Liebe Freund:innen des Demokratischen Salons,

kontrovers diskutiert wird der Vorschlag der Bundesbildungsministerin, die Bundeswehr solle in die Schulen gehen. Was längst geschieht: Jugendoffiziere besuchen Schulen, diskutieren mit den Klassen, wie andere staatliche und gesellschaftliche Akteure auch. Das ist in keiner Weise mit der Präsenz des Militärs in Schulen aus Zeiten der DDR oder im heutigen Russland vergleichbar. Für Besuche der Bundeswehr in Schulen gibt es Regeln. Sie orientieren sich am Beutelsbacher Konsens, der in der KMK-Empfehlung zur Demokratie aus dem Jahr 2018 exzellent beschrieben und weiterentwickelt wurde. Das Problem liegt woanders: in der sträflichen Vernachlässigung von Geschichts- und Politikunterricht. Vielleicht entdeckt Bettina Stark-Watzinger einmal dies als Thema?

Im Editorial der Märzausgabe 2024 des Demokratischen Salons lesen Sie unter der Überschrift „Desorientierte Mitte – Über sprachliche und andere Irritationenetwas über die Kinder der Baseballschläger, die Wähler:innen der AfD sowie die Frames und Unsitten politischer und gesellschaftlicher Kommunikation, zu der sich zuletzt auch Juli Zeh treffend geäußert hat. Wie üblich finden Sie Empfehlungen zu Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerben, Hintergrundinformationen und Leseempfehlungen.

Die neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Michal Hvorecky, Romanautor und Mitarbeiter im Goethe-Institut in Bratislava ist zum dritten Mal Gast im Demokratischen Salon: „Eine starke Zivilgesellschaft“ – so sein Fazit der ersten 100 Tage der vierten Regierung Fico, die sich als „Regierung der Rache“ versteht und den Rechtsstaat nach ungarischem und polnischem Vorbild umbauen will. Kultur- und Umweltministerium werden von Rechtsextremisten geführt. Die Regierung kommuniziert nicht mehr mit Qualitätsmedien, Kultureinrichtungen droht die Schließung. Aber dagegen steht eine starke Zivilgesellschaft, die die Regierung erheblich unter Druck setzt, und dies kurz vor den Präsidentschaftswahlen. (Rubriken: Osteuropa, Europa)
  • Martina Winkler, Osteuropahistorikerin an der Universität Kiel, beschreibt in ihrem Essay „Die autoritäre Drohung“, wie Robert Fico versucht, Demokratie und Rechtsstaat in der Slowakei in seinem Sinne nach ungarischem Vorbild zu beeinträchtigen, wenn nicht gar abzuschaffen. Die Präsidentschaftswahlen, deren zweiter Wahlgang am 6. April 2024 stattfinden, werden Fico womöglich sein Vorhaben erleichtern, zumal die bisherige Präsidentin Zuzana Čaputová nicht mehr antritt. Gleichwohl scheint Fico die Kontrolle zu verlieren, er agiert in seiner Außen- und Europapolitik erratisch wie gefährlich. Die Solidarität innerhalb der Visegrád-Gruppe scheint am Ende. (Rubriken: Osteuropa, Europa)
  • Iuliia Bentia und Pavlo Shopin aus Kyiv präsentieren eine Rezension der Aufführungen von Shakespeares Coriolanus: „Coriolanus in der Ukraine – Tragischer Held zwischen Krieg und Politik“ (deutsche Übersetzung mit englischem Originaltext). Coriolan, siegreicher Kriegsherr, versucht sich in der Politik und scheitert, er wird zum Verräter. Das Stück wurde 2018 erstmals aufgeführt, hat aber unter den jüngsten Entwicklungen eine neue Aktualität gewonnen. Manches in der Kyiver Inszenierung mag an Filme von Quentin Tarantino erinnern, aber vor allem zeigt sie, was Krieg aus Menschen in einer patriarchalischen Welt macht. (Rubriken: Kultur und Osteuropa)
  • Markus Meckel fragt in einer Rede vom 25. Februar 2024 nach den Chancen einer „Friedensethik angesichts des Ukrainekrieges“. Durch den Überfall Russlands auf die Ukraine stimmen unsere Begriffe nicht mehr, wir tun uns schwer, Frieden zu definieren: „Friedenshandeln ist nicht einfach die Umsetzung scheinbar fester Prinzipien wie das der Gewaltlosigkeit, sondern muss auf die oft komplexe Situation bezogen ganz konkret menschendienlich sein.“ Wir müssen auf der Seite der Opfer, der Menschen in der Ukraine stehen, und „Sicherheit vor Russland“ gewährleisten, auch und gerade in Deutschland, nicht zuletzt im Sinne der Friedensethik von Dietrich Bonhoeffer. (Rubriken: Europa, Osteuropa)
  • Seyran Bostancı, Soziologin am Deutschen Zentrum für Integration und Migration (DeZIM), stellt in „Auf dem Weg zur rassismuskritischen Bildung“ Studien zu Rassismus und Rassifizierung in Kindertageseinrichtungen und Schulen vor. Die Politik fördert Segregation, obwohl Studien belegen, dass eine frühzeitige Integration der Kinder ihnen hilft, die deutsche Sprache zu lernen und Kontakte mit anderen Kindern zu knüpfen. Lehr- und Fachkräfte sind oft überfordert, Eltern ratlos. Ein Beschwerdemanagement hat seine Tücken, zu wünschen wären in Aus- und Fortbildung unterstützte fehlerfreundliche Verlernprozesse rassifizierenden Verhaltens. (Rubriken: Kinderrechte, Treibhäuser)
  • Hans Frey hat kurz vor seinem Tod am 25. Januar 2024 noch einen ausführlichen Essay über Öko-Science Fiction geschrieben, der in drei Teilen erscheint: „Der lange Weg der Öko-Science Fiction“. Der erste Teil versucht eine Definition und wirft einen Blick in die Science Fiction im deutschen Kaiserreich. Wir finden Naturschwärmerei, Naturtümelei und Sozialromantik. Ein Pädagoge, ein Theologe und ein Arzt können als Pioniere gelten, aber auch politische Fantastereien, proto-faschistische Elemente und erste Ansätze einer Climate-Science Fiction prägen das breite Spektrum der Öko-Science Fiction dieser Zeit. (Rubriken: Science Fiction)
  • Drehli Robnik hat sich kongenial mit dem Faschismus-Begriff von Siegfried Kracauer befasst. Titel der Rezension von Norbert Reichel: „Gefühlspolitik, faschistische Version“. Faschismus ist „fluid“ und sollte eigentlich nur im Plural adressiert werden. Die Apolegeten (proto- und krypto)-faschistischer Politik inszenieren sich gleichzeitig als Staatsführer und Rebellen. Dabei spielt die gewählte Begrifflichkeit nur eine Nebenrolle, entscheidend sind die Gefühle, die sie vermitteln und propagieren. Ihre Politik ist im Grunde anti-politisch, postpolitisch und geschichtslos, letztlich nihilistisch, weil weitgehend auf Zerstörung ausgerichtet. Sie profitieren von der Hoffnung auf ein richtiges Leben im falschen. (Rubrik: Treibhäuser)
  • Norbert Reichel befasst sich in dem Essay „Das Lampedusa-Syndrom“ mit den Konflikten und Lebenslügen der seit Jahrzehnten andauernden deutschen und europäischen Migrationsdebatten. Die demokratischen Parteien vermitteln widersprüchliche Botschaften. Sie versprechen, illegale Einwanderung zu beenden, propagieren jedoch eine untaugliche Maßnahme nach der anderen. Gleichzeitig betonen sie die notwendige Einwanderung dringend benötigter Fachkräfte, die sie aber selbst mit viel Bürokratie behindern. Die Migrationsdebatten müssten vom Kopf auf die Füße gestellt werden, auch im Sinne der Stärkung der Demokratie. (Rubriken: Europa, Migration)

Neu erschienen ist das „Tagebuch eines Autisten“, der zweite Gedichtband von Norbert Reichel, mit Fotografien von Hans Peter Schaefer und Firouzeh Görgen-Ossouli, wie der erste Band erhältlich über die Adresse des von Hans Peter Schaefer geleiteten Kölner Verlages reserv-art oder über den Demokratischen Salon. Fünf Bilder von Firouzeh Görgen-Ossouli mit dem Titel:„Niemand denkt an blaue und gelbe Schmetterlinge“ sehen Sie auch in diesem Newsletter (© Firouzeh Görgen-Ossouli). Sie zeigte diese Bilder in der Ausstellung „Nexus Ostwind“ im Jahr 2022.

Veranstaltungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons:

  • Tage des Exils in Bonn: In der ersten Septemberwoche 2024 beteiligt sich der Demokratische Salon an den Tagen des Exils in Bonn (weitere Informationen auf der Seite der Körber-Stiftung), am 2. September, 19.00 Uhr, im Gustav-Stresemann-Institut zum Exil von DDR-Autorinnen und -Autoren im Westen (mit Ines Geipel und Franziska Groszer), am 3. September, 19.00 Uhr, in der Beueler Brotfabrik über die Jeckes in Israel (mit Shelly Kupferberg, die unter anderem aus ihrem Roman „Isidor“ liest, und Esther Gardei vom Bonner Zentrum für Versöhnungsforschung), am 6. September, 19.00 Uhr ebenfalls in der Brotfabrik über die „Grenzenlose Hoffnung“ von Geflüchteten im Exil (Szenische Lesung und Musik mit Alvaro Solar, Cristina Collao und Klaus Farin). Weitere Partner sind unter anderem die Landeszentrale für politische Bildung NRW, die Theatergemeinde Bonn, die Bundesstiftung Aufarbeitung sowie die Weichmann-Stiftung. Details und Anmeldemodalitäten demnächst hier.
  • Demonstration des Bündnisses #ZusammenGegenRechts am 21. Januar 2024 in Berlin, initiiert von ‚FridaysForFuture,‘ Foto: Stefan Frank / Middle East Images / AFP via Getty Images. Mit Dank an die Bundeskunsthalle.

    Ausstellung zur Demokratie in Bonn und Dresden: Die Ausstellung „Für Alle! Demokratie neu gestalten!“ ist vom 30. Mai bis zum 13. Oktober 2024 in der Bundeskunsthalle in Bonn und von Juni bis November 2025 in Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu sehen. Sie wird von Johanna Adam, Amelie Klein und Vera Sacchetti kuratiert. Eine grundlegende Frage: „Braucht die Demokratie ein Update? Haben wir uns zu lange darauf verlassen, dass unsere Demokratie durch nichts zu erschüttern ist? Mit Demokratie ist es nämlich so: Es gibt sie nur, wenn wir fortwährend an ihr arbeiten.“ Es geht um Wahlen, Parteien, die Beteiligung der Bürger:innen und nicht zuletzt die Frage, ob unsere freiheitliche Demokratie tatsächlich eine Demokratie „für alle“ ist. Zu sehen sind künstlerische Annäherungen an die Demokratie, Dokumente und Zeugnisse der politischen Kulturgeschichte, der Architektur und aus Film und Fotografie. Diskutiert wird auch die Frage, ob Verfassungsentwürfe aus der Vergangenheit wiederbelebt werden könnten und sollten, beispielsweise der Entwurf des Zentralen Runden Tischs der DDR, der nach dem Mauerfall entstand. Es gibt ein Begleitprogramm, an dem sich auch der Demokratische Salon und das Gustav-Stresemann-Institut beteiligen. Weitere Informationen demnächst hier und auf den Seiten der Bundeskunsthalle.

  • Unter Verschluss: Nach dem Erfolg der szenischen Lesung „Unter Verschluss“ im Oktober 2022 in Bonn gibt es zwei weitere Veranstaltungen am 5. November 2024, 19.00 Uhr in Düsseldorf in der Stadtbibliothek und am 7. November 2024, 19.00 Uhr, im Zentrum für verfolgte Künste in Solingen, jeweils mit Ines Geipel und Franziska Groszer. Vorgestellt wird auch die im März 2024 im Lilienfeld Verlag erschienene Neuauflage von „Gesperrte Ablage“, die ein ausführliches neues Nachwort enthält.
  • „KlimaFiktionen 2024“: Das im letzten Newsletter für April 2024 angekündigte Festival muss leider auf den Herbst 2024 verschoben werden.  Es findet in Bochum statt. Der Demokratische Salon veröffentlicht seit Februar 2024 bereits Texte rund um das Festival und stellt mehrere Akteur:innen vor, im Februar 2024 Aiki Mira mit dem Manifest „Post-Cli-Fi“, in den Monaten März bis Mai mit dem dreiteiligen Essay „Der lange Weg der Öko-Science Fiction“ von Hans Frey.

Veranstaltungen, Ausstellungen, Wettbewerbe:

