Liebe Freund:innen des Demokratischen Salons,

die Novemberausgabe 2023 des Demokratischen Salons steht nach wie vor unter dem Eindruck des Massakers vom 7. Oktober 2023 und der Folgen. Nie wieder ist jetzt – dies bezieht sich nicht nur auf die Lage in und um Israel, sondern auch die Lage in Deutschland, in den westlichen Demokratien, in den USA. Erste Geiseln der Hamas sind frei. Aber nach wie vor gilt: Bring Them Home Now! Bis alle wieder zu Hause sind. Aber wir dürfen auch die Entwicklungen in Osteuropa nicht vergessen, diese sind nach wie vor grundlegend für die Sicherheit der liberalen europäischen Demokratien. Diese Themen bestimmen viele meiner Empfehlungen zum Besuch von Veranstaltungen und Ausstellungen sowie die weiteren Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen.

Das Editorial November 2023 trägt den Titel „In der Falle der Safe Spaces – Für eine Repolitisierung der Politik“ (Rubrik: Treibhäuser). Sie lesen es hier. Die Vorstellung der neuen Texte im Demokratischen Salon habe ich etwas einfacher gestaltet. Sie ist kürzer und wie ich hoffe prägnanter und Sie erreichen die Texte schneller, in dem sie einfach auf den Titel klicken.

Die acht neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Die Journalistin Anastasia Tikhomirova berichtet unter der Überschrift „Selektiver Humanismus“ von ihren Gesprächen mit Überlebenden und Angehörigen der am 7. Oktober 2023 ermord
  • eten und entführten Israelis. Sie selbst versteht sich als „linke Zionistin“ und kritisiert die Empathielosigkeit in Deutschland, nicht zuletzt bei großen Teilen der Clubszene. Selektiven Humanismus erlebt sie bei vielen Vertreter:innen der sogenannten antikolonialistischen Linken. (Rubriken: Levantinische Aussichten und Treibhäuser)
  • Die Antidiskrimierungsexpertin Sophie Brüss spricht über „Jüdisches Leben nach dem Pogrom“, die Belastungen von Jüdinnen und Juden in Deutschland nach dem 7. Oktober 2023 und über die Frage, ob und wie sie ihr Leben und ihre Einstellung verändert habe. Viele ziehen sich – wie sie sagt – „in ihre jüdische und pro-israelische Bubble“ zurück. Halbherzig oder gar empathielos sind viele Stellungnahmen aus islamischen und linken Communities. Viele Jüdinnen und Juden fühlen sich sehr allein. (Rubriken: Jüdischsein und Antisemitismus)
  • Der Erziehungswissenschaftler Harry Harun Behr sagt, wir brauchen neue „Religionspolitische Visionen und Diskurse“. Diese fehlten in der Politik. Ihm ist es gelungen, den größten islamischen Verband Deutschlands zumindest in Hessen für einen Dialog über die Konsequenzen des Massakers vom 7. Oktober gerade für die islamischen Verbände zu gewinnen. Denn: „Islam ist Diskurs“. Dies wird aber von vielen Theolog:innen übersehen, auch in der christlichen und jüdischen Community. (Rubriken: Islam und Liberale Demokratie)
  • Michal Hvorecký, Autor und Mitarbeiter des Goethe-Instituts in Bratislava, kommentiert unter dem Titel „Die illiberale Wende“ vom 30. September 2023 die Ergebnisse der slowakischen Wahlen und den zukünftigen weiteren Weg der Slowakei in Europa. Er erwartet eine „One-Man-Regierung“, in der Robert Fico dominiere. Allerdings habe Fico mit einer schlechten Finanzlage zu kämpfen, die – anders als in vorangegangenen Amtszeiten – soziale Wohltaten verhindere. Michal Hvorecký spricht auch über die Bedrohung der Goethe-Institute durch die deutsche Haushaltspolitik. (Rubriken: Europa und Osteuropa)
  • Die Historikerin Ines Skibinski berichtet in ihrem Essay „Faire Wahlen? Nein, doch die Opposition gewinnt“ über den ausgesprochen schmutzigen polnischen Wahlkampf, den sie in Polen hat live verfolgen können. Sie beschreibt die tiefen Gräben zwischen den polnischen Parteien, die Feindbilder, die Rolle der Medien und der sogenannten Referenden sowie die Perspektiven nach dem Sieg der Opposition am 15. Oktober 2023. Der Essay bietet zahlreiche Links auf originale Wahlkampfauftritte. (Rubriken: Europa und Osteuropa)
  • Der Autor und Pfleger Frédéric Nicolas Valin zeigt in seinen Erzählungen ebenso wie in seinen Sachbüchern ungewohnte Sichtweisen auf das Leben von Menschen, von denen die Gesellschaft wenig wissen möchte, er schreibt über Migrant:innen ebenso wie über Patient:innen in Pflegeheimen. Gibt es ein „Glück der Außenseiter“? Politische Implikationen beschreibt er im Hinblick auf die Realität des Pflegeberufs ebenso wie in seiner Analyse des französischen Fußballs am Beispiel von Zinédine Zidane. (Rubriken: Kultur und Treibhäuser)
  • Norbert Reichel befasst sich in dem Essay „Den Osten erzählen“ mit orientalistisch“ (Claudia Gatzka) anmutenden Narrativen über den Osten, der von vielen immer nur als Objekt, viel zu selten als Subjekt der Demokratie betrachtet wird. Er sieht „Sumpfblüten und Rasenwüsten in blühender Landschaft“. Der Essay bietet eine etwas andere Interpretation von Fukuyamas These vom „Ende der Geschichte“. Ist das „Ende der Geschichte“ möglicherweise eher ein „Ende der Politik“? (Rubriken: Treibhäuser, Europa, Osteuropa)
  • Der dritte und letzte Teil des dreiteiligen Essays „Science Fiction als Wirklichkeitsmaschine“ von Hans Frey ist online: „Wir leben in einer SF-Gesellschaft“. Thema sind technische Errungenschaften und Ideen, die wir der Science Fiction verdanken, nicht nur die guten, auch die schlechten. Wir lesen von Antizipationen des NS-Terrors, von der Atombombe, von Kriegen als Computerspielen, Künstlicher Intelligenz und ökologischen Krisen, aber auch von Ideen zu deren Bewältigung. (Rubriken: Science Fiction, Treibhäuser)

Die Bilder in diesem Newsletter stammen aus der Serie „The Space I’m In“ der Koblenzer Künstlerin Firouzeh Görgen-Ossouli.

Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerbe:

  • Migration: Die Bildungsstätte Anne-Frank lädt am 30. November 2023, 18.30 Uhr ein zu ihrer nächsten Streitbar, Thema: „Von Obergrenzen, Ausgrenzung und grenzwertigen Debatten – was macht der aktuelle Diskurs über Migration und Asyl mit unserer offenen Gesellschaft?“ Diskutiert werden folgende Fragen: „Wie lässt sich in diesen Zeiten konstruktiv über Migration sprechen, ohne rassistische Ressentiments zu schüren? Schließen eine restriktive Migrationspolitik und eine offene Gesellschaft sich grundsätzlich aus? Wie lässt sich das Miteinander in der pluralen postmigrantischen Gesellschaft solidarisch gestalten, ohne die Herausforderungen der „Integration“ in den Kommunen unter den Teppich zu kehren? Wie verhandeln wir Differenz und Vielfalt abseits von Spaltungen in „wir und die“ und was macht es gerade mit jungen Menschen, wenn lautstark ein Gestern verteidigt wird, das sie nicht einschließt?“ Wie gewohnt moderiert Hadija Haruna-Oelker. Ihre Gesprächspartner:innen sind der Rechts- und Politikwissenschaftler Maximilian Pichl und die Leiterin des Migrationsprogramms der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) Victoria Rietig. Alle StreitBar-Veranstaltungen sind auch nach dem jeweiligen Termin auf der Seite der Bildungsstätte Anne Frank zu sehen.
