afghanische Ortskräfte: Für die ZEIT hat Christian Schweppe „die geheimen Kabul-Papiere der Bundesregierung“ ausgewertet: „Sie zeichnen das wahre Bild hinter dem Evakuierungschaos von Kabul. Sichtbar werden ein Nachrichtendienst, der eine Mär erfand, eine Kanzlerin, die sich nicht sonderlich interessierte, ein Innenministerium, das sich nahe am Rechtsbruch bewegte, ein realitätsfernes Außenamt, ein Verteidigungsministerium, das vertuschte – und insgesamt ein Kabinett, dessen Ressorts so lange Verantwortung herumschoben, bis sich niemand mehr zuständig fühlte.“ Die Dokumentation der Recherche enthält neben den Sachinformationen eine ausführliche Zeitleiste. Fatal ist die Ignoranz des deutschen Außenministeriums, das Warnungen der damaligen Botschafterin in den USA, Emily Haber, ignorierte. Dazu gehört der Irrglaube, es gäbe Wege zu einer politischen Lösung, wenn die andere Seite, die Taliban, bereit war zu reden, aber gleichzeitig keine Gelegenheit ausließ, sich militärisch zu positionieren und – wie es dann geschah – in kürzester Zeit durchzusetzen. Mit fatalen Folgen für die Ortskräfte: „Bis zum Schluss will der Leiter des Afghanistanreferats (im Auswärtigen Amt, NR) ‚das ›E‹-Wort‘ – Evakuierung – nicht hören.“ Christian Schweppe dokumentiert die Chronologie von Ignoranz und Scheitern für jedes einzelne zuständige Ministerium, für Kanzleramt und Bundesnachrichtendienst. Fazit: „Nicht ein einzelner versagte, sondern ein System.“ Und offenbar gewollt. Es war der Bundesregierung offenbar wichtiger, aufgrund anstehender Wahlen die Einreise von Menschen aus Afghanistan nach Deutschland zu verhindern.Der Sachstand heute: „Offiziell ausgeflogen wurden per Luftbrücke 5.347 Menschen – Ortskräfte ganze 216. Etwa 12.000 warten weiter, Kabul ist daher keine Geschichte von gestern.“