  • Milein Cosman in Bonn: Unter dem Titel „Den Moment zeichnen – Die Künstlerin Milein Cosman“ sind bis zum 7. April 2024 im Bonner Stadtmuseum Bilder der Zeichnerin Milein Cosman zu sehen. Milein Cosman wurde in Düsseldorf geboren, flüchtete 1937 über die Schweiz nach England, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2017 lebte. Sie portraitierte Musiker:innen, Künstler:innen und Autor:innen wie Igor Strawinsky, Thomas Mann oder Fred Uhlman. Die Bilder sind Teil des im Aufbau befindlichen „Forum Exilkultur in Bonn“. Finissage am 7. April 2024, 16.30 bis 17.30 Uhr (einschließlich einer Führung von Philipp Hofmann). Es ist die erste Ausstellung im Rahmen des „Forum Exilkultur“.
  • Kinder- und Jugendparlamente: Am beginnt eine Fortbildungsreihe der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Bildungsstätten zur Begleitung von Kinder- und Jugendparlamenten. 10. April 2024, 9-10 Uhr, Thema: Alle an Bord?! Wie kommt ein Kinder- und Jugendparlament zu seinen Mitgliedern? 24. April 2024, 9-10 Uhr, Thema: Wie organisiert man Wahlen in einem Kinder- und Jugendparlament? 14. Mai 2024, 9-10 Uhr, Thema: Wie wird die kommunale Verwaltung zu einer starken Partnerin für Kinder- und Jugendparlamente? 5. Juni 2024, 9-10 Uhr, Thema: Wir sind die Brandmauer! Wie können sich Kinder- und Jugendparlamente gegen Rechtsextremismus wappnen? Angesprochen sind hauptamtliche Fachkräfte, die ein Kinder- und Jugendparlament, ein Jugendgremium, -forum oder einen -(beirat) begleiten. Die Online-bildungsreihe wird von der Akademie für Kinder- und Jugendparlamente und von Anna Grebe moderiert. Jede Veranstaltung dauert etwa 60 Minuten. Neben einem Praxis-Input durch Expert:innen gibt es auch Raum für Austausch und Diskussion. Kinder- und Jugendparlamenten in ihrer alltäglichen Arbeit auseinandersetzen. Anmeldungen sind bereits für folgende Veranstaltungen möglich: Die Angebote sind kostenfrei. Weitere Veranstaltungen werden vorbereitet.
  • Science Fiction Club Andymon: In den Räumen des Kulturrings Berlin-Treptow trifft sich jeden zweiten Donnerstag im Monat der SF-Club Andymon. Das nächste Treffen findet am 11. April 2024, 18.30 Uhr in Berlin-Treptow (Ernststraße 14-16, S-Bahnstation Baumschulenweg) statt. Thema ist die feministische Science Fiction, vorgestellt von Nelo Flocke und Michael Wahren. Dies ist ein Beitrag zum Kongress der Utopien. Alle Termine des Jahres 2024 finden Sie hier. Der Club bietet Informationen und Austausch über aktuelle Themen der Science Fiction, neue Publikationen und Filme, Jahrbücher und Zeitschriften sowie Debatten mit Autor:innen über Texte und Filme vergangener Zeiten.
  • Fotoausstellung „Das Massaker vom 7. Oktober und seine Folgen“: Bis zum 12. April 2024 (Mo bis Fr 9 – 18 Uhr, nicht an Plenardonnerstagen, Eintritt ist frei) sind in der Wandelhalle des Abgeordnetenhauses Berlin Fotos von Ziv Koren zu sehen, der Opfer des Massakers, freigelassene Geiseln und Familienangehörige begleitet und fotografiert hat. Es ist eine gemeinsame Ausstellung des Abgeordnetenhauses und der Botschaft des Staates Israel in Deutschland. Initiiert hatte sie das israelische Außenministerium. Birgit Rieger sprach mit dem Fotographen für den Tagesspiegel: „Es ist derzeit unmöglich, ausgewogen zu sein“. Katrin Richter interviewte ihn für die Jüdische Allgemeine: „Ich zeige, was passiert ist“. Eine der begleiteten freigelassenen Geiseln ist Mia Schem, die an dem Nova-Festival teilnahm. Über sie und ihren ermordeten Freund Elia Toledano berichtete Sabine Brandes im Dezember 2023. Mia trägt ein Tattoo mit den Worten „Wir werden wieder tanzen“.
  • Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention: Die diesjährige Tagung des Netzwerks findet am 18. und 19. April 2024 im Mediencampus Villa Ida in Leipzig statt. Den einführenden Vortrag hält Fabian Virchow (Düsseldorf). Die Veranstalter kündigen die Tagung unter anderem wie folgt an: Egal ob auf der Straße, in der Schule oder bei öffentlichen Veranstaltungen: Bedrohungen und auch Übergriffe sind zur Normalität geworden. Gleichzeitig sehen wir in weiten Teilen der Gesellschaft den Wunsch, dem Rechtsextremismus engagiert entgegenzutreten. Dies wollen wir auf der Tagung des KompRex aufgreifen. Wie begegnen wir dieser großen Herausforderung für unsere Demokratie wirksam? Welche Bereiche und Akteur:innen sind gefragt? Wie können wir diejenigen unterstützen, die von rechtsextremen Akteur:innen angefeindet und bedroht werden? Wir wollen es nicht bei einer bloßen Bestandsaufnahme belassen, sondern gemeinsam diskutieren, wo und wie wir handeln müssen, wie eine wirksame Prävention in Zukunft aussehen soll und stellen dafür verschiedene Ansätze und Zugänge vor.“ Hier das ausführliche Tagungsprogramm.
  • KI und Demokratie: Dies ist Gegenstand des vierten Bandes einer im Berliner Verbrecher Verlag veröffentlichten Reihe der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, Titel „Code & Vorurteil“ (demnächst ausführlicher dazu im Demokratischen Salon). Am 19. April 2024, 10.00 bis 18.30 Uhr, findet dazu im Künstler*innenhaus Mousonturm (Waldschmidtstraße 4, 60136 Frankfurt) eine Tagung statt, in der ausführlich über Chancen und Risiken der KI für eine vielfältige und offene Gesellschaft diskutiert werden kann. Programm und Anmeldemodalitäten (möglichst bis zum 31. März 2024) auf der Seite der Bildungsstätte.
  • Berliner Rede zur Freiheit: Die jedes Jahr von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit kuratierte Berliner Rede zur Freiheit hält in diesem Jahr am 25. April 2024, 18 Uhr, im Berliner Allianz-Forum (Pariser Platz 6) Michel Friedman. Der barbarische Terror der Hamas am 7. Oktober 2023, der auf dem Nova Festival und in israelischen Ortschaften nahe des Gaza-Streifens zu unvorstellbaren Gräueltaten geführt hat, erschüttert die Demokratien, ist für viele aber offenbar in den Hintergrund gerückt. Die Stiftung betont, der Schutz jüdischen Lebens in Deutschland und die Verteidigung unserer liberalen Demokratie sind untrennbar miteinander verbunden, denn Judenhass ist Menschenhass. Michel Friedman: „Wer sich gegen Antisemitismus nur einsetzt, weil er Juden helfen will, hat nicht begriffen, was Menschenhass ist.“ Ab 17 Uhr legt DJ Artifex auf. Er war der letzte DJ vor dem Massaker auf dem Nova-Festival. DJ Artifex, mit bürgerlichem Namen Yarin Ilovich, tritt seit dem Festival zum ersten Mal live in Deutschland auf. Lesenswert ist Michel Friedmans Buch Judenhass (Berlin Verlag, 2024).
  • Ausstellung Nexus V: 32 Künstler:innen der Arbeitsgruppe Rheinland-Pfälzischer Künstler e.V. treten in einen Dialog mit allen Facetten der Sayner Hütte in Bendorf. Die Ausstellungsreihe begann im Jahr 2002. Die Vernissage der fünften Ausstellung findet am 28. April 2024, 16.00 Uhr, in der Gießhalle der Hütte statt und ist bis zum 9. Juni 2024 zu sehen. Die Ausstellung wird wie folgt angekündigt: „Thematisch sind Bezüge zum Beispiel zum Fortschritt der Industriekultur, zur Architektur des Gebäudes und zu den Menschen von einst zu sehen. Alle Genres der zeitgenössischen Kunst, darunter Skulpturen, Installationen, Malerei, Fotografie und mehr, sind präsentiert und ermöglichen es den Besuchern, die Sayner Hütte auf eine neue Art und Weise zu erleben.“
  • Menschenrecht Pressefreiheit: Die deutsche Sektion von „Reporter ohne Grenzen (RSF)“ feiert 2024 ihr 30-jähriges Bestehen. Initiiert vom Förderkreis des Zentrums für verfolgte Künste und kuratiert von der Fotoredakteurin Barbara Stauss zeigt „Reporter ohne Grenzen“ vom 4. Mai bis 8. September 2024 im Museum Zentrum für verfolgte Künste die Fotoausstellung „Keine Freiheit ohne Pressefreiheit“ Arbeiten von sechs internationalen Fotojournalist:innen aus Myanmar (anonym), Violetta Savchits aus Belarus, Andrès Cardona aus Kolumbien, Gilles Sabré aus China, Anoek Steketee aus Ruanda sowie Miguel Angel Sánchez und Nuria Tesón aus Ägypten. Die Eröffnung findet am 4. Mai 2024, 16 Uhr statt.
  • Gewalt gegen die Demokratie: Die Topographie des Terrors zeigt in Berlin bis zum 1. September 2024 die Ausstellung „Gewalt gegen Weimar“. Anschließend soll die Ausstellung auch in Hamburg und in Weimar zu sehen sein. Es geht um die Zeit zwischen 1918 und 1923: „Sie macht sichtbar, wie Extremisten und Separatisten die Weimarer Republik an den Rand eines Bürgerkriegs brachten, mit welch drastischen Mitteln der Staat vorging und wie Sprache und Literatur der Zeit auf die Brutalität der Ereignisse reagierten. Zugleich stellt die Ausstellung die Frage nach den Kontinuitätslinien einer langen Geschichte politischer Gewalt in Deutschland – von der Weimarer Republik über die NS-Zeit bis heute.“ Das von Martin Sabrow herausgegebene Buch „Gewalt gegen Weimar – Zerreißproben der frühen Republik 1918 bis 1923“ erschien 2023 im Wallstein-Verlag. Es gibt ein attraktives Begleitprogramm, am 16. April 2024 zum Thema „Rechtsextremismus in den Streitkräften“, am 11. Juni 2024 zum Thema „Hassen lernen“ und am 16. Juli 2024 mit dem Titel „Weimar und wir?“ Alle Veranstaltungen jeweils um 19 Uhr und im Livestream.
  • Fachkongress Familienzentren: Die Servicestelle Familienzentren NRW beim Institut für soziale Arbeit führt am 5. Juni 2024 in der Messehalle Essen den Fachkongress „Zukunft gestalten – Knotenpunkt Familienzentrum?!“ durch. Eingeladen sind Fachkräfte, Träger und weitere Interessierte. Ziel ist es, Impulse für die Zukunft der Familienzentren zu setzen. Fachvorträge, Diskussionsforen und Workshops werden durch einen Markt der Möglichkeiten ergänzt. Wer ausstellen möchte, kann sich bereits jetzt melden.
  • Ausstellung über Ergreifung und Prozess Adolf Eichmanns: Im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst (SMÄK) die Ausstellung „Operation Finale“ unter dem Titel „How To Catch A Nazi“ zu sehen, sie wurde ist bis zum 4. August 2024 verlängert. Sie zeigt, wie der israelische Geheimdienst Mossad und der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Jahr 1960 Adolf Eichmann in Argentinien ausfindig machten, wie seine Entführung nach Israel durchgeführt und wie ihm schließlich der Prozess gemacht wurde. Es war der erste große Prozess, indem Opfer des Holocaust vor der Weltöffentlichkeit Zeugnis von den Verbrechen der Nazis ablegten. Die Ausstellung ist eine Multimedia-Ausstellung. Sie stammt aus Israel und den USA und wurde von der Adolf Rosenberger gGmbH und dem SMÄK erstmalig nach Deutschland gebracht. Der Film „Operation Finale“ ist auch bei Netflix im Programm. Weitere Informationen zur Ausstellung siehe auch im Demokratischen Salon veröffentlichten Gespräch mit Christoph Rückel.
  • Jugendsubkulturen in der DDR: Die Ausstellung „Heavy Metal in der DDR“ beleuchtet anhand originaler Objekte von Bands und Fans, Fotografien sowie Stimmen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die mutmaßlich größte Jugendsubkultur in der DDR. Die Ausstellung im Museum in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg (Knaackstraße 97) ist bis Februar 2025 zu sehen (Di-Fr 9-18 Uhr; Sa, So, Feiertage 10-18 Uhr, Eintritt frei).

