Liebe Freund:innen des Demokratischen Salons,

viel Lob bekommt Deutschland in der Regel nicht. Aber hier ist eins: das Lob der schottischen Autorin A.L. Kennedy für die Demonstrationen für Demokratie und Menschenrechte, fast schon eine Liebeserklärung: „Liebes Deutschland, wir schauen zu: „Und liebes Deutschland, liebes, hoffnungsvolles, künstlerisches, geniales Deutschland mit deinem weisen Gedächtnis und deinem schwarzen Humor, ich wünsche dir alles Gute für deinen Schritt vom Bürgersteig. Mögest du es besser machen als wir. Wir schauen dir zu und hoffen.“

Im Editorial der Februarausgabe 2024 des Demokratischen Salons lesen Sie den Versuch zur historischen Einordnung des deutschen Pazifismus im Kontext des zweiten Jahrestags des russländischen Überfalls auf die Ukraine: „War in our Time“.

Neben den folgenden Kurzvorstellungen der neuen Texte finden Sie Empfehlungen zu Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerben sowie weitere Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen.

Zur Illustration des Newsletters sehen Sie Bilder von Hans Peter Schaefer, die er in dem Band „Orte und Konzepte“ zusammengestellt hat, eine Schau seiner Werke der vergangenen 50 Jahre (beim Verlag erhältlich zum Preis von 30 EUR).

Die acht neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Ines Skibinski hat im November 2023 im Demokratischen Salon die Stimmung des infamen Vorgehens der PiS im letzten Wahlkampf Die PiS setzt diese Strategie fort. Sie diffamiert jeden Versuch der liberalen Regierung zur Wiederherstellung der Demokratie als Rechtsbruch und vergleicht sie mit der überwundenen kommunistischen Herrschaft. Es ist ein „Spiel mit den Emotionen“, in dem polnische Geschichte und Erinnerungskultur okkupiert werden sollen. Donald Tusk wird nach wie vor vorgeworfen, er sei ein deutscher Agent, rechtskräftig wegen Dokumentenfälschung verurteilte Politiker werden als politische Gefangene bezeichnet. (Rubrik: Osteuropa)
  • Cornelius Lilie analysiert die Debatten in der SPD um eine Neuorientierung ihrer Ostpolitik: „Unbequem und schmerzhaft“. Der Parteitag vom 9. Dezember 2023 leitete eine neue sozialdemokratische Russlandpolitik ein, eine kritische Aufarbeitung der bisherigen Richtung und Konflikte erscheint jedoch nach wie vor schwierig. Das Erbe Willy Brandts wird von manchen missverstanden. Klar waren die Worte von Lars Klingbeil, der sagte, die SPD habe in der Vergangenheit „verkannt, dass Wladimir Putin Geschichte lediglich revisionistisch betrachte, als Werkzeug zur Legitimierung seiner aggressiven Politik“ und damit „das Vertrauen der Länder Mittel- und Osteuropas verspielt“. (Rubrik Osteuropa)
  • Heiner Bielefeldt, Professor für Menschenrechtspolitik, war von 2003 bis 2009 Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, 2010 bis 2016 UN-Sonderberichterstatter zur Religionsfreiheit, sein Thema: „Die Vereinten Nationen und die Religionsfreiheit“. In seinen Länderberichten, unter anderem zu Vietnam, Paraguay, Zypern und Moldawien stellte er unterschiedliche Formen der Unterdrückung von Religionsfreiheit fest, von staatlicher Seite wie aus der Zivilgesellschaft. Eine thematische Studie benannte er ausdrücklich „Violence in the name of Religion“: Religionen können Gewalt, die in ihrem Namen ausgeübt wird, nicht „externalisieren“. (Rubrik: Weltweite Entwicklungen)
  • Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin a.D. und Antisemitismusbeauftragte NRW, betont die Priorität der Grundrechte gegenüber der Forderung nach mehr Sicherheit, wie sie auch das Verfassungsgericht immer wieder bestätigte: „Ein starker Rechtsstaat“. Sie kommentiert aktuelle Debatten um die Stärkung des Verfassungsgerichts, die Wirksamkeit von Parteiverboten und Strafrecht. Das deutsche Verfassungsgericht ist eine starke Institution gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen, die Unabhängigkeit der Richter ein hohes Gut. Die Wehrhaftigkeit der Demokratie entbindet nicht von der ständig erforderlichen politischen Auseinandersetzung. (Rubrik: Liberale Demokratie)
  • Aiki Mira veröffentlicht im Demokratischen Salon ihr Manifest „Post-Cli-Fi – Weil Kollaps die Konstante ist oder: in der Ohnmacht weiterschreiben“: „Post-Cli-Fi verstehe ich als eine politische Perspektive, die unser gängiges Differenzdenken infrage stellt. Kategorien wie Gesellschaft, Klima, Mensch, Natur und Technik können hier endlich neu erzählt werden, nämlich: posthuman, postanthropozentrisch, postmigrantisch, postapokalyptisch.“ Und letztlich „posthuman“. Der Text wird eine wichtige Rolle in dem geplanten Kongress „KlimaFiktionen 2024“ spielen, den maßgeblich Markus Tillmann (Universität Bochum) vorbereitet. (Rubrik: Science Fiction).
  • Michael Kleff, Radiojournalist und ehemaliger Chefredakteur des „Folker“, wird demnächst die Michael Kleff Research Collection der Lippmann+Rau-Stiftung in Eisenach übergeben. Die Collection stellt er in dem Beitrag „This Land is (Y)our Land“ Er hat Musik immer politisch verstanden, die Musik eines Woody Guthrie, eines Pete Seeger und vieler anderer, die engagierten Liedermacher in der DDR, in der Bundesrepublik, in Österreich. Sein Wunsch: eine breite Bewegung von Musikern und Musikerinnen für die Demokratie, gegen Trump, sowie einen kritischen Journalismus, der fachkundig die Hintergründe dieser Musik kennt und benennt. (Rubriken: Kultur, Weltweite Entwicklungen, DDR)
  • Christopher Reichel stellt sich ebenso wie Michael Kleff die Frage nach dem Engagement der Musiker:innen unserer Zeit für die Demokratie und ist optimistisch: „Everything is Alive“. So nicht nur der Titel des neuen Albums von Slowdive, sondern auch ein Motto für zahlreiche Titel des vergangenen Jahres, die politischer sind als es manchen scheinen mag. Aber über allem das Phänomen Taylor Swift, die in ihrer Popularität belegt, dass unsere Gesellschaft weniger gespalten ist als manche meinen. Ihre Auftritte und 15 in diesem Beitrag vorgestellte Songs belegen die Thesen der Studie „Triggerpunkte“ von Steffen Mau, Linus Lux und Linus Westheimer (Rubriken: Kultur, Liberale Demokratie)
  • Norbert Reichel hat sich in dem Essay „It’s no Science Fiction, isn’t it? Migration und Klima im Zeitalter der Krisen“ mit den Korrelationen und Kausalitäten von Migration und Klimaschutz auseinandergesetzt. Studien von Benjamin Schraven, Steffen Mau, Paragh Khanna, Stefan Lessenich und anderen belegen die höchst komplexen Verknüpfungen zwischen den Krisen unserer Zeit, die mitunter an Science-Fiction-Romane erinnern könnten. Politisch diskutiert werden in diesem Rahmen oft weniger die klimatischen Entwicklungen als Fragen eines rigiden Grenzmanagements, durch das die bisherige Globalisierung eingeschränkt wird. (Rubriken: Migration, Afrikanische Welten)

Save the dates: Veranstaltungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons:

  • Das Grundgesetz im Osten: Am 13. Mai 2024, 19.30 bis 21.30 Uhr gibt es im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn im Rahmen der Feiern zum 75jährigen Jubiläum des Grundgesetzes eine Gesprächsrunde mit Markus Meckel, Ratsvorsitzender der Bundesstiftung Aufarbeitung, ehemaliger Außenminister der DDR-Regierung 1990, bis 2009 Abgeordneter im Deutschen Bundestag und Benjamin Limbach, Justizminister NRW. Thema sind die Demokratie in Ost- und Westdeutschland im Vergleich, die Debatten um die Stärkung des Verfassungsgerichts, um Parteiverbote und andere Möglichkeiten, gegen verfassungsfeindliche Entwicklungen vorzugehen. Partner ist die Bundestiftung Aufarbeitung. Nähere Informationen und Anmeldemodalitäten demnächst hier.
  • Bonner Tage des Exils: In der ersten Septemberwoche 2024 beteiligt sich der Demokratische Salon an dieser von der Körber-Stiftung und der Stadt Bonn organisierten Veranstaltungsreihe, am 2. September, 19.00 Uhr, im Gustav-Stresemann-Institut zum Exil von DDR-Autorinnen und -Autoren im Westen (mit Ines Geipel und Franziska Groszer), am 3. September, 19.00 Uhr, in der Beueler Brotfabrik über die Jeckes in Israel (mit Shelly Kupferberg, die unter anderem aus ihrem Roman „Isidor“ liest, und Esther Gardei vom Bonner Zentrum für Versöhnungsforschung), und am 6. September, 19.00 Uhr ebenfalls in der Brotfabrik über die „Grenzenlose Hoffnung“ von Geflüchteten im Exil (Szenische Lesung und Musik mit Alvaro Solar, Cristina Collao und Klaus Farin). Weitere Partner sind unter anderem die Landeszentrale für politische Bildung NRW, die Theatergemeinde Bonn, die Bundesstiftung Aufarbeitung sowie die Weichmann-Stiftung. Details und Anmeldemodalitäten demnächst hier.
  • Unter Verschluss: Nach dem Erfolg der szenischen Lesung „Unter Verschluss“ im Oktober 2022 in Bonn gibt es zwei weitere Veranstaltungen am 5. November 2024, 19.00 Uhr in Düsseldorf in der Stadtbibliothek und am 7. November 2024, 19.00 Uhr, jeweils mit Ines Geipel und Franziska Groszer. Vorgestellt wird auch die am 7. März 2024 erscheinende Neuauflage Lilienverlag mit der inzwischen erschienenen Neuauflage von „Gesperrte Ablage“.
  • „KlimaFiktionen 2024“: Das im letzten Newsletter für April 2024 angekündigte Festival muss leider verschoben werden, ein neuer Termin steht noch nicht fest: Der Demokratische Salon wird in den folgenden Monaten bereits Texte rund um das Festival veröffentlichen und mehrere Akteur:innen vorstellen.