  • Afghanistan – zwei Brüder: Im ZEIT-Magazin berichtete Wolfgang Bauer von den afghanischen Brüdern Gulwali und Sabirullah Hajat (Hajat heißt Leben, die Namen wurden geändert), Titel: „Mein Bruder“. Die Bilder fotografierte Andy Spyra. Gulwali lebt in Deutschland und bereitete sich während der Gespräche auf seine Prüfung als Feuerwehrmann vor, die er bestand. Sabirullah lebt nach wie vor in Afghanistan und hat sich den Taliban angeschlossen, er wurde Wolfgang Bauer vor etwa zwei Jahren bei einer Recherche als Begleitschutz zugeordnet und erzählte ihm, dass er einen Bruder in Deutschland habe. In der Reportage geht es um mehr als die beiden Einzelschicksale. Thema sind auch die Fragen, wie jemand in Deutschland aufgenommen werden kann, in diesem Fall durchaus mit einer Erfolgsgeschichte, und unter welchen klimatischen und sozialen Bedingungen Menschen in Afghanistan leben. „Ihre Geschichte kann in unzähligen Variationen von Hunderttausenden Menschen erzählt werden – überall auf dem Planeten werden jeden Tag Familien entzweigerissen, geografisch wie weltanschaulich. In vielen Ländern stellen sich ganze Generationen die immer gleiche Frage, in Afghanistan, in Venezuela, auf der Suche nach dem Glück“. Gulwali lebt in und mit zwei „Kulturen“.
  • Vergessener Iran? Es ließe sich viel spekulieren, warum eine Außenministerin, die sich die „feministische Außenpolitik“ zu ihrem Leitbild erkoren hat, allenfalls an Jahrestagen einmal etwas zur Unterdrückung – ein angesichts der Zustände schon sehr euphemistischer Begriff – von Mädchen und Frauen im Iran schweigt. Es wäre mehr als angebracht, täglich oder zumindest wöchentlich zu berichten, nicht nur im Hintergrund, öffentlich! Am 6. Januar 2023 meldete der Tagesspiegel, dass die 33jährige Roja Heschmati mit 74 Peitschenhieben bestraft wurde, weil sie auf einem Foto kein Kopftuch trug.
  • Digitaler Irrtum: Für die Süddeutsche Zeitung berichtete Michael Neudecker von der Tragödie der Janet Skinner und 554 weiterer Mitarbeiter:innen der britischen Post, denen vorgeworfen wurde, sie hätten Geld entwendet: „Und Schuld bist du“. Es gab Verurteilungen, vier Beschuldigte töteten sich selbst. Janet Skinner wurde zu neun Monaten Haft verurteilt, aus dem Gerichtssaal direkt ins Gefängnis geführt, nach zwei Monaten mit Fußfessel entlassen. Ihr Freund verließ sie, die beiden minderjährigen Kinder waren allein. Sie selbst wurde durch die Haft und das Verfahren so krank, dass sie nicht mehr arbeiten kann. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass ein Software-Fehler für die fehlenden Gelder verantwortlich war. Die Post schickte ihre eigenen Ermittler (dazu hat sie im Vereinigten Königreich Das System wird jedoch nach wie vor von der britischen Post verwendet. Die britische Regierung hat jetzt beschlossen, dass jedes Opfer 600.000 Pfund Entschädigung erhalten soll. Gezahlt wurde bisher jedoch kaum etwas.
  • Autos und / oder Fahrräder: Manchmal könnte man den Eindruck haben, dass es in der Verkehrspolitik nur noch mehrere Autoparteien und eine Fahrradpartei gäbe. Über die ersten Bewegungen von Menschen, die lieber zu Fuß gehen, habe ich bereits im Dezember 2024 berichtet. Vorreiter (passt die Metapher?) sind Entwicklungen in Utrecht und der Berliner Verein FUSS e.V. Die Zeitschrift Merkur hat sich in ihrer Ausgabe für Januar 2024 mit dem Thema befasst. Leon Birck erzählt in „Freie Fahrt für freie Volksgenossen“ (frei verfügbar) die Geschichte der Geschwindigkeitsbegrenzungen für Kraftfahrzeuge. Es fing mal mit 6 km/h in der Anfangszeit an, seinen Aufschwung erlebte das Auto in der NS-Zeit, die das Auto gegen die „bolschewistische Eisenbahn“ in Stellung brachte. In den 1950er Jahren gab es großen Streit um Geschwindigkeitsbegrenzungen in westdeutschen Städten, während in der DDR innerorts 50, außerorts 90 und auf Autobahnen Tempo 100 galt. Als nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland die Geschwindigkeitsbegrenzungen aufgehoben wurden, stieg die Zahl der Verkehrstoten. Den ADAC hinderte das zunächst nicht, die Parole „Freie Fahrt für freie Bürger“ zu verbreiten. „Der ADAC hat seine ablehnende Haltung gegenüber einem Tempolimit offiziell aufgegeben und wird nur noch ungern auf seinen Slogan angesprochen. Der hat mittlerweile im Grundsatzprogramm der AfD seine neue Heimstätte gefunden.