Liebe Freund:innen des Demokratischen Salons,

wir leben in einer Zeit der konkreten Dystopien, in denen es immer schwieriger zu sein scheint, sich auf Utopien einzulassen wie sie vor 75 Jahren die Gründung des Europarates, der Beschluss über das deutsche Grundgesetz und vor 35 Jahren der Fall der innerdeutschen und innereuropäischen Grenzen vermuten ließen. Kim Stanley Robinson zeigt uns im Editorial der Maiausgabe 2024 des Demokratischen Salons unter dem Titel „Dystopien – Jetzt!“, dass wir uns gerade jetzt auf Dystopien einlassen müssen, um uns für Utopien überhaupt öffnen zu können.

Die neuen im Mai 2024 veröffentlichten Texte des Demokratischen Salons befassen sich ausführlich mit den utopisch-dystopischen Dimensionen der Science Fiction, mit den Debatten um Lösungen im Krieg um die Ukraine, dem Booker-Preis für Jenny Erpenbeck, stellen das jüdische und interkulturelle Puppentheater Bubales vor sowie jüdische Gangster in Film und Comics, kritisieren die Rückabwicklung der Kinderbetreuung mit ihren fatalen Folgen für Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit. Erstveröffentlicht wird ein Text der Berliner Autorin Franziska Groszer.

Nach den Kurzvorstellungen dieser Texte finden Sie eine Übersicht der Veranstaltungen unter Beteiligung des Demokratischen Salons, unter anderem im Begleitprogramm einer Ausstellung der Bundeskunsthalle und in den Bonner Tagen des Exils, sowie Vorschläge zum Besuch weiterer Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerbe.

Unter den Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen finden Sie unter anderem Lesestoff zu Kontroversen um unsere freiheitliche Demokratie, mit Verweisen auf Texte von Hedwig Richter, Bernd Ulrich, Markus Meckel und Claudia Gatzka, zu den anti-israelischen und anti-jüdischen Protesten an Hochschulen, darunter unter anderem einen Text von Eva Illouz, einen Beitrag von Eva Menasse sowie Gespräche mit Julia Bernstein und Hanna Veiler. Nach wie vor gilt: Bring Them Home Now, doch daran sind offenbar nicht alle gleichermaßen interessiert, wie Etgar Keret feststellt. Über die islamistischen Demonstrationen in Hamburg spricht unter anderem Mouhanad Khorchide. Eine Reportage dokumentiert Debatten um Bücherverbote in den USA. Beachtenswert die Analysen der deutschen und internationalen Politik von Wolfgang Bauer und Timothy Garton Ash.

Hans Peter Schaefer, der den Demokratischen Salon regelmäßig fotografisch begleitet, hat einen neuen Fotoband veröffentlicht: „Lost in Transition – Stadt – Land – Fluss“, dreisprachig deutsch, englisch, französisch, Fotografien entlang der Maas zwischen Liège und Namur, mit einem Text von Sylvia Böhmer, französische Übersetzung von Mireille Helary, englische von Jana Schaefer. Sylvia Böhmer schreibt: „Fabrikhallen und Gewerbebauten, Zementwerke und Brückenkonstruktionen, Wohnhäuser, verlassene Plätze und Niemandsland, die Eigenwilligkeit von Architektur in einer vom Menschen stark veränderten Landschaft – welche Motive Schaefer auch immer wählt, es sind Orte und Situationen, die man, um mit Stephen Shore zu sprechen, als ‚Uncommon Places‘ bezeichnen würde.“Am 7. Juli 2024, 17 Uhr, findet in der Kulturkneipe der Beueler Brotfabrik die Vernissage einer Ausstellung rund um den Gedichtband „Aus dem Tagebuch eines Autisten“ statt. Vorgestellt werden Gedichte von Norbert Reichel, zusehen sind Bilder von Firouzeh Görgen-Ossouli und Hans Peter Schaefer. Die Ausstellung ist bis zum 7. September 2024 zu sehen.

Die neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Paul Schäfer analysiert nach der kritischen Analyse der „Zeitenwende“ im ersten Teil im zweiten Teil seines Essays den „Streit um Lösungen im Krieg um die Ukraine“. Er beschreibt die Handlungsoptionen der Akteure im „Kampf um zivilisatorische Werte und Institutionen“ und fordert eine „nüchterne Bedrohungsanalyse“. Es gehe nicht um das Ob von Waffenlieferungen, sondern um eine wirksame Strategie, das Wie und Was, auch für die Zeit danach und eine realistische Einschätzung der „Möglichkeiten der Diplomatie“. Im Juni erscheint das dritte Kapitel mit Schlussfolgerungen für die deutsche Friedens-, Verteidigungs- und Rüstungspolitik. (Rubriken: Weltweite Entwicklungen, Osteuropa)
  • Shlomit Tripp gründete das Puppentheater Bubales, es ist „Jüdisch und Interkulturell“ und erzählt Geschichten über das Jüdischsein und über interkulturelle Begegnungen, sei es zwischen Aachen und Bagdad auf der langen Reise Isaaks demsKleinen mit dem Elefanten Abul Abbas zu Karl dem Großen, sei es in den Abenteuern von Shlomo und Ayshe oder in Shlomits Community-Programmen in der Blumenthal-Akademie. Sie erzählt von ihrer wechselvollen Migrationsgeschichte und dem denkwürdigen Verhalten der Berliner Ausländerbehörde sowie darüber, was sich nach dem 7. Oktober für sie und ihr Theater verändert hat. (Rubriken: Jüdischsein, Migration, Kultur)
  • Franziska Groszer kam 1977 aus der DDR nach West-Berlin. Sie wurde zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb eingeladen, fuhr aber nicht. Warum sie nicht fuhr, beschreibt sie in dem Text „Warum nicht Klagenfurt“, der 1979 entstand, aber erst 2021 im RBB vorgetragen und hier im Demokratischen Salon im Jahr 2024 erstmals nachlesbar ist. Es ist auch eine Berliner Geschichte oder vielleicht einfach eine Geschichte über die nicht so einfache Ankunft im westlichen Exil, eine literarische Perle einer Autorin, die in der DDR nicht veröffentlichen durfte, aber im Westen unter anderem mit dem Erich-Kästner-Preis ausgezeichnet wurde. Zugleich ist es ein aufschlussreiches Zeitdokument. (Rubriken: Kultur, DDR)
  • Carla Steinbrecher kommentiert die Reaktionen des deutschen Feuilletons auf die Verleihung des Booker-Preises für Jenny Erpenbeck und ihren Übersetzer Michael Hofmann für „Kairos“: „Über den günstigen Augenblick hinaus“. Sie stellt fest, dass die deutschen Würdigungen der Preisverleihung kaum verstehen, wie sich in den Romanen und Erzählungen Jenny Erpenbecks private und öffentliche beziehungsweise gesellschaftlich-politische Themen ineinander verweben und verstricken. In britischen und US-amerikanischen Hochschulen ist das anders. Dort werden Literatur und Filme zum Thema DDR in hohem Maße geschätzt und beachtet. (Rubriken: Kultur, DDR)
  • Joana Nowotny fragt: „Good Jewish Boys”? In ihrem Essay beschreibt sie die Darstellung von jüdischen Gangstern und ihren Frauen in US-amerikanischen Filmen und Comic Books. Manche ließen sich die Augen vergrößern, die Nase verkleinern, auch ein eigenes Thema im Film. Thematisiert werden Debatten um „jüdische Whiteness“ und „Assimilationstheater“. Wir sehen die Inszenierung jüdischer Toughness und Männlichkeit, durchaus orientiert an Max Nordaus Bild vom „Muskeljuden“ bis hin zu Quentin Tarantinos „Inglorious Basterds“. Die jüdischen Gangster haben ihre nicht immer nur unterwürfigen Geliebten, sind aber immer gute Söhne ihrer Mütter. (Rubriken Jüdischsein, Opfer und Täter*innen)
  • Aiki Mira nähert sich mit Romanen, Erzählungen und Essays einer „Poetik der Queerness“. Queeres Schreiben ist entgrenzendes Schreiben, es ist feministisches Schreiben, der Versuch, die Paradoxien und Verknüpfungen von Geist, Körper und Maschine zu erkunden, es ist posthumanistisch und postkapitalistisch. Aikis Romane sind Utopie und Dystopie zugleich, sie sind politisch ohne zu politisieren. Es geht um viel mehr als einen einzelnen Menschen, es geht um Teams, um Gruppen, um Kollektive, die sich ein Bewusstsein teilen. Queer*-Science-Fiction versteht Aiki als das Genre einer Identitätssuche, die nie zu einem Ende kommt. (Rubriken: Gender, Science Fiction)
  • Fritz Heidorn porträtiert Kim Stanley Robinson: „Ein utopischer Visionär“. Er charakterisiert ihn als „Erzähler des Klimawandels“, beschreibt sein Leben, seinen Werdegang und die ersten literarischen Versuche, seine Verpflichtungen gegenüber Ursula K. Le Guin und Arthur C. Clarke. Er verstand sich immer zugleich als sich wissenschaftlich begründender Umweltaktivist und als Science-Fiction Autor zugleich. In einem Interview sagte er: „Science Fiction ist eher eine Modellierungsübung oder eine Art zu denken.“ Sie ist – wie Fritz Heidorn feststellt – der „Realismus unserer Zeit“, „Zukunftsgeschichte“ und eine Spielart „utopischer Wissenschaft“. (Rubriken: Science Fiction, Weltweite Entwicklungen)
  • Hans Frey befasst sich nach seinen Analysen der Science Fiction im Kaiserreich und in „Weimarer Republik und Nationalsozialismus“ im dritten und letzten Teil seines Essays „Der lange Weg der Öko-Science Fiction“ mit dem „Neustart nach 1945 in Westdeutschland und DDR“. Fortschrittshoffnungen und Fortschrittsängste, Atombombe und der Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“, bewirkten im Westen den Aufstieg grüner Themen auch in der Science Fiction. In der DDR genoss sie Freiräume, die andere literarische Gattungen nicht hatten. Prägend waren die Romane der anglo-amerikanischen Szene. (Rubriken: Science Fiction und Treibhäuser)
  • Norbert Reichel entwickelt in dem Essay „Reale Basis“ Gedankenspiele für eine zukunftsfähige Kinderpolitik. Wir erleben zurzeit ein politisches Desaster in den Debatten um Kindergrundsicherung, Bürokratieabbau, Kinderbetreuung und Pflege, weil kaum jemand kinder-, bildungs- sozial- und wirtschaftspolitische Entwicklungen im Zusammenhang sieht. Der Essay beschreibt, was Debatten um kürzere Arbeitszeiten, die Forderung nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine umfassende und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung miteinander zu tun haben. Geld wäre vorhanden, aber es wird zurzeit vor allem für eine Klientel ausgegeben, die es nicht braucht. (Rubrik: Kinderrechte)

Veranstaltungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons:

  • Mehr Demokratie wagen! Die Deutsche Einheit und das Grundgesetz: Im Begleitprogramm zur Ausstellung „Für Alle! Demokratie neu gestalten!“ findet am 25. Juni 2024, 19.00 bis 21.00 Uhr in der Bundeskunsthalle in Bonn die erste von drei Gesprächsrunden statt. Veranstalter sind Bundeskunsthalle, Gustav-Stresemann-Institut, Bundesstiftung Aufarbeitung und Demokratischer Salon. Teilnehmende sind Markus Meckel, ehemaliger Außenminister der DDR-Regierung 1990, bis 2009 Abgeordneter im Deutschen Bundestag, Christina Morina, Universität Bielefeld, Judith C. Enders, perspektive 3 e.V., und Sandro Witt, Projektleiter Initiative Betriebliche Demokratiekompetenz beim DGB Bundesvorstand. Weitere Informationen zu Inhalt und Tickets (8 EUR, ermäßigt 4 EUR) auf der Internetseite der Bundeskunsthalle. Weitere Begleitveranstaltungen unter dem Label „Mehr Demokratie wagen!“ finden am 28. August, 18.30 Uhr zum Thema Migration und am 1. Oktober, 19.00 Uhr zur Rolle der Künste statt.
  • Bonner Tage des Exils: In der ersten Septemberwoche 2024 beteiligt sich der Demokratische Salon mit drei Veranstaltungen an den Bonner Tagen des Exils (Informationen über alle Veranstaltungen auf der Seite der Körber-Stiftung), am 2. September, 19.00 Uhr, im Gustav-Stresemann-Institut zum Exil von DDR-Autorinnen und -Autoren im Westen (mit Ines Geipel und Franziska Groszer), am 3. September, 19.00 Uhr, in der Beueler Brotfabrik über die Jeckes in Israel (mit Shelly Kupferberg, die aus ihrem Roman „Isidor“ liest, und Esther Gardei vom Bonner Zentrum für Versöhnungsforschung), und am 6. September, 19.00 Uhr, ebenfalls in der Brotfabrik, über die „Grenzenlose Hoffnung“ von Geflüchteten im Exil (Szenische Lesung und Musik mit Alvaro Solar, Cristina Collao und dem Verleger Klaus Farin). Weitere Partner sind unter anderem die Landeszentrale für politische Bildung NRW, die Theatergemeinde Bonn, die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie die Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung. Details und Anmeldemodalitäten folgen demnächst. Die Bonner Eröffnungsveranstaltung der Bonner Tage des Exils am 30. August 2024 wird vom Demokratischen Salon moderiert.
  • Unter Verschluss – Die Dritte Literatur des Ostens: Nach dem Erfolg der szenischen Lesung „Unter Verschluss“ im Oktober 2022 in Bonn gibt es anlässlich des 35. Jahrestags des Mauerfalls eine weitere Veranstaltung am 5. November 2024, 18.30 Uhr in Düsseldorf in der Zentralbibliothek am KAP 1 (Konrad-Adenauer-Platz 1, direkt am Hauptbahnhof) mit Ines Geipel und Franziska Groszer. Ines Geipel stellt die im März 2024 im Lilienfeld Verlag erschienene und erweiterte Neuauflage von „Gesperrte Ablage“ vor. Franziska Groszer liest ihren Text „Warum nicht Klagenfurt“. Axel von Ernst, Verleger des Lilienfeld Verlages, wird das Angebot des Verlages vorstellen. Hier das Programm und weitere Informationen. Partner sind die Düsseldorfer Stadtbibliotheken, Respekt und Mut sowie die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus. Die Veranstaltung wird von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert. (Die ursprünglich für Solingen angekündigte Veranstaltung zum gleichen Thema wird auf das Jahr 2025 verschoben.)
  • KlimaFiktionen 2024: Das Festival findet am 16. November 2024 in Bochum statt. Der Demokratische Salon veröffentlicht seit Februar 2024 Texte rund um das Festival und stellt die Akteur:innen vor, im Februar 2024 Aiki Mira mit dem Manifest „Post-Cli-Fi“, in den Monaten März, April und Mai mit dem dreiteiligen Essay „Der lange Weg der Öko-Science Fiction“ von Hans Frey. Im Juni erscheint ein Essay von Norbert Reichel zum Thema der KI in Star Trek.

Veranstaltungen, Ausstellungen, Wettbewerbe
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  • Photo by STEFAN FRANK/Middle East Images/AFP via Getty Images)

    Ausstellung zur Demokratie in Bonn und Dresden: Die von Johanna Adam, Amelie Klein und Vera Sacchetti kuratierte Ausstellung „Für Alle! Demokratie neu gestalten!“ wurde am 29. Mai 2024 eröffnet. Sie ist bis zum 13. Oktober 2024 in der Bonner Bundeskunsthalle und von Juni bis November 2025 im Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu sehen. Es geht um Wahlen, Parteien, die Beteiligung der Bürger:innen und nicht zuletzt die Frage, ob und wie unsere repräsentative Demokratie durch Formate deliberativer oder direkter Demokratie ergänzt werden könnte. Zu sehen sind künstlerische Annäherungen an die Demokratie, Dokumente und Zeugnisse der politischen Kulturgeschichte, der Architektur und aus Film und Fotografie. Eine grundlegende Frage und eine ebenso grundlegende Antwort: „Braucht die Demokratie ein Update? Haben wir uns zu lange darauf verlassen, dass unsere Demokratie durch nichts zu erschüttern ist? Mit Demokratie ist es nämlich so: Es gibt sie nur, wenn wir fortwährend an ihr arbeiten.“