Hintergrundinformationen und Leseempfehlungen
:

  • Unterdrückte Literatur in der DDR: Es ist das Verdienst von Ines Geipel und Joachim Walther sel. A., den Autor:innen, die in der DDR nicht veröffentlichen durften, schikaniert, vertrieben oder sogar in den Tod getrieben wurden, wieder eine Stimme gegeben zu haben. Der Düsseldorfer Lilienfeldverlag hat jetzt das 2015 erschienene Buch „Gesperrte Ablage“ neu aufgelegt. Das Buch enthält einen zusätzlichen Beitrag von Ines Geipel, in dem auch einzelne Autorinnen wie Edeltraud Eckert – Ines Geipel nennt sie „die Sophie Scholl des Ostens“ – oder Jutta Petzold und Franziska Groszer ausführlich gewürdigt werden. Das Buch ist ein „Who is who“ von vierzig Jahren unterdrückter Literaturgeschichte, ein Nachschlagewerk mit biographischen Daten, Hinweisen auf oft auch entlegene Quellen und literaturwissenschaftlichen Essays. Das Buch gehört in die Handbibliothek literarisch interessierter Menschen und wird hoffentlich auch Anlass geben, dass Verlage noch unveröffentlichte Texte veröffentlichen und Wissenschaftler:innen sich mit den Autor:innen beschäftigen. Die von Ines Geipel und Joachim Walther herausgegebene Reihe „Die Verschwiegene Bibliothek“ wurde leider nach zehn Bänden eingestellt. In der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur lagern noch über 70.000 unveröffentlichte und zum großen Teil ungesichtete Manuskripte, eine Fundgrube für Verleger:innen, Master- und Doktorarbeiten. Ines Geipel ist im Demokratischen Salon immer wieder präsent, eine Liste der Beiträge ist am Schluss ihrer Dankesrede zur Verleihung des Erich-Loest-Preises 2023 zu finden: „Keine Kerben im Kolben“.
  • Radio Sakharov: Radio Sakharov sendet seit März 2024 via Satellit, ein russischsprachiges Internetradio mit Podcast-Plattform im Aufbau. Dahinter steht das Team des Sacharow-Zentrums in Moskau, das ins Exil flüchten musste und nun als Teil von CORRECTIV von Berlin aus arbeitet. Über den Sendeplatz kann von russischsprachigen Menschen in Russland selbst und in vielen anderen Ländern empfangen werden, allein in Russland bald 4,5 Millionen Haushalte über Antenne. Neben Echo Moskvy ist Radio Sakharov damit der größte unabhängige journalistische Radiosender für Russland und will seinen Teil dazu beitragen, Propaganda und Fehlinformationen entgegenzutreten.
  • Leben unter russischer Besatzung: Einen Bericht seines Korrespondenten Shaun Walker aus Saporischschja veröffentlichte der Guardian. Russland macht in den besetzten und inzwischen auch offiziell annektierten Gebieten, die es – wie den Oblast Saporischschja nur zum Teil besetzt hält – erheblichen Druck auf die dortige Bevölkerung. Erste Maßnahme war die Verhaftung örtlicher Politiker:innen und Bürgermeister:innen. Es folgten Deportationen von als antirussisch markierten Menschen, darunter auch insgesamt etwa 60.000 Kinder, die in Russland umerzogen werden sollen. Menschen werden vom russländischen Militär aufgesucht und zur Teilnahme an der Wahl Putins gezwungen, obwohl sie keine russischen Staatsbürger:innen sind. Bevölkerungsaustausch und Umerziehung sollen ein ukrainisches Gebiet in russisches Gebiet verwandeln, eine Strategie, die auch schon in den 2014 besetzten Gebieten auf der Krim und im Donbass verfolgt wurde.
  • Fauler Friede: Zwei Jahre nach dem brutalen Überfall der russländischen Armeen auf die Ukraine lesen wir so gut wie jeden Tag mitunter widersprüchliche und einander widersprechende Einschätzungen der aktuellen Lage. Aber ungeachtet dessen bleibt deutlich, dass Einschätzungen, die vor 30 oder 40 Jahren galten, heute nicht mehr gelten. Für die ZEIT sprachen Tina Hildebrandt und Heinrich Wefing mit Joschka Fischer, sie dokumentierten das Gespräch unter dem Titel „Das hätte ich gern früher gewusst“. In Deutschland – und anderswo – müssen wir uns vor „Realitätsflucht“ hüten: „Für Europa werden aufgrund der vergangenen zwei Jahre in Zukunft nicht mehr der gemeinsame Markt und Wohlstandsgewinne im Zentrum stehen, sondern Sicherheit. Das ist die Herausforderung, vor der sich jede neue Regierung sieht.“ Was ein „Fauler Friede“ (ein Begriff von Thukydides in seinem „Peleponnesischen Krieg“) bewirkt, hat Sofi Oksanen unter der Überschrift „Manipulierte Gemüter“ etwa eine Woche vor der Russländischen Invasion in der ZEIT beschrieben: ein Leben unter den Bedingungen der damaligen Sowjetunion beziehungsweise Putins. Das hieß früher einmal „Finnlandisierung“ und wäre nicht mehr und nicht weniger als ein Schritt in ein schleichendes Verschwinden der freiheitlichen europäischen Demokratien.
  • Taurus zum ersten: In der FAZ veröffentlichten Anton Hofreiter und Norbert Röttgen am 11. März 2024 einen Gastbeitrag mit dem Titel „Der katastrophale Defätismus des Kanzlers“. Sie kritisieren die Argumentation von Olaf Scholz, der Putin in die Hände spiele, beginnend mit der Formel, er befürchte einen Atomschlag Putins, den er verhindern wolle. Ein Atomschlag wäre – so die beiden Autoren – jedoch unwahrscheinlich, da Putin dann die Unterstützung Chinas zu verlieren drohe und auch mit einer wie auch immer gearteten Reaktion der USA rechnen müsse: „Für Putin ein Fest. Er brauchte im Grunde gar nichts zu machen, Deutschland schreckte sich selbst ab.“ Bei seinem letzten USA-Besuch betonte Scholz, was es bedeute, wenn die Unterstützung der USA ausfalle. „Scholz’ Rhetorik macht uns schwächer, als wir sind.“ Das Plädoyer der beiden Autoren: „An dem unbedingten Willen, dass wir die Ukraine und damit unsere Werte und Interessen nicht aufgeben, darf nicht der geringste Zweifel entstehen. Wir teilen die Sorge des Kanzlers vor einer Eskalation des Krieges. Doch sein Vorgehen riskiert genau das. Wenn wir die Ukraine jetzt nicht konsequent unterstützen, fühlt sich Putin ermutigt, weitere Länder zu überfallen. Nur wenn klar wird, dass dieser Krieg militärisch nicht gewonnen werden kann, wird Russland zu Verhandlungen bereit sein.“
