Liebe Freund:innen des Demokratischen Salons,

im September 2023 erlebten wir zwei Jahrestage, am 11. September den 50. Jahrestag des Militärputsches gegen den chilenischen Präsidenten Salvador Allende und am 16. September den ersten Jahrestag der Ermordung von Jina Mahsi Amini. Im Empfehlungskapitel dieses Newsletters finden Sie daher ausführliche Informationen zu Publikationen, Veranstaltungen anlässlich dieser beiden Jahrestage. Das Editorial befasst sich mit der am 21. September 2023 vorgestellten neuen Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Ferner finden Sie in der Septemberausgabe 2023 acht neue Texte:

  • Sie lesen den vierten Teil des Tagebuchs von Mariupol von Nataliia Sysova.
  • Im Hirnkost Verlag erschienen zwei Bücher über Hoffnungen und Erinnerungen in Zeiten der Flucht sowie zum Gedenken an diejenigen, die die Flucht nicht überlebten.
  • Marina Weisband ist zum zweiten Mal im Demokratischen Salon Sie spricht über Instrumente der Demokratie und Partizipation.
  • Der Autor Hans Frey eröffnet seine dreiteilige Reihe „Science Fiction als Wirklichkeitsmaschine“ mit einem Essay über Begrifflichkeit und Geschichte.
  • Die Politikwissenschaftlerin Isabella Hermann spricht über die Politik der Science-Fiction und den Einsatz von Science-Fiction in Bildungsprozessen.
  • Die Direktorin der Stiftung SPI in Berlin Annette Berg spricht über Konzeption und Wirkung präventiver Politik, die die Kinder in den Mittelpunkt stellt.
  • Der langjährige Geschäftsführer des Kölner Jugendhilfeträgers Netzwerk e.V. Friedhelm Meier beschreibt die 60jährige Geschichte des Kölner Jugendhilfeträgers.
  • Norbert Reichel stellt mehrere Bücher zur Zukunft beziehungsweise zu einer Welt jenseits des Kapitalismus vor.

Natürlich finden Sie auch die üblichen Empfehlungen für den Besuch von Veranstaltungen und Ausstellungen sowie für die Lektüre des ein oder anderen lohnenswerten Textes der von uns ausgewerteten Medien. Die Welt scheint aus den Fugen – um diesem Eindruck vielleicht etwas entgegenzuwirken, sehen Sie in diesem Newsletter Fotografien von Hans Peter Schaefer, der in seinem Projekt „Komorebi“ uns viele Licht(ein)blicke jenseits der Dunkelheit gewährt. Möge uns dieses Licht inspirieren. Sieben Fotos stammen aus Catania (Sizilien), vier aus Cornwall (Großbritannien) und eines aus dem Hambacher Wald (Nordrhein-Westfalen).

Das Editorial:

Die Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung erscheinen alle zwei Jahre. Die neue Studie erhielt den Titel „Die distanzierte Mitte“ und wurde am 21. September 2023 in Berlin offiziell vorgestellt. Bereits am Tag der Vorstellung erhielt sie ein breites Echo in den Medien. Schon vor der Veröffentlichung der Studie erschienen mehrere Texte, die helfen können, die Ergebnisse der Studie einzuordnen. Der Tagesspiegel beispielsweise veröffentlichte am 20. August 2023 ein Interview von Heike Jahberg und Sandra Lumetsberger mit dem Psychologen Stephan Grünewald. Die AfD profitiere von einer „Erlösungshoffnung“ und davon, dass manche Menschen eine „Wagenburgmentalität“ entwickelt hätten. Dazu habe auch und gerade die Corona-Pandemie beigetragen, erlebt wurde Kontrollverlust, es entstand Angst „vor dem Verlust der Autonomie“. Die AfD verkünde, sie wolle die Regierenden „vom Hof jagen“ und schon „kehrt die alte Seligkeit zurück“. Letztlich könnte man von Religionsersatz sprechen, der aber gar nicht als Religion empfunden wird, vielleicht eine Art „Retrotrend“, bezogen auf eine Welt, die es eigentlich nie gab. Einen guten Überblick über die Studie bietet der Deutschlandfunk.

Auf dem Cover der Studie erscheinen drei Namen: Andreas Zick, Beate Küpper und Nico Mokros. Gemeinsam mit 16 weiteren Autor:innen referieren sie die Ergebnisse in 13 Kapiteln. Themen sind unter anderem Sozial- und Wirtschaftspolitik, Armut, Klima, der Krieg gegen die Ukraine, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und nicht zuletzt die „Ambivalenz der Willkommenskultur“.

Vielleicht war der Verweis auf den bei einer gewachsenen Gruppe manifesten Wunsch nach einer autoritären Regierung oder gar einem autoritär regierenden „Führer“ die Nachricht, die sich für Titelseiten besonders eignete. Das passt durchaus zur letzten Autoritarismus-Studie aus Leipzig, die ebenfalls alle zwei Jahre im Wechsel mit der Bielefelder Mitte-Studie erscheint. Hinter dem Wunsch dürfte letztlich weniger Sympathie für eine Wiederkehr der Zeiten zwischen 1933 bis 1945 stecken, wohl aber lässt sich die These formulieren, dass es in Deutschland – bei einer entsprechenden Regierung – denkbar wäre, dass sich eine Art „Illiberale Demokratie“ nach ungarischem Muster durchsetzen könnte. Die Ausgrenzung bestimmter Gruppen gehört dazu, sodass auch diverse Studien zu Antisemitismus oder Muslimfeindlichkeit – wie der jüngst erschienene Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit – helfen, die Ergebnisse der Mitte-Studie einzuordnen. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, ein Begriff der in Bielefeld geprägt wurde, ist das Einstiegstor in illiberale Positionen, frauenfeindliche Äußerungen und Anti-Feminismus. Diese sind – so die genannte Autoritarismusstudie – die „Brückenideologie“, die diverse menschenfeindliche Positionen miteinander zu einem autoritär-illiberalen Weltbild verbindet.

Andreas Zick spricht in dem einführenden Kapitel von einer Zeit der „multiplen Krisen“. Diese „multiplen Krisen stoßen auf eine weitgehend unvorbereitete Gesellschaft, die normalerweise eher Ordnung, Sicherheit und einen ruhigen, möglichst risikoarmen Lauf bevorzugt. Auf dieses Versprechen der Nachkriegszeit hat sie sich verlassen und fordert es immer noch ein.“ Der Bezug auf die „Nachkriegszeit“ ist sicherlich ambivalent. In Ostdeutschland motivierte das angesichts des westdeutschen Vorbildes verbreitete Wohlstandsmodell nach 1989 viele Menschen, die jedoch erleben mussten, dass sich die von Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ nicht überall in dem Maße realisierten wie gewünscht. Wie stark aber das „Wirtschaftswunder“ der 1950er Jahre immer noch wirkt, lässt sich vielleicht aus der Präsentation des neuen CDU-Designs ableiten, als Generalsekretär Carsten Linnemann die Farben „Cadenabbia“ und „Rhöndorf“ vorstellte.

Andreas Zick weist darauf hin, dass Sozial- und Wirtschaftsförderungsprogramme in Krisenzeiten eine geringere Rolle spielen als Bedrohungsgefühle. Eine Analyse der „Mitte“ signalisiere die „Sollbruchstellen der Demokratie“. Das zeige sich auch in Annäherungen und Allianzen zwischen rechtsextremen Milieus und nicht-extremistisch eingestellten Menschen in der „Mitte“. Wer sich bedroht fühlt, neigt offenbar eher zu (rechts-)extremistischen Positionen. Und wie sich in einer solchen Lage Bündnisse, Koalitionen bilden, beschreibt Beate Küpper in einem Exkurs zum Thema „Querfront“. Grundeinstellungen geraten ins Wanken, so wechselten Menschen, die bisher die Grünen gewählt hatten, während der COVID-19-Pandemie zur AfD. „Multiple Krisen“ werden zu multiplen Bedrohungen. Da spielt es keine Rolle mehr, ob die Bedrohung mit einem Impfstoff, Wärmepumpen oder Geflüchteten assoziiert wird.

In einem gemeinsam mit Nico Mokros geschriebenen Beitrag benennt Andreas Zick die Gefahr einer „Eskalationsspirale“. Dies bedeutet nicht, dass rechtsextreme Einstellungen mehrheitsfähig wären, wohl aber, dass zumindest nationalchauvinistische und fremdenfeindliche Aussagen größere Zustimmung erhalten als in den vorangegangenen Studien. Die Zahl junger Menschen, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild pflegen, liege inzwischen bei etwa 12 Prozent. Fazit: „Die Demokratie steht mit Blick auf den Rechtsextremismus der Mitte größeren Herausforderungen gegenüber als vor zwei Jahren oder noch früher. Deutschland ist mit mehr Rechtsextremismus aus der Coronakrise gekommen – und damit in die nächsten Krisen hineingegangen. Das Land kann zwar auf eine absolute Mehrheit einer nicht rechtsextremen Mitte bauen, aber diese Mitte schrumpft.“

Zu beantworten wäre – dies deuten Andreas Zick und Elif Sandal-Önal in einem gemeinsamen Beitrag an – die Frage, ob die von einer Mehrheit wahrgenommenen Krisen über eine offene, auf Kooperation und Solidarität angelegte oder über eine aus- und abschließende, sich auf eine eigene fiktive, in der Regel als „Volk“ bezeichnete Community bearbeitet und aufgelöst werden sollen. Eine Warnung: „Die Vermittlung und Stärkung einer demokratieorientierten Krisenbewältigung ist nicht identisch mit einem Kontroll- oder Sicherheitsversprechen für Kriseneffekte oder einer Bekämpfung von Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Sie käme hinzu und ist in der Demokratiebildung zu Hause.“

Daraus leitet sich die Frage ab: Was bedeuten die Ergebnisse der Studie für die Politische Bildung? Sabine Achour plädiert zunächst für eine Klärung der Begrifflichkeiten. Erforderlich sei die „Korrektur von Fehlverständnissen: Extremismusprävention ist nicht das Gleiche wie politische Bildung“, die „Optimierung von (Regel-)Strukturen politischer Bildung“ als „Daueraufgabe statt Intervention in Krisen“, hilfreich seien „niedrigschwellige und aufsuchende Zugänge: für (bisher nicht ausreichend erreichte) Demokrat:innen, nicht für Demokratiefeinde“, die „Professionalisierung politischer Akteur:innen als politische Bildner:innen“ im Hinblick auf eine „demokratische Haltung statt rechtspopulistischer Anschlussfähigkeit“ und nicht zuletzt die Frage nach der Zukunft in den Kontexten „neoliberale Leistungsgesellschaft und Klimaschutz“.