  • Die politischen Gefangenen im Iran und die deutsche Außenpolitik: Die Menschenrechte im Iran werden weiterhin missachtet und mit Füßen getreten. Und dennoch schweigt das deutsche Außenministerium. Masoud Hamidifar aus Den Haag (Niederlande) befindet sich seit einigen Tagen zu Fuß auf dem Weg nach Wien zu den Vereinten Nationen. Am 1. Dezember 202316.:00 Uhr wird er in Bonn am Auswärtigen Amt ankommen. Die Demonstration wurde von der Initiative FRAUEN* LEBEN FREIHEIT BONN angemeldet. Toomaj Salehi, ein mutiger Rapper und Aktivist aus dem Iran, wurde am 30. November 2023 erneut nach nur wenigen Tagen Freiheit verhaftet. Nach seinen kritischen Äußerungen trotz einem Jahr Folter im Gefängnis, wurde er heute von Milizen der Islamischen Republik Revolutionsgarden Korps (IRGC) misshandelt und festgenommen. Sein Verbleiben ist ungewiss. Wir kämpfen für Toomaj und alle politischen Gefangenen im Iran. Die Exil-Aktivistin Massih Alinejad und die inzwischen aus der Islamischen Republik Iran geflüchtete Sima Moradbeigi (eine verletzte Frau der Frau-Leben-Freiheit-Revolutionsbewegung) wurden am 30. November 2023 vom deutschen Außenministerium zum Thema Menschenrechte und insbesondere Frauenrechte im Iran zu einem Gespräch eingeladen. Laut Massih Alinejad bestand das Ministerium darauf, dieses Treffen geheim zu halten. Alinejad sagte zu Beginn des Treffens „Sima Moradbeigi und tausende Menschen im Iran im Kampf um Menschenrechte haben ihr Gesicht nicht versteckt, als sie auf den Straßen gegenüber der bewaffneten Revolutionsgarden standen, wieso sollten sie sich nun hier verstecken und nicht hierüber sprechen?“. Weil das Treffen weiterhin geheim bleiben sollte, verließen Alinejad und Moradbeigi das Treffen. Homayoun, Sprecher der Initiative FRAUEN* LEBEN FREIHEIT BONN. „Und dennoch betont die Bundesregierung immer wieder, dass sie an der Seite der Menschen im Iran, Israel und Gaza stehen würde, obwohl jeder inzwischen weiß, dass es im Iran selbst und im Nahen Osten niemals zum Frieden kommen kann, solange das Mullah-Regime dort herrscht und Terror verbreitet.“ Die Initiative fordert, „dass Deutschland (…) eine neue Iran-Strategie zur Unterstützung der Menschen für einen demokratischen und säkularen Iran entwickelt. Hierzu gehört insbesondere: Das Ende der Atomverhandlungen mit der Islamischen Republik Iran, denn dieses Regime wird sich weder an einer Abmachung halten, noch hat es eine Legitimation durch die Menschen im Iran. Zudem fordern wir, dass die Revolutionsgarden der Islamischen Republik endlich als Terrororganisation gelistet werden, sowohl national als auch auf EU-Ebene.“ Die Revolutionsgarden unterstützen maßgeblich die Hizbullah- und Hamas-Milizen, militärisch und finanziell.
  • Protest und Aufstand: Am 6. Juni 2023 startete die sechsteilige Vortrags- und DiskussionsreiheMut/Wut! Protest, Aufstand und politischer Aktivismus in Diktatur und Demokratie“, ein gemeinsames Projekt der Berliner Landeszentrale für politische Bildung, der Deutschen Gesellschaft e. V. und der Bundesstiftung Aufarbeitung. Wer nicht teilnehmen konnte, findet alle Veranstaltungen der Reihe auf dem Youtube-Kanal der Stiftung. Die letzte Veranstaltung findet am 5. Dezember 2023 („Protest und Emotion“) in den Räumen der Bundesstiftung statt.
  • Institutioneller Antisemitismus: Das Kompetenzzentrum der ZWST und die Fachhochschule Potsdam führen am 6. Dezember 2023 ab 18 Uhr bis zum 7. Dezember 18 Uhr den Fachtag „Institutioneller Antisemitismus – Dimensionen, Praktiken, Reflexionsimpulse“ durch. Gefördert wird der Fachtag im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie Leben“ und von der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (LADS) Berlin. Es geht um Kindertageseinrichtungen, Schulen, Bildungsverwaltung, Kultureinrichtungen und Polizei. Die Tagung wird von Shelly Kupferberg moderiert. Am 6. Dezember stellt Dana Vowinckel ihr Buch „Gewässer im Ziplock“ vor. Weitere Informationen und Anmeldung auf der Seite des Kompetenzzentrums. Der Ort wird nach Anmeldung bekanntgegeben.
  • Erinnerungskultur: Das Bonner Zentrum für Versöhnungsforschung an der Universität Bonn lädt ein zu einer Veranstaltung am 7. Dezember 2023, 19 Uhr, im Universitätsclub Bonn, Wolfgang-Paul-Saal, Thema: „Vergangenheitskonstruktionen. Erinnerungspolitik im Zeichen von“ Ambiguitätstoleranz“ Es diskutieren Constantin Goschler (Bochum), Saskia Fischer (Hannover) und Natan Sznaider (Tel Aviv). Stephan Conermann, eröffnet. Um Anmeldung bis zum 1. Dezember wird gebeten via vforum@uni-bonn.de. Die Veranstaltung stellt gleichzeitig das Buch „Erinnerungspolitik im Zeichen von Ambiguitätstoleranz“ (Wallstein 2023) vor, das Esther Gardei, Hans-Georg Soeffner und Benno Zabel herausgegeben haben. Kooperationspartner sind das Evangelische Forum Bonn, das Katholische Bildungswerk Bonn; die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Bonn und die Deutsch-Israelische Gesellschaft Bonn.
  • Migration und Flucht: Im Erinnerungsort Alter Schlachthof in Düsseldorf findet am 8. Dezember 2023, 9.30 bis 16.30 Uhr der Fachtag „(Zwangs-)Migration und Flucht – Geschichte(n) von damals und heute“ statt. Veranstalter sind der Erinnerungsort Alter Schlachthof und DOMiD. Um zeitnahe Anmeldung wird gebeten. Themen sind die Erinnerung an die türkische Migration in Duisburg (Cenen Türkmen und Ali Şirin), Erinnerungslücken in der Wahrnehmung von Migration (Susanne Spindler), die Lebensbedingungen zugewanderter Frauen aus der Ukraine (Xenia Gromak und Eva Grütgen), die Positionierungen der extremen Rechten (Alexander Häusler) und geschichtsdidaktische Perspektiven (N.N.). Es ist möglich, die Ausstellung „Pack deine Sachen“ zur Flucht von Frauen aus der Ukraine zu besuchen. Workshops vertiefen am Nachmittag die Inhalte der Vorträge vom Vormittag.
  • Jüdisch sein in der DDR: „DDR am Dienstag“ ist der Titel einer Veranstaltungsreihe bis zum 14. Januar 2024 anlässlich der Ausstellung „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“ im Jüdischen Museum Berlin in der Lindenstraße. Geboten werden Biografien, Lesungen, Künstlergespräche, Performances. Anmeldung ist nicht erforderlich, ein Ticket für die Ausstellung reicht aus. Außerdem gibt es einen begleitenden Podcast.