Veranstaltungen, Ausstellungen, Wettbewerbe:

  • „Wir werden wieder tanzen“: „Um 6.29 Uhr kam der Horror.“ Dies ist die Überschrift des Berichts von Sabine Brandes vom 14. Dezember 2023 in der Jüdische Allgemeinen über die Ausstellung 6.29 in Tel Avivs Messe-Expo, die an die 360 Ermordeten des Supernova-Festivals erinnern soll. Die Ausstellung ist „eine akribische Nachstellung des Festivals“. Zu sehen sind Fotos sowie Originalgegenstände, sogar Sand vom Ort des Festivals, die Tonausrüstung des ermordeten Tontechnikers Matan Lior, Tische voller Schuhe, Rucksäcke, Sonnenbrillen, Puderdosen und Lippenstifte, ein Schminktäschchen mit dem Aufdruck ‚Berlin‘. (…) Die Ausstellungsbesucher durchlaufen komplexe Emotionen, wenn sie entlang der Installationen laufen, die durchgehend in ein Halbdunkel getaucht sind.“ Aber: „Am Ausgang ist es plötzlich hell und bunt. An der Wand hängt ein Poster in allen Farben des Regenbogens. ‚We will dance again‘ steht in farbigen Buchstaben darauf: ‚Wir werden wieder tanzen‘.“
  • Fotoausstellung „Das Massaker vom 7. Oktober und seine Folgen“: Bis zum 12. April 2024 (Mo bis Fr 9 – 18 Uhr, nicht an Plenardonnerstagen, Eintritt ist frei) sind in der Wandelhalle des Abgeordnetenhauses Berlin Fotos von Ziv Koren zu sehen, der Opfer des Massakers, freigelassene Geiseln und Familienangehörige begleitet und fotografiert hat. Es ist eine gemeinsame Ausstellung des Abgeordnetenhauses und der Botschaft des Staates Israel in Deutschland. Initiiert hatte sie das israelische Außenministerium. Birgit Rieger sprach mit dem Fotographen für den Tagesspiegel: „Es ist derzeit unmöglich, ausgewogen zu sein“. Katrin Richter interviewte ihn für die Jüdische Allgemeine: „Ich zeige, was passiert ist“. Eine der begleiteten freigelassenen Geiseln ist Mia Schem, die an dem Nova-Festival teilnahm. Über sie und ihren ermordeten Freund Elia Toledano berichtete Sabine Brandes im Dezember 2023. Mia trägt ein Tattoo mit den Worten „Wir werden wieder tanzen“.
  • Futures Lounge: New Horizons 2045 – Mehr Zukunft wagen: Die nächste Futures Lounge findet am 6. März 2024, 18.30 Uhr statt. Sie beginnt mit einer 15-minütigen Live-Führung durch die Ausstellung „Neue Horizonte greifbar machen“. Anschließend wird Raum sein für Berichte, Eindrücke, Statements aus und über die Ausstellung und die Missionswerkstatt. Ort: entweder live in den Ausstellungsräumen der Berlin School of Design and Communication (Prinzenstraße 84, 10969 Berlin, 1.OG, im Aufbauhaus, U-Bahn Moritzplatz), per zoom, oder auf dem D2030-LinkedIn-Kanal. Und wer den TErmin verpasst hat, kann sich einige Tage später die Konserve auf der D2030-Website (unter „Rückblicke“) anschauen. Es geht unter anderem um die Fragen, ob das Neue vor-denkbar oder doch nur eine Variation des Gegenwärtigen ist, welche Grenzen oder auch Entgrenzungen es bei der spielerisch-kreativen Annäherung an 2045 gibt. Gäste sind die Social Designerin Carolin Scheck aus dem SRH-Team, Hanna Rammig aus dem D2045-Szenario-Kernteam der Zukunftsvordenker Johannes Wirz als Mitorganisator der Missionswerkstatt. Moderator ist Jonas Drechsel (D2030-Vorstand).
  • Milein Cosman in Bonn: Unter dem Titel „Den Moment zeichnen – Die Künstlerin Milein Cosman“ wird am 8. März 2024, 16.30 Uhr, im Bonner Stadtmuseum eine Ausstellung mit Bildern der Zeichnerin Milein Cosman eröffnet. Die Bilder sind bis zum 7. April 2024 zu sehen. Milein Cosman wurde in Düsseldorf geboren, flüchtete 1937 über die Schweiz nach England, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2017 lebte. Sie portraitierte Musiker:innen, Künstler:innen und Autor:innen wie Igor Strawinsky, Thomas Mann oder Fred Uhlman. Die Bilder sind Teil des im Aufbau befindlichen „Forum Exilkultur in Bonn“. Begleitveranstaltungen zur Ausstellung am 17. März 2024, 16.30 Uhr (Vortrag von Thomas B. Schumann), am 24. März 2024, 15 Uhr (Workshop für Kinder ab 7 Jahren und für Erwachsene mit Pia Weimert), Finissage am 7. April 2024, 16.30 bis 17.30 Uhr (einschließlich einer Führung von Philipp Hofmann). Es ist die erste Ausstellung im Rahmen des „Forum Exilkultur“.
  • Freiheit: Die Ausstellung „Freiheit“ ist in der Städtischen Galerie im Bürgerhaus, Mittelstraße 40, 40721 Hilden bis zum 23. März 2024 zu sehen. Die gezeigten Fotos sind in Fotoworkshops mit dem Fotografen Michael Ebert im Rahmen des Projektes „Zusammen aktiv vor Ort – Gesellschaftliche und Politische Teilhabe gestalten“ entstanden. Zu sehen sind 50 unterschiedliche Bilder und Statements, deren Ziel es ist, den abstrakten Begriff der Freiheit sichtbar zu machen, gerade auch im interkulturellen Kontext. Leonie Ziegler schreibt im Programm: „Dabei darf man nicht vergessen, die Freiheit, die wir zum Beispiel hier in Deutschland erleben, ist nicht die gleiche wie in anderen Ländern. Was wir hier für selbstverständlich nehmen, ist in anderen Ländern nicht nur verboten, sondern wird auch streng bestraft. Das Ausleben seines individuellen Glaubens, seiner Meinung, seiner politischen Standpunkte, das Ausleben seiner eigenen Sexualität kann in anderen Ländern zu schwerwiegenden Konsequenzen führen. Man sollte sich der Freiheit, in der wir leben immer bewusst sein und neben unseren Bildern ist das auch ein Ergebnis dieses Workshops.“
  • Magic Mountains Mystery Tour: Diese Ausstellung ist im Kunstraum Gewerbepark-Süd (Hofstr. 64, 40723 Hilden) noch bis zum 10. März 2024 zu sehen. Der volle Titel der Ausstellung der Künstlerin Güdny Schneider-Mombaur: „Magic Mountains Mystery Tour – Eine Reise in die Gegenwart“. Die Reise, die im Ausstellungstitel anklingt, hat wirklich 1994 stattgefunden. Es war ein internationaler Künstleraustausch zwischen Deutschland und der Volksrepublik China. Gemeinsam mit zehn deutschen und internationalen Künstlern wurden zehn Provinzen in China bereist. Es gibt mehrere Begleitveranstaltungen, am Freitag, 1. März 2024, 18.00 Uhr „Art & Wein – Genuss auf hohem Niveau: Magic Mountains im Glas“ mit der Weinexpertin Daniela Rothschuh. Am Donnerstag, 7.  März 2024, 18:00 Uhr, gibt es eine Führung durch die Ausstellung mit der Künstlerin und Sandra Abend.
  • Science Fiction Club Andymon: In den Räumen des Kulturrings Berlin-Treptow trifft sich jeden zweiten Donnerstag im Monat der SF-Club Andymon. Das nächste Treffen findet am 8. März 2024, 18.30 Uhr in Berlin-Treptow (Ernststraße 14-16, S-Bahnstation Baumschulenweg) statt. Diesmal als Leseabend, Clubmitglieder berichten über die Bücher, die sie gelesen haben und anderen zur Lektüre weiterempfehlen. Alle Termine des Jahres 2024 finden Sie hier. Der Club bietet Informationen und Austausch über aktuelle Themen der Science Fiction, neue Publikationen und Filme, Jahrbücher und Zeitschriften sowie Debatten mit Autor:innen über Texte und Filme vergangener Zeiten.
  • Ausstellungen der Bundesstiftung Aufarbeitung: Die Ausstellungen „Friedliche Revolution und Deutsche Einheit kompakt“ und „Niños robados. Gestohlene Kinder. Stolen Children“ über die Internetseite der Bundesstiftung Aufarbeitung (vor)bestellt werden. Die Ausstellung „Friedliche Revolution und Deutsche Einheit kompakt“ veranschaulicht mit Karten und illustrierten Zeitleisten die chronologischen und geografischen Zusammenhänge des Jahres 1989/1990. Auf sechs Tafeln werden zeitgleiche Entwicklungen, insbesondere im Hinblick auf Ostmitteleuropa, sichtbar. Die Ausstellung ist ab sofort bestellbar und kann ab dem 18. März 2024 präsentiert werden. Die Ausstellung „Niños robados. Gestohlene Kinder. Stolen Children“ zeigt Lebensgeschichten von Betroffenen insbesondere aus Argentinien, Deutschland, El Salvador, Kanada, der Sowjetunion und Spanien. Die Ausstellung wurde gemeinsam mit der Elisabeth-Käsemann Stiftung Sie steht in deutscher Sprache als gedrucktes Poster-Set im Format DIN A1 sowie als Druckdatei im Format 85 (B) X 200 (H) Zentimeter zur Verfügung, bis Ende Februar darüber hinaus in englischer und spanischer Sprache als Druckdatei.
  • Jesiden: Am 19. März 2024, 19.30 Uhr, wird Ronya Othmann im Literaturhaus Köln, ihren Roman „Vierundsiebzig“ (nach „Der Sommer“ ihr zweiter Roman) im Gespräch mit Ulrich Noller vorstellen. Der Titel des Romans ist die Zahl der Verfolgungen der Jesid:innen. Der Roman beginnt am 3. August 2014, als der sogenannte „Islamische Staat“ in der Sindschar-Region im Irak einmarschierte. Ronya Othmann berichtet über den Genozid an der jesidischen Bevölkerung, die ihn „Farman“ nennt, ordnet ihn in die Geschichte der Region und der Jesid:innen seit osmanischer Zeit ein. Ein Auszug des Romans wurde 2019 bereits mit dem Publikumspreis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs ausgezeichnet. Die Veranstaltung kann auch im Livestream verfolgt werden. Partner der Veranstaltung ist der Rowohlt-Verlag.
  • Klimazukünfte: Das Klimahaus Bremerhaven und der Hirnkost Verlag haben den Literaturwettbewerb Klimazukünfte ins Leben gerufen. Unterstützt wird der Literaturwettbewerb durch VS Bundesvorstand, Writers For Future, Respekt! – Die Stiftung. Finanziert wird er von Sylvia Mlynek und Fritz Heidorn aus Oldenburg. Der Preis wird in den Kategorien für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene vergeben: „Der Literaturpreis KLIMAZUKÜNFTE 2050 soll Menschen jeden Alters, professionelle wie nicht-professionelle Autor:innen anregen, sich mit dem Klima und möglichen Zukünften auseinanderzusetzen und diese literarisch vorzustellen. Möglich sind alle Formen der literarischen kurzen Auseinandersetzung mit dem Thema, sei es Prosa oder Lyrik, als Science-Fiction-Erzählung, Dystopie oder Utopie, als Fabel oder Märchen. Auch Graphic Novels und Slam-Poetry-Texte sind willkommen. Wichtig ist, dass die Schreibenden eine eigene Erzählform finden, die ihre Gedanken und Gefühle zugänglich machen: Wie wird das Leben in Deutschland, Europa und der Welt im Jahre 2050 aussehen?“ Einsendeschluss ist der 31. März 2024 (nur digitale Einsendungen werden berücksichtigt). Die Auszeichnungen erfolgen während der Leipziger Buchmesse 2025.
  • Ausstellung über Ergreifung und Prozess Adolf Eichmanns: Im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst (SMÄK) in München ist bis zum 30. April 2024 die Ausstellung „Operation Finale“ unter dem Titel „How To Catch A Nazi“ zu sehen. Sie zeigt, wie der israelische Geheimdienst Mossad und der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Jahr 1960 Adolf Eichmann in Argentinien ausfindig machten, wie seine Entführung nach Israel durchgeführt und wie ihm schließlich der Prozess gemacht wurde. Es war der erste große Prozess, indem Opfer des Holocaust vor der Weltöffentlichkeit Zeugnis von den Verbrechen der Nazis ablegten. Die Ausstellung ist eine Multimedia-Ausstellung. Sie stammt aus Israel und den USA und wurde von der Adolf Rosenberger gGmbH und dem SMÄK erstmalig nach Deutschland gebracht. Der Film „Operation Finale“ ist auch bei Netflix im Programm.