Sabine Achour fordert „Kritische politische Bildung statt affirmativ-unpolitischer Bildung“. In der Tat wäre es gefährlich, politische Bildung in Form von Glaubensbekenntnissen zu noch so lobenswerten Zielen oder als Prävention gegen Extremismus zu verkürzen, weil auf diese Weise die angesprochenen Menschen als Problem geframt würden. Eben ein solches Framing mag ein Grund sein, warum politische Bildung in Ostdeutschland bei vielen Menschen unpopulär ist. Sie erinnert manche zu sehr an die Praxis in der DDR, auch wenn sich die Inhalte grundsätzlich unterscheiden, und werde dann auch als „Disziplinierung“ erlebt. Das Ergebnis sind „Abwehreffekte“, die angesichts der Debatten um die sogenannten „Cancel-Culture“ sichtbar werden.

Ausgesprochen ambivalent ist in diesem Zusammenhang der „Opfermythos“, den die AfD und andere – beispielhaft die Causa Aiwanger – zu vermarkten verstehen. Darüber sprach Joachim Huber am 21 August 2023 für den Tagesspiegel mit Johannes Hillje. Das Prinzip heiße „Provokation durch Publizität“. Die „Protestwählerthese“ reiche zur Erklärung nicht aus, es würden auch noch viel zu viele „naive Interviews“ mit AfD-Politiker:innen geführt. Es gebe „Lerneffekte“, aber auch „Lernverweigerung“, nicht zuletzt bei Interviews des MDR: ein solches Interview läuft gehörig falsch, wenn die von Björn Höcke erwartungsgemäß vorgetragene NS-Rhetorik, Menschenfeindlichkeit und demagogische Selbst-Heroisierung nicht journalistisch mit der von der Wissenschaft nachgewiesenen rechtsextremen Ideologie kontextualisiert wird. Das Interview war ein lebhafter Plausch mit einem Rechtsextremen. Damit verfehlt der MDR seinen demokratischen Auftrag.“

Eine grundlegende Einordnung der Mittestudie bietet der Historiker Martin Sabrow im Gespräch mit Nadine Lindner im Deutschlandfunk (den Hinweis verdanke ich Correctiv). In dem Gespräch werden auch Auszüge aus der Präsentation vom 21. September im O-Ton von Andreas Zick und Beate Küpper zitiert. Martin Sabrow weist allerdings auch darauf hin, dass die Ergebnisse zum Teil schwer interpretierbar seien. Beispielsweise sprechen sich 68 Prozent für „Solidarität mit den Schwächsten“ aus. Über die Art und Weise, wie dies geschehen könnte, ist damit nichts gesagt. Die Ergebnisse zeigten, dass eine Normalisierung der AfD im Parteienspektrum erreicht sei und auch offen ausgesprochen wird. Rechtsextreme Einstellungen gab es natürlich auch schon vorher, sodass sich – so Martin Sabrow – auch die Frage stellt, ob sich zunächst (nur) „die Lust an der Sagbarkeit“ erhöht habe und die Lust an der „Provokation“. Ein Vergleich mit der Weimarer Zeit sei allerdings nicht angebracht, denn es gebe erhebliche Unterschiede, beispielsweise „eine starke bürgerliche Mitte“ und eine „verbreitete Ächtung von Gewalt“. NR