  • Ringelblum-Archiv: Im NS-Dokumentationszentrum München wurde am 28. Juni 2023 die Ausstellung „Wichtiger als unser Leben“ eröffnet, in der bis 7. Januar 2024 das Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos, das nach dem Dokumentar benannte „Ringelblum-Archiv“ zu sehen sein wird. Emanuel Ringelblum war einer der etwa 60 jüdischen Akademiker:innen, Schriftsteller:innen und Aktivist:innen, die unter dem Namen Oneg Shabbat dafür sorgen wollten, dass ihr Leben und Sterben im Warschauer Ghetto der Nachwelt überliefert wurde. Das Archiv ist Teil des UNESCO-Weltkulturerbes und wird im Jüdischen Historischen Institut Emanuel Ringelblum in Warschau aufbewahrt. Fotos, Schriftstücke geben Zeugnis vom polnischen Judentum sowie von anderen Gruppen, die wie Sinti:zze und Rom:nja von den Nazis im Warschauer Ghetto eingepfercht wurden. Begleitend bietet das NS-Dokumentationszentrum eine Vielzahl von Veranstaltungen.
  • Displaced Persons: Das Münchner Stadtmuseum bietet bis zum 7. Januar 2024 die Ausstellung „München Displaced – Heimatlos nach 1945“. Es geht um das vergessene Schicksal und die Erzählungen von etwa 100.000 Displaced Persons (DPs) in der Nachkriegszeit in München. Das Jüdische Museum München bietet bis zum 17. März 2024 die parallele Ausstellung „München Displaced – Der Rest der Geretteten“.
  • Jugendwettbewerb „Umbruchszeiten. Deutschland im Wandel seit der Einheit“: Der von der Bundesstiftung Aufarbeitung ausgelobte Wettbewerb richtet sich an Jugendliche zwischen 13 und 19 Jahren aller Schulformen und lädt sie ein, auf historische Spurensuche zu gehen und die Zeit seit 1989/90 in den Blick zu nehmen. Einsendeschluss ist der 1. Februar 2024. Die Preisverleihung findet in Berlin statt. Es gibt 30 Preise von bis zu 3.000 EUR. Das Schwerpunktthema lautet „Gesellschaft in Bewegung“: „Jugendliche können sich mit ganz verschiedenen Arten von Bewegung befassen: Welche Geschichte verbirgt sich hinter einem Umzug zwischen Ost und West? Was bedeutete die Wiedervereinigung für Menschen, die als Gast- oder Vertragsarbeiter/-innen nach Deutschland gekommen waren? Wie veränderten sich politische Strömungen wie die Frauen- oder Umweltbewegung?“ Weitere Informationen auf der Internetseite des Wettbewerbs beziehungsweise dem Flyer des Wettbewerbs.
  • Streit als Kulturgut: Bis zum 4. Februar 2024 ist in den Franckeschen Stiftungen zu Halle die Ausstellung „Streit, Menschen, Medien, Mechanismen im 18. Jahrhundert und heute“ zu sehen. Einen reich bebilderten Katalog haben Claudia Weiß und Holger Zaunstöck herausgegeben. In der September-Ausgabe von Politik & Kultur hat Holger Steinstöck ein ausführliches Portrait der Ausstellung veröffentlicht.
  • 85. Geburtstag von Gerhard Schneider: Die Sammlung wurde in einem Gespräch mit Jürgen Kaumkötter unter dem Titel „Der Tod hat nicht das letzte Wort“ (so auch der Titel eines Buches von Jürgen Kaumkötter) im Demokratischen Salon vorgestellt. Sie präsentiert eine große Zahl leider oft übersehener und ungewürdigter Künstler:innen. Anlässlich seines 85. Geburtstags hat Gerhard Schneider die Ausstellung „In den Strudeln der Zeit“ im Zentrum für verfolgte Künstler weitgehend selbst kuratiert. Sie ist dort bis zum 11. Februar 2024 zu sehen.
  • Literaturwettbewerb Klimazukünfte: Das Klimahaus Bremerhaven und der Hirnkost Verlag haben den Literaturwettbewerb Klimazukünfte ins Leben gerufen. Unterstützt wird der Literaturwettbewerb durch den VS Bundesvorstand, die Writers For Future, Respekt! – Die Stiftung. Finanziert wird er von Sylvia Mlynek und Fritz Heidorn aus Oldenburg. Der Preis wird in den Kategorien für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene vergeben: „Der Literaturpreis KLIMAZUKÜNFTE 2050 soll Menschen jeden Alters, professionelle wie nicht-professionelle Autor:innen anregen, sich mit dem Klima und möglichen Zukünften auseinanderzusetzen und diese literarisch vorzustellen. Möglich sind alle Formen der literarischen kurzen Auseinandersetzung mit dem Thema, sei es Prosa oder Lyrik, als Science-Fiction-Erzählung, Dystopie oder Utopie, als Fabel oder Märchen. Auch Graphic Novels und Slam-Poetry-Texte sind willkommen. Wichtig ist, dass die Schreibenden eine eigene Erzählform finden, die ihre Gedanken und Gefühle zugänglich machen: Wie wird das Leben in Deutschland, Europa und der Welt im Jahre 2050 aussehen?“ Einsendeschluss ist der 31. März 2024 (nur digitale Einsendungen werden berücksichtigt). Die Auszeichnungen erfolgen in der Leipziger Buchmesse 2025.
  • Ausstellung über Ergreifung und Prozess Adolf Eichmanns: Im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst (SMÄK) in München ist bis zum 30. April 2024 die Ausstellung „Operation Finale“ zu sehen. Sie zeigt, wie der israelische Geheimdienst Mossad und der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Jahr 1960 Adolf Eichmann in Argentinien ausfindig machten, wie seine Entführung nach Israel durchgeführt und wie ihm schließlich der Prozess gemacht wurde. Es war der erste große Prozess, indem Opfer des Holocaust vor der Weltöffentlichkeit Zeugnis von den Verbrechen der Nazis ablegten. Die Ausstellung „Operation Finale“ ist eine Multimedia-Ausstellung. Sie stammt aus Israel und den USA und wird von der Adolf Rosenberger gGmbH und dem SMÄK erstmalig nach Deutschland gebracht.

Hintergrundinformationen und Leseempfehlungen:

  • Empathie vs. Empathielosigkeit: Zu Recht viel gelobt wurde die Rede von Robert Habeck zum Terrorangriff der Hamas, die von mehreren Zeitungen im Wortlaut veröffentlicht wurde, so von der Süddeutschen Zeitung und der Jüdischen Allgemeinen. Man mag einwenden, dass eigentlich der Bundeskanzler eine solche Rede hätte halten sollen, am besten zur besten Sendezeit des Fernsehens, so wie seinerzeit Angela Merkel zur Corona-Pandemie sprach. Aber es ist müßig, sich über diese Frage zu unterhalten. Müßig ist es allerdings nicht, über die Frage der offensichtlichen Empathielosigkeit in vielen sich politisch „links“ einordnenden Milieus zu sprechen. Dies tat Navid Kermani in der ZEIT mit seinem Essay „Das Schweigen vor dem ABER“. Er schreibt, dass es das Verhalten mancher Milieus in ihrer Selbstgerechtigkeit und Empathielosigkeit gegenüber den Opfern des Terrors der Hamas schwer mache, das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung anzuerkennen. In einem Punkt widerspricht Navid Kermani Robert Habeck, denn es sei gerade jetzt „Zeit, über Frieden zu reden“, so schwer das ist und so aussichtslos es erscheinen mag. Die Hamas will ein Armageddon, an Frieden hat sie kein Interesse, auch nicht an der angeblich von ihr vertretenen Zivilbevölkerung: Benjamin Lamoureux referiert im Tagesspiegel ein Interview der New York Times mit dem in Katar lebenden Khalil al-Hayya, der sagte, es sei nicht das Ziel der Hamas, den Gazastreifen zu regieren und ihn mit Wasser und Strom zu versorgen.“ Man wolle einen „dauerhaften Krieg“. Eine klare Position zum Pogrom der Hamas formulierte auch Klaus Lederer auf dem Bundesparteitag der Linken. Vor allem forderte er, dass man unter Linken reden müsse, denn Positionen wie die eines Abgeordneten der Europäischen Linken im Europaparlament, der die Hamas und deren Terror verharmlose, dürften nicht hingenommen werden. Allerdings nicht nur bei denen, die sich als Linke verstehen.