Hintergrundinformationen und Leseempfehlungen:

  • Lichtblicke für die Demokratie: Es geht weiter, mit den Demonstrationen und dann besonders erfreulich die von Medienhäusern und über 500 Wirtschaftsunternehmen, Stiftungen und Verbänden am 15. Februar 2024 ins Leben gerufene Kampagne „#Zusammenland – Vielfalt macht uns stark“. Auch die Deutsche Bischofskonferenz äußerte sich klar und deutlich: „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“. Wenige Tage später schloss die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) an. Jetzt sollten es auch die demokratischen Parteien verstehen? Mariam Lau zitiert in ihrem Editorial der ZEIT vom 24. Februar 2024 Armin Laschet, der im Gegensatz zu Friedrich Merz, der meinte, die Grünen seien selbst schuld an den Anfeindungen, und dem zu den jüngsten Übergriffen schweigenden Markus Söder die Solidarität der demokratischen Parteien einforderte: „Da müssen wir anderen Parteien sagen, wir stellen uns schützend vor die Grünen.“ Armin Laschet war aber offenbar bisher der einzige prominente Politiker der CDU, der sich so äußerte. Andere haben sich – wie Mariam Lau belegt – eher mehr als zurückhaltend geäußert. Markus Söder verglich in seiner Hilflosigkeit gegenüber den Bauernprotesten Umweltministerin Steffi Lemke mit Margot Honecker, Friedrich Merz meinte, die Grünen wären selbst schuld, Politiker:innen aus den hinteren Reihen verstiegen sich dazu, die Demonstrierenden als Linksradiale zu bezeichnen. Die ständige Betonung, mit den Grünen wäre eine Koalition nicht möglich, kommt hinzu. Es ließe sich fast vermuten, dass die viel zitierte „Brandmauer“ steht, aber gegen die Grünen. Irgendwie klingt es nach einer neuen Hufeisenvariante. Die Linke erscheint bedeutungslos, also geht’s jetzt auf die Grünen. Auf der anderen Seite gab es leider auch auf der Seite der Organisator:innen und Redner:innen der Demonstrationen welche, die meinten, die CDU und die CSU mit der AfD vergleichen zu müssen, glücklicherweise nur einige wenige.
  • Nachrufe auf Alexej Anatoljewitsch Nawalny: Wie wichtig, wie grundlegend die aktuellen Demonstrationen für unsere Demokratie sind, wie wichtig es ist, dass wir in der Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen, möge uns das Schicksal und der Mut eines Mannes vor Augen führen, dem ich diesen Newsletter widme: In Memoriam Alexej Anatoljewitsch Nawalny (empfehlenswert eine ZDF-Dokumentation) und in Gedanken an die vielen mutigen Oppositionellen, die in Putins Reich inhaftiert wurden. Einen eindrucksvollen Nachruf, der die schleichende Hinrichtung – anders kann man es nicht nennen – eines Menschen durch die willige Kooperation eines Staatschefs, seiner Bürokratie und all derjenigen, die in den Straflagern mit vielerlei Schikanen den politischen Willen umsetzen, schrieb Alexander Estis in der Süddeutschen Zeitung. Im Tagesspiegel schrieb Gabriele Stötzer in Erinnerung an ihre eigene Haftzeit in der DDR über die Menschen, die sich nicht in die „Ordnung“ einfügen wollen und daher von dem Staat, in dem sie leben, aus der Öffentlichkeit verbannt sind. Ihr Beitrag endet mit einem Hinweis auf den Zerfall der Gruppe 47, die einen Vers nicht ertragen konnte: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Ihr letzter Satz lautet: „Der Tod ist ein Meister aus Russland“. Giovanni di Lorenzo stellt in seinem Leitartikel „Vor aller Augen“ in der ZEIT vom 22. Februar 2024 fest: „Wer sich nach Alexej Nawalnys Tod noch Illusionen über Putin macht, dem ist nicht mehr zu helfen“. Alexej Nawalnys Frau Julija Nawalnaja will sein Werk fortsetzen: „Man weiß nicht, woher sie diese Kraft nimmt. Es sind aber Menschen wie die Nawalnys, die auch in größter Verzweiflung die Hoffnung wachhalten, dass die Zustände eines Tages doch noch besser werden können.“
  • 7. Oktober 2023: Für die ZEIT haben ein Team von 13 Journalist:innen den Verlauf des Angriffs der Hamas am 7. Oktober 2023 rekonstruiert, die Angriffspläne, das Versagen der israelischen Behörden und der Armee: „Der Tag, der nicht enden will“. Es ist „der wohl am besten dokumentierte terroristische Anschlag der Geschichte“. Eine Karte zeigt alle angegriffenen Orte, die Kibbuzim, die Militäreinrichtungen, mit der Zahl der von der Hamas ermordeten Menschen. Bisher gibt es keine Untersuchungsergebnisse über die Ursachen aus Israel. Die Pläne der Hamas waren lange bekannt, hätten lange bekannt sein können, aber sie wurden ignoriert. „An dem Angriffsplan, den die Hamas am 7. Oktober durchexerziert, arbeitet sie seit zehn Jahren. Und er ist nicht einmal ein Geheimnis. Schon 2014 erfährt der israelische Inlandsgeheimdienst, dass elf Hamas-Kämpfer in Malaysia trainieren, mit Gleitschirmen aus der Luft anzugreifen.“ Das war nicht der einzige Hinweis. Gefangene Hamas-Terroristen bekennen, dass sie den Auftrag gehabt hätten, jeden zu töten, der sie ablenke, Geiseln zu nehmen, Frauen zu vergewaltigen. Das ZEIT-Team beschreibt am Beispiel einzelner Personen von beiden Seiten, wie der Tag verlief, wie sich die Hamas-Terroristen vorbereiteten. Es beschreibt auch, wie die Zivilbevölkerung mit wenigen Ausnahmen die Hamas-Terroristen bei ihrer Rückkehr mit ihren Geiseln bejubelte. Das Team beschreibt auch die Leistung von Rami Davidian, der 750 Menschen mit seinem Auto im Pendelverkehr rettete und davon profitierte, dass er arabisch sprach. „Fragt man Davidian, was ihm die Kraft gibt, dann sagt er: Dass die Geretteten irgendwann vielleicht Kinder und Enkelkinder haben werden. ‚So viel Leben, das jetzt weitergeht‘, sagt er. An diesem Gedanken versuche er sich festzuhalten.“ Die Gefahr wird bleiben: „Wie alle Islamisten denkt die Hamas-Führung in Generationen.“ Mehrere Überlebende und inzwischen Freigelassene berichteten auf der Münchner Sicherheitskonferenz, darunter Alon Gat. Mehrere Mitglieder seiner Familie wurden ermordet, wein Vater wurde entführt, seine Frau Yarden kam nach 54 Tagen frei. Die ZEIT dokumentierte: „Zu meiner Frau Yarden, die deutsche Staatsbürgerin ist, sagten die Terroristen: ‚Israel ist nur der Anfang. Wir haben viele Hamas-Leute in Deutschland.“
  • Palästinensischer Widerstand gegen die Hamas: Es ist kaum möglich, mit Menschen in Gaza zu sprechen. Anastasia Tikhomirova und Steffi Hentschke haben für ZEIT online recherchiert, dass auf den sozialen Medien der Widerstand gegen Hamas und Fatah wächst. Dies bestätigen Aktivisten, die die ZEIT kontaktierte, weil sie Videos von Demonstrationen in Gaza und Protestaufrufe im Internet teilten. Sie haben sich mit palästinensischen Aktivisten in Ostjerusalem beraten können. Sie dokumentieren die Forderungen des Unternehmers Samer Sinijlawi: „Beide Seiten bräuchten eine neue Führung, Israelis wie Palästinenser. Beide Seiten müssten fähig sein zur Selbstkritik (…).Ahmed Fouad Alkhatib, ein US-amerikanischer Schriftsteller, hofft auf eine neue Regierung, an der er sich beteiligen würde: „Wir müssen das Bildungssystem überarbeiten. Wir müssen die Medienpolitik überarbeiten, und zwar nicht nur auf palästinensischer Seite, sondern parallel dazu auch auf israelischer Seite. Wenn wir weiterhin zwei Narrative haben, die sich gegenseitig bekämpfen, ist es sehr schwierig, das Denken eines Volkes in Richtung Koexistenzmodell zu lenken.“ Hoffnungszeichen?