  • Taurus zum zweiten: Der ZEIT-Journalist Mark Schieritz würde – ebenso wie die Toni Hofreiter und Norbert Röttgen – den Taurus, um den es zurzeit immer wieder geht, liefern. Er widerspricht aber dem Ton der beiden, der vor allem in dem Begriff des „Defaitismus“ deutlich werde. In seinem Beitrag „Die Legende vom Friedenskanzler“ plädiert er sinngemäß dafür, die sprichwörtliche Kirche im Dorf zu lassen. Deutschland steht bei der militärischen Zulieferung an die Ukraine nach den USA an zweiter Stelle, versorgt die größte Zahl ukrainischer Geflüchteter. „Es würde der Diskussionskultur guttun, wenn bei abweichenden Meinungen nicht immer gleich niedere beziehungsweise wahltaktische Motive vermutet würden. Denn manchmal ist man anderer Meinung, weil man anderer Meinung ist. Das gilt nicht nur für die Ukraine-Politik.“
  • Taurus zum dritten: In einer Konferenz von Tagesspiegel, ZEIT; Wirtschaftswoche und Handelsblatt sprachen am 19. März 2024 Christian Tretbar und Horst von Buttlar mit Olaf Scholz. In dem Gespräch sagte der Bundeskanzler erheblich mehr als sich aus der Ankündigung des Gesprächs erschließen ließe. Er bezeichnete die Debatte um den Taurus als „lächerlich“ und „peinlich“, viele Debatten seien „Befindlichkeitsdiskussionen“. Er verwies darauf, dass Deutschland die Ukraine erheblich unterstütze und dies auch weiterhin tun werde. Er nannte die Versäumnisse der Vergangenheit und den logistischen Aufwand, der zu betreiben sei, um die vor Jahren mehr oder weniger eingestellte Waffenproduktion wieder neu aufzubauen. Eine Lösung für den Krieg um die Ukraine gebe es erst, wenn Russland seine Truppen zurückziehe. Nur so sei „ein fairer Frieden“ möglich, der eben „kein Diktatfrieden“ sein dürfe. Wer das Gespräch liest, erfährt auch einiges zu Wirtschaftslage, Wohnungspolitik und Migration. Ein Beispiel: „Wir müssen unsere guten Ausgangsbedingungen nutzen und dürfen den Wohlstandszuwachs des globalen Südens nicht als Gefahr begreifen, sondern als Chance. Die aufstrebenden Länder Asiens loben uns für deutsche Direktinvestitionen. Nur in Deutschland heulen wir, dass es Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Ausland gibt. Eigentlich stand mal in den Lehrbüchern: Das ist ein Erfolgsnachweis einer Volkswirtschaft!“ Sehr hübsch auch der kleine Ausflug des Bundeskanzlers in die Satire, als er den Hamburger Kaufmannsspruch zitierte, dass das Geschäft des Kaufmanns die Klage sei. Nicht nur des Kaufmanns! Was nicht heißt, dass man manche Dinge nicht besser machen könnte, aber leider sind zu viele, auch in den Medien, vor allem an – ich erlaube mir den Ausdruch – Krawall interessiert. Dazu der Bundeskanzler angesichts laut skandierter Zwischenrufe auf der Leipziger Buchmesse: Demokratie sollte niemand mit Gebrüll verwechseln.
  • Demokratie weltweit: Am 19. März 2024 veröffentlichte die Bertelsmann-Stiftung ihren Transformationsindex, ein seit 2003 regelmäßig aktualisiertes Projekt. 2023 belegt die Studie sinkende Zustimmungen zur Demokratie und wachsende Zustimmung zu autoritären Politikern, weltweit. Es ließe sich allerdings auch darüber nachdenken, warum Staaten wie der Iran oder Russland überhaupt Wahlen durchführen. Offenbar braucht die Bevölkerung den Anschein von Demokratie und vielleicht sind gerade in diesem Punkt autoritäre und totalitäre Systeme anfällig? Vor allem diejenigen, denen Demokratie vorenthalten wird, schätzen sie, während in demokratischen Ländern mitunter das sogenannte Tocqueville-Paradox zu wirken scheint. Verschiedene Studien belegen immer wieder, dass die Mehrheit die Demokratie befürwortet, aber manche darunter verstehen, dass diese nur bestehe, wenn ihre Forderungen vollständig und unverzüglich umgesetzt würden. Für manche scheint es durchaus denkbar, Elemente der Demokratie und einer autoritären Diktatur miteinander zu verbinden.
  • Antisemitismus: Im Leitartikel der Ausgabe von Politik & Kultur von März 2024 schreibt Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main, angesichts der jüngsten antisemitischen An- und Übergriffe aus und in der Kulturszene, nicht zuletzt während der Berlinale, neue administrative Maßnahmen hülfen nicht weiter, es bräuchte hingegen mehr Fortbildung, finanzielle Anreize für Aufarbeitung, Beteiligung von antisemitismuskritischer Expertise bei Besetzungsverfahren und eine Bündelung der Zuständigkeit in der Bundesregierung (und möglichst auch in Landesregierungen). Wichtig sei auch eine ehrliche Sicht der Geschichte des Antisemitismus in Deutschland. Parolen der Hep-Hep-Krawalle von 1819 wurden während der Al-Quds-Demonstrationen in Berlin wieder aufgegriffen.
  • Antisemitismus unter Studierenden: Die Bundesforschungsministerin hat am 14. März 2024 die Ergebnisse einer von ihr in Auftrag gegebenen Studie vorgestellt. Auftragnehmer waren Thomas Hinz, Anna Marczuk und Frank Multrus, Universität Konstanz. Vollständiger Titel „Studentisches Meinungsklima zur Gewalteskalation in Israel und Gaza und Antisemitismus an deutschen Hochschulen“. Hintergrund war die nach dem 7. Oktober 2023 deutlich gestiegene Zahl antisemitischer An- und Übergriffe an Hochschulen. Befragt wurden 2.300 Studierende in einer Rapid-Response-Studie. Die Ergebnisse konnten mit einer gleichzeitig durchgeführten Bevölkerungsumfrage verglichen werden. „Während die überwiegende Mehrheit der Studierenden den Überfall der Hamas auf Israel als grausamen Terrorakt bewertet, ordnet eine Gruppe von etwa zwölf Prozent den Angriff der Hamas als einen als legitim empfundenen Befreiungskampf Palästinas ein.“ Interessant ist, dass allgemeiner Antisemitismus in der gesamten Bevölkerung stärker vertreten ist als unter Studierenden, während israelbezogener Antisemitismus etwas gleich hoch angesetzt werden kann. Etwa drei Viertel lehnen in beiden Studien BDS ab. Andererseits darf als problematisch eingeschätzt werden, dass etwa ein Viertel dies nicht tut. Das entspricht auch den Ergebnissen der Verurteilung beziehungsweise Ablehnung von Hamas. Etwa ein Viertel der Studierenden ist zumindest anfällig für Radikalisierung. Die Zahl der überzeugten BDS-Unterstützer:innen liegt bei etwa 10 Prozent. Ein weiteres wichtiges Ergebnis: „Jüdische und muslimische Studierende nehmen Diskriminierung durch andere wegen ihrer jeweiligen Religionszugehörigkeit allgemein und bei sich selbst deutlich überproportional wahr. Für die Diskussion um Diskriminierung und Rassismus an Hochschulen bedeutet dies, diese subjektiv wahrgenommene Komponente heranzuziehen, wenn das Vorkommen von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit thematisiert wird.“ Das Bedrohungsgefühl jüdischer Studierender ist deutlich höher als in der Bevölkerung beziehungsweise unter Kommiliton:innen angenommen. Die Verfasser:innen der Studie plädieren unter anderem unter Berufung auf Michael Brenner für eine stärkere wissenschaftliche Beschäftigung mit den Hintergründen im Hochschulkontext. Fazit: Kein Anlass zu Entwarnung.