  • Jüdisches Leben in Deutschland nach dem 7. Oktober: Der Alltag von Jüdinnen:Juden hat sich mit dem 7. Oktober erheblich verändert. Nicht, dass es nicht schon zuvor Antisemitismus gegeben hätte, aber der Antisemitismus nach dem 7. Oktober ist offener und vor allem gewalttätiger geworden. Es verbünden sich Islamisten, Rechte und linke Antikolonialist:innen, aus der Kultur- und Clubszene, sogar aus queeren Milieus und Menschenrechtsorganisationen. Die Zahl derjenigen, die an einer Demonstration gegen Israel teilnehmen, ist deutlich höher als die Zahl derjenigen, die sich in einer Demonstration für Israel engagieren. Lisa Nguyen, Thorsten Schmitz und Benedikt Warmbrunn gaben ihrer in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Dokumentation daher den Titel „Allein zu Haus“. Sie dokumentieren ihre Begegnungen mit sechs Jüdinnen:Juden in Deutschland, mit der Autorin Dana Vowinckel, dem Autor Michel Friedman, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Halle Max Privorozki und dem Leiter des Berliner Moses-Mendelssohn-Gymnasiums Aaron Eckstaedt, dem Sportdirektor des TuS Makkabi München Álvaro von Lill-Rastern, dem Shoah-Überlebenden und Zeitzeugen Ivar Buterfas-Frankenthal. Im Tagesspiegel schrieb Nora Ederer über die Veränderungen im Alltag von Helene Shani Braun, die zurzeit eine Ausbildung als Rabbinerin absolviert. Es geht bis in kleine Dinge des Alltags, vom Austausch des Jutebeutels mit hebräischer Aufschrift bis zum Verzicht auf die Nutzung eines Kugelschreibers mit der Aufschrift „Zentralrat der Juden“. „Manche Webseiten rufe ich in der Bahn nicht auf.“ Auf Instagram schrieb sie am 1. November 2023: „Ich fühle mich wie ein anderer Mensch. Verstecke ich mein Judentum – bleibt nichts von mir übrig, nur eine Hülle.“
  • Künstler:innen gegen Antisemitismus: Ein Lichtblick im Kulturbereich ist der von „Artists Against Antisemitism“ veröffentlichte Offene Brief. Weitere Informationen auf der Internetseite des Netzwerks. Es lohnt sich, den Newsletter zu bestellen. Auch Spenden helfen. Siehe hierzu auch das Interview in der taz von Jens Uthoff mit Sandra Kreisler und Torsun Burkhardt.
  • Ein offener Brief an alle Antisemiten: In der Süddeutschen Zeitung schrieb der Schweizer Autor Alexander Estis über Judenhass im Alltag. Er wählte die Form eines Offenen Briefes und beginnt mit der Formel „Sehr verehrte Antisemiten“. Der entscheidende Unterschied: „Ich möchte übrigens nicht über Antisemiten nachdenken, aber sie verschwinden leider nicht, wenn ich nicht an sie denke. Der Antisemit muss nicht über den Juden nachdenken, aber er will. Der Jude will nicht über den Antisemiten nachdenken, aber er muss.“ Im Folgenden beschreibt er die verschiedenen Erscheinungsformen von Antisemit:innen, mit all ihren Ausflüchten, mit denen sie zeigen, dass sie eigentlich gar keine Antisemit:innen sein können. Es ist auch ein Unterschied, ob man über Erinnerungskultur den Nationalsozialismus und die Shoah „aufarbeitet“ oder sich daran „abarbeitet“. Es sei keine politische Großtat, eine Organisation erst dann zu verbieten, nachdem sie Kinder geköpft hat. Deutliche Worte findet er für die sogenannte „antiimperialistische Linke“, die „sich immer wieder unfähig zeigt, die Verstrickung ihrer retrosozialistischen und prorussischen Reflexe mit ihrem Antisemitismus zu reflektieren – und neben diesem eigenen auch den von ihr sanktionierten fremden Antisemitismus zu hinterfragen. Womit sie den Rechten übrigens den allerbesten Gefallen erweist: Diese können sich dadurch als migrationskritische Judenfreunde inszenieren – und unter solchem Deckmantel erst recht ihren Antisemitismus und zumal ihren Antiislamismus zelebrieren.“
  • Ein anderer Blick: Meret Weber und Alisa Schellenberg haben für ze.tt mit der deutsch-palästinensisch-israelischen Journalistin Alena Jabarine und dem israelisch-deutschen Autor Tomer Dotan-Dreyfus gesprochen. Beide haben „Familien und Freund:innen, die vom Israel-Gaza-Krieg betroffen sind“. Beide stellen fest, dass sie sich angesichts der aktuellen Diskurse „abgrenzen“. Alena Jabarine: „Das kann aber auch befreiend sein. Man konzentriert sich dann mehr auf diejenigen, die offen dafür sind, gemeinsam zu überlegen, wie es jetzt weitergehen soll.“ Sie ergänzt: „Es ist herausfordernd, Offenheit für den Schmerz der sogenannten Anderen zu haben, wenn man selbst einen heftigen Schmerz in der eigenen Community fühlt. Aber es gibt natürlich auch Verbindungen, die noch stehen. Auf die kommt es jetzt an.“ In dem Gespräch geht es nicht um die Frage Israel vs. Hamas, sondern um Spaltungen und Verwerfungen innerhalb der palästinensischen beziehungsweise jüdischen beziehungsweise israelischen Community, in Israel, in Gaza, in Deutschland, dort gerade auch innerhalb der deutschen Medien. Tomer Dotan-Dreyfus betont seine Herkunft aus Haifa: „Im Gegensatz zu vielen Jüdinnen und Juden in Deutschland bin ich tatsächlich mit Palästinenser:innen in der Nachbarschaft aufgewachsen. Ich tue mich mit dieser Trennung schwer, die Spaltung kommt mir unnatürlich vor.“ Er fragt, wer an dieser Spaltung „verdient“. Wer pauschal von allen Menschen mit einer arabischen Geschichte verlange, sich von der Hamas zu distanzieren, scheine zu glauben, dass alle per se die Hamas unterstützten. Das unterschlägt die Intentionen aller derjenigen, die sich friedlich verhalten. Pauschale Verbote diskriminieren. Alena Jabarine: „Wie erklärt man einem 18-jährigem Palästinenser aus Berlin, dass Nazis demonstrieren dürfen, dass diese Islamisten in Essen demonstrieren durften, aber er nicht mal das Recht hat, ungestört eine Mahnwache abzuhalten?“
  • Anti-muslimischer und anti-palästinensischer Generalverdacht: In der Tat besteht die Gefahr, das sprichwörtliche Kind mit dem Bade auszuschütten, indem Muslim:innen pauschal als Unterstützer:innen der Hamas diffamiert werden. Uta Schleiermacher protokollierte für die taz ein Gespräch mit dem IT-Manager Raid Naim, der seit 45 Jahren in Deutschland lebt und jetzt angesichts diverser Äußerungen aus der Politik das Gefühl hat, nur noch als jemand betrachtet zu werden, der in Deutschland unerwünscht ist, durchaus vergleichbar mit der pauschalen Verdächtigung von Muslim:innen nach dem 11. September: Der große Bruch ist für mich die fehlende Empathie. Aus meinem deutschen Netzwerk kommt kaum eine Reaktion, wenn ich mich äußere. Von israelischen und arabischen Freund:innen oder aus dem internationalen Kontext bekomme ich viele Nachfragen und Mitgefühl. Sie erkennen an, dass ich gerade Schreckliches erlebe.Für den Tagesspiegel veröffentlichte Julius Betschka ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft Nazih Musharbash, der seit 1965 in Deutschland lebt und kritisiert, dass „längst ein Generalverdacht gegen Palästinenser und gegen Muslime entstanden“ Ausstellungen oder Filme von Palästinenser:innen würden pauschal aus dem Programm genommen, er erhalte täglich Hassmails, in der ihm und seiner Organisation Hamas-Nähe unterstellt werde. Jede Positionierung sei eine Gratwanderung: „Wir halten uns mit eigenen Demonstrationen sehr zurück, weil wir nicht wissen, wer uns dann begleitet. Dann würden wir verantwortlich für die Missetaten anderer gemacht. Ich habe absolut nichts zu tun mit den Schreihälsen, die antisemitische Parolen brüllen. Die Mehrheit der Palästinenser trauert allein zu Hause um die Opfer der Gewalt auf beiden Seiten. Wir haben deshalb in Osnabrück und in Telgte zu stillen Mahnwachen aufgerufen. Ohne Fahnen, ohne Parolen. Das hat funktioniert. Wir wollten damit zeigen, dass im öffentlichen Raum Platz für Trauer und Wut sein kann. Das ist uns gelungen.“ Diejenigen, die jüdische Einrichtungen angreifen, „handeln dumm, brechen die Gesetze und verletzen jegliche Werte. Sie vermischen Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Die Mehrheit der Palästinenser denkt nicht so, die Mehrheit will Frieden.“