  • Zerrissenheit: Wie schwer es für Menschen aus Palästina zurzeit ist, sich zu äußern und sich nicht zuletzt vor dem Generalverdacht in der Umwelt zu schützen, sie alle wären Sympatisant:innen der Hamas, dokumentieren Mariam Lau und Annabel Wahba im ZEIT-magazin vom 22. Februar 2024: „Unter uns Palästinensern“. Gesprächspartner:innen sind die 18jährige Gymnasiastin Youmna, Mazen Abu Amro, der gerade aus Gaza zu seiner Familie flüchtete, die seit 2008 in Berlin lebt, der Comedian Abdul Khader Chahin, der Theologe Mouhanad Khorchide sowie Jouanna Hassoun, Geschäftsführerin von Transaidency. Wie schwierig Situation und Stimmungslage sind, beschreibt Mouhanad Khorchide bereits zu Beginn: „Ich war kürzlich auf einer Veranstaltung zum Thema Antisemitismus. Die Referentin sprach die ganze Zeit von den neuen Formen des Antisemitismus inklusive Israel-Kritik. Normalerweise hätte ich da eine Frage gestellt, ob man wirklich jede Kritik an Israel als Form von Antisemitismus bezeichnen sollte. Aber ich als Palästinenser und muslimischer Theologe traue mich das gerade nicht. Ich habe das Gefühl, auch wenn ich etwas Richtiges sage, wird das womöglich so wahrgenommen: Schau mal, der will das relativieren. Die Debatte wird geführt wie beim Fußball: Entweder bist du für die einen oder für die anderen. Und wenn man nicht ohne Wenn und Aber für die eine Mannschaft ist, wird man verdächtigt. Auf Podien schweige ich deshalb gerade sehr viel.“ Es entwickelt sich dann ein ausgesprochen vielfältiges, kritisches und gleichzeitig andere als die üblichen Perspektiven eröffnendes Gespräch. Thema sind Erlebnisse auf Reisen nach Gaza, nach Jerusalem, zur Rolle beziehungsweise Nicht-Rolle der Religion, zu Unterschieden von Seiten verschiedener Generationen, Vorbehalte, Unsicherheiten, die Beziehung zwischen Islam und Judentum.
  • UNWRA: Manche wunderten sich, aber alle, die sich schon längere Zeit halbwegs intensiv mit den Entwicklungen im Mittleren und Nahen Osten befassen, wussten es: die UNWRA arbeitet eng mit terroristischen palästinensischen Gruppen zusammen. Diese Wahrheit wollten die meisten westlichen Regierungen nicht zur Kenntnis nehmen, sondern unterstützten die Organisation fortlaufend, alles im Namen der humanitären Unterstützung. Florian Markl hat für mena-watch die Geschichte der UN-Organisation verfolgt und fordert: „Die Auflösung der UNWRA ist möglich – und dringend geboten“. Alexander Gruber – ebenfalls für mena-watch tätig – nennt die in der Vergangenheit zugänglichen Belege: „UNWRA-Terrorentwicklung – Das hätte ja keiner ahnen können?“ In einem weiteren Beitrag schreibt Alexander Gruber: „Mahmud Abbas und seine Kollegen erklären offen, dass die UNWRA eine wichtige Waffe ist, um den jüdischen Staat zu zerstören“. Es gibt einige Besonderheiten dieser UN-Organisation. Als Geflüchtete werden nicht nur die Menschen gezählt, die 1948 – im Rahmen der Nakba – tatsächlich ihre Häuser und Wohnungen verlassen mussten, sondern auch deren Kinder und Enkelkinder. Die aufnehmenden Staaten, beispielweise der Libanon und Jordanien, taten nichts, die geflüchteten Menschen zu integrieren. Sie leben nach wie vor in Lagern. In Gaza und im Westjordanland finanziert die UNWRA – auch hierzu Florian Markl – Schulen, in denen Judenhass gelehrt wird. In UNWRA-Ferienlagern – hierzu ein Bericht von David Badein auf mena-watch – werden Kinder zu Kindersoldaten ausgebildet, in Spielen lernen Kinder „den Umgang mit Waffen, die Entführung israelischer Soldaten und das In-Brand-Setzen von Fahrzeugen der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF)“. Die Familien sogenannter „Märtyrer“ erhalten finanzielle Unterstützung, eine Gratifikation für Terroranschläge. Wie es 1948 zu den Vertreibungen – der „Nakba“ – kam, ist eine andere Geschichte, und hat mit dem unmittelbar auf die Staatsgründung Israels folgenden Angriff fünf arabischer Armeen zu tun, aber ebenso gehört zur historischen Wahrheit, dass 1948 fast alle Jüdinnen und Juden aus den verschiedenen arabischen Ländern vertrieben wurden und in Israel Zuflucht suchten. Sie und ihre Nachkommen machen etwa die Hälfte der israelischen Bevölkerung aus.
  • Gegen Antisemitismus, gegen Rassismus: Auf WDR 5 zu hören war in der Reihe „Lebenszeichen“ ein Feature von Manuel Gogos mit dem Theaterpädagogen und Buchautor Burak Yilmaz. Burak Yilmaz ist in Duisburg-Obermarxloh aufgewachsen. Dort erlebte er den Unterricht in einem katholischen Gymnasium sowie in der Koranschule, aber auch den alten Nazi aus der Nachbarschaft, der forderte, ihn und seine Freunde „in die Kammer zu schicken“. Er spricht über die Flüche und Verschwörungserzählungen, die er damals im Alltag erlebte. Als er im Jahr 2009 ein Jugendzentrum in Duisburg öffnet, kommen einige muslimische Jugendliche aufgeheizt direkt von einer Anti-Israel Demonstration in der Stadtmitte. Sie rufen „Hitler ist gut! Heil Hitler!“ Burak Yilmaz stellt sie zur Rede und verweist sie des Hauses. Doch sie rufen beim Wegrennen: „Wir sind Antisemiten. Daran kannst du nichts ändern!“ Seitdem versucht Burak Yilmaz das zu ändern: durch Auschwitzfahrten und Theaterstücke, die er gemeinsam mit Jugendlichen gestaltet, durch Schulbesuche und unzählige Gespräche, auch mit Lehrkräften. Ein Anliegen sind ihm der jüdisch-muslimische Dialog, so schwer dies inzwischen ist, und Möglichkeiten, Christ:innen den Islam und Muslim:innen das Christentum zu erklären, und wie man pädagogisch mit Erinnerungskultur umgehen könnte, wenn Schüler:innen im Unterricht Auschwitz und Gaza parallelisieren. Schüler:innen berichten über eine der von Burak Yilmaz organisierten Auschwitzfahrten, die er in den Jahren 2012 bis 2019 organisierte. Das Feature enthält auch eine ausgesprochen differenzierte Diskussion unter Schüler:innen, auch über die Rolle der Eltern. Wer mehr über die Erfahrungen von Burak Yilmaz wissen möchte, lese sein Buch „Ehrensache – Kämpfen gegen Judenhass“ (suhrkamp nova, 2021).
  • Michel Friedman zu Antisemitismus und Demokratiehass in Deutschland: In einem in der FAZ veröffentlichten Interview mit Bertram Eisenhauer stellt Michel Friedman lapidar fest: „Der Antisemitismus, der Judenhass ist keine Erfindung der Deutschen. Aber Auschwitz ist eine Erfindung der Deutschen. Und nach Auschwitz hätte es so sein müssen, dass der Antisemitismus in Deutschland in der Form, wie wir ihn heute erleben, gar nicht mehr so virulent sein dürfte – oder falls er doch vorkommt, eine ganz andere Gegenreaktion erfährt. Ich bin sehr skeptisch, ob die oft beschworene Erinnerungskultur in Deutschland wirklich stattgefunden hat und stattfindet. Tatsache ist, dass in den allermeisten Familien geschwiegen wurde – ‚die zweite Schuld‘ der Deutschen, wie Ralph Giordano sagte.“ Es gehe aber nicht nur um „Judenhass“, sondern auch um „Demokratiehass“. Dies sei die größte Gefahr, die von Extremisten ausgehe und die sich im Antisemitismus abzeichne und manifestiere. Dies ist auch Thema des im Februar 2024 im Berlin-Verlag erschienenen Buches „Judenhass – 7. Oktober 2023“. Warum schweigen so viele Menschen nach dem 7. Oktober 2023? Was hat dieser Tag verändert? Warum verwechseln so viele Israel als Staat mit einer bestimmten israelischen Regierung, Israel mit dem Judentum an sich? Beeindruckend das Kapitel „Brief an einen Antisemiten“. Das gesamte Buch ist ein Plädoyer ganz im Stile des „ewigen Dennoch“ von Leo Baeck. Es schließt mit einem „Brief an meine Söhne“, dessen letzter Satz: „Befreit Euch von den Unglücklichen, die glauben, sie könnten glücklich werden, weil sie andere Menschen hassen. / Hasst nicht Niemanden. (…) / Seid, wer Ihr seid. Lebt Euer Leben. Feiert es.“