  • In Tirol steht die Brandmauer gegen rechts: Während ÖVP-Politiker:innen in Salzburg und in Niederösterreich nach der Wahl ihr Versprechen brachen, nicht mit der FPÖ zu koalieren, koaliert Anton Mattle in Tirol mit der SPÖ. Im Gespräch mit Cathrin Kahlweit in der Süddeutschen Zeitung sagte er über sich: „Ich bin ein umweltbewusster Schwarzer.“ Die FPÖ sei weder mit noch ohne Herbert Kickl für ihn als Koalitionspartner akzeptabel: „Für mich braucht es bei einem Koalitionspartner immer auch ein ganz klares Bekenntnis zu Europa. Jetzt haben wir in der EU zum Beispiel so lange über Sky Shield (ein Projekt für ein verbessertes europäisches Luftverteidigungssystem, Anm. der Red. der SZ) debattiert. Wir bekennen uns dazu, denn wir allein können uns nicht schützen, wir brauchen Partner. Und da wäre es schon wertvoll, wenn alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier das mittragen. Die FPÖ trägt das nicht mit, was ich überhaupt nicht verstehe.“ Von der Bundespartei der ÖVP hebe er sich ab: „Zu meinen Prinzipien gehört ein positiver Zugang zur Wissenschaft und ein hohes Engagement in der Frage der Klimaveränderung. Ich setze stark auf die Energiewende und auf Energieautonomie.“ Der SPÖ-Chef Andreas Babler mache es ihm mit seinem betont linken Kurs schwer, er suche jedoch „Partner der Mitte“. In Tirol funktioniere die Koalition von ÖVP und SPÖ gut.
  • Weimarer Dreieck: Das Weimarer Dreieck als Konsultationsformat Deutschlands, Frankreichs und Polens (die Länder in alphabetischer Reihenfolge genannt) galt lange Zeit als tot. Inzwischen gibt es wieder Versuche, es wiederzubeleben. Das Deutsche Polen-Institut dokumentierte diese Versuche in einem Podcast unter dem Titel „Totgesagte leben länger“. Autor:innen sind Agnieszka Łada-Konefał, Bastian Sendhardt und Peter-Oliver Loew. Sie berichten von den ersten Treffen von Donald Tusk mit Emmanuel Macron und Olaf Scholz. Am 12. Februar 2024 wurde eine Presseerklärung veröffentlicht, in der unter anderem für die nächste Zukunft ein erweitertes „Weimar + Ukraine“-Treffen angekündigt wurde. Zentrale Punkte sind „Frieden und Sicherheit“, „Europäische Souveränität“ und „Solidarität“ auf allen Ebenen, auch in Jugend- und Kulturpolitik. Kommunen sollen in das Format einbezogen werden. Am 15. März trafen sich Macron, Scholz und Tusk erneut.
  • Dokumentationszentrum NSU-Morde: Die Aufarbeitung der NSU-Morde ist nach wie vor nicht abgeschlossen und enthält noch viele offene Fragen. Roman Deininger und Uwe Ritzer berichteten unter der Überschrift „Zentrale für neue Wachsamkeit“ in der Süddeutschen Zeitung von einer inzwischen vorliegenden Machbarkeitsstudie der Bundeszentrale für politische Bildung: „Weder dem aufwendigen NSU-Strafprozess noch 15 Untersuchungsausschüssen im Bundestag und in den Landtagen sei es gelungen, ‚das zerstörte Vertrauen‘ der Angehörigen ‚in staatliche Institutionen wieder aufzubauen‘.“ Das 47seitige Papier der Bundeszentrale sei eine „Dokumentation des Staatsversagens“. Bis 2030 soll ein Dokumentationszentrum errichtet werden. Ziele sind Aufarbeitung, Erinnerung und Bildung. Dabei soll der Rechtsterrorismus seit 1945 berücksichtigt werden. Ein noch zu lösendes Problem ist die diverse und diffuse Dokumentenlage. Die Dokumente sind über ganz Deutschland gestreut und müssen zusammengeführt werden, auch mit dem Ziel, verlässliche Forschung zu ermöglichen. Die Angehörigen der Opfer sollen beteiligt werden.
  • Literaturfestival in Odessa: Der Tagesspiegel veröffentlichte die Eröffnungsrede des rumänischen Autors Radu Vancu zum Internationalen Literaturfestival Odessa. Das Festival fand wegen des Krieges in den Räumen des Goethe-Instituts in Bukarest statt. Radu Vancu beginnt unter anderem mit einer Feststellung von Amos Oz: Im Dezember 2016 stellte Amos Oz verbittert fest, dass uns das Erbe Hitlers und Stalins nicht mehr entsetzt; daher der Impuls, ihre totalitären, anti-demokratischen Ideologien neu zu versuchen.“ Vancu bezeichnet Putin als „das vollendete Abbild dieses militaristischen Egos“. Er zitiert mehrere Autor:innen und Künstler:innen, die ein Zeichen für Menschlichkeit gaben, von Walter Benjamin über den 1944 von den Deutschen ermordeten Miklós Radnóti und dem sein ganzes Leben traumatisierten Paul Celan bis zu den von den russländischen Truppen ermordeten ukrainischen Autor:innen Volodimir Vakulenko und Viktoria Amelina. Sein Fazit: „Genau das ist die Welt, die wir mit unseren Worten erbauen müssen: Eine Welt, in der die Worte nicht dazu benutzt werden, Vernichtungsideologien zu entwerfen. Eine Welt, in der, ganz im Gegenteil, die Worte Zeugnis gegen die Unmenschlichkeit ablegen. Die bezeugen, dass Menschen umgebracht werden können – aber nicht zerstört. Bezeugen im Dienst der Mitmenschen, und nicht der Ideologien.“
  • Iranische Künstlerinnen: Am 8. März verpassten so manche, die sich einer feministischen (Außen-)Politik verschrieben hatten, leider auch die deutsche Bundesaußenministerin, die Gelegenheit, sich zur Lage von Frauen und Mädchen im Iran zu äußern. Am 10. März 2024 wurde auf mehreren Presseportalen gemeldet, dass zwei Frauen in Teheran verhaftet wurden, weil sie in der Öffentlichkeit getanzt hatten. Umso wichtiger ist es, dass in den Qualitätsmedien iranische Autor:innen nach wie vor Gelegenheit erhalten, sich zu äußern. Für die Süddeutsche Zeitung sprach Johanna Adorján mit Shirin Neshat, die in ihren Werken „radikale, rebellische Frauen“ Im Jahr 2009 erhielt sie für den Film „Frauen ohne Männer“ in Venedig den Silbernen Löwen. Eine Botschaft der Hoffnung: „Es interessiert mich nicht mehr, die Welt in zwei Lager zu teilen. Ich möchte mich daran nicht mehr beteiligen. Dazu ist mir das menschliche Leben zu wichtig. Menschlichkeit. Wir sollten alle weniger hassen. Das Gegenteil von Wut ist Liebe und Mitgefühl. Davon brauchen wir mehr in dieser Welt.“ Texte iranischer Autorinnen im Exil veröffentlicht regelmäßig das Programm „Weiter Schreiben“, das erst kürzlich im Demokratischen Salon portraitiert wurde, beispielsweise Texte von Atefe Asadi, Autorin, Übersetzerin und Songwriterin.