  • Dokumentation des Terrors: Der Filmemacher Mattan Harel-Fisch hat die Bilder des Massakers der Hamas in einem 45minütigen Film zusammengefasst. Möglich war dies, weil die Hamas-Terroristen ihre Verbrechen selbst filmten und ins Netz stellten. Dazu kommen Bilder von Überwachungskameras und Drohnen. Alexandra Föderl-Schmidt beschreibt den Film in der Süddeutschen Zeitung: „Es ist ein Massenmord am laufenden Band, eingedampft auf 45 Minuten.“ Der Öffentlichkeit wurde der Film noch nicht vorgeführt, wohl aber verwendet die israelische Regierung ihn bei Gesprächen mit Politikern, beispielsweise mit Joe Biden, mit Diplomaten und Journalisten Kai Müller beschrieb den Film im Tagesspiegel: „Sie töteten nicht einfach, sondern zelebrierten ihre Grausamkeit.“-Er erörtert auch die Frage, ob es ethisch vertretbar sei, diese Bilder zu zeigen.
  • Genozid: Der Begriff des Völkermords beziehungsweise des Genozids wurde von Raphael Lemkin entwickelt (siehe hierzu auch das Buch „Rückkehr nach Lemberg“ von Philippe Sands,) und führte zur UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord. In politischen Debatten, auf Demonstrationen wird er jedoch inflationär und unspezifisch verwendet. Konstantin Sakkas hat für den Tagesspiegel den meines Erachtens gelungenen Versuch gewagt, den Gehalt des Begriffs konzis zu analysieren. Es geht nicht nur um die Tat an sich, sondern auch um die Intention. Diese ist bei den Nazis nachweisbar. Bezogen auf die Hamas schreibt Konstantin Sakkas: „Einen Hinweis gibt die Gründungscharta der Hamas von 1988: In deren Artikel 7 wird ein Hadith des Propheten Mohammed zitiert, der einen Endkampf auf Leben und Tod zwischen Muslimen und Juden am Tag des Jüngsten Gerichts beschwört. Nun ist fraglich, ob dieser Hadith bzw. seine Zitation als Aufforderung zur unterschiedslosen Vernichtung von Juden in der konkreten Gegenwart interpretiert werden kann, wie es etwa der Politologe Bruce Hoffman jüngst in einem Artikel in „The Atlantic“ Das schließt aber nicht aus, dass die Hamas eine genozidale Intention gegen Israel leitet. Die Exzesstaten vom 7. Oktober sprechen leider dafür.“ In Bezug auf das israelische Vorgehen in Gaza ist der Begriff jedoch gegenstandslos, weil die genozidale Absicht fehlt und Israel im Rahmen einer „kriegsgleichen Situation“ handelt.
  • Siedlerbewegung: „Im Schatten des Krieges“, man könnte auch sagen im Windschatten mehren sich gewalttätige Übergriffe radikaler Siedler im Westjordanland. Alexandra FöderlSchmid, Vivien Götz und Sina-Maria Schweikle berichteten für die Süddeutsche Zeitung. Man kann durchaus von einer „Expansionspolitik“ sprechen, die vor allem von den rechtsextrem orientierten Teilen der israelischen Regierung betrieben und auch immer wieder als Grund genannt wird, warum IDF-Einheiten von der Grenze zu Gaza abgezogen und ins Westjordanland verlegt wurden. Für die ZEIT berichtete Andrea Backhaus, Titel ihres Beitrags „Die Gewehre gezückt, die Finger am Auslöser“. Das Vorgehen der Siedler und deren von ihren politischen Vertretern bewirkte Unterstützung von Staat, Polizei und Armee ist in Israel höchst umstritten. In der politischen Kommunikation vor allem im Westen wird dieses Vorgehen immer wieder mit dem Begriff der „Apartheid“ Für den Tagesspiegel hat Konstantin Sakkas die Verwendung des Begriffs der „Apartheid“ für das israelische Vorgehen in den besetzten Gebieten analysiert: „Das eigentliche Problem ist nicht die sogenannte Apartheid, sondern die Siedlung bei fortbestehender Besatzung, also eine kalte Annexion besetzten Territoriums mittels bürgerlichen (Landkauf) statt öffentlichen Rechts (Vertrag zwischen Staaten). Mit seiner Siedlungspolitik hat Israel ‚Fakten geschaffen‘, ohne die Rechtslage zu klären. Das ist das eigentliche Skandalon.“
  • Schutzraum Israel: In einem Gespräch mit dem österreichischen Nachrichtensender Puls 24 berichtete die MENA-Watch Journalistin Yvette Schwerdt über Lage und Stimmung in Tel Aviv. Sie sagt, man sei „in den Grundfesten erschüttert“. Israel habe den Status eines Schutzraumes für alle Jüdinnen und Juden verloren. Gleichzeitig habe es eine „Aufwallung von Antisemitismus“ gegeben, die man sich nicht habe vorstellen können, weltweit, auch in der westlichen Welt, auch unter Linken. Sie nennt die Reaktionen an amerikanischen Universitäten, wo Studierende zum Mord an Babys aufrufen dürfen, einen Professor, der die Hamas-Aktion bejubelt, ohne dass die Universitäten einschritten. Thema des Gesprächs sind auch innenpolitische Verwerfungen in Israel, „eine innere Spaltung“ wolle aber zurzeit niemand. Priorität hat die Freiheit der Geiseln. Weitere Informationen über die unmittelbaren Reaktionen der gegenseitigen Hilfe und der Solidarität bietet die Seite von MENA-Watch, darunter auch ein Statement der israelisch-arabischen Journalistin Lucy Aharish, Journalistin und Ehefrau des Fauda-Darstellers Tsahi Halevi (die von ihm dargestellte Figur ist „Naor“).
  • Wer ist die Hamas? Hintergrundwissen zu (fast) allem Geschehen im Mittleren und Nahen Osten bietet das MENA-Watch-Lexikon, so auch zur Frage, wer die Hamas (das Wort bedeutet Eifer und ist ein Akronym des arabischen Namens der Gruppe, harakat al-muqāwama al-islāmiyya = Bewegung des islamischen Widerstandes) wann gründete, wie sie sich anfänglich zu den in der Gründungszeit aktiven palästinensischen Gruppen Fatah und PFLP verhielt, wie sich mit der Zeit aus einer scheinbar zivilgesellschaftlichen Organisation die Terrorgruppe entwickelte, die wir heute kennen, welche unglückseligen Verquickungen zwischen Islam und Terror entstanden. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Muslimbruderschaft, die 1928 von Hassan Al-Banna gegründet wurde. Grundlegendes Dokument ist die Hamas-Charta aus dem Jahr 1988, die unter anderem eine Grundlage der BDS-Bewegung ist und sich auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ beruft. Die Führung der Hamas lebt in Katar.