  • Ostdeutsche Demokraten in der Nachkriegszeit: Unter dem Titel „…denen mitzuwirken versagt war“ bietet die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eine zum Preis von 40 EUR erwerbbare Plakatausstellung, die all den Demokratinnen und Demokraten gewidmet ist, die an der Erarbeitung des Grundgesetzes nicht beteiligt werden konnten, weil sie auf dem Gebiet der SBZ beziehungsweise der DDR lebten. Einige wurden verhaftet, zu hohen Haftstraffen verurteilt oder gar in die Sowjetunion deportiert und dort ermordet. Kuratiert wurde die Ausstellung von Anna Kaminsky und Alexander Frese unter Mitarbeit von Sara Brand und Carlotta Strauch. Die Ausstellung umfasst 20 Tafeln im Format DIN A 1, darunter 15 biografische Tafeln, die jeweils zwei Personen porträtieren. Jede Tafel enthält einen QR-Code, der auf Begleitmaterialien im Internet verweist.
  • Buchmessen in Berlin im Juni 2024: Vom 14. bis zum 16. Juni 2024 finden in Berlin die 21. Linken Buchtage Berlin Es gibt über 30 Veranstaltungen, darüber hinaus Vorstellungen der neuen Produkte linker und unabhängiger Verlage. Vom 28. bis zum 30. Juni findet das von Interkontinental e.V. Berlin kuratierte African Book Festival statt, im Jahr 2024 als Queer-Edition. Es gibt nicht nur Bücher und Begegnungen mit Autor:innen, sondern auch viel Musik. Den jeweiligen Internetseiten sind die Veranstaltungsorte und Ticket-Bestellungen zu entnehmen.
  • Jüdische Fußballkultur: Die Fotoausstellung „Mitten in der Kurve – Jüdische Fan- und Fußballkultur“ findet vom 4. Juni bis 28. Juli 2024 in Leipzig im Capa-Haus (auch Sitz des Verlags Hentrich & Hentrich) statt. Jüdische Fußballfans zeigen ihre Leidenschaft für Fußball und ihren Lieblingsvereins in Fotos und kurzen Statements. Sie wird am 3. Juni 2024, 18 bis 21 Uhr mit einer Podiumsdiskussion eröffnet, in der Ruben Gerczikow, Monty Ott und Felix Tamsut, moderiert von Simon Raulf über jüdische Fan- und Fußballkultur diskutieren. In dieser Veranstaltung werden auch die drei Preisträger:innen des Fotowettbewerbs ausgezeichnet. Ein Projekt des Vereins Netzwerk Jüdisches Leben e.V. in Kooperation mit der CAPA Culture gGmbH, offizieller Beitrag zum Kunst- und Kulturprogramm zur UEFA EURO 2024, gefördert von der Stiftung Fußball & Kultur EURO 2024 gGmbH unter der Dachmarke der Bundesregierung „Heimspiel für Europa“. Nach wie vor lesenswert auch das Sonderheft der Zeitschrift „11 Freunde“ mit den Biographien jüdischer Fußballer sowie die Biographie des in Auschwitz ermordeten Fußballnationalspielers Julius Hirsch von Werner Skrentny (Göttingen, Verlag die Werkstatt, 2013).
  • Science Fiction Club Andymon: In den Räumen des Kulturrings Berlin-Treptow (Ernststraße 14-16, S-Bahnstation Baumschulenweg) trifft sich jeden zweiten Donnerstag im Monat der SF-Club Andymon. Das nächste Treffen findet am Juni 2024, 18.30 Uhr statt, auch wieder als Beitrag zum Kongress der Utopien. Thema ist ein Austausch über „Ein Psalm für die wild Schweifenden“ von Becky Chambers, erschienen bei Carcosa. Alle Termine des Jahres 2024 finden Sie hier. Der Club bietet Informationen und Austausch über aktuelle Themen der Science Fiction, neue Publikationen und Filme, Jahrbücher und Zeitschriften sowie Debatten mit Autor:innen über Texte und Filme vergangener Zeiten.
  • Sachliche Fotografie: Die Ausstellung „Die sachliche Fotografie von Hugo & Karl Hugo Schmölz“ ist bis zum 15. Juni 2024 in der Galerie van der Grinten (Gertrudenstraße 29, 50667 Köln, Mi bis Fr 11-18 Uhr, Sa 12-18 und nach Vereinbarung) zu sehen. Die Ausstellung zeigt ausgesuchte Inkunabeln der Fotowerkstätte Schmölz. Gezeigt werden minimalistisch strenge Aufnahmen, Kinoinnenräume, Treppenhäuser, Industriebauten. Eines der Markenzeichen von Karl Hugo Schmölz (1917-1986) ist die künstlerische und technische Perfektion mit einer zum Teil hyperrealen Schärfe und Tiefe. Er bereitete jede Aufnahme intensiv vor, um nicht nur Oberflächen, sondern auch Raum und Atmosphäre abzubilden. Eine frühere Ausstellung stellte Franz van der Grinten im Demokratischen Salon unter dem Titel „Bestandsaufnahme einer Zerstörung“.
  • Generative Art Summit Berlin: Diese Konferenz findet vom 4.  bis zum 6. Juli in der Berliner Akademie der Künste (Pariser Platz 4) statt und wird von „arts meets science – Stiftung Herbert W. Franke“ organisiert. Thema: „Von der Kamera zur Künstlichen Intelligenz 1954 bis 2024“. Die Konferenz findet in englischer Sprache statt. Unter anderem geboten wird eine wohl seltene oder gar einmalige Veranstaltung mit der Aufführung des malerisch-konzertanten Theaterstücks „Sandfiction 4K: The Orchid Cage“ nach Motiven des Romans „Der Orchideenkäfig“ von Herbert W. Franke sein. Karten zum Preis von 25 EUR.
  • Menschenrecht Pressefreiheit: Die deutsche Sektion von „Reporter ohne Grenzen (RSF)“ feiert 2024 ihr 30-jähriges Bestehen. Initiiert vom Förderkreis des Zentrums für verfolgte Künste und kuratiert von der Fotoredakteurin Barbara Stauss zeigt „Reporter ohne Grenzen“ bis 8. September 2024 im Museum Zentrum für verfolgte Künste die Fotoausstellung „Keine Freiheit ohne Pressefreiheit“. Zu sehen sind Arbeiten von sechs internationalen Fotojournalist:innen aus Myanmar (anonym), Violetta Savchits aus Belarus, Andrès Cardona aus Kolumbien, Gilles Sabré aus China, Anoek Steketee aus Ruanda sowie Miguel Angel Sánchez und Nuria Tesón aus Ägypten.
  • Gewalt gegen die Demokratie: Die Topographie des Terrors zeigt bis zum 1. September 2024 die Ausstellung „Gewalt gegen Weimar“. Anschließend ist die Ausstellung auch in Hamburg und in Weimar zu sehen. Es geht um die Zeit zwischen 1918 und 1923: „Sie macht sichtbar, wie Extremisten und Separatisten die Weimarer Republik an den Rand eines Bürgerkriegs brachten, mit welch drastischen Mitteln der Staat vorging und wie Sprache und Literatur der Zeit auf die Brutalität der Ereignisse reagierten. Zugleich stellt die Ausstellung die Frage nach den Kontinuitätslinien einer langen Geschichte politischer Gewalt in Deutschland – von der Weimarer Republik über die NS-Zeit bis heute.“ Das von Martin Sabrow herausgegebene Buch „Gewalt gegen Weimar – Zerreißproben der frühen Republik 1918 bis 1923“ erschien 2023 im Wallstein-Verlag. Es gibt ein attraktives Begleitprogramm, am 11. Juni 2024 zum Thema „Hassen lernen“ und am 16. Juli 2024 mit dem Titel „Weimar und wir?“ Alle Veranstaltungen jeweils um 19 Uhr und im Livestream. Mit Martin Sabrow diskutieren Heiko Biehl, Andreas Braune, Silke Fehlemann, Alexander Gallus, Eva Högl, Heike Kleffner, Franka Maubach, Sönke Neitzel, Mike Schmeitzner und Benjamin Ziemann.
  • Sandra del Pilar in Halle an der Saale: Sandra del Pilar lebt in Cuernavaca (Mexiko) und in Soest. Ihre Arbeit ist im Demokratischen Salon präsent, im Titelbild der Rubrik „Opfer und Täter*innen“, in Gesprächen und Texten über ihre Arbeit, zuletzt über die Geschichte der Malintzin, die die mexikanische Geschichte und vielleicht auch manche Kolonialgeschichte in einem neuen Licht erscheinen lässt. Vom 21. Juli bis zum 13. Oktober 2024 ist in Halle an der Saale, im Kunstmuseum Moritzburg, die Ausstellung „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten“ (Bertolt Brecht) zu sehen. Kuratorin ist Manja Wilkens. In der Ankündigung der Ausstellung heißt es: „Die Ausstellung möchte den Blick auf eine interessante Position einer ‚postautonomen‘ Malerei lenken, die selbstsicher und ästhetisch präzise die Themen unserer Zeit ins Bild setzt und reflektiert. Die für die Ausstellung vorgesehene Werkauswahl aus den letzten 20 Jahren soll einen Beitrag dazu leisten, den Begriff der Malerei erneut zu hinterfragen und zu präzisieren, und die Frage aufwerfen, ob das, was uns Gemälde heute zu sagen haben, tatsächlich so ungehört verhallen muss, wie einst der Ruf der antiken Seherin Cassandras.
  • Ergreifung und Prozess Adolf Eichmanns: Im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst (SMÄK) ist jetzt bis zum 4. August 2024 die Ausstellung „Operation Finale“ unter dem Titel „How To Catch A Nazi“ zu sehen. Sie zeigt, wie der israelische Geheimdienst Mossad und der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Jahr 1960 Adolf Eichmann in Argentinien ausfindig machten, wie seine Entführung nach Israel durchgeführt und wie ihm schließlich der Prozess gemacht wurde. Es war der erste große Prozess, in dem Opfer des Holocaust vor der Weltöffentlichkeit Zeugnis von den Verbrechen der Nazis ablegten. Die Ausstellung ist eine Multimedia-Ausstellung. Sie stammt aus Israel und den USA und wurde von der Adolf Rosenberger gGmbH und dem SMÄK erstmalig nach Deutschland gebracht. Der Film „Operation Finale“ ist auch bei Netflix im Programm. Weitere Informationen zur Ausstellung siehe auch in dem im Demokratischen Salon veröffentlichten Gespräch mit Christoph Rückel.
  • Autorinnen: Die Gruppe 47, die von vielen als die Wiege der westdeutschen Literatur nach Krieg und Gewaltherrschaft gilt, war ein Männerclub. Es ist das Verdienst von Nicole Seifert, 15 Autorinnen der Gruppe 47 in ihrem Buch „einige Herren sagten etwas dazu“ (Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2024) eine Stimme zu geben, darunter beispielsweise Ilse Schneider-Lengyel, Ilse Aichinger, Ingeborg Drewitz, Gisela Elsner, Christa Reinig und Renate Rasp. Der Titel ist ein Kommentar von Ingeborg Bachmann nach einem der Gruppentreffen. Das Literaturhaus München widmet Ingeborg Bachmann die Ausstellung „Ich bin es nicht. Ich bin’s.“, die Antje Weber in der Süddeutschen Zeitung Im Zentrum der Ausstellung stehe Bachmanns Satz: ‚Ich existiere nur, wenn ich schreibe.‘“ Die Ausstellung ist bis zum 3. November 2024 zu sehen. Es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm mit mehreren Feierabendführungen. Lesenswert zu diesem Thema auch das Buch von Ines Geipel „Zensiert, verschwiegen, vergessen“ über zwölf ostdeutsche Autorinnen der Zeit von 1945 bis 1989 (Düsseldorf, Artemis & Winkler, 2009).
  • Jugendsubkulturen in der DDR: Die Ausstellung „Heavy Metal in der DDR“ beleuchtet anhand originaler Objekte von Bands und Fans, Fotografien sowie Stimmen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die mutmaßlich größte Jugendsubkultur in der DDR. Die Ausstellung ist im Museum in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg (Knaackstraße 97) bis Februar 2025 zu sehen (Di-Fr 9-18 Uhr; Sa, So, Feiertage 10-18 Uhr, Eintritt frei).

Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen
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  • Demokratie ist nicht Demoskopie
    : Für den Tagesspiegel sprach Ruth Ciesinger mit Hedwig Richter unter anderem über die „Ambivalenz der Demokratiegeschichte“. Gegenstand war auch das von Hedwig Richter gemeinsam mit Bernd Ulrich veröffentlichte Buch „Demokratie und Revolution“ (Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2024). Klimawandel, Artensterben, Armut gefährden die Demokratie, doch reagieren die Regierungen dieser Welt nur verhalten, vor allem diejenigen, die vorrangig für den Klimawandel verantwortlich sind. Nachsorge statt Vorsorge scheint politische Entscheidungen zu bestimmen: Wenn Krisen und Extremwetterereignisse Überhand nehmen, regiert eher das Technische Hilfswerk als das Parlament.“ Viele Politiker:innen verwechselten Umfragewerte mit Wahlentscheidungen und leiteten ihren Auftrag aus jeweiligen Stimmungen ab, bemühten sich aber nicht, Mehrheiten für einen erforderlichen Politikwechsel zu schaffen. Ein Vorbild wie dies dennoch möglich wäre zeige die Art und Weise, in der Willy Brandt gegen viele Widerstände die „Ostpolitik“ durchgesetzt habe. Vor allem die oberen Zwei Drittel der Gesellschaft seien gefordert: „Warum zur Hölle soll es nun ausgerechnet bei der Ökologie keine Vorschriften geben?“ Hedwig Richter fordert „eine neue Bürgerlichkeit“, „dass wir als Demokratinnen und Demokraten die Verantwortung übernehmen. Dass wir den Klimawandel und die Zerstörung der Artenvielfalt bekämpfen, weil die Ökologie die Grundlage unseres Lebens, unserer Würde und unsere Demokratie ist.“
  • Demokratie und / oder Diktatur?
    Im Juli 2024 erscheint in der Hamburger Edition das neue Buch von Claudia Gatzka „Demokratie und Diktatur“. Sie stellt es in der Geschichtskolumne der Mai-Ausgabe 2024 des Merkur unter dem Titel „Demokratie als Diktatur denken, und umgekehrt“ vor (im open access verfügbar). Eine ihrer Thesen: „Geschichte und globale Gegenwart lehren, dass die Grenzen zwischen Demokratie und Diktatur faktisch irgendwann aufweichen können. Systemtransformationen wären ohne diese Möglichkeit überhaupt nicht denkbar.“ Offen bleibt die Frage, wie sich solche Grenzen erkennen ließen und vor allem, wann ein Kipppunkt erreicht sein könnte. Hierzu lohnt sich eine Analyse der Entwicklungen in Russland, „ein gutes Beispiel dafür, wie ‚die‘ Diktatur häufig erst durch diskursive Zuweisung empirische Qualität erlangt.“ Claudia Gatzka notiert, dass der Europarat „Russland erst am 13. Oktober 2023 offiziell als Defacto-Diktatur“ Sie verweist auf Christina Morina, die in ihrem neuen Buch (Tausend Aufbrüche, München, Siedler, 2024) aufzeigt, dass die Geschichte der SED-Diktatur auch als eine Geschichte des Demokratieanspruchs verstanden werden muss, der in der Bevölkerung Widerhall fand.“ Anders gesagt – in Abwandlung einer Äußerung von Walter Ulbricht: es kann auch etwas demokratisch aussehen, das es gar nicht ist.
  • Artikel 146 Grundgesetz
    : Im Jahr 2024 feiern wir das75jährige Jubiläum des Grundgesetzes. 2024 jährt sich zum 35. Mal der Fall der Berliner Mauer, zum 75. Mal die Gründung des Europarats. Es ist ein Jahr der liberalen Demokratie, mit einer weltweit vorbildlichen Verfassung, doch das Grundgesetz gilt nach wie vor gemäß Artikel 146 Grundgesetz als vorläufig. Am 21. Mai 2024 wiederholte Markus Meckel im Tagesspiegel seine bereits mehrfach vorgetragene und inzwischen auch auf Resonanz treffende Forderung, den Artikel 146 des Grundgesetzes zu streichen und das Grundgesetz zur dauerhaften Verfassung zu erklären. Die Vorläufigkeit des Grundgesetzes hatte ihren Sinn, als im Jahr 1949 zwei deutsche Staaten gegründet wurden, sie wurde diskutiert, als die Grenze zwischen diesen beiden Staaten geöffnet wurde, doch der Artikel 146 blieb – wenn auch leicht abgewandelt – bestehen. Die DDR beziehungsweise die auf ihrem Staatsgebiet neu gegründeten Länder traten der Bundesrepublik nach Artikel 23 Grundgesetz bei. Markus Meckel schreibt: Wenn das Grundgesetz so grundlegend ist, wie wir es in diesen Tagen hören – und wir das ja wohl auch in großer Mehrheit so empfinden und für richtig halten, dann braucht es kein Warten darauf, dass die Deutschen sich eine neue Verfassung geben. Ja, es ist sogar kontraproduktiv und verunsichernd. / Wir haben eine Verfassung – das Grundgesetz, das wir auch formal zu einer solchen machen sollten!
  • Wir sind Schlafwandler?
    Mit seiner These von den „Schlafwandlern“ hat Christopher Clark manchen Deutschen einen großen Gefallen getan. Die deutschen Medien danken es ihm. Endlich haben auch die anderen ihren Anteil an der Schuld des Horrors des Ersten Weltkriegs (und sicherlich auch des Zweiten?) Ein britischer Historiker muss es ja wissen. Die eigentlichen Schlafwandler sind jedoch diejenigen, die nichts mehr von Kriegen, von Terror, von welchen Unbilden dieser Art auch immer hören wollen und glauben, Putin würde schon von selbst den Krieg einstellen, wenn sie die Ukraine – nur ein Beispiel – nicht mehr unterstützten. Wolfgang Bauer, dessen Reportagen die Wirklichkeiten in Kriegsgebieten, in vom Terror gezeichneten Ländern, wiedergeben, hat auf ZEIT online den provokanten Essay „Nennen wir es Weltkrieg“ veröffentlicht, berichtend, dass das International Institute of Strategic Studies im Jahr 2023 „183 bewaffnete Auseinandersetzungen“ zählte: „Wir wissen um den Schrecken, der sich außerhalb unserer Grenzen ereignet, aber wir fühlen ihn noch nicht. Wir weigern uns sogar, ihn zu fühlen. Viele haben sich entschieden, keine Nachrichten mehr zu verfolgen, zu lesen, zu sehen, zu hören. Wir träumen. Wir träumen uns die Welt zurück, wie sie einst war, wählen die ab, die uns vom Träumen abhalten.“ Der russische Angriffskrieg habe eine „Kettenreaktion“ ausgelöst, die auch verfemte Staaten wie Nordkorea wieder in die Weltpolitik integrierte. Russland und China hätten „einen langfristigen Plan“. Ob die westlichen Demokratien standhalten, ist die entscheidende Frage. Wolfgang Bauer formuliert ausgesprochen pessimistisch, aber dennoch gibt es eine Chance, nur sollten wir alle endlich aufwachen!
  • Die neue deutsche Frage
    : Ein Ärgernis ist vielen die deutsche Zurückhaltung. Dies ist die eine Seite der Wahrheit, die andere ist die, dass Deutschland in der Tat erhebliche Mittel für die Ukraine bereitgestellt hat, bei der Wirtschaftskraft Deutschlands allerdings durchaus mit Recht. Der Streit um den Haushalt von Boris Pistorius und das Beharren des Finanzministers und des jeden Streit scheuenden Bundeskanzlers auf der heiligen Schuldenbremse konterkariert die besten Absichten. Timothy Garton Ash bietet in der New York Review of Books vom 23. Mai 2024 eine exzellente Analyse: Big Germany, What Now”. Er zitiert Constanze Stelzenmüller: „Post-1989 Germany, she wrote, outsourced its security needs to the US, its energy needs to Russia, and its economic growth needs to China.” Deutschland durfte mit dem Jahr 1989 große Erfolge genießen, nährte jedoch auch große Illusionen. Timothy Garton Ash erinnert an die Analyse von Ernest Hemingway in „The Sun also rises“, wie man bankrott gehe. Eine Fehleinschätzung reihte sich an die andere, die dramatischste war das Fehlurteil über Russland, wie es sich beispielsweise in Minsk II zeigte. Bundeskanzler wie Adenauer, Brandt und Kohl wuchsen in ihrem Amt, der aktuelle Bundeskanzler Scholz hingegen mache den Eindruck eines Übergangskanzlers, so wie es auch Kiesinger Ende der 1960er Jahre war. Was fehle sei, „a realistic new European policy toward Russia, not for the next twenty months but for the next twenty years”. Europa als Ganzes einschließlich Großbritanniens sei gefordert. Deutschland könne nicht so tun, als gehe es das alles nichts an: „Here is today’s German Question, and the only people who can answer it are the Germans themselves.”