  • Antisemitismus auf TikTok: Für die FAZ berichtete Mina Marschall von einer Studie der Anne-Frank-Bildungsstätte in Frankfurt am Main über Judenhass auf TikTok, das eine Art „Speedradikalisierung“ Die Nutzer:innen sind in der Regel zwischen 16 und 24 Jahren alt. Tiktok überlässt das Feld Judenhassern jeglicher Couleur, Islamisten wie Rechtsextremisten, heißt es in dem Report der Bildungsstätte. Das Netzwerk werde im öffentlichen Diskurs und in der Kulturberichterstattung zu wenig oder fast gar nicht problematisiert. Tiktok sei ein ‚unbekanntes Massenmedium‘ und damit ein idealer Nährboden für Extremisten, die sich in die endlose Kurzvideoschleife einfügen, ohne hinterfragt zu werden. Das nutzten auch AfD-Politiker. Ihre Partei ist die reichweitenstärkste der deutschen Parteien auf Tiktok.“ Das Massaker vom 7. Oktober 2023 wird begrüßt, mit allen Verbrechen, selbst der Mord an israelischen Kindern wird als „okay“ bezeichnet, andere behaupten, es habe gar nicht stattgefunden. „Die Bildungsstätte fordert, Demokratie- und Medienbildung nicht mehr zu trennen. Es brauche digitales Streetwork auch in der Jugendsozialarbeit. Besonders Schüler müssten besser informiert werden. Das belegen Aussagen, die die Bildungsstätte an hessischen Schulen gesammelt hat. Durch die Zitate der Schüler zwischen neun und 17 Jahren ziehen sich Verschwörungserzählungen und der Hass auf Juden.“
  • Wer wählt eigentlich die AfD? So richtig weiß das niemand. Elisabeth Raether hat für die ZEIT jemanden getroffen, der eigentlich in fast allen seinen Ansichten, im Lebensstil nicht zur AfD passt, sie aber dennoch wählt. Es ist eine allgemeine Unzufriedenheitsliste, die irgendwann dazu führt, dass jemand sozusagen aus Trotz die AfD wählt. Es geht – so der Gesprächspartner – „um das fundamentale Nein zur Politik“. Politiker betrachtet er ausschließlich als „Dienstleister“: Er „findet vor allem Leute schlimm, die Politik machen.“ Claus Leggewie stellt in der Februarausgabe 2024 der Blätter für deutsche und internationale Politik die Anschlussfrage: „Warum aber treffen sich Vertreter des gehobenen Bürgertums mit bekennenden Faschisten? Bindeglied ist die Verschwörungstheorie der Neuen Rechten vom „Großen Bevölkerungsaustausch“, die hinter dem Kampfbegriff Remigration steckt, der auf jeder Demonstration der AfD skandiert wird und auch im Wahlprogramm der Partei steht.“ Die Antwort: dafür sorgen die demokratischen Parteien selbst: „Warum traktieren wir dann aber ununterbrochen das AfD-Megathema Migration, nebenbei das einzige, was die Parteiflügel zusammenhält? Und warum stoßen die bürgerliche Opposition und selbst Teile der Ampelregierung ins gleiche Horn?“ Das Gegenmittel wäre eine Diversifizierung der Themen mit einer zukunftsorientierten Perspektive: „Wir müssen vor allem eine nachhaltige und soziale Zukunft für unsere Kinder und Enkel bauen, damit sie noch eine lebenswerte Welt haben. (…) Wie wollen wir in der Zukunft arbeiten? Wie wohnen? Wie werden wir uns bewegen? Und ernähren?“
  • Wie faschistisch ist die AfD? Für den Tagesspiegel hat Christiane Rebhan aufgeschrieben, wie Deutschland aussähe, wenn die AfD die Regierung stellte. Kulturelle Vielfalt, Erinnerungskultur, Nicht-Regierungsorganisationen, Zivilgesellschaft hätten ein Ende, in den Schulen würden nur noch „deutsche“ Werte gelehrt, was auch immer das sein mag, in der Fußballnationalmannschaft spielen nur noch weiße, Deportationen sind an der Tagesordnung, denn so der thüringische Landesvorsitzende, Deutschland käme auch mit 20 bis 30 Prozent weniger Menschen aus. Anstelle der EU steht die Annäherung an Russland, Deutschland wird de-internationalisiert, dies wird sich in Buchläden, Zeitungen, Zeitschriften, Kino, Fernsehen und Theatern auswirken. Susan Vahabzadeh hat das Frauenbild der AfD beschrieben: „Reproduziert euch“. Eine andere Rolle sieht die AfD für Frauen in der Gesellschaft nicht, wer keine Kinder hat, wird als jemand bezeichnet, der seine Aufgabe in der Gesellschaft nicht erfülle. Die Linguistin Ruth Wodak hat im Gespräch mit Nora Ederer die miteinander verschmelzenden Sprachmuster von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten beschrieben. Dazu gehört auch die Verwendung des Wortes „Remigration“, das verschleiern soll, dass man eigentlich „Deportation“ Ähnlich verhält es sich mit Anspielungen an historisch belegte Begriffe wie bei der Verwendung des Begriffs „Volkskanzler“ durch den österreichischen FPÖ-Vorsitzenden Herbert Kickl. In der politischen Auseinandersetzung werden Andersdenkende und Anderslebende gezielt abgewertet, Argumente werden nicht genannt, so auch nicht beim Gendern oder beim Heizungsgesetz. Julius Betschka verwies unter Bezug auf den Rechtsextremismusexperten David Begrich darauf, dass AfD-Politiker je nach Publikum und Medium mit Begriffen wie „Remigration“ spielen, indem sie beispielsweise in Parlamenten und auf Nachfrage eine Art „Selbstverharmlosung“ betreiben, eine Strategie, die Götz Kubitschek ausdrücklich empfahl, Recherchen wie die von Correctiv als „Lügen“ diffamieren, in Social Media und vor ihrer eigenen Klientel jedoch deutlich ihr Einverständnis mit den von Martin Sellner und anderen propagierten Begrifflichkeiten signalisieren.
  • Nicht nur faschistisch: In der Februarausgabe 2024 des Merkur geht Moritz Rudolph mit seiner Analyse noch einen Schritt weiter: „Nationalsozialistisch, nicht faschistisch“. Faschisten lieben den Krawall, den Kampf, die Pose, die Show, während Nationalsozialisten die „Durchschnittlichkeit“ triggern und mobilisieren: „Am Rande der Wahlveranstaltungen, in Gebieten, in denen die Partei Erfolg hat, oder in Facebook-Gruppen, in denen es entsprechend zur Sache geht, trifft man auf einen Typus Mensch, der stolz ist auf seine Durchschnittlichkeit, sich durch einen Hass auf alles Herausstechende auszeichnet und m liebsten in Befehlsform kommuniziert.“ Es ist „die Stunde der Nichtrevolutionäre, der Stillen, Unauffälligen, der ganz normalen Menschen, die sich den Kopf darüber zerbrechen, wie man die angekündigten Ungeheuerlichkeiten umsetzen kann.“ Dieser Typus kämpft nicht, sondern lässt Militär und Polizei die (Drecks-)Arbeit machen, die Verhaftungen, die Deportationen. Hat ja alles seine Ordnung. Eine ARD-Dokumentation zeigt die Entwicklung der AfD zu einer inzwischen in weiten Teilen rechtsextremistischen Partei. Die Jugendorganisation der AfD, die Junge Alternative, kann inzwischen nach einem Gerichtsurteil vom 6. Februar 2024 ebenso wie die Landesverbände von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als „gesichert rechtsextremistisch“ bezeichnet werden.