  • Wer finanziert die Hamas? In seinem Essay „Nehmt der Hamas endlich das Geld weg“ gibt Markus Zydra die Antwort: Wir alle finanzieren die Hamas mit unseren Steuern. Es ist wahrscheinlich, dass die Hamas (ebenso wie andere Terrorgruppen) sich mit Scheingeschäften finanziert wie die italienische Mafia, mit Immobilien, Aktien, Briefkastenfirmen in Ländern, die nicht so genau hinschauen, Spendenkampagnen, beispielsweise auf dem Markt für Kryptowährungen. Es gibt Hinweise, dass auch staatliche Förderprogramme wie die Coronahilfen missbraucht wurden. Ein Vorbild zur Bekämpfung könnte die italienische Anti-Mafia-Gesetzgebung sein. Mittel, für die keine Belege für eine rechtmäßige Herkunft nachgewiesen werden können, werden dort vom Staat konfisziert. Die Behörden in Deutschland (und auch anderswo) aber versagen, auch das Bundesfinanzministerium mit seinem untauglichen Versuch zur Reform der deutschen Financial Intelligence Unit (FIU) in Bonn. Ob die Hilfsgelder der EU für humanitäre Zwecke – immerhin 600 Mio. EUR pro Jahr – im Gazastreifen für humanitäre Zwecke verwendet werden, darf ebenso bezweifelt werden. „Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass jährlich bis zu 4,2 Billionen Dollar gewaschen werden.“ Der Kampf gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche wird in Wahlprogrammen und Regierungserklärungen immer gerne als Top-Priorität genannt, aber ob der politische Wille dem entspricht, ist eine andere Frage.
  • Drohende Abschiebung von Jesid:innen: Auf der Plattform change.org wurde ein offener Brief an alle Mitglieder des Deutschen Bundestages veröffentlicht, die in mehreren Bundesländern vorgesehenen Abschiebungen von Jesid:innen sofort zu stoppen. Thomas von der Osten-Sacken Die Schutzbedürftigkeit von Jesid:innen wurde von allen demokratischen Parteien einvernehmlich festgestellt. Nadia Murad erhielt den Friedensnobelpreis. Ausländerbehörden handeln jedoch anders. In dem Bericht werden mehrere Beispiele genannt, die zeigen, wie Familien auseinandergerissen, formale Gründe herangezogen werden, die dazu führen, dass Menschen in ein Land abgeschoben werden, in dem sie kaum Überlebenschancen haben. Das einzige Bundesland, das sichtbar anders handelt, ist Niedersachsen. In Deutschland leben 300.000 Jesid:innen, ungefähr 30.000 sind von einer Abschiebung bedroht.
  • 100 Jahre Türkei: Zum 100sten Geburtstag der Türkei erinnert Manuel Gogos in seinem Feature „Er-zähl die Toten“ mit der Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar an die Minderheiten der Armenier und Griechen, die den hohen Preis für die Staatsgründung der Türkei zahlten. Indem sie ihre Heimat verloren, oder ihr Leben. In einem weiteren Feature mit dem Titel „Die Verhältnisse zum Tanzen bringen – Die Jukebox der Gastarbeit“ stellt Manuel Gogos für den SWR die Musik der ehemaligen Gastarbeiter:innen vor. Mit Ata Canani, Cem Kaya, Imran Ayata, DJ Ipek und vielen anderen.
  • Solingen ’93: Wer die Ausstellung des Zentrums für verfolgte Künste zum 30. Jahrestag der Morde an den jungen Mädchen und Frauen der Familie Genç nicht hat besuchen können, findet jetzt die Dokumentation auf der Seite des Zentrums. Zu sehen ist unter anderem ein 360°-Rundgang durch die Ausstellung. Birte Fritsch hat den Film koordiniert, die Idee hatte Musa Kavali, die Gerd Kaimer Bürgerstiftung Solingen förderte.
  • Mediennutzung junger Menschen: Correctiv wies am 11. November 2023 auf die Studie „Verständlicher, doch nicht politisch“ von Leonie Wunderlich und Sascha Höllig hin, die des Leibniz-Instituts für Medienforschung Hans-von-Bredow-Institut erschien. Ein Drittel informiert sich nur noch über soziale Netzwerke und ist damit im Grunde hilflos allen Falschdarstellungen ausgeliefert. Welche Bilder wurden aus dem Kontext gerissen, welche Bilder von Künstlicher Intelligenz generiert, welche sind echt? Chefredakteur Justus von Daniels fragt: „Warum gibt es eigentlich noch keine bundesweite Initiative, bei der alle Schulen täglich oder einmal in der Woche eine Art ‚Medien Check-in‘ in der ersten Stunde durchführen, und die Lehrkräfte nachfragen, woher die Schülerinnen und Schüler jeden Tag ihre Informationen haben? In der Studie wird explizit empfohlen, die Jugendlichen berichten zu lassen, ihnen damit Raum für Reflexion zu geben.“ Die Studie enthält auch Vorschläge, wie Arbeitsweisen des Journalismus jungen Menschen nähergebracht werden könnten.
  • Zeitenwende: Ein Vortrag von Markus Meckel vom 12. Dezember 2022 in der Evangelischen Akademie Tutzing, der unter dem Titel „Zeitenwende – vom alten Denken zur neuen Politik“ auch im Demokratischen Salon veröffentlicht wurde, wurde in Polen auch in englischer Sprache verfügbar Die „Zeitenwende“ ist in englischer Sprache ein „Turning Point“, eine Übersetzung, die meines Erachtens die doch eher schon sprachlich eher langsam erscheinende „Wende“ im wahrsten Sinne des Wortes auf den „Punkt“ bringt. Der Vortrag wurde vor etwa einem Jahr gehalten, aber nach wie vor ist das, was dort steht, aktueller denn je, und durchaus auch auf anderen Entwicklungen beziehbar.
  • NATO: Die Ausgabe von „Aus Politik und Zeitgeschichte“ vom 18. November 2023 enthält sieben Beiträge zur NATO von US-amerikanischen, afrikanischen, asiatischen und deutschen Wissenschaftler:innen an verschiedenen Hochschulen. Die Beiträge befassen sich mit der Geschichte der NATO, die nunmehr 75 Jahre existiert, während andere Militärbündnisse gerade einmal 10 bis 15 Jahre hielten. Thema sind die Osterweiterung im Spannungsfeld zwischen den Bestrebungen der osteuropäischen Staaten, Mitglied der NATO zu werden, und behaupteten mündlichen Erklärungen zu Beginn der 1990er Jahre, die NATO nicht nach Osten zu erweitern, die Beziehungen zur Ukraine und zu Russland, Bündnisse, die den Raum des Indo-Pazifik betreffen, die Beziehungen der NATO zu afrikanischen Staaten und nicht zuletzt die Frage, welche (aktive) Rolle Deutschland in Zukunft in der NATO spielen könnte. Deutlich werden auch Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Zeit der verschiedenen Präsidentschaften in den USA.