Die neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Rubrik Osteuropa: Mit der freundlichen Genehmigung des Jüdischen Echos Westfalen (J.E.W.) veröffentlichen wir den vierten Teil des Tagebuchs von Mariupol, das Nataliia Sysova vor ihrer Flucht im Juli 2022 schrieb, wiederum mit den Bildern, wie sie auch in J.E.W. zu sehen sind. Ein eindrucksvolles Dokument des Überlebenswillens in Zeiten des Terrors. Am Schluss des Dokumentes finden Sie ergänzende Informationen, darunter auch eine Dokumentation der WELT. Das Tagebuch lesen Sie hier.
  • Rubriken Migration und Europa: Der Hirnkost Verlag veröffentlichte im Juni 2023 die dritte Auflage der von Kristina Milz und Anja Tuckermann herausgegebenen Dokumentation „Todesursache Flucht – Eine unvollständige Liste“. Das Buch bietet ausführliche Listen der während und nach ihrer Flucht gestorbenen Menschen, Analysen und Hintergrundmaterial sowie Berichte über das Schicksal einzelner Menschen, darunter einige wenige Überlebende. Eindrucksvoll ist die Aufzeichnung des Berichts von Robert Mougnol, der aus Kamerun kam, die Umstände seiner langen Reise erzählt und inzwischen in Deutschland eine Ausbildung zum Altenpfleger macht. Eine solche Erfolgsgeschichte ist jedoch die Ausnahme, es gibt stattdessen zahlreiche Biografien von Menschen, deren Namen wir nicht kennen, von den viele kein Grab haben, das an sie erinnert. Erfolgsgeschichten dokumentieren jedoch Alvaro Solar und Christina Collao vom Bremer Theater Anders Rum mit ihrem biografischen Theaterprojekt „Grenzenlose Hoffnung – Erinnerungen in Zeiten der Flucht“. Wer über die Zukunft der europäischen Migrationspolitik entscheidet, sollte beide Bücher auf seinem Schreibtisch platzieren, um immer daran zu denken, was es bedeutet, sein Heimatland zu verlassen und sich auf einen lebensgefährlichen Weg zu begeben. Die Rezension der beiden Bücher trägt daher den Titel „Sag mir, wer die Menschen sind“. Sie finden den vollständigen Text hier.
  • Rubrik Liberale Demokratie: Zum zweiten Mal ist Marina Weisband Gast des Demokratischen Salons. Die Dokumentation des Gesprächs trägt den Titel „Eine Machtfrage“. Gegenstand sind die Instrumente der Demokratie und der Partizipation. Angesichts der Turbulenzen um einen wirksamen Klimaschutz stellt sich die Frage, wie mehr Akzeptanz geschaffen werden könnte. Marina Weisband unterscheidet die möglichen Instrumente der Demokratie nach den jeweiligen Ebenen und der Komplexität des jeweilig debattierten Gegenstands. Vor allem Entscheidungen auf der kommunalen Ebene eignen sich für direkte Demokratie. Sie hat dies erfolgreich in dem Schulprojekt „Aula“ in über 50 Schulen erprobt (im Frühjahr 2024 erscheint das Buch dazu im Fischer-Verlag). Wenn Menschen offen über Alternativen – es gibt immer mehr als zwei – diskutieren, entsteht ein Konsens, der oft anders aussieht als das, was zu Beginn vorgeschlagen wurde. Dabei geht es letztlich auch darum, wer welche Geschichte erzählt: was ist eine „autoritäre“, was eine „demokratische Geschichte“, wo sind die „Grenzen der Kommunikation“? Wir brauchen eine „Stärkung der Selbstwirksamkeit“ gegen die „erlernte Hilflosigkeit“, der wir jedoch entkommen können, wenn es uns gelingt, im Umfeld unserer Nachbarschaft, in den Kommunen demokratischen Streit und demokratischen Konsens zu leben. Auf diese Weise entsteht geteilte Verantwortung für die „Commons“, die „Allmende“, deren Bewahrung unsere gemeinsame Aufgabe ist. Und vielleicht gibt es doch einmal eine Partei, der der beschriebene Mix der Instrumente der Demokratie gelingt. Das vollständige Gespräch lesen Sie hier.
  • Rubrik Science-Fiction: Mit dieser Ausgabe beginnt eine dreiteilige Reihe des Autors Hans Frey, ausgewiesener Experte für Science Fiction. Die gesamte Reihe trägt den Titel „Science Fiction als Wirklichkeitsmaschine“. Der erste Teil handelt „Vom Werden, Wesen und Wirken der Science Fiction“. Hans Frey entwickelt eine Definition der Science Fiction in einem Satz: „Science Fiction ist die metaphorisch-mythische Antwort der Literatur (im weiteren Sinn der Kunst) auf die revolutionären, durch Wissenschaft und Technik bedingten Umbrüche in der menschlichen Gesellschaft seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute.“ Er erläutert Science Fiction als Gattungsbegriff im Spannungsfeld zwischen Politik, sogenannter „Hochliteratur“ und Unterhaltung. Er nennt Beispiele hauptsächlich aus der deutschen Literatur bis zu den Anfängen im frühen 19. Jahrhundert und bezieht diese auch auf international bekannte Autoren. Dabei erweisen sich manche in der Science Fiction vorgedachte Zukünfte als überholt, allerdings verfolgen Utopien, Dystopien oder eben Science Fiction unterschiedliche Ziele und Motive: „Das vermeintlich Undenkbare, zuerst als Option in der SF antizipiert, nimmt weitaus konkretere und oft erschreckendere (oder auch anmutigere) Gestalt an, als je vermutet wurde. Das Gegenstück zur Utopie, die Dystopie, literaturhistorisch eine Erfindung der SF, ist eine zentrale Form, in der sich diese Art der SF-Spiegelwelt materialisiert. An dieser Stelle überschreiten wir die Grenze zur Wirklichkeitsmaschine.“ Den vollständigen Essay lesen Sie hier. Die beiden folgenden Teile lesen Sie in der Oktober- und in der Novemberausgabe des Demokratischen Salons. Jeweils am Schluss der drei Essays finden Sie die Hinweise zu den weiteren Publikationen von Hans Frey.
  • Rubrik Science-Fiction: Die Politikwissenschaftlerin Isabella Hermann ist Autorin einer Einführung in die Science-Fiction, die in der Juniausgabe des Demokratischen Salons vorgestellt wurde. In dem Gespräch mit dem Titel „Die Politik der Science-Fiction“ erweitert sie die Perspektive, nicht zuletzt in Anwendung ihrer Kriterien auf Star Trek. Die Analyse von Science-Fiction ist in den Politikwissenschaften Teil des Subfeldes „Popular Culture in Global Politics“. In Konferenzen und Publikationen spielen die Bezüge der Science-Fiction zu politischen Entwicklungen eine immer bedeutendere Rolle. Allerdings sehen nicht alle Autor:innen, die in ihren Romanen eine wie auch immer geartete Zukunft erzählen, sich selbst als Autor:innen von Science-Fiction. Juli Zeh und Margaret Atwood lehnen diese Zuschreibung ab, Ursula K. Le Guin Isabella Hermann sieht Science-Fiction weniger als „Gattung“, eher als „Denkweise“. Sie plädiert für den Einsatz von Science-Fiction in Bildungsprozessen, auch auf der Grundlage ihrer guten Erfahrungen in Seminaren und Vorträgen. Dies gelte nicht nur für Klassiker wie George Orwell oder Aldous Huxley. Die Analyse einiger Motive und Entwicklungen bei Star Trek zeigt, wie traditionelle Science-Fiction-Elemente – wie beispielsweise der verrückte Wissenschaftler – übernommen, aber immer wieder hinterfragt und dekonstruiert werden. Eine eigene Rolle spielen bei Star Trek die Spiegeluniversen, die vielleicht die Welt so zeigen wie andere sie beziehungsweise die sie repräsentierende interstellare UNO, die Federation of Planets, kurz: uns sehen. Das vollständige Gespräch lesen Sie hier.
  • Rubriken Kinderrechte und Liberale Demokratie: Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit jeder Politik sein: „Das Kind im Mittelpunkt“. Eben dies ist der Titel eines Gesprächs mit Annette Berg, der Direktorin der Stiftung SPI, Sozialpädagogisches Institut „Walter May“ in Berlin. Annette Berg arbeitete als Leiterin der Jugendämter in Monheim und in Essen sowie als Beigeordnete in Gelsenkirchen. Ihr gelang es in Monheim, diese kleine Stadt am Niederrhein zur „Hauptstadt für Kinder“ Sie brachte das Präventionskonzept „Monheim für Kinder“ (MoKi) auf den Weg, das inzwischen die Blaupause für Landesprogramme wurde, wie „Kein Kind zurücklassen“, das inzwischen als „kinderstark“ in vielen Kommunen Nordrhein-Westfalens wirkt. Grundlage von MoKi war eine AWO-ISS-Studie von Gerda Holz zur Kinderarmut. Solche Projekte und Programme sind nicht einfach durchzusetzen. Einen Rechtsanspruch gibt es nur für teure Interventionsmaßnahmen, wenn das sprichwörtliche Kind in den Brunnen gefallen ist. Präventionsmaßnahmen gelten als freiwillige Leistungen. Am Anfang von MoKi stand die Vision, den Anfang einer weitreichenden Unterstützung wagte das Landesjugendamt Rheinland, der Erfolg sorgte für Zuspruch und Ausweitung, inzwischen mit Parteien übergreifender Akzeptanz. Die Stiftung SPI hat Präventions- und Interventionsprogramme zum Kinderschutz entwickelt, die unter anderem vorsehen, dass Kommunen ähnlich wie beim Brandschutz eigene Kinderschutzkonzepte entwickeln, die regelmäßig überprüft werden. Die Umsetzung wird vorbereitet. Das vollständige Gespräch lesen Sie hier.
  • Rubrik Kinderrechte: Der Kölner Jugendhilfeträger Netzwerk e.V. feierte sein 20jähriges Bestehen, kann aber mit seinen Vorläufereinrichtungen auf eine Geschichte von „60 Jahre Jugendhilfe“ zurückblicken. Friedhelm Meier, lange Jahre Geschäftsführer, beschreibt in seinem Rückblick Entstehung und Zukunftsperspektiven. Es begann mit Projekten für Kinder von obdachlos gewordenen Menschen. Das Projekt entwickelte sich zu einem Nachbarschaftsprojekt mit Kindertageseinrichtung, Spielstuben und sozialpädagogischem Zentrum. Eine Bürgerinitiative wurde mit der Zeit zu einem professionellen Trägerverein. Mit der Zeit kamen weitere Elemente hinzu, unter anderem über den Verein Natur & Kultur, der sich für eine ökologische Ausgestaltung in Schule, Schul- und Wohnumfeld engagierte. Dann kam die OGS (Offene Ganztagsschule). Inzwischen ist Netzwerk Träger von 26 offenen Ganztagsschulen, Grund- wie Förderschulen, und sorgt dafür, dass Kinder im Ganztag gemeinsam lernen und gemeinsam aufwachsen. Grundlage ist das Leitbild, in dem es unter anderem heißt: Alle Kinder, Jugendlichen und ihre Familien, alle Mitarbeiter*innen sind Teil von Netzwerk e.V. und erfahren Wertschätzung. Die Kinder und Jugendlichen in unseren Einrichtungen können mitgestalten und erfahren persönliche Entwicklungsmöglichkeiten. Dabei liegen die Stärken jedes einzelnen im Mittelpunkt.“ Zukunftsaufgabe ist und bleibt die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE). Das vollständige Portrait von Netzwerk finden Sie hier.
  • Rubrik Treibhäuser: Angesichts der multiplen Krisen dieser Welt liegt die Frage nach den grundlegenden Strukturen dieser Krisen auf der Hand. Norbert Reichel stellt in seinem Essay „Jenseits des Kapitalismus – Gedankenspiele für eine zukünftige Politik“ mehrere Denkmodelle vor. Grundlage wäre eine Politik, die sich von dem Wachstumsparadigma der kapitalistischen Logik verabschiedet und alternative Wirtschaftsformen entwirft. Ulrike Hermann plädiert in ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus“ für eine Orientierung an der britischen Kriegswirtschaft während des Zweiten Weltkriegs, weil nur auf diese Weise die positiven Errungenschaften einer kapitalistischen Wirtschaft noch gewahrt bleiben könnten. Kohei Saito fordert eine Umorientierung der Wirtschaft auf „Degrowth“, durchaus im Sinne früherer Appelle wie denen des Club of Rome seit Beginn der frühen 1970er Jahre oder der Konvivialistischen Manifeste, deren deutsche Version der Bielefelder transcript-Verlag veröffentlichte. Letztlich geht es nicht nur um eine andere Verteilung von Gütern oder die erfolgreiche Umsetzung der Sustainable Development Ziele (SDG). Jedes politische Konzept müsse sich daraufhin überprüfen lassen, wie es die Grundlagen unserer Gesellschaft(en) auf demokratischem Wege zu verändern vermag. Es gehe eben auch darum, „Klimafaschismus“, „Klimamaoismus“ und „Barbarei“ zu verhindern. Eine Grundlage biete der „Ökosozialismus“ des späten Karl Marx. Kohei Saito ist optimistisch, dass 3,5 Prozent einer Gesellschaft bereits grundlegende Veränderungen herbeiführen könnten, andererseits stellt sich die Frage nach einer dauerhaften Hegemonie einer gleichermaßen sozialen und ökologischen Politik. Maria do Castro Varela, Natascha Khakpour und Jan Niggemann orientieren sich an Antonio Gramsci und entwerfen eine Vision für Bildungsprozesse. Letztlich stellt sich aber wiederum die Frage nach dem (r-)evolutionärem Subjekt, über die beispielsweise André Gorz und Slavoj Źiźek kreativ nachgedacht haben. Den vollständigen Essay lesen Sie hier.

Veranstaltungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons:

  • Polen nach der Wahl: Am 15. Oktober 2023 wird in Polen ein neues Parlament gewählt. Gemeinsam mit dem Universitätsclub Bonn lädt der Demokratische Salon zu einer Veranstaltung ein, die unter anderem an den im August 2023 veröffentlichten Essay „Polen 2023“ anschließt. Die Veranstaltung findet am 2. November 2023, 19 – 21 Uhr, in den Räumen des Universitätsclubs statt. Zugesagt haben Markus Meckel, Außenminister und MdB a.D. und Ines Skibinski, Universität Bonn – Abteilung für osteuropäische Geschichte (Leitung: Martin Aust). Gegenstand ist die Frage, welche Rolle Polen nach den Wahlen des Oktober 2023 in Europa spielen könnte und welche deutsch-polnischen Initiativen denkbar wären. Geplant sind ein Deutsch-Polnisches Haus und ein Polen-Denkmal für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs. Welche Rolle spielen diese Initiativen für die zukünftige gemeinsame Geschichte Polens und Deutschlands in Europa? Ist ein gemeinsamer Weg in einem demokratischen Europa möglich? Was bedeutet das Ergebnis der Wahl für Erinnerungskultur und Begegnungsstätten? Gibt es Chancen für eine Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks? Weitere Informationen auf der Internetseite des Universitätsclubs. Um Anmeldung wird gebeten: programm@uniclub-bonn.de.