  • Deutsche Linke: Im Januar 2024 wurde an dieser Stelle eine Aufstellung der taz zu den Entwicklungen linker Parteien in Europa vorgestellt. Der Sozialwissenschaftler und Parteienforscher Horst Kahrs hat die Entwicklungen der deutschen Linken in einem Gespräch mit Wolfgang Storz präzisiert. Anlass war die Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW). Er sieht in der verbleibenden Linken eine „postfossilistische“, im BSW eine „fossilistische“ Partei, die in ihren Positionen durchaus mit der CDU koalieren könnte. Das BSW präsentiere sich als eine Art Kaderpartei, wie der antrags- und streitlose Gründungsparteitag gezeigt habe. Sahra Wagenknecht bezeichnet er als „Polarisierungsunternehmerin“. Das BSW vertrete eine romantisierende Wende in die 1970er Jahre, offenbar in Unkenntnis der damaligen Politik, weil wohlweislich verschwiegen wird, dass unter den Brandt-Regierungen die Verteidigungsausgaben in einer Höhe von vier bis fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes lagen — heute wird darüber gestritten, ob wir von unten sozusagen an die zwei Prozent herankommen sollen — , und natürlich war es damals verboten, technisch hochwertige Wirtschaftsgüter in den sogenannten Ostblock zu verkaufen. Also viel geschönte Erinnerung.“ Das BSW profitiere von einer Stimmungslage, in der nur Konsens zu sein scheint, was man nicht wolle. Die neue Partei müsse sich jedoch folgende Fragen stellen lassen: Bleiben wir — wie in dieser Vorphase bis zum Herbst 2024 — populistische Stimmenfängerin? Oder fangen wir ernsthaft zu überlegen an, wie wir die gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten wollen?“ Danach sieht es zurzeit jedoch nicht aus, denn „bis zum kommenden Herbst werden dem Wahlvolk nur diese Hungerhappen vorgeworfen: weniger Europa, höherer Mindestlohn, mehr Vertrauen in den vom Westen bedrohten Friedensfreund Putin, weniger Migrantinnen und Migranten.“ Eine Perspektive für die Zukunft vermittele die Partei eher nicht. (Den Hinweis auf diesen Text verdanke ich dem Beueler Extradienst.)
  • Gespaltene Generation Z: Die Generation Z gilt als links, liberal und grün. Aber eine Datenauswertung der Financial Times zeigt: A new global gender divide is emerging Die politischen Ansichten junger Menschen driften immer weiter auseinander. Während Frauen immer liberaler eingestellt sind, neigen Männer eher zu rechten Positionen. Den Ursprung für die geschlechtsspezifischen Unterschiede sehen Wissenschaftler:innen unter anderem in der #MeToo-Bewegung. Eine Kölner Studie zeigte, dass sich dieser Trend in Deutschland schon seit der Bundestagswahl 2017 zeigte. Junge Männer fanden auch die FDP attraktiv, ob dies jetzt noch der Fall ist, bleibt abzuwarten. (Quelle für beide Studien ist die Berichterstattung von Correctiv).
  • Parteimitglieder gesucht: In der Süddeutschen Zeitung plädierte Nils Minkmar dafür, sich in einer Partei zu engagieren: „Protest ist nicht genug, es braucht Parteien“. Er beschreit das Schicksal verschiedener Bewegungen, die es eine Zeit lang schafften, die Öffentlichkeit und die Politik zu beeindrucken, dann aber wieder sang- und klanglos verschwanden. Parteien haben Traditionen, etwas vereinfacht gesprochen: „Die Sozialdemokraten (auch die Linke, NR) sind die Nachfahren der Arbeiterbewegung, die Christdemokraten stammen vom politischen Katholizismus ab, die Grünen aus dem Mai 1968 und die FDP aus der Revolution von 1849 – was in dieser Partei aber weitgehend vergessen zu sein scheint.“ Natürlich braucht man Zeit, Beharrungsvermögen, die Fähigkeit, sich zu positionieren, zu platzieren und durchzusetzen. Peter Glotz soll mal – so Nils Minkmar – gewitzelt haben, man brauche 260 freie Abende im Jahr. In der Tat sind Parteien etwas für die Immobilen und die Zeitreichen, andererseits wäre es – dies möchte ich gerne ergänzen – vielleicht auch an der Zeit, dass Parteien die Art und Weise, wie sie sich organisieren, wie sie agieren, an die Interessen und Bedürfnissen der heutigen Zeit anpassen. Jugendstudien belegen schon lange, dass viele junge Menschen sich engagieren wollen, aber dies eben nicht in fest gefügten und von ihnen als bürokratisch empfundenen Strukturen. Parteien müssten die Kompetenzen von Menschen in der Bevölkerung abrufen und nutzen, die vielleicht nicht die vielen freien Abende haben, die aber durchaus etwas zu sagen haben. Dafür haben die Parteien jedoch bisher kein Konzept.
  • Wokeness: Auf ZEIT Online veröffentlichte Houssam Hamade den Essay „Kulturkampf geht immer“. Seine These schließt unter anderem an eine Analyse von Adrian Daub an, der in seinem Buch „Cancel Culture Transfer – Wie eine moralische Panik die Welt erfasst“ (Berlin, Suhrkamp, 2022). Diejenigen, die sich identitätspolitisch positionieren, indem sie nur ihre jeweilige – unterdrückte – Identität gelten lassen, sind eine kleine Minderheit, werden aber von denjenigen, die vorgeben, dies nicht ertragen zu können, zum größten Problem der heutigen Zeit aufgebauscht. Dies findet sich sogar inzwischen in Parteiprogrammen wieder. Die populärste Form ist ein sogenanntes „Genderverbot“, obwohl noch nie vorgesehen war, dass in Behörden oder Schulen Sternchen, Unterstriche oder Doppelpunkte verwendet werden müssten. Das hindert diverse Regierungen nicht, Minderheiten gesetzlich zu markieren und zum Teil sogar dem Terrorismus zuzurechnen. Wenn – wie geschehen – in einer Kindertageseinrichtung (von 60.000) auf einen Weihnachtsbaum verzichtet werden soll, wird dies zu einem grundlegenden deutschlandweiten Problem erklärt. Antiwoke Kulturkämpfer zeichnen eine ganze politische Strömung als die entstellte Fratze ihres extremen Randes und verallgemeinern das Ganze drauf hin zu einem ‚woken Zeitgeist‘. Alles, was einem politisch nicht passt, kann damit in eine wahnsinnigen Wokeness eingeordnet werden. Die Mehrheit derjenigen, die offen dafür sind, kulturelle Muster auf Rassismus oder Sexismus hin zu befragen, sind sachlich argumentierende Menschen aus verschiedenen Milieus und Schichten, empfänglich für Argumente und Gegenargumente. Die eifernden Extremisten sind vielmehr eine Minderheit. In jedem Fall sind sie keine zerstörerische Kraft, die ‚den Westen‘ zugrunde richten wird.“ Aber vielleicht geht es den antiwoken Aktivisten nur darum, von den wirklichen Problemen abzulenken: soziale Ungleichheit und Klimakrise. Houssam Hamade bezieht sich auf Ergebnisse der von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser 2023 bei Suhrkamp veröffentlichten Studie „Triggerpunkte“, er hätte sich auch auf Aladin El-Mafaalani und dessen Buch „Das Integrationsparadox“ (Köln, Keipenheuer & Witsch, 2018) beziehen können.Der Trick liegt darin, den ziemlich erfolgreichen Kampf um die Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten verzerrt darzustellen, als Unterdrückung von weißen Männern und heterosexuellen, fleischessenden Familien. Paradoxerweise ist die Liberalisierung der Gesellschaft so erfolgreich, dass sie nur mit Bezug auf den angeblichen Verlust von Freiheit bekämpft werden kann.“ Auf jeden Fall bleibe der antiwoke Kampf – so Houssam Hamade – ein „diskursiver Strohmann“, der von den eigentlichen politischen Fragen ablenkt. Eine offene Auseinandersetzung wollen sie nicht. Und hier gleichen sich die Bilder rechter wie pseudo-linker Aktivist:innen: „Redefreiheit wird reklamiert, um anderen den Mund zu verbieten.“ So Volker Weiß in seinem Kommentar zur Störung der Hannah-Arendt-Lesung im Hamburger Bahnhof in Berlin in der Süddeutschen Zeitung.