  • Irrwege der Haushaltspolitik: Die Bundesregierung will unter anderem dem Anne-Frank-Zentrum in Berlin-Mitte (Rosenthaler Straße 39) die Mittel streichen. Betroffen ist insbesondere der Anne-Frank-Tag, der bundesweite Schulaktionstag gegen Antisemitismus, an dem sich im Jahr 2023 über 100.000 Schüler:innen beteiligten. Einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, die Mittel für das Zentrum nicht zu kürzen, hat die Ampel-Koalition abgelehnt. Das ist im Übrigen nicht der einzige Kahlschlag für Demokratie-Projekte (der Demokratische Salon berichtete). Die Bundesfamilienministerin will das Projekt „Respect Coaches“ einstellen, ein 2018 eingerichtetes Programm gegen Antisemitismus. Betroffen sind 600 Schulen. Es geht um 67 Mio. EUR. Weitere Einsparungen sind bei den Jugendmigrationsdiensten vorgesehen. Das von der Bundeskinder- und Jugendministerin im Dezember 2022 gegründete „Bündnis für die junge Generation“ ist am Ende. Zwölf Verbände traten am 9. November 2023 wegen der von der Bundesregierung vorgesehenen Sparmaßnahmen im Haushalt für Kinder und Jugendliche aus. Einsparungen im Kinder- und Jugendplan sind in Höhe von 19 Prozent vorgesehen, von 239,1 Mio EUR auf 194,5 Mio.EUR (Correctiv berichtete).
  • Stiftungsgesetz: Eine positive Nachricht gibt es dennoch zur Haushalspolitik des Bundes. Das Engagement der Zivilgesellschaft, ausgehend von der Bildungsstätte Anne Frank, die Initiative DefunDES und die Otto Brenner Stiftung und von 400.000 Menschen, die ihre Unterschrift leisteten, bewirkte, dass der Deutsche Bundestag ein Stiftungsgesetz beschlossen hat, durch das die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung keine Steuermittel erhalten wird. Ohne dieses Gesetz hätte die Stiftung etwa 70 Mio. EUR pro Jahr erhalten. Das Gesetz war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht bemängelt hatte, dass es für einen Entzug der Steuermittel für eine AfD-nahe Stiftung keine Rechtsgrundlage gab.
  • Goethe-Institute vor der Schließung: Der Deutsche Kulturrat hat die Goethe-Institute inzwischen auf die Rote Liste der bedrohten Kultureinrichtungen Verantwortlich sind die zuständige Außenministerin Annalena Baerbock und die Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth, beide Grüne. Betroffen sind Bordeaux, Curitiba (Brasilien), Genua, Lille, Osaka, Rotterdam, Straßburg, Triest, Turin, Washington D.C. Auch andere Goethe-Institute leiden unter finanziellen Streichungen: Deutschkurse und Kulturveranstaltungen werden reduziert oder eingestellt. Nils Minkmar gibt seinem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung den Titel „Fuck you, Goethe“ , er schließt mit folgenden Worten: Die Schließung der kerneuropäischen Goethe-Institute ist eine Entscheidung, die allseits mit Entsetzen aufgenommen wurde. Sie zieht die schwerste Belastung der deutsch-französischen Beziehungen seit Langem nach sich und bringt die Bundesrepublik in den Verdacht, europäisches Vertrauen weniger zu schätzen als vage multipolare Ambitionen. Dieser Beschluss des deutschen Außenministeriums ist eine kulturpolitische und strategische Katastrophe.“ Zum Thema auch in dem Gespräch mit Michal Hvorecký, der im Goethe-Institut in Bratislava arbeitet.
  • Nachruf auf einen liberalen Konservativen: Es gibt wenige Politiker:innen, die die Bezeichnungen „konservativ“ und „liberal“ im besten Sinne verdienten. Eine:r davon ist Karel Schwarzenberg, er unterstützte Vaclav Havel beim Kampf für die Demokratie in der damaligen Tschechoslowakei, wurde dessen Bürochef und Außenminister der Tschechischen Republik. Er starb am 12. November 2023. Cathrin Kahlweit widmete ihm in der Süddeutschen Zeitung den Nachruf: „Die Personifizierung eines Europäers“. Sie erinnert an das Jahr 2011 und seinen Auftritt „auf der Münchner Sicherheitskonferenz, als er direkt nach Wladimir Putin ans Rednerpult trat, mit scharfen Worten davon distanziert, wie der russische Präsident im Westen hofiert wurde – und eine weitere Charaktereigenschaft, seinen bissigen Humor, demonstriert: ‚Ich danke dem Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Wladimirowitsch Putin, für seine Rede‘, so Schwarzenberg, der damals Außenminister Tschechiens war. Putin habe gerade ‚bestätigt, was wir schon wussten: Wie notwendig es war, dass wir der Nato beigetreten sind.‘ Karel Schwarzenbergs Tochter Lila hat den Film „Mein Vater der Fürst“ über ihn gedreht, der zurzeit in der Mediathek von 3Sat zu sehen ist. Lohnenswert auch das Interview, das Cathrin Kahlweit im Oktober 2022 mit Karel Schwarzenberg veröffentlichte. Sie zitiert ihn im Titel mit der (nicht nur) auf Putin bezogenen Aussage: „Man unterschätzt die Macht des Bösen.“
  • Geschichte der Gefühle: Eine der besten Expert:innen zum Thema der Gefühle in der Politik ist die Historikerin Ute Frevert. Gemeinsam mit ihrer Tochter Bettina kuratierte sie für die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur die Ausstellung „Die Macht der Gefühle – Deutschland 1919“. 2020 veröffentlichte sie das Buch „Mächtige Gefühle – Von A wie Angst bis Z wie Zuneigung – Deutsche Geschichte seit 1900“. Adrian Schulz sprach mit ihr über dieses Buch für den Tagesspiegel. Eine wichtige Rolle spiele beim Aufstieg antidemokratischer Parteien möglicherweise „gekränkter Stolz“. Dies treffe für die AfD ebenso zu wie für die Hamas. „Verzagte Geister, ich kann es nur wiederholen, treffen auf krawallbereite Milieus, die ein Opfermonopol reklamieren und Empathie gegenüber anderen verweigern. Das passt zum grauen Morgen.“ Ute Frevert bezieht sich auch auf ihre Habilitationsschrift zum Thema der Duelle, „patriarchalisches Macho-Gehabe“, das „als Akt der Ritterlichkeit verkauft“ Das Thema der „männlichen Identität“ spiele auch in der Szene der Neuen Rechten eine wichtige Rolle, nur mit dem Unterschied, dass die formalisierten Verfahren der Zeit der Duelle heute der Vergangenheit angehören.
  • Zukunft der Ukraine: Immer wieder lesenswert sind Bücher und Aufsätze von Martin Schulze Wessel, zuletzt das Buch „Der Fluch des Imperiums“ (München, C.H. Beck, 2023). In einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel warnt er davor, dass der Westen die Fehler, die zur russländischen Invasion geführt hätten, wiederholt. Symptomatisch für die Fehler der Vergangenheit war das Beharren Angela Merkels auf Nordstream 2, eine Entscheidung, die nach der Besetzung der Krim im Jahr 2014 getroffen wurde: „Putin deutete die widersprüchliche Botschaft aus Berlin so: Wenn es hart auf hart kommt, würde der Westen zurückzucken.“ Heute irritiert die Zurückhaltung mancher Regierungen, beispielsweise von Olaf Scholz, der die Taurus-Marschflugkörper „vorerst“ – was auch immer das heißen mag – nicht liefern möchte, obwohl die Ukraine damit die Nachschubwege der russländischen Armee unterbrechen und so den Krieg verkürzen könnte. Eine Politik des „Einhegens“ beziehungsweise des „Sowohl-als-auch“ wird scheitern. Letztlich wird sich bei Versagen des Westens (und nicht zuletzt Deutschlands) kein Land in der Nachbarschaft der Russischen Föderation sicher fühlen können.