Weitere Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerbe:

  • Kolumbien: Im Rahmen der Bonner Friedenstage findet am 4. Oktober 2023, 18.30 Uhr, im Migrapolis, Brüdergasse 16-18, Bonn, eine gemeinsam von Wissenskulturen e.V. und Colpaz – Frieden für Kolumbien vorbereitete Vortrags- und Diskussionsveranstaltung statt. Referent ist Johannes Thema, Wuppertal-Institut. Die seit August vorigen Jahres amtierende linke Regierung Kolumbiens hat ein umfangreiches Reformprogramm vorgelegt, um einen „umfassenden Frieden“ herbeizuführen. Der Wille zu weiteren Friedensverhandlungen mit bewaffneten Gruppen, das Ende der von Extraktivismus dominierten Wirtschaftspolitik, eine konsequente Wende in der Energiepolitik einschließlich Umweltschutzprogramm und eine grundlegende Neuausrichtung der Drogenpolitik bestimmen die kolumbianische Politik, werden aber höchst kontrovers diskutiert. Welche Konfliktpotenziale zeichnen sich ab und wie könnte eine deutsche Unterstützung einer „Just Transition“ gestaltet werden? Weitere Informationen auf der Seite des Vereins Wissenskulturen, Anmeldung ist erbeten.
  • Brandenburger Freiheitspreis: Die Auszeichnung – diesmal unter dem Thema „Die Freiheit in der digitalen Welt“ – wird am 11. Oktober 2023 um 18 Uhr im Dom zu Brandenburg an AlgorithmWatch verliehen. Die Organisation engagiert sich seit 2017 als gemeinnützige Gesellschaft mit dem Ziel, Prozesse algorithmischer Entscheidungsfindung zu analysieren, die eine gesellschaftliche Relevanz haben, insbesondere Prozesse, die menschliche Entscheidungen vorbestimmen oder automatisiert Entscheidungen treffen. AlgorithmWatch setzt sich dafür ein, die digitalen Systeme der Gesellschaft gerechter, demokratischer und nachhaltiger zu machen. Das Grußwort spricht die brandenburgische Sozialministerin Ursula Nonnemacher, die Laudatio hält Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Anmeldung ist erforderlich.
  • Im Romanischen Salon: Am 7. September 2023 begann eine Lesungsreihe mit jungen jüdischen Autor:innen. Den Anfang machte Marina Frenk mit ihrem Roman „ewig her und gar nicht wahr“. Es folgten Dmitrij Kapitelman mit „Eine Formalie in Kiew“ und Dana von Suffrin mit „Otto“. Am 17. Oktober 2023, 17.30 Uhr, findet die letzte der vier Veranstaltungen nim Rathaus Mülheim an der Ruhr statt: Bella Liebermann mit „Das Kupfermeer“. Alle Veranstaltungen moderiert Luisa Banki. Veranstalter sind SABRA, ADIRA, ZIVA, die Synagogengemeinde Köln und der Kompetenzverbund Antisemitismus. Die Veranstaltungen werden vom nordrhein-westfälischen Integrationsministerium und vom Verlag Klaus Wagenbach gefördert. Anmeldung ist nicht erforderlich.
  • Protest und Aufstand: Am 6. Juni 2023 startete die sechsteilige Vortrags- und DiskussionsreiheMut/Wut! Protest, Aufstand und politischer Aktivismus in Diktatur und Demokratie. Sie ist ein gemeinsames Projekt der Berliner Landeszentrale für politische Bildung, der Deutschen Gesellschaft e. V. und der Bundesstiftung Aufarbeitung. Wer nicht teilnehmen konnte, findet alle Veranstaltungen der Reihe auf dem Youtube-Kanal der Stiftung. Anlass ist der 70. Jahrestag des Volksaufstands vom 17. Juni 1953. Einbezogen werden jedoch auch Aufstände und Protestformen in anderen Ländern, beispielsweise im Iran. In der ersten Veranstaltung ging es um Symbole des Protestes (beispielsweise Kerzen, Regenschirme, abgeschnittene Haare). Die weiteren Termine: Juli 2023 („Stadt, Land, Netz“), 5. September 2023 (Zwischen Recht und Repression“), 10. Oktober 2023 (Demokratischer (Un-)Wille? Der Umgang mit antidemokratischem Protest“, 7. November 2023 („Vergessene Aufstände und marginalisierter Protest“ und 5. Dezember 2023 („Protest und Emotion“). Alle Veranstaltungen finden in den Räumen der Bundesstiftung oder – am 7. November 2023 – in der Berliner Landeszentrale statt.
  • Kurdische Kulturwochen: Die Zentrale Beratungsstelle für Migrantinnen und Migranten e.V. und die Heinrich Böll Stiftung Schleswig-Holstein bieten im Oktober und November 2023 an unterschiedlichen Orten der Stadt Kiel Ausstellungen, Diskussionen, Konzerte, Theaterstücke, Kochkurse und Lesungen, in denen Kurd:innen über die Regionen Kurdistans informieren. Die Veranstalter formulieren ihre Ziele wie folgt: „Unter dem Begriff Kurdistan verstehen wir einen vielfältigen, komplexen Kulturraum und selbstbezeichnende Herkünfte. Im Sinne der politischen Bildung wollen wir keine Haltung zur politischen Debatte nach dem Wunsch oder der Ablehnung einer Staatengründung einnehmen, sondern Denkanstöße für die Erinnerungs- und Zukunftsarbeit durch Referierende formulieren lassen.“ Das vollständige Programm finden Sie hier.
  • Forum für Demokratie und Bürgerbeteiligung: Die Stiftung Mitarbeit lädt vom 10. bis zum 12. November 2023 ein zum diesjährigen Forum unter dem Titel „Den gesellschaftlichen Umbruch demokratisch gestalten. Zukunft als Gemeinschaftsaufgabe“. Das Forum findet in Bonn statt. Thema ist die Frage wie Bürgerbeteiligung und demokratische Praxis heute ausgestaltet sein müssen, um die notwendigen Handlungsstrategien für die gesellschaftliche Zukunft zu erarbeiten, tragfähig zu machen und zu realisieren. Dazu gehören gemeinsame Handlungsräume für Zivilgesellschaft und Kommune, Kinder- und Jugendbeteiligung, partizipative Strategien hin zum lokalen Klimaziel, gemeinwohlorientierte Orte in den Städten der Zukunft, Stärkung von Dörfern durch Vernetzung und Interessenvertretung sowie Strategien zum Umgang mit antidemokratischen Entwicklungen. Weitere Informationen finden Sie hier.
  • Antisemitismus und Kunstfreiheit: Dies ist Thema des diesjährigen SABRA-Fachtages am 20. November 2023, 9.30 bis 18.30 Uhr, in den Räumen der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Titel „Alles von der Kunstfreiheit gedeckt? Antisemitismus in Kunst und Kultur“. Anlass sind Auftritte diverser Rockstars oder Kabarettisti:innen, in denen Ressentiments und Feindseligkeiten gegen Jüdinnen:Juden propagiert werden. So regelmäßig es zu Antisemitismus-Skandalen im Kulturbetrieb kommt, so routiniert und ritualisiert werden berechtigte Antisemitismusvorwürfe oftmals als das eigentliche Problem verhandelt und die Betroffenen mit ihrer Kritik übergangen und alleingelassen. Dadurch werden nicht nur der Antisemitismus in zahlreichen Kunst- und Kulturinstitutionen bagatellisiert und jüdische Perspektiven unsichtbar gemacht, sondern auch jüdische Künstler:innen ausgeschlossen. Weitere Informationen demnächst auf der Seite von SABRA.
  • Jüdisch sein in der DDR: „DDR am Dienstag“ ist der Titel einer Veranstaltungsreihe bis zum 14. Januar 2024 anlässlich der Ausstellung „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“ im Jüdischen Museum Berlin in der Lindenstraße. Geboten werden Biografien, Lesungen, Künstlergespräche, Performances. Anmeldung ist nicht erforderlich, ein Ticket für die Ausstellung reicht aus. Außerdem gibt es einen begleitenden Podcast.
  • Ringelblum-Archiv: Im NS-Dokumentationszentrum München wurde am 28. Juni 2023 die Ausstellung „Wichtiger als unser Leben“ eröffnet, in der bis 7. Januar 2024 das Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos, das nach dem Dokumentar benannte „Ringelblum-Archiv“ zu sehen sein wird. Emanuel Ringelblum war einer der etwa 60 jüdischen Akademiker:innen, Schriftsteller:innen und Aktivist:innen, die unter dem Namen Oneg Shabbat dafür sorgen wollten, dass ihr Leben und Sterben im Warschauer Ghetto der Nachwelt überliefert wurde. Das Archiv ist Teil des UNESCO-Weltkulturerbes und wird im Jüdischen Historischen Institut Emanuel Ringelblum in Warschau aufbewahrt. Fotos, Schriftstücke geben Zeugnis vom polnischen Judentum sowie von anderen Gruppen, die wie Sinti:zze und Rom:nja von den Nazis im Warschauer Ghetto eingepfercht wurden. Begleitend bietet das NS-Dokumentationszentrum eine Vielzahl von Veranstaltungen.
  • Literaturwettbewerb Klimazukünfte: Das Klimahaus Bremerhaven und der Hirnkost Verlag haben den Literaturwettbewerb Klimazukünfte ins Leben gerufen. Unterstützt wird der Literaturwettbewerb durch den VS Bundesvorstand, die Writers For Future, Respekt! – Die Stiftung, finanziert wird er von Sylvia Mlynek und Fritz Heidorn aus Oldenburg. Der Preis wird in den Kategorien für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene vergeben: „Der Literaturpreis KLIMAZUKÜNFTE 2050 soll Menschen jeden Alters, professionelle wie nicht-professionelle Autor:innen anregen, sich mit dem Klima und möglichen Zukünften auseinanderzusetzen und diese literarisch vorzustellen. Möglich sind alle Formen der literarischen kurzen Auseinandersetzung mit dem Thema, sei es Prosa oder Lyrik, als Science-Fiction-Erzählung, Dystopie oder Utopie, als Fabel oder Märchen. Auch Graphic Novels und Slam-Poetry-Texte sind willkommen. Wichtig ist, dass die Schreibenden eine eigene Erzählform finden, die ihre Gedanken und Gefühle zugänglich machen: Wie wird das Leben in Deutschland, Europa und der Welt im Jahre 2050 aussehen?“ Einsendeschluss ist der 31. März 2024 (nur digitale Einsendungen werden berücksichtigt). Die Auszeichnungen erfolgen in der Leipziger Buchmesse 2025.
  • Displaced Persons: Das Münchner Stadtmuseum bietet bis zum 7. Januar 2024 die Ausstellung „München Displaced – Heimatlos nach 1945“. Es geht um das vergessene Schicksal und die Erzählungen von etwa 100.000 Displaced Persons (DPs) in der Nachkriegszeit in München. Das Jüdische Museum München bietet bis zum 17. März 2024 die parallele Ausstellung „München Displaced – Der Rest der Geretteten“.
  • Streit als Kulturgut: Bis zum 4. Februar 2024 ist in den Franckeschen Stiftungen zu Halle die Ausstellung „Streit, Menschen, Medien, Mechanismen im 18. Jahrhundert und heute“ zu sehen. Einen reich bebilderten Katalog haben Claudia Weiß und Holger Zaunstöck In der Septemberausgabe von Politik & Kultur  hat Holger Steinstöck ein ausführliches Portrait der Ausstellung veröffentlicht.