  • Kinder des Widerstands: So nennt sich eine Organisation, die im Rahmen der VVN-BdA gegründet wurde. Zentrales Anliegen ist die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand 1933 bis 1945. Die Mitglieder engagieren sich in örtlichen Initiativen der Erinnerungskultur, gehen in Schulen oder halten Vorträge bei zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Kirchen und Gewerkschaften. Mehrere Broschüren geben einen Einblick in die Arbeit und benennen vor allem lokale Bezüge, beispielsweise im Ruhrgebiet, im Bergischen Land oder in Düsseldorf. Die Organisation wird unter anderem aus Mitteln der Landeszentrale für politische Bildung NRW unterstützt.
  • Lateinamerika: Die Ausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ vom März 2024 enthält mehrere Beiträge zu Entwicklungen in lateinamerikanischen Staaten, von Ferdinand Muggenthaler über „Ecuador und die Autokratie der Kartelle“, von Sandra Weiss über „El Salvadors ‚cooler Diktator‘: Bukele als Prototyp?“ und von Emma Schrade über „Mexikos ‚Tren Maya‘: Prestigeprojekt auf Kosten der Natur“. Ecuador und El Salvador sind nur zwei Beispiele für den Trend zu einer ausgesprochen repressiven Kriminalitätsbekämpfung in lateinamerikanischen Staaten. In El Salvador reduzierte der mit 84 Prozent der Stimmen wiedergewählte Präsident Nayib Bukele die Mordrate erheblich, unter anderem, indem er zwei Prozent der männlichen Bevölkerung einsperrte (El Salvador hat auch eines der restriktivsten Gesetze gegen Schwangerschaftsabbrüche, in den Gefängnissen sitzen auch Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten). Ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Ecuador leidet unter dem Zugriff der verschiedenen Akteure der Kokain-Mafia und Präsident Daniel Noboa Azín orientiert sich zunehmend am Vorbild Bukeles. Wie sich die Gefängnisse in beiden Ländern zu „neuen Keimzellen noch brutalerer Gangs“ entwickeln könnten, ist eine offene Frage. Der scheidende linksautoritäre mexikanische Präsident Andres Manuel López Obrador (AMLO) ignoriert beim Bau des „Tren Maya“, einer Verbindung zwischen den beiden Meeren, sämtliche ökologisch negativen Auswirkungen, hat aber auch versucht, die Auswirkungen seiner neoliberal inspirierten Politik durch umfangreiche Sozialprogramme zu kompensieren. Seine voraussichtliche Nachfolgerin Claudia Sheinbaum wird diesen Kurs fortsetzen, aber möglicherweise wird sie mehr als AMLO auf eine „ernsthafte demokratische Beteiligung“ achten.
  • Restitution „geraubter“ Kunstgüter: Die Ausgabe für April 2024 des Merkur enthält zwei Essays, die die Frage der Restitution von Kunstgütern differenzierter darstellen als das in der Regel in ausschließlich antikolonialistisch motivierten Debatten der Fall ist. Florian Ebeling beschreibt in „Postkoloniale Ägyptologie“ die „Gratwanderung“ von Ägyptolog:innen in einem Land, dessen Regime seine eigene „Gedächtnisgeschichte“ Aber wer sind überhaupt „die Ägypter“? Die Forschung sucht Wege „zwischen Diplomatie und Komplizenschaft“ in einem Mexican stand-off von missglücktem Postkolonialismus, strukturellem Rassismus und latentem Essentialismus“. Aber vielleicht ergibt sich daraus eine „Möglichkeit zur hermeneutischen Sensibilisierung, zur Anerkennung der Vielheit, Geformtheit und Wandelbarkeit der Geschichte.“ Richard Schuberth analysiert die Geschichte um „Lord Byron und die Elgin Marbles“. Er erörtert Fragen, wer zu welcher Zeit ein Interesse an dem Parthenon und den berühmten Skulpturen hatte, die Lord Elgin nach London brachte und dort zunächst in einem von Byron als „stone shop“ ironisiertem Gebäude unterbrachte, bevor sie im British Museum landeten. Griechisch-orthodoxe Kirche, osmanisches Reich und zahlreiche weitere Akteure hatten unterschiedliche Interessen, oft auch ein ausgeprägtes Nicht-Interesse, mitunter ein rein pekuniäres Interesse beim Verkauf von Kulturgütern an interessierte Europäer, die für die lokale Bevölkerung keinen sonderlichen Wert besaßen, ihnen oft noch nicht einmal gehörten. „Unzählig sind die Fallstricke, in die ein naiver Antirassismus besonders gerne in der Frage der Raubkunst tappt.“ Im Falle der Elgin Marbles ist nichts so eindeutig wie bei den Benin-Bronzen, obwohl auch dort die Rückgabe im Grunde an die Falschen geriet, an den Staat Nigeria statt an die „Nachkommen des Oba, des Königs des historischen Benin“.
  • Ein Palästinenser für den Frieden: Der Arzt Izzeldin Abuelaish lebt in Kanada. Er war der erste palästinensische Arzt in einem israelischen Krankenhaus. Quynh Tran hat ihn für die FAZ portraitiert, Birgit Schmid für die NZZ. Izzeldin Abuelaish verurteilt das Massaker vom 7. Oktober 2023, bei den Gegenschlägen der IDF hat er 25 Verwandte verloren. „Die Trauer bekräftigt dabei seinen Wunsch nach Frieden und einer politischen Lösung für den Konflikt nur umso mehr. Neulich war er in Brüssel, um im EU-Parlament und in der Europäischen Kommission für diplomatische Perspektiven zu werben.“ Er wird auch der „Martin Luther King des Nahen Ostens“ Während des Krieges berichtet er regelmäßig live in einem israelischen Fernsehsender. Seine Autobiographie erschien 2011 bei Bastei-Lübbe, Titel der deutschen Übersetzung: „Du sollst nicht hassen: Meine Töchter starben, meine Hoffnung lebt weiter“. Er gründete nach dem Tod seiner Töchter Bessan, Mayar und Aya sowie seiner Nichte Nur die Stiftung „Daughters for Life“, „um junge Frauen im Nahen Osten durch Bildungsprogramme zu unterstützen und ihnen das Gespräch und den Austausch in den palästinensischen Gebieten und benachbarten arabischen Staaten zu ermöglichen, aber auch in Israel selbst.“
  • Eine palästinensische Pastorin in Jerusalem: Für die ZEIT portraitierte Johanna Haberer die Pfarrerin Sally Azar, die vom Ölberg in Jerusalem für den Frieden predigt: „Die traut sich was“. Sie „ist eine Ausnahmefigur der protestantischen Kirche. Sie ist die erste Pastorin in der evangelischen arabischen Gemeinde, gerade einmal 27 Jahre alt. Als ich sie kennenlernte, beamte es mich für einen Augenblick in eine Zeit zurück vor über vierzig Jahren, als ich in Bayern als eine der ersten Frauen offiziell ins geistliche Amt ordiniert wurde.“ Sie predigt in arabischer und in englischer Sprache. Studiert hat sie in Göttingen. „In einer Region, in der jeden Tag Raketen fliegen, Bomben fallen, Menschen festgehalten und getötet werden, ist ihr Ansatz ein radikaler: beide Seiten zu sehen. Doch diese Haltung hat ihren Preis.“ Sie wendet sich gegen den „Bekenntniszwang“, sich für eine von zwei Seiten entscheiden zu müssen. Eine ihrer Freundinnen ist die Rabbinerin der liberalen jüdischen Gemeinde. „Sie glaubt, dass die Verwerfungen zwischen Juden und Muslimen immer nur ein Vorwand sind für den Streit um politische Ansprüche. Deshalb hält sie es für die Aufgabe der christlichen Gemeinden, hinter dem religiösen Gestus der verfeindeten Parteien die politische Agenda zu entlarven.“