  • Polen und Ukraine: Die Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine waren nicht immer einfach, oft sogar eher sehr schwierig. Zurzeit eskaliert immer wieder der Streit um die Einfuhr ukrainischen Weizens nach Polen. Mehr über die Geschichte der Beziehungen zu lesen ist in den Berichten des Jahrbuch 2022 des Deutschen Polen-Instituts, das ich im Essay „Polen 2023“ vorgestellt habe. In den Polenanalysen 319 hat das Institut weitere Hintergrundinformationen von Tomasz Stryjek und Joana Konieczka-Sałamatin Ein zentrales Thema sind unterschiedliche Perspektiven in der Erinnerungspolitik.
  • Migration: In der ZEIT hat Lenz Jacobsen unter der vielsagenden Überschrift „It’s not the Sozialstaat, stupid“ Studien zur Frage vorgestellt, warum bestimmte Länder für Migrant:innen attraktiver sind als andere. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Flüchtende in den Ländern, die sie verlassen, detaillierte Informationen darüber haben, wie es in den potenziellen Zielländern aussehen könnte. Restriktive Maßnahmen wie Schließung von Grenzen, hohe Ablehnungszahlen für Asylanträge reduzieren die Attraktivität eines Landes. Es sind aber nicht die dort gegebenen Sozialleistungen, es ist eher die Frage, ob es dort bereits eine Community gibt, die vor Einsamkeit schützt. Andere Faktoren, die Migranten laut Forschungsstand stärker anziehen als Sozialleistungen: eine starke Wirtschaft, ein guter Arbeitsmarkt, eine robuster, demokratischer Rechtsstaat. Alles Dinge, die die deutsche Politik sicher nicht mutwillig beschädigen will.“
  • Armut und Bildungsungerechtigkeit: Der Investigativreporter Till Eckert hat für Correctiv Empfehlungen seiner Leser:innen zum Thema zusammengestellt: „Gleich mehrere haben mich auf „Mythos Bildung“ des Soziologen Aladin El-Mafaalani hingewiesen, auch „Abgehängt“ der Lehrerin Lisa Graf oder die aktuelle Ausgabe des Magazins Jacobin seien lesenswert. Empfehlen möchte ich Ihnen zudem noch die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema, darunter ein Themendossier und Statistiken sowie diesen Artikel des Tagesspiegel zu Bildungsungerechtigkeit.“ Zwei weitere Bücher zum Thema darf ich ergänzen: Sie erschienen bei Beltz Juventa und wurden von Michael Klundt und Christoph Butterwegge geschrieben, noch unter dem Eindruck der Pandemie, aber gleichwohl aktuell. Sie wurden im Demokratischen Salon vorgestellt. Christoph Butterwegge hat übereinstimmend mit einer Studie der Diakonie für die Kindergrundsicherung einen Bedarf von 20 Mrd. EUR errechnet. Familienministerin Lisa Paus gibt sich mit 2,4 Mrd. zufrieden. Christian Lindner hat angekündigt, dass es in dieser Legislaturperiode keine weiteren Sozialleistungen gebe. Angesichts des Verfassungsgerichtsurteils zur sogenannten „Schuldenbremse“ ist dies unwahrscheinlicher denn je, aber auch die Verfechter:innen einer Kindergrundsicherung sollten ehrlich einräumen, dass sie mit den erstrittenen 2,4 Mrd. das Problem nicht lösen werden. Weitere Daten zur Dimension des Problems der Armut in unserer Gesellschaft bietet der Verteilungsbericht 2023 des Wirtschafts- und Sozialpolitischen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung.
  • Unter dem Deckmantel des Kindeswohls: Im Oktobernewsletter 2023 berichtete ich über Aktivitäten verschiedener Väter-Netzwerke, die sich unter dem Deckmantel des Kindeswohls ausgesprochen frauenfeindlich positionieren. In der Novemberausgage 2023 der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ dokumentiert Asha Hedayati, Rechtsanwältin für Familien- und Ausländerrecht, in ihrem Essay „Rechtlose Mütter, schutzlose Kinder“ Entscheidungen von Familiengerichten, die den Kontakt der Kinder zu ihren Vätern für wichtiger erachten als den Schutz der Kinder und der Mütter vor Gewalt. Frauen werden mitunter gezwungen, Kontakt mit gewalttätigen Vätern zu halten, damit die Kinder, selbst wenn diese dies gar nicht wollen, den Kontakt halten können. Diese familiengerichtlichen Entscheidungen werden unabhängig vom Geschlecht der Richter:innen getroffen. Wenn Mütter die Gewalt ihrer Ex-Männer und Ex-Partner thematisieren, kann ihnen das vor Gericht sogar als Nachteil ausgelegt werden. Fazit: „Täterschutz statt Opferschutz“. Jessica Reitzig spricht im Berliner Tagesspiegel mit Daniela Martens und Anna Pannen über das von ihr gemeinsam mit Sonja Howard bei Econ veröffentlichte Buch „Im Zweifel gegen das Kind“: Sie kritisiert, dass Väter das sogenannte „Wechselmodell“ auch gegen den Willen der Kinder durchzusetzen versuchen und dabei auch von Gerichten und Polizei (bei Zuführungen) ohne jede Rücksicht auf Kinder und Mütter unterstützt werden. Der „kindliche Wille“ wird dabei oft als von der Mutter „manipuliert“ Die Ausbildung der Richter:innen und die gesetzlichen Grundlagen müssten dringend geändert werden.
  • Präventionsparadox: Auf ZEIT online stellten Johannes Schneider und Jakob Simmanck eine Studie über Narrative nach der COVID-19-Pandemie Die Zahl derjenigen, die glauben, dass die Maßnahmen der Regierung(en) gar nicht erforderlich, zum Teil sogar willkürlich gewesen wären, ist in mehreren Ländern gestiegen. Der Grund ist das sogenannte Präventionsparadox. Wenn sich nach einer gewissen Zeit der zur Begründung restriktiver Maßnahmen beschworene Worst Case nicht eintritt, wird nicht der Erfolg der Maßnahmen gefeiert, sondern ihre Notwendigkeit bestritten. Dies lässt sich durchaus auch auf andere staatliche und gesellschaftliche Bereiche übertragen und kann dazu führen, dass grundsätzlich das Vertrauen in den Staat und letztlich auch in die Demokratie schwindet: „Welche Konsequenzen wird dieser, möglicherweise auch in andere Milieus hineinkriechende, Grundzweifel für andere durchaus verschwörungstheorieanfällige Diskurse haben? Für die Frage nach Maßnahmen, um den Klimawandel zu stoppen? Für den Umgang mit Putin-Russland, dessen Propagandamaschine diesen Grundzweifel ohnehin zu schüren versucht?“ So entstehen ‚Misstrauensgemeinschaften‘. Auch dies gehört zu den ‚sozialen und mentalen Folgen der Pandemie‘“.

Den nächsten Newsletter des Demokratischen Salons erhalten Sie in den Tagen um den Jahreswechsel. Bis dahin wünsche ich Ihnen Frohe Weihnachten und Chanukka Sameach.

Mit den besten Grüßen verbleibe ich

Ihr Norbert Reichel

(Alle Internetzugriffe erfolgten zwischen dem 22. und 27. November 2023.)

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.

P.P.S.: Ich darf ich mit folgendem persönlichen Hinweis schließen: Einen Tag nach Versand des Oktober-Newsletters 2023 crashte mein Office-Paket. Es wurde fast alles repariert, nur alle Outlook-Kontakte mussten mühsam rekonstruiert werden. Sollte ich jemandem die Information über diese neue Ausgabe schicken, der:die den Newsletter bisher nicht erhalten hat und auch in Zukunft nicht erhalten möchte, ihn vielleicht sogar schon abbestellt hatte, bitte ich dies zu entschuldigen. Kurze Info reicht. Aber vielleicht inspiriert Sie der unerwartet versandte Text und Sie möchten ihn weiterhin erhalten. Darüber würde ich mich natürlich sehr freuen.