  • Größer als Russland – die Mongolei: Der mongolische Präsident Tsakhiagiin Elbegdorj hat auf X eine Antwort auf Putins Manie gepostet, seine Gebietsansprüche mit alten Karten zu belegen. Das mongolische Reich war lange Jahre deutlich größer als Russland es je war und vor allem war Russland ein Teil davon. Mirjam Rathje berichtete im Tagesspiegel, und hier die aufschlussreichen Karten.
  • Krim – Krym – Qıirım: Die Ausgabe von „Aus Politik und Zeitgeschichte“ vom 2. Februar 2024 befasst sich mit der Krim. Die Halbinsel wird im Titel in drei Sprachen bezeichnet: russisch, ukrainisch, tatarisch: „Krim – Krym – Qıirım“. Sechs Beiträge befassen sich mit dem Leben auf der Halbinsel (Alan Aliev), dem Verlauf der Annexion durch Russland im Jahr 2014, auch im Kontext des Euromaidans (Gwendolyn Sasse), der Frage, welche Rolle die Halbinsel in russischer Politik und russischen Erzählungen spielt (Nikolai Klimeniouk), der Geschichte der Krimtataren (Rory Finnin), den Deutschen auf der Halbinsel während der Weltkriege (Bert Hoppe) sowie zum Abschluss mit dem Beitrag von Kerstin S. Jobst: „Kurze Geschichte einer besonderen Halbinsel“. Um die Halbinsel ranken sich Mythen, Verschwörungserzählungen, mit denen vor allem die russländische Seite sich zu rechtfertigen versucht. Zurzeit erleben wir „Militarisierung“, einen „Bevölkerungsaustausch“ mit dem Ziel der „Schaffung einer neuen, künstlichen Identität“ (Alim Aliev). Die Krimtataren sind eine vergessene Gruppe, die gleichermaßen unter den Hitler-Deutschen wie unter Stalin litt. Bert Hoppe: „Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion durften sie beziehungsweise ihre Nachkommen auf die Halbinsel zurückkehren. Als indirekte Opfer des deutschen Überfalls hatten die Krimtataren so lange unter den Folgen des deutschen Eroberungs- und Vernichtungskrieges zu leiden, wie keine andere Gruppe in Osteuropa.“ Gwendolyn Sasses Fazit: „Eine absolute Mehrheit der Ukrainer:innen lehnt territoriale Zugeständnisse der Ukraine, einschließlich der Krim, nach wie vor ab. Mit der Krim begann Russlands Krieg gegen die Ukraine – und vermutlich wird sie auch für das Ende dieses Krieges eine Schlüsselrolle einnehmen.“
  • Bulgarien – eine Geschichte der „langen Dauer“ (Fernand Braudel): In Demokratien gibt es keine Einheitsmeinung. Die Frage lautet aber, ob es in Demokratien jemand gibt, der versucht, eine Einheitsmeinung herzustellen, etwa so wie Viktor Orbán in Ungarn. In fast allen EU-Ländern gibt es diverse Gruppen, die sich durch eine – ich nutze bewusst das folgende Wort – grob fahrlässige Putin- und Russlandfreundlichkeit auszeichnen, auch in Deutschland. Maria Kotsev fuhr nach Bulgarien und berichtete im Tagesspiegel. Sie traf sich mit denjenigen, die die Propaganda des Kreml für die einzige Wahrheit halten, auch die Ansicht, nicht russländische, sondern ukrainische Truppen hätten die Massaker in Butscha und anderswo angerichtet. Durchaus gebildete Menschen erklärten ihr: Dass hier alles und jeder gecancelt werde, der nicht ‚auf Linie‘ ist, dass Amerika und der Kapitalismus uns alle unterjochen würden (da wurde es schnell antisemitisch). Oder die Lüge, dass die USA in der Ukraine ein Nazi-Regime unterstützten, das die russischsprachige und aus seiner Sicht somit automatisch russische Bevölkerung in der Ukraine unterdrücke.“ Das hat auch etwas mit Lebensverhältnissen und -erfahrungen zu tun. Während die Autorin mit ihren Eltern im bayerischen Exil lebte, ihre Mutter, eine Juristin, als Krankenpflegerin arbeitete, sind andere in Bulgarien geblieben. Das allein dürfte nicht ausreichen, dass etwa ein Fünftel der bulgarischen Bevölkerung den russländischen Angriffskrieg unterstützt und dass etwa zwei Drittel der Bevölkerung denken, Bulgarien solle sich „neutral“ Die Regierung unterstützt die Ukraine, der Staatspräsident hingegen spricht sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Die Unterstützung der Ukraine bröckelt. Eine Rolle spielt auch, dass Russland als der „Befreier“ von der osmanischen Herrschaft erinnert wird. Nach wie vor ist Zar Alexander II. eine in Bulgarien populäre und mit Standbildern geehrter Figur der bulgarischen Geschichte. Ebenso wirksam ist der überlieferte kommunistische „Antiamerikanismus“, der wiederum auch etwas damit zu tun hat, dass nach dem Fall der Sowjetmacht die Versprechungen eines besseren Lebens nicht in dem Maße eintraten wie man dies erhofft hatte. Stattdessen gab es erst einmal „Bandenkriminalität und Lebensmittelknappheit“. Schuld ist der „Westen“, auch dies wie so manches eine „Täter-Opfer-Umkehr“. Maria Kotsev zitiert den Historiker Evlogi Stanchev: „Verschwörungsdenken ist ein Überbleibsel der kommunistischen Mentalität“. Bilder, die es auch in Deutschland gibt? Inzwischen gibt es zwei Parteien im Bundestag, die die sofortige Aufhebung der Sanktionen gegen Russland fordern: „Berlin und Sofia, obwohl die beiden Städte 1500 Kilometer trennen, scheinen mir gerade nicht weit voneinander entfernt.“
  • Analoge Spiele: Nach der Besprechung des Buches von Benjamin Bigl und Sebastian Stoppe zum Game-Journalismus in der Januarausgabe 2024 im Demokratischen Salon sollen auch analoge Spiele zu ihrem Recht kommen. Christian Beiersdorf, Daniel Bernsen und Lukas Boch tun dies in der Februarausgabe 2024 von Politik & Kultur unter dem Titel „Brettspielend demokratiefähig werden“. Die Autoren schlagen die Gründung einer „Stiftung Analoge Spielkultur“ vor, weil analoge Spiele bisher über keine wirksame Stimme verfügen. Sie verweisen auf eine im Jahr 2023 erschienene Studie zu Einsamkeitserfahrungen, die vor allem bei jungen Menschen dazu führen können, „antidemokratische Einstellungen zu entwickeln.“ Sie sehen ein Ungleichgewicht, „im Gegensatz zu über 80 digitalen Games-Studiengängen gibt es kein institutionalisiertes Angebot für analoge Spiele an deutschen Hochschulen.“ Ein Beispiel für die Demokratie fördernde Spiele seien „Weimar – Der Kampf um die Demokratie“ von Matthias Kramer (noch nicht erschienen), über das historische Zusammenhänge erfahrbar werden sollen, und „e-Mission“ von Matt Leacock und Matteo Menapace zum Klimaschutz. Nicht erwähnt wird leider der Klassiker „Ökolopoly“ von Frederic Vester. Ebenso werden leider nicht die durchaus auch problematischen Strukturen angesprochen, die sich in und aus traditionellen Brett- und Kartenspielen ergeben.
  • Goethe-Institute: Nicht nur im Demokratischen Salon wurde in den letzten Monaten immer wieder kritisiert, dass die Bundesregierung mehrere Goethe-Institute unter anderem in Frankreich und in Italien schließen wolle. Der Deutsche Kulturrat hat die Goethe-Institute auf seine Rote Liste der bedrohten Kulturinstitutionen Die angekündigte Schließung ist jetzt mit dem Haushaltsbeschluss Fakt. Verkauft wird dies als „Transformation“. Leider haben damit zwei Politikerinnen, die sich einer wertegebundenen Außenpolitik verschrieben haben, damit den leider immer wieder üblichen euphemistischen Sprachgebrauch für Kahlschlag übernommen. Wenn etwas auf Null gesetzt wird, bleibt eben nichts mehr übrig. Ob die Menschen in Bordeaux, Rotterdam und Turin jetzt zum neu gegründeten Goethe-Institut auf den Fiji-Inseln fahren, um dort die Aussichten auf den Untergang der Inseln im Zuge des Klimawandels mit Goethezitaten zu untermalen, bleibt abzuwarten. Die Präsidentin der Goethe-Institut Carola Lentz ist jetzt zurückgetreten.