  • Freiheit: Timothy Garton Ash sagte in einem Gespräch mit Roderick Kefferpütz über sein neues Buch „Homelands“ ): „Wenn Menschen Erfahrung mit Unfreiheit gemacht haben, sehnen sie sich nach Freiheit. Polen ist ein gutes Beispiel. Oder nehmen Sie die Ukraine. Es gibt da dieses wunderbare ukrainische Wort ‚volya‘. Es bedeutet sowohl Freiheit als auch den Willen, für die Freiheit zu kämpfen. Oder schauen Sie sich andere Gesellschaften an. Viele junge Menschen aus China und Russland haben ihrer Heimat den Rücken gekehrt. Oder wenn man Menschen in Südafrika oder Brasilien fragt: Wo würdet ihr gern leben? Da antwortet niemand: Russland. Fast niemand sagt China. Sie wollen in Europa oder in den Vereinigten Staaten leben. Und das liegt nicht daran, dass wir reich sind. China ist inzwischen auch ziemlich reich. Es liegt daran, dass wir frei sind. Ich habe großes Vertrauen, dass Freiheit die Köpfe und Herzen der Menschen auf eindrückliche, universale Weise anspricht.“
  • Rassismus macht arm: Der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) analysierte die Armutsgefährdung von drei rassistisch markierten Gruppen in Deutschland: Schwarze, asiatische und muslimische Menschen. Befragt wurden im ersten Quartal 2022 etwa 21.000 Personen. Die Ergebnisse wurden Anfang Mai 2024 auf der Internetseite von NaDiRa. Zentrale Ergebnisse der Studie: Rassistisch markierte Menschen haben ein höheres Armutsrisiko als nicht rassistisch markierte Menschen: Während die Armutsgefährdungsquote bei nicht rassistisch markierten Männern bei 9 % bzw. bei Frauen bei 10 % liegt, trifft dies bei 26 % der Schwarzen Männer und Frauen, bei 30 % bzw. 26 % der asiatischen Männer und Frauen sowie bei 41 % bzw. 38 % der muslimischen Männer und Frauen zu. Hohe Bildung und Erwerbstätigkeit schützen nicht unbedingt. Die Gefahr, trotz Vollzeiterwerbstätigkeit unter der Armutsschwelle zu leben, ist bei Schwarzen Frauen (22 %), muslimischen Männern (21 %) und asiatischen Männern (19 %) etwa viermal höher als bei nicht rassistisch markierten Männern und Frauen (5 %). Der Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft kann das Armutsrisiko senken. Dies sich in allen Gruppen feststellen, wobei er sich besonders bei Schwarzen Frauen sowie bei Schwarzen und asiatischen Männern herauskristallisiert.
  • Rassismus gegen Roma: Aus der Ukraine flüchteten auch viele Menschen, nicht zuletzt Studierende aus afrikanischen Ländern, die in Deutschland nur – vorsichtig gesprochen – sehr zurückhaltend aufgenommen wurden. Der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma verweist im Bericht der Melde- und Informationsstelle MIA von der „unwürdigen Behandlung“ geflüchteter Roma in Deutschland. Der Vorsitzende des Zentralrats Romani Rose stellte fest: „Roma werden als Kriegsflüchtlinge wegen ihrer Abstammung rassistisch ausgegrenzt. Verstärkt wird dieser Antiziganismus auch durch die Berichterstattung einiger Medien. Deren vorurteilsbeladenes Bild sorgt für den Ausschluss der Minderheit von der deutschen Aufnahmekultur, nicht nur in der Bürokratie, sondern auch in der Gesellschaft. (…) Dabei wird bewusst ignoriert, dass die Männer und Söhne der geflüchteten Roma zu Zehntausenden ihre Heimat an der Front verteidigen, wie bei anderen ukrainischen Geflüchteten auch. Dafür wurden sie auch ausgezeichnet. Die Menschen, die in Deutschland ankommen, sind durch den Krieg oft schwer traumatisiert und verdienen unseren Schutz und nicht die Ablehnung und den Antiziganismus, dem sie immer wieder ausgesetzt werden.“
  • Streit um Bücher
    : In einer Reportage für die Süddeutsche Zeitung beschreibt Josef Wirnshofer das „Land der verbotenen Bücher“. Thema sind Abstimmungen in dem Schoolboard der Kleinstadt Doylestown (Pennsylvania), das republikanisch dominiert war, aber bei den letzten Wahlen einen Umschwung zu einer demokratischen Mehrheit erlebte. Josef Wirnshofer sprach unter anderem mit Karen Smith, die von den Republikanern zu den Demokraten wechselte, Tim Daly, der nicht versteht, warum Eltern streiten, was ihre Kinder lesen dürften und was nicht, sowie mit Doreen Stratton, die befürchtet, dass die Geschichte der Sklaverei nicht mehr unterrichtet werden könne (wie es in Florida bereits der Fall ist, weil weiße Kinder vor Schuldgefühlen geschützt werden sollten). Er sprach auch mit Gegner:innen der freien Literaturauswahl wie Vonna DeArmond, die den „literarischen Wert“ der von ihr inkriminierten Bücher bezweifelt. In manchen Vorgärten gibt es Schilder: „Ban guns, not books“. Pennsylvania ist einer der sogenannten Swing States. 2020 gewann Joe Biden knapp, 2016 Donald Trump.
  • Fundamentalistische Christen: Eine Recherche von CORRECTIV, namentlich von Gabriela Keller und Miriam Lenz, untersuchte Geldströme fundamentalistischer Christen aus den USA, die auch nach Deutschland flössen. Zentrale Themen: Abtreibung und Trans-Menschen. Ein in diesem Kontext wichtiger Name ist der der AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch. Dahinter steckt insbesondere die Alliance Defending Freedom‘ (ADF), „eine Art Mischung aus fundamental-christlicher Lobbytruppe und hoch aggressiver Anwaltsfirma. Seit Jahrzehnten greift die Gruppierung Rechte von Frauen und den gesetzlichen Schutz von homosexuellen und Trans Menschen an. In Amerika und international.“ Die beiden Autorinnen berichten weiter: „Laut EU-Transparenzregister setzte der internationale Ableger der Alliance Defending Freedom zwischen Mitte 2022 und Mitte 2023 insgesamt 650.000 Euro nur für politisches Lobbying ein.“ Und: „Die Organisation Transparency International wertete 2020 die Einträge von EU-Abgeordneten zu ihren Lobbytreffen aus und stieß auf lückenhafte Veröffentlichungen – gerade bei rechten Parteien.“ Sie berichten auch von Verbindungen zu Gruppierungen in der CDU wie dem Stephanuskreis, dem mehrere CDU-Parlamentarier:innen angehören wie beispielsweise Jens Spahn und Monika Grütters.
  • Bring Them Home Now!
    Angesichts der ständigen und immer heftigeren Debatten um die Zukunft Israels und der palästinensischen Gebiete ist es immer wieder geboten, die Geschichten der von der Hamas ermordeten und entführten Menschen zu erzählen. Niemand weiß, wie viele noch leben und offenbar auch nicht, wo sie sich befinden. Die Berichte der Zurückgekehrten lassen Schlimmstes befürchten. Ein neues Video zeigt die Brutalität der Terroristen der Hamas, die sich offen darüber unterhalten, welche Frauen sie vergewaltigen wollen. Das Hostages and Missing Families Forum dokumentiert die Geschichten der Entführten. Aber das ist leider nicht alles. Edgar Keret bringt die Stimmung und die Verzweiflung vieler Israelis (und nicht nur dieser) in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung mit dem Titel „Die Horrorshow des Benjamin Netanjahu“ prägnant auf den Punkt. Nach verschiedenen Presseberichten ermittelt die israelische Militäranwältin Jifat Tomer-Jeruschalmi in 70 Fällen gegen Armeeangehörige.
  • Propalästinensische Protestcamps an Universitäten