Kurznachrichten und weitere Empfehlungen:

  • 16. September 2023 – ein Jahr Revolution im Iran 1: Am 16. September 2023 fanden in vielen Städten Kundgebungen zum Gedenken an die Ermordung von Jina Mahsi Amini durch die iranischen Sicherheitskräfte statt. Nachdem die Freiheitsbewegungen im Iran in den vergangenen Monaten in Politik und Medien ein wenig in den Hintergrund anderer Themen geraten waren, gab es zu diesem Jahrestag mehrere Dossiers, Berichte und Analysen, von denen hier nur einige zitiert werden können. Für ZEIT Online protokollierte Lara Huck Gespräche mit der Fotografin Pari Shourehzar (ein Pseudonym). Diese hatte mit fünf Iranerinnen und Iranern gesprochen, die während der Proteste verhaftet wurden, inzwischen aber wieder in Freiheit sind. Sie sprechen von der Folter, den Haftbedingungen, aber auch von ihrer Hoffnung: „Niemand kann diese Revolution stoppen.“ Weitere Protokolle wurden von Omed Razaee am 16. September 2023 in ze.tt veröffentlicht, Menschen, die ihren Arbeitsplatz als Journalist, als Lehrerin verloren, in der Familie Auseinandersetzungen erlebten, verhaftet wurden, sich aber nicht entmutigen lassen. „Es gab keinen Tag, an dem niemand ohne Verletzungen aus der Uni kam“. Zum 16. September 2022 wurde – so berichtet The National News (Quelle: mena-watch) – ein Onkel von Jina Mahsi Amini verhaftet, das Grab wurde großräumig abgesperrt, die Eltern und Geschwister wurden unter Hausarrest gestellt. Das Regime wackelt, Thomas von der Osten-Sacken berichtet für mena-watch, dass Ex-Präsident Rohani vor der Abwanderung vieler Intellektueller und dem damit verbundenen Braindrain warne. Am Todestag von Jina Mahsi Amani gab es mehr als 260 Festnahmen.
  • 16. September 2023 – ein Jahr Revolution im Iran 2: Katajun Amirpur zog am Vorabend des 16. September 2023 in der Süddeutschen Zeitung Bilanz: „Nehmt unsere Haare, aber wir nehmen uns die Freiheit“. Sie berichtet von der großen Solidarität im Iran durch Künstler:innen und Intellektuelle, von dem zivilen Ungehorsam vieler Frauen und dessen Verbreitung in den sozialen Medien, der Unterstützung von Frauen, die von der „Sittenpolizei“ angegangen werden, durch zufällig anwesende Passant:innen, den drakonischen Strafen, zu denen nicht zuletzt Demütigung gehört. Es gibt durchaus Streit um die Frage, ob der Islam das Kopftuch gebiete, aber selbst konservative Muslim:innen und Gelehrte verurteilen den Zwang zum Kopftuch. Es hat sich etwas Grundlegendes geändert: Dass ganz normale Iranerinnen und Iraner dem Regime entgegentreten, ist neu. Früher hatten die Menschen mehr Angst, der Sittenpolizei Widerstand zu leisten. Die Furcht ist zwar nicht weg, aber der Mut ist inzwischen größer.“
  • 16. September 2023 – ein Jahr Revolution im Iran 3: Der „Merkur“ veröffentlicht in seiner Septemberausgabe den frei zugänglichen Essay von Nacim Ghanbari „How to Support a Revolution“ – ‚Frau, Leben, Freiheit – emanzipatorische Potenziale“. Der Essay ist ein Bericht über die von Katajun Amirpur an der Universität Köln organisierte Ringvorlesung und enthält auch einen Überblick über verschiedene Veröffentlichungen zum Thema. Die Autorin stellt fest, „dass politische Einschätzung, die in Deutschland zu den iranischen Zuständen abgegeben werden, nicht selten eine eigentümliche relativierende Sicht auf genderdiskriminierende Aspekte des islamischen Rechts offenbaren.“ Siehe auch die Beiträge zum Iran im Demokratischen Salon, darunter das Interview mit Katajun Amirpur.
  • 16. September 2023 – ein Jahr Revolution im Iran 4: In der Juli-Ausgabe 2023 der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ sehen wir in der Online-Version, im September sogar wieder auf der Startseite, am Anfang des Essays „Zwischen Hoffnung und Repression“ von Golineh Atai ein Foto, auf dem eine junge Frau mit offenem Haar am übergroßen Wandbild eines bärtigen eine Fahne tragenden Soldaten vorbeigeht: „Wir befinden uns mitten in einer Art sanftem Krieg, einer andauernden Revolution der Werte und Mentalitäten, bei der keineswegs ausgemacht ist, dass das Regime am Ende obsiegen wird.“ Die Sanftheit ist auf der Seite der Protestierenden, das Regime verschärft seine Repression, bleibt aber immer öfter wirkungslos. Doch es ist nicht ausgemacht, wie dieser „Kriegszustand“, von dem auch das Regime selbst spricht, aufgelöst werden dürfte. Die internationale Unterstützung des Iran hat sich zu einer Art internationaler Gleichgültigkeit entwickelt. Ebenso argumentiert die inzwischen in Deutschland lebende iranische Journalistin Frangiss Bayat in der ZEIT: Wie kann sich das Regime trotz all dieser tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen an der Macht halten? Eine kurze Antwort darauf könnte lauten: Die internationale Beschwichtigungspolitik hat es dem Regime ermöglicht, sich zu erneuern.“
  • 16. September 2023 – ein Jahr Revolution im Iran 5: Fehleinschätzungen und bewusst falsche Informationen über den Iran fanden wir in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder in den deutschen Medien, sodass es schwer ist, diese eine nach der anderen zu widerlegen. Im Demokratischen Salon hat Norbert Reichel dies im Herbst 2022 in dem Essay „Eine feministische Revolution“, unter anderem unter Bezug auf den 2017 von Stefan Grigat bei Hentrich & Hentrich veröffentlichten Sammelband „Iran, Israel, Deutschland“ versucht. Eben diese Dekonstruktion von Falschnachrichten leistet auch Andreas Benl in Jungle World. Er schließt mit drei zentralen Forderungen an die deutsche (und europäische Politik): Die Revolutionsgarden müssen sofort auf die Terrorliste gesetzt werden, diese Forderung ist nach wie vor aktuell, sie duldet keinen Aufschub. Der Islamischen Republik unterstehende Institutionen wie Botschaft, Konsulate und das „Islamische Zentrum Hamburg“ müssen geschlossen werden. Der Dialog mit dem Regime muss abgebrochen und durch einen Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern des freien Iran ersetzt werden. (Für den Hinweis danken wir mena-watch.com)
  • 16. September 2023 – ein Jahr Revolution im Iran 6: Thomas von der Osten-Sacken begrüßt in einem Beitrag auf mena-watch einerseits die Aufmerksamkeit für die Entwicklungen im Iran zum ersten Jahrestag des Todes von Jina Mahsi Amini, befürchtet andererseits aber auch eine weitere Abnutzung bis zum zweiten Jahrestag am 16. September 2024. Seine Hoffnung: weitere Überschriften mit dem Tenor eines Artikels von Friederike Böge in der F.A.Z.: „Das iranische Regime fürchtet das Volk“.
  • Chile 1973 1: Zum 50. Jahrestag des Putsches von Augusto Pinochet gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende vom 11. September 1973 bot die Bundesstiftung Aufarbeitung unter dem Titel „Traum und Terror – 50 Jahre nach dem Militärputsch in Chile“ eine Debatte zur Bewertung. In der Ankündigung wies sie auf die Menschenrechtsverletzungen und den neoliberalen Wirtschaftskurs der Militärdiktatur hin. Erst 1990 gelang in Chile die Rückkehr zur Demokratie. Gleichwohl gibt es immer noch unaufgearbeitete Vergangenheiten, nicht zuletzt auch im Hinblick auf deutsche Beteiligungen (nicht nur im Kontext der „Colonia Dignidad“). In den Jahren 2019 und 2020 erschütterten Proteste nach mehr sozialer Gerechtigkeit das Land. Ein Verfassungsreferendum scheiterte. Nach einem Grußwort von Anna Kaminsky, der Direktorin der Bundesstiftung Aufarbeitung, diskutierten E. Magdalena Atria, Botschafterin der Republik Chile, Sophia Boddenberg, freie Journalistin, Isabel Cademartori MdB, stellv. Vorsitzende der Parlamentariergruppe Cono Sur-Staaten, Georg Dufner, Historiker, Elke Gryglewski, Mitglied der Expertenkommission des Auswärtigen Amtes für ein Gedenkstättenkonzept „Colonia Dignidad“, der Künstler César Olhagaray und der Historiker Daniel Stahl. Es moderierte Ronny Blaschke. Die Veranstaltung können Sie nach wie vor über youtube verfolgen.
  • Chile 1973 2: Für den Demokratischen Salon hat Carla Steinbrecher den Schauspieler und Regisseur Alejandro Quintana Contreras interviewt, der nach dem Putsch in der DDR Zuflucht gefunden hatte (Veröffentlichung im März 2022). „Aus Politik und Zeitgeschichte“ veröffentlichte am 28. August 2023 ein eigenes Themenheft zu Chile. Eine Sonderausgabe veröffentlichte am 9. September 2023 auch die taz. The New York Review of Books veröffentlichte am 21. September 2023 den Essay „Defending Allende“ von Ariel Dorfman, der den Lauf der Ereignisse rund um den 11. September 1973 beschreibt und analysiert.