  • Wohnraum und Mieten: Durch Correctiv entdeckte ich eine Aufstellung des Tagesspiegel mit zehn Maßnahmen, die die Wohnraumsituation verbessern und bezahlbare Mieten sichern könnten. Städte hätten, wenn sie wollten, eine Menge Möglichkeiten, auch für die Menschen attraktiver zu werden, die sich die gängigen teuren Innenstadtmieten nicht leisten können. Zu den Maßnahmen gehören beispielsweise die Vorgabe von Quoten, wie viele der neu gebauten Wohnungen als Sozialwohnungen zu vermieten sind, oder der Ausschluss von ausländischen Investoren, die im Inland nicht kontrolliert werden können.
  • Digitalisierung: Manche glauben, mit der Digitalisierung ließen sich viele, wenn nicht gar alle Probleme der Welt lösen, andere, die Digitalisierung schade. Betonung auf „glauben“. Manfred Spitzer spitzt gerne zu, wenn er bestimmte Verhaltensweisen für Fehlentwicklungen verantwortlich macht. Seine jüngste These: Handys machten dick, süchtig und dement. Eva Wolfangel hat ihn getroffen und für die ZEIT das Gespräch mit allem Für und Wider in ihrem Portrait „Der Über-Spitzer“ Anlass war sein jüngstes Buch: „Zehn Jahre digitale Demenz“, eine Wiederaufnahme seines vor zehn Jahren erschienenen Buches. Spitzers Empirie ist schwächelt. Der Leistungsabfall in den jüngsten Studien hat seiner Ansicht mit übermäßigem Smartphone-Gebrauch und übertriebener Digitalisierung zu tun. Das Gegenargument: Kinder und Jugendliche, die sich übermäßig mit ihrem Smartphone beschäftigen, leiden vielleicht eher darunter, dass sich ihre Eltern nicht so um sie kümmern (können), dass sie Alternativen hätten. Die Empirie der Digitalisierungsgläubigen ist jedoch ebenfalls schwach. Korrelationen werden auf beiden Seiten immer wieder mit Kausalitäten verwechselt, es wird nicht bedacht, dass bestimmte Entwicklungen nicht nur eine Ursache haben, sondern das Ergebnis eines komplexen Bündels von Ursachen sind. Ein entscheidender Punkt ist das große Interesse der Tech-Industrie, ihre Produkte zu verkaufen. Während – so Spitzer – Tabak-, Zucker- und Mineralölindustrie in der Defensive sind, findet die Tech-Industrie in der Politik Gehör. Eva Wolfangel stellt die „offene Frage“, „ob Digitalisierung in der Schule etwas nützt“. Ebenso unbeantwortet bleibt mangels Empirie die Frage, ob sie schadet. Letztlich bleibt ein ungutes Gefühl: Weder die gängige Bildungsforschung noch die Studien, die Spitzer zitiert, bieten eindeutige Antworten. In einem Punkt gibt Eva Wolfangel ihrem Gesprächspartner recht: „In Deutschland beklagen Lehrerinnen und Lehrer, dass sie mit der Digitalisierung alleingelassen werden. Die Hauptidee für die Digitalisierung an Schulen ist immer noch, digitale Tafeln, also Whiteboards, anzuschaffen oder Apps in den Unterricht zu integrieren, mit denen Kinder nichts anderes machen als das, was sie auch auf Papier machen könnten – Vokabeln lernen zum Beispiel. Beliebte Apps wie Anton, die von der EU gefördert wird, belohnen Kinder mit Spielen oder bunten Accessoires für ihren eigenen Avatar. Aus meinem privaten Umgang mit Grundschülern weiß ich, dass diese die meiste Zeit genau damit verbringen: ihren Avatar anzukleiden und die kleinen Belohnungsspiele zu spielen.“
  • Viertagewoche: In einem von David Gutensohn protokollierten Gastbeitrag für die ZEIT bekennt Carsten Maschmeyer: „Ich als Investor fürchte mich nicht vor der Viertagewoche“. Das starre Beharren auf Fünftagewoche und der Glaube, dass Produktivität mit Überstunden steige, sei einfach falsch. Eine Viertagewoche mit 32 Stunden reduziere die Fehleranfälligkeit in Randstunden (nicht nur am Montagmorgen, auch am Freitagnachmittag oder am späten Nachmittag), reduziere überflüssige Meetings, verringere die Zahl von Burn-Out-Fällen, mache Arbeit attraktiver: „Unternehmen sollten nach Leistung und nicht nach Anwesenheit bezahlen.“ Das gerade begonnene bundesweite Pilotprojekt mit 50 größeren wie kleineren Unternehmen sei ein Schritt in die richtige Richtung. Wer in Zukunft noch erwartet, dass alle Angestellten an fünf Tagen arbeiten und dazu am besten nur noch in Präsenz und nicht im Homeoffice, wird erst den Wettbewerb um die Talente und dann den um alle anderen Fachkräfte verlieren. Ich als Chef eines Unternehmens kann mit meiner Verantwortung vielleicht nicht nur an vier Tagen in der Woche arbeiten, aber fast alle anderen können das.“ Gute Ergebnisse hat wohl auch der Feldversuch mit 61 Unternehmen in Großbritannien. Es habe unter anderem weniger Fehlstunden gegeben. 56 Unternehmen wollen die Viertagewoche beibehalten. In der Politik ist das noch nicht so recht angekommen. So gibt es – dazu Julia Wertheim auf ZEIT online in ihrem Essay „Eine ganz faule Geschichte“ – wieder einmal den Versuch einer Spaltung der Gesellschaft in „Faule“ und „Fleißige“, anders gesagt einen Versuch der „Moralisierung“ der Debatte mit Schuldzuweisungen an Menschen, die fast alle arbeiten wollen, aber nicht dürfen oder aufgrund der Rahmenbedingungen nicht arbeiten können, Kranke und Zugewanderte gehören dazu, aber auch viele Frauen, die ihre Teilzeit nicht nehmen, weil sie nicht mehr arbeiten wollten, sondern eher aus dem Grund der Doppelbelastung mit Familie und Beruf sowie der fehlenden öffentlichen Kinderbetreuung.    
  • Die Häschenschule: Wer glaubt, dass Schule sich in 100 Jahren nicht verändert habe, vergleiche die Originalausgabe der „Häschenschule“ und die Neuausgabe von Anke Engelke mit Bildern von Mareike Ammersken, die diese im Gespräch mit Kathleen Hildebrand in der Süddeutschen Zeitung vorgestellt hat: „Die neue Häschenschule“ (erschienen im Esslinger Verlag). Der Fuchs ist Veganer, es gibt eine liebe Lehrerin, die Gefahr geht von den Menschen mit ihren Mähdreschern und Pflanzenschutzmitteln aus. Die Kinder sitzen im Halbkreis und haben kleine Namensschilder auf ihren Pulten. Sie erkunden die Natur und machen diese zu einer Art grünem Klassenzimmer. Anke Engelke plädiert ganz und gar nicht dafür, Kinderbücher radikal an den heutigen fortschrittlichen Zeitgeist anzupassen. Ihre Motivation beschreibt sie wie folgt: Mir gefällt es, etwas Vorhandenes neu anzugucken und aufzufrischen. Ich möchte ja auch Pippi Langstrumpf nicht verbieten, nur weil da Konzepte oder Vokabeln drin sind, die so nicht mehr gehen. So radikal ich auch manchmal im Privaten bin, so wenig möchte ich mit dem Hammer arbeiten. Da finde ich es gut, eine Vorlage zu nehmen und zu sagen: Der Kern ist doch okay, Leute, ist doch alles da. Lasst uns mal gucken, ob wir das nicht ein bisschen moderner hinkriegen.“ Allerdings hatte auch der Verlag mitzureden, beispielsweise bei der Konzeption des Konflikts, mit der Anke Engelke dann doch einige Probleme hatte. Aber sie wäre nicht die, die sie ist, wenn ihr das alles nicht mit einer schönen Ironie gelungen wäre.

Den nächsten Newsletter des Demokratischen Salons erhalten sie in etwa vier Wochen.

Mit den besten Grüßen verbleibe ich

Ihr Norbert Reichel

(Alle Internetzugriffe erfolgten zwischen dem 20. und 26. Februar 2024.)

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.