  • Palästinensische Stimmen gegen die Hamas: Im Rahmen des Projekts „Voices of Gaza“, dokumentiert von mena-watch, sprach Manar al-Sharif mit Palästinenser:innen, die sich gegen die Hamas und für eine zivile Verwaltung in Gaza aussprechen. Verantwortlich für jedes Leid ist und bleibt die Hamas. Wer sich ihr widersetzt, riskiert sein Leben, so ein Bruder einer der Gesprächspartnerinnen, der 2007 von der Hamas hingerichtet wurde, weil er die PLO unterstützte. Die Gesprächspartner:innen bleiben anonym, weil sie sonst Verfolgung durch die Hamas erwartet. Manar al-Sharif hatte sich in Gaza für das Gaza Youth Mouvement engagiert, bis sie von der Hamas ausgewiesen wurde. Ein Gegenbild dokumentiert Thomas von der Osten-Sacken, der den militärischen Hamas-Führer Yahya Sinwar zitiert, der offen sagt, dass eine steigende Zahl von palästinensischen Opfern Israel unter Druck setze, anders gesagt: „Humanitäre Krise als strategische Waffe“. Zu diesem Thema äußerte sich auch Ben Segenreich, Mena-Watch- und ehemaliger ORF-Korrespondent.
  • Kritischer Journalismus in Israel: Für den Tagesspiegel sprach Tilman Schröter mit Aluf Benn, Chefredakteur von Haaretz, der sagte: „So etwas wie den 7. Oktober hat es noch nie gegeben. Ganz zu schweigen von der Entführung einer großen Zahl von Menschen, darunter Frauen, Kinder und Babys. Es entstand ein Gefühl der Verwundbarkeit, das die gesamte Gesellschaft bis heute durchdringt.“ Dies in einer Zeit, in der die israelische Gesellschaft „zwischen Anhängern und Gegnern der Regierung und ihres Justizputsches ohnehin zerrissen war.“ Der Hass bestehe nach wie vor, nicht zuletzt wegen der Weigerung der Ultraorthodoxen, sich der Wehrpflicht zu unterwerfen. Der Krieg wird von einer Mehrheit unterstützt, allerdings sehen das liberale und das rechte Lager unterschiedliche Prioritäten. Hinzu komme, „dass die Kluft zwischen Juden und Arabern in Israel immer größer wird.“ Das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza spielt in den israelischen Medien nur eine untergeordnete Rolle, bei vielen dominiert „ein Gefühl der Rache“: „Die Feinde – der Iran, die Hisbollah, die Hamas und andere – haben gesehen, wie Israel durch den Justizputsch Netanjahus und die Proteste dagegen von innen heraus zerrissen wurde. Deshalb nenne ich es Selbstzerstörung, denn ich denke, dass Israel und in noch größerem Maße die aktuelle Regierung den Krieg durch ihre Politik gegenüber den Palästinensern über uns gebracht hat. Die Palästinenser bekommen keinen Respekt, keine Würde und keine Anerkennung für ihre Bestrebungen.“ Niemand wisse im Grunde, wie es weitergehen könne und was nach dem Krieg geschehen solle.
  • Eritrea: Über Eritrea erfahren wir in Deutschland nur selten Substanzielles. In den Medien wird über das Land in der Regel nur dann berichtet, wenn in Deutschland, in den Niederlanden oder in anderen europäischen Ländern lebende Eritreer:innen sich gegenseitig angreifen, Oppositionelle gegen Vertreter:innen der eritreischen Diktatur. Safiye Can und Hakan Akçit haben auf der Seite der Heinrich Böll Stiftung ein Gespräch mit der eritreischen Dichterin Yirgalem Fisseha Mebrahtu veröffentlicht, die nach sechs Jahren in einem eritreischen Gefängnis im Jahr 2018 nach Deutschland kam: „Zwischen Heimat und Exil“. Soeben erschienen ist ihr neues Buch „Freiheit in Briefen“, das sie gemeinsam mit Tanja Kinkel gestaltete (Akono Verlag, 2023). Gedichte von Yirgalem Fisseha Mebrahtu wurden im Wunderhorn-Verlag veröffentlicht. Die Gedichte des Bandes „Ich bin am Leben“ hatte sie im Gefängnis geschrieben. Im November 2023 erhielt sie „für ihren beeindruckenden Einsatz gegen undemokratische Strukturen“ den von der Stadt München verliehenen Georg Elser Preis. Sie beschreibt die Zustände des Lebens in Eritrea sowie des Lebens von Menschen aus Eritrea im europäischen Exil. „Eine der größten Herausforderungen, mit denen ich nach meiner Entlassung aus dem Gefängnis konfrontiert wurde, war die Begegnung mit den Familien der Gefangenen. Könnt ihr euch das vorstellen? Es hat mich gequält! Worüber soll man mit den Familien sprechen, wenn man ihnen nicht sagen kann, wo sich ihre Angehörigen aufhalten, die seit vielen Jahren verschwunden sind? Sie wollen zwar wissen, wie der Alltag im Gefängnis aussieht, aber ich kann ihnen nicht erzählen, was ich dort erlebt und gesehen habe. Ich weiß, dass es sie verletzen wird.“
  • Atomkraft: Deutschland bräuchte Atomkraftimporte aus Frankreich, dies ist eine der Erzählungen, mit denen sich CDU, CSU und FDP gegen SPD und Grüne zu profilieren versuchen. Für ZEIT Online belegt Annika Jöres, dass die Erzählungen rund um die Atomkraft nicht stimmen. Atomstrom aus Frankreich ist nicht billig, Deutschland ist nicht auf französischen Atomstrom angewiesen, Frankreich ist durch Atomstrom nicht unabhängig, sondern äußerst abhängig von Uran-Lieferungen aus dem Niger und vom russischen Konzern Rosatom, die Akzeptanz von Atomstrom in der französischen Bevölkerung dürfte angesichts absehbar steigender Preise sinken. Zum Schwur käme es, wenn die Verfechter:innen der Atomkraft konkrete Orte benennen müssten, an denen ein neues Atomkraftwerk gebaut oder ein abgeschaltetes wieder in Betrieb genommen werden müsste. Abgesehen davon haben sich auch CDU- und CSU-Regierungen immer wieder gegen Atomkraftwerke in der Nachbarschaft gewandt, beispielsweise in Belgien und Tschechien. Und nach wie vor ungeklärt ist die Frage eines Endlagers.

Den nächsten Newsletter des Demokratischen Salons erhalten sie in etwa vier Wochen.

Mit den besten Grüßen verbleibe ich

Ihr Norbert Reichel

(Alle Internetzugriffe erfolgten zwischen dem 14. und 23. März 2024.)

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.