  • Chile 1973 3: In der Septemberausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ schrieb Faride Zerán über Erinnerungskultur und -politik in Chile, auch im Zusammenhang des gescheiterten Verfassungsentwurfs. Er zitiert eine Umfrage die belegen, „dass 36 Prozent der Bevölkerung – 20 Prozentpunkte mehr als vor zehn Jahren – glauben, dass die Streitkräfte ‚zu Recht‘ geputscht hätten, während 41 Prozent der Meinung sind, dass ‚es nie einen Grund gibt, einen Staatsstreich durchzuführen‘, was 27 Prozentpunkte weniger sind als bei der gleichen Umfrage im Jahr 2013“.
  • 1700 Jahre Jüdisches Leben: Im August 2023 veröffentlichten wir im Demokratischen Salon im Gespräch mit Sylvia Löhrmann und Andrei Kovacs eine Bilanz des Festjahres. Zur Ergänzung verweisen wir auf die Bildungsmediathek NRW, die beispielhafte Projekte des Festjahres dokumentiert und zugänglich macht.
  • Zeitzeug:innen der Shoah: Die 101 Jahre alte Ehrenbürgerin Berlins und Überlebende der Shoah Margot Friedländer hat eine Stiftung zur Förderung von Freiheit und Demokratie gegründet. Der Tagesspiegel berichtete ebenso wie zahlreiche andere Medien von der Eröffnung in der Seniorenresidenz Tertianum. Sitz der Stiftung ist demnächst die Mendelssohn-Remise in der Jägerstraße. Vorsitzende der Stiftung ist die ehemalige Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters. Christine Schmitt interviewte Margot Friedländer für die Jüdische Allgemeine. Margot Friedländer sagte unter anderem: „Ich möchte den jungen Menschen sagen, was während der Schoa passierte. Wir können es nicht mehr ändern. Aber es darf nie wieder geschehen. Es ist für euch, sage ich ihnen immer, wenn ich als Zeitzeugin zu ihnen spreche. Ich predige nicht. Ich rede zu ihnen. Ich sage ihnen, was ich von ihnen erwarte. Dass sie Menschen sind.“
  • Mariupol: Am 23. Februar 2022 schrieben 26 Schüler:innen in Mariupol einen Mathetest. Dann änderte sich alles. Die Süddeutsche Zeitung dokumentierte am 20. September 2023 unter dem Titel „Flucht ins Leben“, was weiter geschah. Die jungen Frauen und Männer kommen zu Wort. Oleksandra, die zurzeit in Aschaffenburg lebt: „Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, was ich als Nächstes tun soll. Alle Pläne brachen einfach an einem Tag zusammen. Was ist wahrscheinlich? Ich werde in Deutschland studieren. Oder in der Ukraine. Oder vielleicht auf dem Mars.“
  • Präsent gegen Rechts: In unserer Augustausgabe stellten wir den CDU-Bundestagsabgeordneten Sepp Müller vor, dem es aufgrund seiner örtlichen Präsenz im Wahlkreis Dessau-Wittenberg (Sachsen-Anhalt) gelingt, antidemokratische Parteien zu distanzieren. Eine ähnliche Strategie verfolgt Maja Wallstein, Bundestagsabgeordnete der SPD für den Wahlkreis Cottbus-Spree-Neiße (Brandenburg). Sie zieht mit einem Bollerwagen durch den Wahlkreis und spricht mit den Menschen, fragt sie, was sie wollen, hört ihnen zu, argumentiert, bezieht Position. Steffen Willeke widmete ihr in der ZEIT vom 17. August 2023 ein ausführliches und lesenswertes Portrait unter dem Titel „Bollern gegen rechts“.
  • Demokratischer Streit: Die Zeitung Politik & Kultur bietet in ihrer Septemberausgabe 2023 ein umfangreiches Dossier zum Thema „Streitkultur“. Das Editorial schrieb Julian Nida-Rümelin, weitere Texte bieten u.a. Olaf Zimmermann („Ohne Streit kein Kompromiss“), Holger Zaunstöck über die u.a. von ihm kuratierte Ausstellung zum Streit im 18. Jahrhundert und heute in Halle, Lea Hagedorn über Karikaturen und Schmähbilder im 18. Jahrhundert, Marian Füssel über Geschichte und Gegenwart wissenschaftlichen Streitens, Thomas Lindenberger über die Rolle der Straße als Ort des Streits. Politische Statements von Ralph Brinkhaus, CDU, und Katrin Göring-Eckardt, Grüne, runden das Bild eines Panoramas des politischen und demokratischen Streits in Geschichte und Gegenwart ab. Beachtenswert auch ein Text von Jürgen Kaube, der als Herausgeber der F.A.Z. über die Lage der Kritik in den deutschen Feuilletons nachdenkt. (Kleine Anmerkung am Rande: leider sind nur fünf Frauen und niemand mit internationaler Familiengeschichte unter den 23 Autor:innen.) Ergänzend sollte darauf verwiesen werden, dass der Deutsche Kulturrat mit Recht kritisiert, das im KRITIS-Dachgesetz Kultureinrichtungen nicht als Teil der grundsätzlich zu schützenden kritischen Infrastruktur im Kriegs- und Katastrophenfall gerechnet werden.
  • Toolbox Demokratie: Begleitend zum Bericht der Hertie-Kommission Demokratie und Bildung wurde eine Toolbox Demokratie Die Box enthält Steckbriefe zahlreiche leicht umsetzbare Projekte rund um Demokratie, Partizipation, Umweltbildung, Medienkompetenz, kontroverse Debatte, in der Schule und außerhalb der Schule, und nennt Kontaktmöglichkeiten mit der Politik bei der Durchführung der Projekte (für den Hinweis danke ich Barbara Sengelhoff).
  • Demokratie in Berlin: Das Editorial des Demokratischen Salons vom August 2023 befasste sich mit den von der Bundesregierung vorgesehenen Streichungen bei Demokratie- und Integrationsprojekten. Auch im Land Berlin droht ein vergleichbarer Kahlschlag. Der Tagesspiegel berichtete am 29. August 2023 von einem offenen Brief von acht Bildungsträgern an den Senat und die ihn tragenden Parteien. „In unserer Arbeit legen wir früh einen Grundstein für ein gewaltfreies Miteinander“, heißt es in dem Protestschreiben. „Wir erfüllen die Bedarfe, für die Lehrkräfte keine Zeit oder schlicht nicht die passende Ausbildung haben oder für die es den Schulen an Geld fehlt.“ Besonders Aufklärungsworkshops gegen Gewalt sollen laut Haushaltsplan in den nächsten Jahren zusammengestrichen werden, beklagt etwa die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG). Die Haushaltsberatungen auf Bundes- und Länderebene dauern an.
  • Arbeiter:innen und die Neue Rechte: Einer der führenden Experten für Entwicklungen der Arbeiterbewegung ist Klaus Dörre. Lesenswert ist sein Essay „‚Land zurück!‘ Arbeiter, Abwertung, AfD“. Er analysiert die Affinitäten von Arbeiter:innen zu recht(spopulistisch)en Bewegungen und Parteien und diagnostiziert „eine verzerrte Klassenproblematik“. Kontraproduktiv sei es, „Verteilungs- und Anerkennungskämpfe gegeneinander auszuspielen“. Ebenso kontraproduktiv sei die „herablassende Arroganz“, mit der Arbeiter:innen, die sich bei Wahlen oder anderweitig rechts orientieren, pauschal als „faschistisch“ oder zumindest als mit Faschismus sympathisierend markiert werden. Eine besondere Aufgabe komme den Gewerkschaften zu. Erforderlich sei ein „Bewusstsein für Kausalmechanismen, mit deren Hilfe sich beklagtes Unrecht seinen strukturellen gesellschaftlichen Ursachen zurechnen ließe.“ (Quelle: Correctiv am 31. August 2023)
  • Linkspartei in Deutschland? Parteien, die sich als „links“ verstehen, haben es sich in Deutschland immer schon selbst schwer gemacht. Eben dies scheint sich angesichts der aktuellen Streitigkeiten wieder zu bestätigen, die sich jedoch nicht allen auf die Frage beschränken, ob Sahra Wagenknecht – mit welchen Inhalten und welchen Personen auch immer eine neue Partei gründen werde. Lotte Laloire hat am 14. September 2023 in der taz acht Menschen portraitiert, die sich als „links“ bezeichnen, aber damit der Partei „Die Linke“ kein Monopol einräumen wollen. Der rote Faden der Portraits lässt sich vielleicht so zusammenfassen: entscheidend für die Mehrheitsfähigkeit „linker“ Positionen ist das Zusammenspiel von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Partei(en). Es reicht beispielsweise nicht aus, sich „antifaschistisch“ zu definieren, erforderlich ist eine Orientierung an der Vielfalt unserer Gesellschaft und der Welt im Kontext einer Sozialpolitik, die ihren Namen verdient, weil sie sich aktiv gegen neoliberale Ungerechtigkeiten positioniert.
  • Energieversorgung im Vergleich: Die Nachrichtenagentur Reuters hat ein umfangreiches Dossier zur Energieversorgung im europäischen Vergleich vorgelegt (Quelle: Correctiv am 13. September 2023). Dazu gehört auch eine Darstellung der Bedeutung der verschiedenen Energieträger, Atomkraft, fossile Energien, erneuerbare Energien in den einzelnen Ländern. Dokumentiert werden auch Veränderungen in der Akzeptanz von Energieträgern, beispielsweise die Veränderungen der Einstellungen zur Atomkraft in Deutschland nach der Katastrophe von Fukushima und nach der russischen Invasion in die Ukraine. Ähnliche Veränderungen gab es beispielsweise in Spanien. Für das Problem der dauerhaften Lagerung nuklearer Abfälle gibt es Willensbekundungen, jedoch noch keine Lösungen. Im Jahr 2050 wird es heißer und trockener sein, es wird aber auch mehr nuklearen Abfall geben. Die dem Dossier zugrunde liegende Frage, ob Atomkraft sich – wie oft behauptet – als „Brückentechnologie“ eigne, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Das Dossier bietet jedoch zahlreiche Argumente bis hin zur Frage der Finanzierbarkeit und der technologischen Rahmenbedingungen, die in der politischen Debatte zu beachten wären.
  • Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa: Der Tagesspiegel veröffentlichte am 16. August 2023 ein Interview von Valeriia Semeniuk und Maria Kotsev mit der Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa. Die russische Opposition habe Putin unterschätzt. Bislang fehle ein „politischer Kern, um den sich die liberal-oppositionell gesinnten Russen vereinigen könnten.“ Es gehe nicht darum, wer wann schon was wie eingeschätzt habe. „Die Linie verläuft nicht zwischen Menschen, die für oder die gegen Putin sind, sondern zwischen denen, die nichts tun, und denen, die sich bemühen, etwas gegen diesen Krieg zu auszurichten.“ Ein wichtiger Aspekt sei auch die Existenz zahlreicher Volksgruppen in der Russischen Föderation, die keine Russ:innen sind und sich auch nicht als solche verstehen. Gegenüber der Stalinzeit gebe es einen wichtigen Unterschied: „Die Folter zu Stalins Zeit wurde geheim gehalten. Heute werden Menschen in den Strafkolonien ebenfalls gefoltert, gedemütigt, vergewaltigt – aber das ist bekannt. Wenn Demonstranten vom 70-jährigen Senioren bis zur jungen Studentin auf offener Straße von den Sicherheitsgarden zusammengeprügelt werden, kann man das in den sozialen Netzwerken sehen. Die Menschen wissen von der massiven Gewalt, die vom Staat ausgeht. Und sie akzeptieren sie.“ Ein Sieg der Ukraine und eine lange Phase der „Entputinisierung“ seien die einzige Hoffnung.
  • Postkoloniales Russland: Am 21. August 2023 veröffentlichte der Tagesspiegel einen Gastbeitrag von Timothy Garton Ash, Titel: „Putin erledigt Puschkin – Russlands geplatzter Raum vom Imperium“. Russische Kultur habe in der Ukraine an Akzeptanz verloren, Puschkinstraßen wurden umbenannt, die Russen werden als „Puschkinisten“ 2013 hätten noch etwa 80 Prozent der Ukrainer:innen eine positive Einstellung zu Russland gehabt, heute seien dies noch gerade einmal zwei Prozent. Timothy Garton Ash bezeichnet den Krieg um die Ukraine als einen „Rekolonisierungskrieg“, er referiert das kolportierte Zitat von Außenminister Lawrow, Putin habe nur drei Berater: ‚Iwan der Schreckliche. Peter der Große. Und Katharina die Große.‘“ Der Westen solle sich – so Ash – keine Illusionen machen: Die westlichen Demokratien neigen dazu, ihre Fähigkeit, die Innenpolitik autoritärer Regime zu beeinflussen, zu überschätzen. Unsere Möglichkeiten der direkten Einflussnahme sind im heutigen Russland, einer personalistischen Diktatur in einem fortgeschrittenen Zustand der Paranoia und Repression, besonders gering.“ Er plädiert für den Schutz der Ukraine durch EU und NATO. Lesenswert in diesem Kontext ist auch das 2023 bei C.H. Beck erschienene Buch „Der Fluch des Imperiums“ von Martin Schulze Wessel.
  • Der Traum vom Frieden – mehr als eine Utopie: Die Wochenzeitung „der Freitag“ veröffentlichte zum Antikriegstag am 1. September eien Aufruf von Elfriede Jelinek und Konstantin Wecker „Frieden ist mehr als ein Traum“. Es geht nicht nur um den Krieg um die Ukraine, ausdrücklich genannt werden die Kriege gegen die Kurd:innen in der Türkei, in Syrien und der Krieg der iranischen Herrscher gegen die eigene Bevölkerung. Der Traum: Wir werden niemals aufhören, zu träumen von einer herrschaftsfreien Welt ohne Kriege, Faschismus, Rassismus, Patriarchat, ohne die zerstörerische Ausbeutung von Menschen und Natur.“ Elfriede Jelinek und Konstantin Wecker verweisen auf literarische Aufrufe und Dokumente der Vergangenheit, auf Ernst Toller und Karl Kraus, auf Ernst Bloch und sehen gerade in der Aufstandsbewegung im Iran nach der Ermordung von Jina Mahsi Amini am 16. September 2022 „eine globale feministische Perspektive.“
  • Afghanistan 1: Für die Deutsche Welle dokumentierte Volker Witting am 15. August 2023 Berichte der Hilfsorganisationen in Afghanistan, die die dortige Lage als ein „Desaster“ Afghanistan ist eines der am meisten von Hunger gefährdeten Länder der Welt, betroffen sind vor allem Frauen und Kinder. Vier Millionen Menschen sind nach Berichten der Vereinten Nationen unterernährt, davon 3,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren. 30 Millionen Menschen brauchen dringend humanitäre Hilfe, die ihnen die Taliban verweigern. Die Rechte von Frauen und Mädchen wurden schrittweise und systematisch abgeschafft. Ehemalige Ortskräfte sind in Lebensgefahr, Reporter ohne Grenzen berichtet, dass 80 Prozent der Journalist:innen geflohen sind. Willkürliche Verhaftungen und Hinrichtungen sind an der Tagesordnung.
  • Afghanistan 2: Eine aktuelle Reportage veröffentlichte Emran Feroz aus Masar-I-Scharif am 25. August 2023 in der taz. Ein Ausschnitt des lesenswerten Textes: In den ersten zwei Jahren des wiedergeborenen Taliban-Emirats hat sich vieles im Land verändert. Masar-i-Scharif gehört zu jenen Städten, in denen das besonders deutlich wird. Einst waren hier Nato-Truppen einschließlich der deutschen Bundeswehr stationiert, während vom Westen subventionierte Warlords in ihren Palästen residierten und mittels fragwürdiger Deals, Korruption und mafiaähnlicher Netzwerke zu Multimillionären wurden. Mittlerweile sind nur noch die Taliban präsent. Einst versteckten sie sich in den umliegenden Dörfern. Nun marschieren sie mit ihren Kalaschnikows durch die Stadt und haben gelernt, die zurückgelassenen Geländewägen ihrer einstigen Feinde zu lieben.“
  • Der Westen? Ulrich Menzel hat in der Septemberausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ Essay „Putins Krieg und die neue Welt(un)ordnung“ veröffentlicht, der weit über den Krieg um die Ukraine hinausweist, nicht zuletzt auf den Verlauf weiterer Entwicklungen in und durch China. Er weist vor allem auf die Fehleinschätzungen und das Fehlverhalten des Westens hin. Seine Schlussfolgerung: „Deshalb muss Europa die USA unterstützen und darf sich nicht als dritter Pol der Welt, gar als eine neue Art der ‚Blockfreien‘ verstehen, da es sich im Kern um einen Konflikt zwischen einer autoritären und einer liberalen Weltordnung handelt. Der Westen sollte allerdings Abschied nehmen von seinem Missionarismus, das westliche Modell in autoritär geführten Ländern mit Anreizen, Druck oder gar mit Gewalt durchzusetzen. Stattdessen sollte er sich auf die Behauptung der liberalen Ordnung daheim beschränken, die innenpolitisch massiv unter dem Druck der Populisten steht. Jedes neue Mitglied im liberalen Club ist willkommen, es muss aber freiwillig kommen.“ Der Essay beruht auf dem am 25. September 2023 im Suhrkamp Verlag erschienenen neuen Buch des Autors: „Wendepunkte – Am Übergang zum autoritären Jahrhundert“:
  • Justizreform in Israel: Nach den Protesten ist denkbar, dass es keine weiteren Initiativen der israelischen Regierung geben wird. Diese These vertritt Ben Segenreich, der unter anderem für die WELT, den österreichischen Standard, den ORF und weitere Medien in Deutschland, Österreich und der Schweiz aus Israel berichtete. Gemeinsam mit seiner Frau Daniela Segenreich veröffentlichte er 2018 das Buch „Fast ganz normal – Unser Leben in Israel“ (erschienen bei Amalthea Signum). In einem auf youtube verfügbaren Kommentar vertritt er die Auffassung, dass die Regierung angesichts inzwischen zurückhaltender Positionierungen innerhalb des LIKUD das ursprüngliche Vorhaben weitgehend aufgeben müsse. Der einzige verbliebene Punkt sei die zurzeit vor dem Obersten Gerichtshof verhandelte „Angemessenheits-“ beziehungsweise „Vernünftigkeitsklausel“, die gestrichen werden sollte. Das entspreche etwa 10 Prozent der ursprünglichen Planungen. (Quelle: mena-watch.com)
  • Eurasische AfD: Die AfD sagt es (noch) nicht allzu deutlich, aber die Richtung ist eindeutig: raus aus EU und NATO, Hinwendung zu Russland. Markus Bensmann hat auf der Plattform von Correctiv eine umfangreiche Recherche vorgelegt, die belegt, wie sich die AfD für das eurasische Projekt Putins engagiert, welche AfD-Abgeordneten regelmäßig nach Russland fahren. Kurz: die AfD bricht mit der Westbindung des demokratischen Europas. Die Reportage enthält auch einen Zeitstrang der stetigen Annäherung der AfD an Russland bei gleichzeitiger Entfernung von EU und NATO. Die AfD unterscheidet sich in diesem Punkt auch grundsätzlich von anderen rechtspopulistischen bis rechtsextremen europäischen Parteien, so beispielweise von Giorgia Melonis Fratelli d’Italia.
  • Strategien der AfD: Die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main veröffentlichte auf ihrer Internetseite eine Analyse, warum die AfD in den aktuellen Umfragen so erfolgreich erscheint. Es gibt offenbar drei Strategien der rechten Diskursverschiebung: Bürgerlichkeit vortäuschen, sich als „Sprachrohr der ‚normalen Leute‘“ inszenieren und symbolische Kulturdebatten aus den USA importieren. Konservative und liberale Parteien übernehmen die Themen und sorgen somit für Verbreitung und Akzeptanz.