    : Wer sie alle aufzählen wollte, braucht inzwischen mehrere Seiten. Ich möchte beispielhaft eine Reportage von Moritz Pieszowski-Freimuth über Demonstrationen von Anfang Mai in Köln empfehlen, die auf der Plattform mena-watch erschien und ein typisches Bild für viele solcher Demonstrationen und Protestcamps bietet. Durchweg erstaunlich ist die merkwürdige Koalition, vollverschleierte Frauen, die getrennt von den dazugehörigen Männern demonstrieren neben Queer-Aktivist:innen, dokumentiert mit Live-Stream bei Al-Jazeera und begleitet von wohlwollenden Bemerkungen der iranischen Führung. Ein Hamas-Sympathisant zeigte in Richtung jüdischer Student:innen ein rotes Dreieck, wie es die Nazis verwendeten, um Menschen mit dem Tode zu bedrohen. In den Konzentrationslagern der Nazis wurden kommunistische Häftlinge so markiert. Das Zeichen wurde in Berlin zuletzt auf die Hauswand des sich proisraelisch positionierenden Clubs About:Blank gesprüht. Ahmad Mansour bezeichnete dieses Zeichen als „hochmilitärisch und hochterroristisch“ (mit einem solchen Zeichen wurde zuletzt auf Instagram auch die FDP-Politikerin Karoline Preisler) Hinweise von proisraelischen Gegen-Demonstrant:innen auf Parallelen zwischen Islamismus und Faschismus wurden von einer linken Aktivistin empört zurückgewiesen, eine israelische Fahne der Trägerin entrissen. Wes Geistes Kind die sogenannten „pro-palästinensischen“ Demonstrant:innen sind, beschreibt auch Günter Jekeli in der taz am Beispiel der University of Indiana, „Glory to Hamas“ ist noch einer der harmloseren Sprüche. Es wird offen zur Vernichtung Israels aufgerufen, die Massaker der Hamas am 7. Oktober werden geleugnet.
  • Was heißt „pro-palästinensische Proteste“? In einem Gespräch mit Katrin Richter für die Jüdische Allgemeine sagte der Executive Director der Shoah Foundation Robert J. Williams: „Jeder, der das menschliche Leben schätzt, möchte, dass das palästinensische Volk in Freiheit und Frieden leben kann. Aber es ist von seinen Führern verraten worden, besonders in Gaza. Ich lehne es auch ab, die Proteste als propalästinensisch zu bezeichnen. Ich würde sagen, dass die Proteste bestenfalls anti-israelisch (Hervorhebung NR) Sie haben einer gewissen Form von Antisemitismus Tür und Tor geöffnet. Ich glaube, dass die Studenten, die von der ‚Intifada-Revolution‘ sprechen, sich oft nicht bewusst sind, dass es sich dabei um Antisemitismus handelt. Aber wir wissen, dass es so ist.“ Niemand leugnet das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza. Ronen Steinke bewertet in der Süddeutschen Zeitung die Debatten um das Vorgehen des Internationalen Gerichtshofes. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter Baden-Württemberg, sagte gegenüber der dpa: Die Regierung Netanjahu hat viel dafür getan, dass die Menschen nicht mehr an eine Friedenslösung glauben.“ Netanjahu erschwere den Kampf gegen Antisemitismus in Europa, es helfe nicht, alle, die die israelische Regierung kritisierten, pauschal als „Antisemiten“ zu bezeichnen.
  • Der Hass der Linken
    : In einem Gastbeitrag der Süddeutschen Zeitung vom 17. Mai 2024 stellt Eva Illouz, die nun wirklich nicht zu den Anhänger:innen der aktuellen israelischen Regierung gehört und die Besatzung stets heftig kritisierte, die Frage: Wann wurde zum Beispiel das letzte Mal mit solcher Intensität gegen das Unterdrückerregime in Iran oder das Vorgehen der Chinesen gegen die Uiguren protestiert?“ Ein auffallender Punkt: Die Linke, die sich als „woke“ Linke versteht, achtet mit Recht auf Sprache, „eben weil Sprache und Kultur aus Sedimentschichten bestehen, in denen sich verschiedene Formen von Herrschaftsausübung ablagern, welche jenseits dessen liegen, was wir bewusst intendieren. Trifft das auf Frauen, Muslime und Schwarze zu, ist es schwer vorstellbar, dass es nicht in noch größerem Maße auf die älteste Form von Hass zutreffen sollte, die es in der westlichen Kultur gibt, nämlich den Judenhass. Wenden wir also auf den Antisemitismus an, was die Vertreter der Linken seit Jahrzehnten auf andere Formen des Hasses anwenden.“ Eva Illouz erinnert an die christliche Tradition des Vorwurfs, Juden wären Mörder und Verbrecher, weil sie ja schon den Gottessohn ermordet hätten, und die lange Geschichte dieses Narrativs im 19. Jahrhundert, im 20. Jahrhundert, auch in der Sowjetunion, bis in die heutige Zeit. Aber: „Die Studenten fühlen sich nicht als Antisemiten, sie fühlen sich als Moralisten.“ Sie machen „Zionismus zum Synonym für das radikal Böse.“ Sie befürchtet, angesichts des Leids der Palästinenser:innen und einer „Regierung, die darauf aus ist, auch den letzten Rest Demokratie im Land zu zerstören“: „Das Ergebnis wird sein, dass ein ohnehin schon sehr schwaches Friedenslager ausgelöscht wird. / Noch nie war die Moral ein solcher Feind des Guten.“
  • Anti-Israelische und anti-jüdische Proteste an den Universitäten: Im Editorial der Jüdischen Allgemeinen vom 16. Mai 2024 bezeichnete Chefredakteur Philipp Peyman Engel den Brief von Berliner Universitätslehrkräften, die die Protestaktionen an der FU Berlin unterstützten und als Wahrnehmung von Wissenschafts- und Meinungsfreiheit begründeten, als „Die Schande von Berlin“. Der Online-Bericht dokumentiert, auch mit Videos, die Ereignisse, Parolen und unüberhörbaren Gewaltaufrufe. Bundesbildungsministerin Bettina Schwarz-Watzinger erklärte sich angesichts des Briefes für „fassungslos“. Manche unterstellten ihr, sie wolle Proteste für unzulässig erklären, doch dies war nicht der Fall. Es geht um Art und Weise, um den Stil der Proteste. Lenz Jacobson zitierte in der ZEIT aus dem Brief, dessen Autor:innen erklärten, sie stellten sich vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt“. Bettina Schwarz-Watzinger in der Jüdischen Allgemeinen im Gespräch mit Detlef David Kauschke: „Universitäten sind keine rechtsfreien Räume“. Sie fordert: „Hochschulen müssen vor allem friedliche und rationale Diskursräume sein. Das sind sie jedoch nur, wenn konsequent gegen Hetze und Gewalt vorgegangen wird und sich alle Mitglieder der Hochschule sicher fühlen können.“
  • Proteste ohne Dialogbereitschaft: Im Tagesspiegel verteidigte Naika Foroutan ihre Unterschrift, forderte aber – offenbar unter dem Eindruck der Kritik – auch, „das Trauma des 7. Oktober und das Schutzbedürfnis der jüdischen und israelischen Studierenden, die sich auf dem Campus bedroht oder unsicher fühlen, in die Protestlogik aufzunehmen – und zwar bevor nächste Proteste stattfinden.“ Ist dies möglich? Es dürfte schwierig sein, zumal manche Protestierende schlichtweg leugnen, was am 7. Oktober geschah. Stattdessen werden alle, die versuchen, die Demonstrierenden für ein Gespräch zu gewinnen, beschimpft und niedergebrüllt. Nicht nur in den USA, auch in Deutschland wurden Protestcamps daher geräumt, so an der FU Berlin, dem Ort des ersten deutschen Sit-In (so nannte man Blockaden und Besetzungen Ender der 1960er Jahre): Kathrin Müller-Lancé und Johan Schloemann sprachen für die Süddeutsche Zeitung mit dem Präsidenten der FU Günter Ziegler. Er sagte: „Natürlich ist diese Universität seit ihrer Gründung auch ein Ort für Protest und Diskurs. Sie war eines der Zentren der 68er-Bewegung, unser berühmtester Student ist wohl immer noch Rudi Dutschke. Bis zu einem gewissen Maß muss eine Universität das alles aushalten. Aber wenn man durch eine auf Dauer angelegte Besetzung Fakten schafft und wissenschaftlichen Austausch verhindert, halten wir das auf dem Campus nicht für zulässig.“ Die Besetzer:innen hätten erklärt, dass sie zu Verhandlungen nicht bereit seien.Lesenswert auch die Lektüre einer Reportage von Julius Geiler und Eva Murašov im Tagesspiegel über die Räumungen in der Berliner Humboldt-Universität. Während auf der einen Etage eine sachliche Diskussion zwischen Dozent:innen und Demonstrant:innen möglich war, verwüsteten Besetzer:innen auf einer anderen Etage die Räume und hinterließen Schmierereien unter anderem das nach unten gekehrte rote Dreieck, das als Morddrohung aufzufassen ist. Der Beitrag dokumentiert dies auch mit Bildern. Naika Foroutan wird mit den Worten zitiert, „einige jüdische Studierende sind so verunsichert, dass sie nicht mehr an die Uni kommen wollen, für die Kolleg:innen war es eine extrem belastende Situation“.