“ Jan Wetzel bietet in „Fahrrad ohne Disruption“ eine elegante Analyse der Geschichte des Fahrrads, es „sticht unter den in modernen Industriegesellschaften alltäglichen Gebrauchsgegenständen durch die hohe Beständigkeit seines Designs hervor.“ Auch das Fahrrad war schon immer ein „Statussymbol“ und ebenso wie das Auto ein Symbol für „den Siegeszug der technisierten individuellen Mobilität“. Nach 1945 verlor es jedoch gegenüber dem Auto an Bedeutung, die deutsche Fahrradindustrie kam in den 1970er Jahren in eine große Krise. Inzwischen ist das Fahrrad, auch im Zuge der Erleichterung der Nutzung durch Elektrisierung des Antriebs jedoch auch „Symbol des grünen Umbaus der Wirtschaft geworden“.
  • Perfect Spaces: Nach dem wunderbaren Film „Perfect Days“ hat Nikolaus Bernau im Tagesspiegel über den Zustand der Berliner öffentlichen Toiletten nachgedacht. Das Vorbild Japans wäre sicherlich mehr als nachahmenswert, auch für das Wohlbefinden von uns allen. Vielleicht wäre das ein erster Schritt zur Wieder-Aufwertung öffentlicher Räume, die zum Teil doch sehr vernachlässigt worden sind. Hinzu käme das Thema der Toiletten in öffentlichen Gebäuden, beispielsweise in Schulen. Das ist im Übrigen kein neues Thema. Die Schultoiletten, die ich in meiner Schul- und Universitätszeit, unter anderem in Köln und in Bonn habe kennenlernen müssen, waren schon damals in einem höchst schrecklichem Zustand.
  • Bahnhofsviertel: Viele Bahnhöfe wurden inzwischen verschönert und attraktiver gestaltet, aber dies gilt nicht für das Bahnhofsumfeld. Die Polizei hat angesichts der sich dort ansiedelnden Drogenszenen oft schon resiginiert und beantwortet Klagen viel zu oft damit, dass das an Bahnhöfen eben so üblich wäre. In Regensburg wurde inzwischen Kindern verboten, den am Bahnhof liegenden Park zu betreten. Christoph Süß berichtete in „Quer durch die Woche“. Kein Einzelfall. Der Bonner Kaiserplatz ist inzwischen fest in der Hand von Drogenhändlern, fast schon ein kleiner Görli. Für die Verwandlung öffentlicher Räume in Wohlfühlorte wäre vielleicht in der Tat ein eigenes Sondervermögen hilfreich. Es reicht nicht, immer wieder auf sogenannte Investoren zu setzen, die hässliche Büro- und Verwaltungsgebäude in die Innenstädte bauen. Die Kommunen werden das allein nicht schaffen.
  • Sozialistisches Star Trek? Das Magazin „Jacobin“ veröffentlichte einen Beitrag von Symon Tyrie über Star Trek als fast schon sozialistische Utopie. Ausgangspunkt ist die Begegnung von Captain Jean-Luc Picard mit dem Börsenmakler Ralph Offenhouse, der aus seinem Kryptoschlaf erwacht und feststellen muss, dass die Finanzen, die er glaubte anzuhäufen, nicht mehr existieren und Geld keine Rolle mehr spielt („The Next Generation“, Folge „The Neutral Zone“). Ob Gene Roddenberry sich immer so verhielt wie er in den sozialen beziehungsweise sozialistischen oder feministischen Ideen, die Star Trek wiedergibt, ist eine andere Frage. Nach dem was man von seiner Frau Majel Barrett weiß, die im ersten Pilotfilm als „Number One“ auftrat und auch später als Lwaxana Troi und nicht zuletzt als Computerstimme präsent war, eher nicht. Roddenberry war möglicherweise in doppelter Hinsicht ein Kind seiner Zeit: „Als die Serie ausgestrahlt wurde, gab es große Unruhen. Die USA wurden von Race Riots und Anti-Kriegsprotesten gespalten und dann erschien auch noch die schreckliche Bedrohung eines nuklearen Armageddon am Himmel. Statt jedoch eine ‚Fortschreibung und Übertreibung‘ dieser Bedingungen anzubieten, wozu Kulturproduktion oftmals neigt, sah Roddenberry die Anziehungskraft einer besseren Zukunft.“ Symon Tyrie bezeichnet es als „das wohl radikalste Element von Star Trek“, dass es „kontinuierlich Beispiele der Kooperation, der Konfliktlösung, der Freundlichkeit und Empathie bietet, die in den meisten modernen Drama-Serien kaum vorkommen.“

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Mit den besten Grüßen verbleibe ich

Ihr Norbert Reichel

(Alle Internetzugriffe erfolgten zwischen dem 18. und 26. Januar 2024.)

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.