  • Öffentliche Mittel für AfD-Stiftung? Auf der Seite der Otto-Brenner-Stiftung ist ein Gutachten zu finden, dass das Bundesinnenministerium zur Finanzierung der Desiderius-Erasmus-Stiftung der AfD in Auftrag gegeben hat (Quelle: Newsletter von Heribert Prantl vom 24. September 2023). Aufgrund eines Verfassungsgerichtsurteils fehlt die rechtliche Grundlage, der AfD-Stiftung diese Mittel zu versagen. Die Studie wurde von Arne Semsrott und Matthias Jakubowski erstellt, die belegen, dass die Stiftung „extrem rechts“ einzuordnen ist, daher es „sinnvoll“ sei, „die Förderfähigkeit von parteinahen Stiftungen an das Eintreten für Grund- und Menschenrechte zu knüpfen. Die Einhaltung dieser Kriterien sollten durch unabhängige wissenschaftliche Expertise überprüft werden.“ Bei der AfD geht es bei der derzeitigen Sitzverteilung im Deutschen Bundestag um eine jährliche Summe von etwa 70 Mio. EUR.
  • Traditionalistischer Katholizismus: AfD und FPÖ beweisen immer wieder ihr Gefühl für die Themen, die in konservativen Parteien und Milieus ohnehin schon vorhanden sind. Sie müssen diese nur radikalisieren, nicht mehr und nicht weniger. Werner Reisinger beschreibt am 18. August 2023 in der Süddeutschen Zeitung, welche Affinitäten es im Katholizismus zu AfD beziehungsweise FPÖ gibt: „Mit Gott gegen die Demokratie“. Katholische Traditionalist:innen wenden sich gegen die Aussöhnung des Katholizismus mit der Demokratie. Diese Wende ist den Traditionalisten ein Dorn im Auge. Ihr Ziel: eine alte, autoritäre Kirche, die mit ihren rigiden Moralvorstellungen den Einfluss auf die Gesellschaft zurückerobert – am besten in einer Allianz mit einem autoritären Staat.“
  • Rechte Einzeltäter: Es wird immer wieder behauptet, dass rechtextremer Terror von Einzeltätern (mit sehr wenigen Ausnahmen alles Männer) verübt würde. Die Zeitschrift „Mittelweg 36“ hat im Oktober 2020 diesem Thema ein eigenes Themenheft gewidmet: „Von einsamen Wölfen und ihren Rudeln – Zum sozialen Phänomen des Einzeltäters“. Die Debatte ist keine allein deutsche Debatte. Sean Wilentz stellte unter dem Titel „American Carnage“ in der New York Review of Books vom 17. August 2023 ein Buch von Jeffrey Toobin vor: “Homegrown – Timothy McVeigh and the Rise of Right-Wing Extremism”. Er verfolgt die Stimmungslage, die einen Timothy McVeigh anregte und beflügelte, von der Zeit der Wahlkämpfe eines Ronald Reagan und benennt die diversen rechtsextremistischen Akteure, die die Thesen prominenter konservativer Politiker radikalisierten. Dazu gehört die Verbreitung von Kampfschriften wie den „Turner Diaries“ von William Luther Pierce, die 1974 erschienen und weiteren Zeitschriften und Publikationen, die seit den 1950er Jahren verbreitet wurden. Eine wichtige Rolle spielten Pat Buchanan, die National Rifle Assiociation (NRA) und Organisationen wie die „Liberty Lobby“ und die Wochenzeitung „The Spotlight“. Die „Turner Diaries“ waren auch Gegenstand des NSU-Prozesses. Inzwischen kursieren weitere Pamphlete, beispielsweise von den Mördern von Christchurch und Utǿya. Einzeltäter? Es ist natürlich schwer, eine direkte Kausalkette von Schriften oder politischen Reden zur terroristischen Tat nachzuweisen, aber das Klima, in dem eine solche Tat möglich wird, prägt: „But while it warns about the present danger, Homegrown also illuminates and bids us to reckon with the larger history of what happened in 1995. Not only do today’s distempers date back well before Trump or the Tea Party; they originated well bevor the inflamed mid-1990s, taking their modern form during the presidency of Ronald Reagan, who encouraged them with his denunciations of the federal government als a malevolent force.” Die Ereignisse vom 6. Januar 2020 hatten eine Vorge-schichte, die weit in die Zeit vor Donald Trump zurückgeht.
  • Europäischer Dschihad: ZDF und arte haben die dreiteilige Dokumentation „Dschihad – Europas Gotteskrieger“ in ihren Mediatheken (jeder Teil etwa 50 Minuten). Die Dokumentationen berichten von der Entstehung dschihadistischer Bewegungen vor allem in Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien, dokumentieren die Geschichte der Mordanschläge und beschreiben ausführlich die Vernetzung der verschiedenen Zellen und ihrer Moscheen. Der moderne Dschihadismus funktioniert im Grunde wie ein Franchise-System. Es bedarf keiner ausdrücklichen Befehle von einem Zentrum, örtliche Zellen handeln autonom (durchaus vergleichbar mit rechtsextremen terroristischen Zellen). Thematisiert wird die Auswanderung junger dschihadistischer Kämpfer, auch junger Frauen, nach Syrien, um sich dort Organisationen wie dem Daesh (sogenannter Islamischer Staat) anzuschließen.
  • China: Die Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit bietet immer wieder gute digitale Veranstaltungen zum Thema China. Vor Ort wird China von Taipeh aus betreut, weil die Stiftung aufgrund chinesischen Drucks ihr Büro in Hongkong schließen musste. Die Stiftung hat verschiedene Monographien und Berichte im Angebot, die kostenlos heruntergeladen werden können, u.a. über Chinas Internetzensur („The Great Firewall“), die Wettbewerbe um Technologien sowie die Rolle von Taiwan. Regelmäßig werden auch Veranstaltungen zu China angeboten, über die ein Newsletter informiert, der abonniert werden kann. Ergänzend zu empfehlen ein Interview von Alice Bota und Peter Dausend mit der Politologin Janka Oertel, Leiterin des Asien Programm im European Council on Foreign Relations und Autorin des Buches „Ende der China-Illusion“, das auf ZEIT online veröffentlicht wurde: „Wie uns China täuscht“. Das Interview beginnt mit drei Fehlannahmen: China ist nicht Russland. Dann: China will sein System nicht exportieren. Und: China ist unser Partner beim Klimaschutz.“ Es geht China um ein ihm nützendes „globales Umfeld“ sowie um „asymmetrische Abhängigkeiten“. Das Gespräch endet mit der Frage, was Deutschland von China lernen könne. Die Antwort: Erstens: Chinesinnen und Chinesen haben ein unglaubliches Talent dafür, sich an wechselnde Umstände anzupassen und auch Regeln am Staat vorbei auszulegen. Zweitens, unstrittig und eigentlich auf Platz eins: das Essen! Das Dritte ist etwas, das mich fasziniert, aber verschwindet: der intellektuelle Reichtum der Debatten und die unermüdliche Kraft der Kunstszene. Das war ein so wichtiger Beitrag an die Welt! Aber dieses China wird immer eindimensionaler und stiller.“
  • Gerichtsbeschlüsse zur Letzten Generation: Die Aktivist:innen der „Letzten Generation“ wurden von manchen Politiker:innen und leider auch von einigen, glücklicherweise nur wenigen Staatsanwaltschaften und Gerichten wie Angehörige einer Terrorgruppe behandelt, durchaus ein Ergebnis des deutschen Auto-Fetischismus. Die Plattform „Frag den Staat“ hat das Vorgehen von Ermittlungsbehörden und Gerichten dokumentiert und auf seine (Un-)Rechtmäßigkeit hin überprüft. Erschreckend ist, dass einige Behörden nicht davor zurückschreckten, auch ohne die erforderlichen Beschlüsse Journalist:innen abzuhören, die mit Angehörigen der „Letzten Generation“ telefonierten. (Quelle: Correctiv)
  • Portrait einer Aktivistin der „Letzten Generation“: Lesenswert das Portrait von Lea Bonasera, einer engagierten jungen Frau, eine der Gründer:innen der „Letzten Generation“, die unter anderem in Oxford studiert hatte, jetzt aber in Frankfurt am Main vor Gericht stand. Das Portrait schrieb Marlene Knobloch, es erschien am 26. September 2023 in der Süddeutschen Zeitung und zeigt auch, wie manche Politiker:innen jedes Gespür für einen angemessenen und zivilisierten Umgang mit Menschen verloren haben, die sich – sicherlich nicht mit legalen, aber durchaus mit legitimen Mitteln – für mehr Klimaschutz einsetzen. Auch hier gilt: die Sprache gebiert Taten: Ziemlich genau seitdem reizt sie den hochempfindlichen deutschen Kopfschüttel-Reflex. ‚Völlig bekloppt‘ (Olaf Scholz), ‚Klima-RAF‘ (Alexander Dobrindt), ‚Taliban‘ (Michael Roth), ‚Ihr seid die größten Hassmenschen‘ (Typ mit Kaffeebecher und Zigarette auf der Berliner Puschkinallee).“ Wer hasst hier eigentlich wen?

Den nächsten Newsletter des Demokratischen Salons erhalten sie gegen Ende Oktober 2023. Mit den besten Grüßen verbleibe ich

Ihr Norbert Reichel

(Alle Internetzugriffe erfolgten zwischen dem 17. und 26. September 2023.)

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitten wir um Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.