  • Wir brauchen Gelassenheit
    : Fehlende Dialogbereitschaft gehört in unserem identitätspolitischen Zeitalter zum gängigen Format politischer Auseinandersetzung und ist vielleicht das Haupthindernis schlechthin für eine Problemlösung wie sie einer Demokratie geziemt. Eva Menasse mahnt in ihrem Gastbeitrag „Es kostet uns den Verstand“ in der ZEIT vom 23. Mai 2024 zu Großzügigkeit, Großmut, Gelassenheit. Verzeihung und ja: auch Vergessen alter Sünden“, denn harte Bandagen haben noch nie geholfen. Sie befördern nur die täglich anschwellende Wut. Wir müssen darauf vertrauen, dass das, was in 75 Jahren Grundgesetz aufgebaut worden ist, weiterhin funktioniert. Dass das Strafrecht die einzige rote Linie bildet, die wir brauchen. (Hervorhebung NR) Wir müssen uns die ganze falsche Moral abschminken und die viel zu großen Begriffe, die wir täglich und bedenkenlos auf viel zu viele anwenden: Rassist, weißer Mann, Russlandversteher, Coronaleugner, Postkolonialist, Israelhasser. Uns fragen, ob wir dieses Land wirklich so haben wollen, so rigide und unerbittlich, so herrisch und hart. Ob wir nicht lieber einen kräftigen Schluck aus der Pulle Pragmatismus nehmen, wodurch sich die wahren Feinde der Gesellschaft womöglich viel leichter identifizieren ließen. We shouldn’t do it wrong.“
  • Jüdinnen und Juden an Hochschulen
    : Katrin Richter sprach für die Jüdische Allgemeine mit Hanna Veiler, der Vorsitzenden der Jüdischen Studierendenunion (JSUD). Hanna Veiler wurde 2024 mit dem Preis Frauen Europas Deutschland Sie stellt fest: Es ist heute gefährlich, sich in einem universitären Kontext gegen israelbezogenen Antisemitismus zu stellen. Es ist gefährlich, und im Zweifel bezahlt man damit mit seiner körperlichen Unversehrtheit.“ Gefragt ist „viel Widerstandskraft. Wir sagen: Wir holen uns den Campus zurück. Es ist eher so ein Auf und Ab. Ich habe das irgendwann als Pingpong zwischen zwei Extremen bezeichnet. Wir beobachten durchaus, dass sich viele Universitäten in Prozessen der Auseinandersetzung mit den eigenen Strukturen befinden, sich Hilfe von Expertinnen und Experten holen. Trotzdem ist der Moment, um jüdischen Studierenden ein Sicherheitsgefühl zu geben, vorbei. Das hätte viel früher passieren müssen. Unserer Studierendengeneration wird niemals dieses Sicherheitsgefühl zurückgegeben werden können. Universitäten werden für uns einfach ein gebrandmarktes Gebiet bleiben.“
  • Netzwerk jüdischer Hochschullehrer:innen
    : Für die Jüdische Allgemeine sprach Ayala Goldmann mit Julia Bernstein, Professorin am Lehrstuhl für Diskriminierung und Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft an der Frankfurt University of Applied Sciences. Julia Bernstein, deren Bücher auch schon im Demokratischen Salon mehrfach vorgestellt wurden, ist eine der Gründer:innen des Netzwerks jüdischer Hochschullehrer, das sich vor wenigen Wochen gegründet hat. Das Netzwerk hat inzwischen etwa 130 Mitglieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz, es gibt auch einen unterstützenden Kreis nichtjüdischer Professor:innen. Das Netzwerk organisiert „Treffen in Safe Spaces“: „Wir entwickeln Richtlinien für die Unterstützung der jüdischen Studierenden – und wir entwickeln unterschiedliche Formate im Bereich jüdisches Leben und Antisemitismus an Universitäten.“ Slogans und Appelle sind kein Dialog, erschreckend sind die „Vernichtungsfantasien“, mit denen sich jüdische Studierende und Hochschulangehörige konfrontiert sehen. Julia Bernstein: „Das Recht von Juden, an Universitäten zu studieren, ist genauso hart erkämpft wie das Recht auf Protest. Und wir lassen uns nicht von den Hochschulen vertreiben.“
  • Malmö 11. Mai 2024: Es war verdient, dass der israelische Beitrag von Eden Golan im Grand Prix d’Eurovision de la Chanson den fünften Platz erreichte. Das deutsche Publikum sah ihn sogar vorne. Zuvor musste der Text von „October Rain“ wegen der politischen Bezüge zum 7. Oktober umformuliert werden, der Titel wurde in „Hurricane“ geändert. Für den Tagesspiegel sprach Christian Tretbar mit Josef Schuster. Josef Schuster sagte: Die schwedische Polizei hat sehr gute Arbeit geleistet. Aber dass eine israelische Künstlerin sich mitten in Europa nicht frei bewegen kann, in ihrem Hotel bleiben muss und nur unter Polizeischutz zum Auftritt kann, ist bezeichnend. Dass sie dort dann auch noch ausgepfiffen wird, ist erschreckend. An dem ESC wurde leider deutlich, wie weit wir in Europa schon gekommen sind. Aber Eden Golan, die israelische Starterin, hat das unter diesen schwierigen Umständen sehr gut gemeistert.“ Christian Tretbar und Josef Schuster sprachen auch darüber, dass der ARD-Fernsehmoderator „Israel auf eine Stufe mit Russland und dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine“ Josef Schuster formulierte diplomatisch, der Moderator hätte sich besser vorbereiten müssen.
  • Israelisches Restaurant schließt: Der Tagesspiegel berichtete am 17. Mai 2024: „Wegen anhaltender Anfeindungen schließt das israelische Restaurant DoDa’s-Deli in Friedrichshain. ‚Wir fühlen uns in Friedrichshain leider nicht mehr sicher (fett im Original), es ist sehr schade, aber es geht nicht anders‘, sagte die Inhaberin. So viel zum weltoffenen Selbstverständnis des Bezirks und seiner Bewohner. Freuen dürfen sich hingegen die Wilmersdorfer. Dort will das Restaurant neu eröffnen.“
  • Islamismus-Demonstrationen in Hamburg: In der Streit-Rubrik der ZEIT vom 7. Mai 2024 diskutierten Maryam Hübsch und Hamed Abdel-Samad. Die Fragen stellten Anastasia Tikhomirova und Stefan Schirmer: „Wird der Islamismus verharmlost?“ Maryam Hübsch und Hamed Abdel-Samad reden leider völlig aneinander vorbei. In Hamburg forderten Männer und Frauen schön voneinander getrennt ein „Kalifat“. Es war nicht die erste Demonstration dieser Art, in Essen gab es bereits vor einigen Monaten eine solche, weitere werden wohl folgen. Maryam Hübsch erklärt durchaus in allen Punkten korrekt, dass die von den Demonstrierenden verwendeten Begriffe von „Kalifat“ und „Dschihad“ bei einer liberalen Auslegung des Korans eine ganz andere – nach ihrer Sicht die eigentlich ursprüngliche – Bedeutung hätten. Es gehe um den Weg eines Muslims, einer Muslima zu sich selbst, nicht um die Einrichtung einer bestimmten Staatsform, beispielsweise nach dem Muster des Iran. Hamed Abdel-Samad hob hingegen die anti-demokratische und totalitäre Interpretation des Islam von Seiten der Demonstrierenden hervor. Wir müssen wohl davon ausgehen, dass die Demonstrierenden von den Argumenten von Maryam Hübsch nicht beeindruckt werden können, wahrscheinlich – darauf verweist sie selbst – sehen sie sie als Vertreterin der Ahmadiyya selbst als Ketzerin, als Ungläubige.
  • Iran plant Vernichtung Israels spätestens im Jahr 2040! Beschwichtigung scheint manchen Politiker:innen und Journalist:innen die erste Bürger:innenpflicht zu sein (die Bundesaußenministerin allen voran). So auch zuletzt in einem Podcast des ZDF, in dem zunächst sachlich über das iranische Atomprogramm berichtet, der Iran in den abschließenden Bemerkungen jedoch mehr oder weniger als Opfer beschrieben wurde. Stefan Frank berichtete auf der Plattform mena-watch: Verfolgt man die öffentlich-rechtlichen deutschen Medien, könnte man den Eindruck gewinnen, das Ayatollah-Regime wäre ein unschuldiges Opfer, das nichts anderes will, als in Frieden gelassen zu werden. (…) Regelmäßig erinnern Irans Diktator Ali Khamenei und Vertreter seines Regimes daran, dass die Vernichtung des Judenstaates für sie eine beschlossene Sache ist; eine unvermeidliche Tatsache, die sich von anderen nur dadurch unterscheide, dass sie noch in der Zukunft liege. Im Jahr 2040 soll es passieren, sagt Khamenei. Eine Uhr in Teheran zählt die Stunden rückwärts.“ Stefan Frank nennt in seinem Beitrag auch Zahlen der politischen Unterdrückung, der Hinrichtungen, die Propaganda, die den „Märtyrertod“ Zur Ehrenrettung des ZDF: Weitere Beiträge informieren kritisch über den Iran. Das Problem scheint mir eher darin zu liegen, dass manche Zungenschläge, die Verständnis für den Iran zu zeigen scheinen, unwidersprochen und unlektoriert bleiben. Zum Tode verurteilt wurde inzwischen der Rapper Toomaj Saleh.
  • Heilmittel gegen Islamismus?
    Arnfrid Schenk sprach für die ZEIT vom 16. Mai 2024 mit dem islamischen Theologen und Religionspädagogen Mouhanad Khorchide, der sagt: „Es geht mehr um Identität als Spirtualität“. Mouhanad Khorchide verweist auf eine Studie der Universität Münster mit jungen Studierenden. Viele Studierende kommen an die Universität „mit patriarchalischen Vorstellungen, wollen in den Hörsälen getrennt sitzen. Aber nach ein paar Jahren an der Uni ändert sich das. Viele sagen mir am Ende des Studiums: Ich schäme mich dafür, wie ich damals gedacht habe.“ Viele erhielten ihre ersten Informationen über den Islam über „Online-Islamisten“, die versuchten, junge Menschen über deren Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen zu gewinnen. Khorchide nennt dies „eine Art Insta-Islam“. Ein deutliches Zeichen, wie wichtig ein flächendeckender Islamischer Religionsunterricht in allen deutschen Schulen und eine Ausbildung von Imamen an deutschen Hochschulen wäre. Erst Schritte sind getan, aber von einem bedarfsgerechten Angebot kann nicht die Rede sein. Zurzeit gibt es 2.500 Studierende an den Zentren für Islamische Theologie, bei 5,5 Millionen Muslim:innen in Deutschland. Der Verfassungsschutz – so die ZEIT – rechten etwa 27.000 Personen dem islamistischen Spektrum zu. Khorchide nennt mehrere islamistische Gruppen, die zwar relativ klein sind, aber dennoch Einfluss haben. In Deutschland gebe es „sehr viele Lehrstühle, die sich mit Rechtsextremismus beschäftigen. Es gibt keinen zum Thema Islamismus und politischer Islam. Diese Forschungslücken müssen wir schließen.“ Es gilt auch ein Satz, den Manfred Sing in der Maiausgabe 2024 in seinem Beitrag zum Thema „Islam und Antisemitismus“ formulierte: „Antisemitismus ist ein flexibler Code, der an alle Denksysteme und folglich auch an den Islam andocken kann.“
  • Attentat auf Robert Fico: Im ORF und im Deutschlandfunk äußerte sich Michal Hvorecky, bereits mehrfach Gast im Demokratischen Salon, zu dem Attentat und dem politischen Klima in der Slowakei. Die Slowakei sei ein gespaltenes Land, die politische Rhetorik sei immer radikaler geworden. Michal Hvorecky erinnert an den Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten vor sechs Jahren sowie an einen Angriff auf eine Schwulenbar vor zwei Jahren. Es sei das erste Mal, dass ein Politiker angegriffen worden sei. Ob dieses Attentat zu mehr Zurückhaltung in der politischen Kommunikation führe oder sich möglicherweise die Radikalisierung verstärke, sei eine offene Frage. Es ist offen, wie sich die Opposition nach ihren sehr gut besuchten Demonstrationen gegen die von Fico betriebene Orbanisierung des Landes verhalte. Attentate gehören nicht zu einem demokratischen Land. Insgesamt bewertet Michal Hvorecky die Slowakei jedoch als ein sicheres Land.
  • Emotionen: Die Transferstelle für Politische Bildung unter Leitung von Helle Becker hat ein umfangreiches Dossier zu Publikationen, Forschungen und Projekten zum Thema „Emotionen in der Politischen Bildung“ Das Dossier enthält auch weitere Links, beispielsweise zu einem kurzen Interview mit Rico Behrens zur Frage, wie man mit rechtsextremen Äußerungen, beispielsweise in der Schule, umgehen solle: Die erste Regel lautet: Nicht ignorieren! Klingt banal, aber schneller als man denkt befindet man sich in einem Modus, den ich Burgfrieden nenne. Schüler:innen verhalten sich dann zwar angepasster, Lehrer:innen verzichten dafür aber auf die Auseinandersetzung – ein fatales Zeichen für die übrigen Schüler:innen. Besser sind klare Grenzen, insbesondere, wenn konkrete Diskriminierungen im Spiel sind. Flankierend sollte man im Gespräch, in der Diskussion bleiben, ohne zu moralisieren. Pädagog:innen, die so agieren, erleben nicht selten, dass Jugendliche gerade dann ihre Nähe suchen.“
  • Nahverkehr auf dem Land ist möglich: Eigentlich sind viele Orte in der Eifel und anderen ländlichen Regionen Orte, in denen an der Zahl der zu einem Haus gehörenden Autos ablesbar ist, wie viele volljährige Personen mit Führerschein dort wohnen. Es sind die Orte, an denen man auf ein Auto angewiesen ist, um zur Arbeit, zum Einkaufen zum Besuch von Verwandten und Freund:innen zu gelangen. Vivien Götz und Ann-Marleen Holt haben in der Südeifel den Ort Speicher entdeckt, in dem das anders ist. In ihrer Reportage „Wo kein Bus kommt“ stellen sie Senta Plein vor, die die Mitfahrerbank erfunden hat. Dort setzt man sich hin, kann Wegweiser ausklappen, die zeigen, wohin man möchte und wartet einfach auf freundliche Menschen. Da sich hier ohnehin alle kennen, auch ein ungefährliches Unterfangen. In der Verbandsgemeinde Bitburg gibt es den Bürgerbus, der zwei Mal in der Woche ältere Menschen für Arzt- oder Cafébesuche oder zum Einkaufen mitnimmt. Die ehrenamtlichen Fahrer:innen sind in der Regel selbst ältere Menschen. Vorgestellt wird in der Reportage der 66jährige Winfried Haller. Abgefahren werden Dörfer, in denen oft weniger als 300 Menschen wohnen. Es gibt schließlich die App durch die Eifel, die aber noch nicht ausreichend genutzt wird. „Wo kein Bus kommt“ ist Teil von elf Reportagen zum „Leben auf dem Land“, die von Volontär:innen der Süddeutschen Zeitung gestaltet wurden.
  • Genderverbote verfassungswidrig: Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes Ferda Ataman hat ein Gutachten vorgestellt, demzufolge die in einigen Ländern beschlossenen sogenannten „Genderverbote“ verfassungswidrig seien und gegen das Diskriminierungsverbot verstießen. Betroffen seien auch Persönlichkeitsrechte, Wissenschaftsfreiheit und Rundfunkfreiheit. Eine schlechtere Bewertung wegen „Genderns“ durch Schüler:innen in Schulen sei demnach nicht zulässig, weil es hier nicht um richtige oder falsche Orthographie gehe, sondern um Einstellungen.

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Mit den besten Grüßen verbleibe ich

Ihr Norbert Reichel

(Alle Internetzugriffe erfolgten zwischen dem 20. und 29. Mai 2024.)

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.