Liebe Freund:innen des Demokratischen Salons,

die Aprilausgabe 2024 des Demokratischen Salons erscheint kurz nach Pessach 5784 (2024): „In jeder Generation soll sich der Mensch so sehen, als sei er aus Ägypten ausgezogen.“ (Psachim 116,19 mit Bezug auf Exodus 13,8, zitiert nach der Zeitschrift J.E.W. des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden Westfalen Lippe.) Eigentlich sollte uns allen klar sein, was wir tun müssen, damit Deutschland, damit Europa sich nicht in eine Replik des biblischen Ägyptens verwandeln. Eigentlich. Aber ich bin mir sicher, dass die Leser:innen des Demokratischen Salons  sich nicht nur anlassbezogen auf Großdemonstrationen für die Demokratie einsetzen, sondern im Alltag, in der Familie, am Arbeitsplatz, wo auch immer sie sind, täglich! Daniel Kahn singt in einem Song: „Freedom is not a noun, freedom is a verb.“

Dieser Song wurde von Meret Becker, Lulu Snunit Amanita Hacke & Djodjo Kassé zum Abschluss des Rahmenprogramms zur 18. Berliner Rede für die Freiheit der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit, die diesmal Michel Friedman hielt, gespielt. An diese Rede schließt das Editorial dieser Ausgabe an (das fast schon ein eigener Essay geworden ist), es ist ein „Plädoyer für den Streit“.

Die neuen Texte im Demokratischen Salon befassen sich mit zwei Jahren „Zeitenwende“, Inklusion und Exklusion in Schule und Sozialer Arbeit, einer verbreiteten antisemitischen Chiffre, Bias in der KI sowie mit der Science Fiction in Weimarer Republik und NS-Diktatur. Nicht zuletzt: eine zweite Rezension einer Shakespeare-Aufführung in Kyiv.

Nach den Kurzvorstellungen dieser Texte finden Sie eine Übersicht der Veranstaltungen unter Beteiligung des Demokratischen Salons, Hinweise auf weitere Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerbe sowie Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen.

Die neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Victoriia Kotenok, Theaterkritikerin aus Kiyv, rezensiert Shakespeares Mittsommernachtstraum im Kyiver Theater auf Podil unter der Überschrift „Spaßiger Albtraum im Nachtclub“. Dramaturgin ist die Litauerin Andra Kavliauskaitè. In der Inszenierung erinnert manches in den verrückten und berückenden, auch queeren Träumen, in die auch das Publikum einbezogen wird, an Drogenpartys, an Partys ukrainischer Oligarchen, amerikanische Gefängnisse, Videospiele. Ein philosophierender Monolog Pucks thematisiert existenzielle Fragen der Theodizee. Die Rezension ist in deutscher und englischer Sprache verfügbar. (Rubriken: Osteuropa, Kultur)
  • Martin Aust, Osteuropahistoriker, ist zum zweiten Mal Gast im Demokratischen Salon. In dem Gespräch „Zwei Jahre Zeitenwende – eine durchwachsene Bilanz“ geht es um Fragen einer „Politisierung“ des Fachs „Osteuropäische Geschichte“ in den vergangenen beiden Jahren. Martin Aust spricht von einer „Dezentrierung“ des Fachs. Die Länder Osteuropas und die zentralasiatischen Republiken werden immer mehr aus sich selbst erforscht, Bezüge zur russ(länd)ischen Geschichte geraten in den Hintergrund. Es gibt große Bedarfe für die Vermittlung der Sprachen und für neue Austauschformate für Studierende und junge Wissenschaftler:innen. (Rubriken: Osteuropa, Europa)
  • Paul Schäfer, bis 2013 verteidigungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken, analysiert in dem Essay „Friedenspolitik nach der Zeitenwende“ die politischen Debatten von zwei Jahren „Zeitenwende“: „Wie kann man die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen aufgreifen, ohne der rigiden Kriegsrhetorik zu verfallen? Worüber müssen wir weiter nachdenken und debattieren? Eine Warnung vorab: Wir werden Widersprüche aushalten müssen.“ In zwei folgenden Kapiteln, die im Mai und im Juni erscheinen, wird er Perspektiven der Friedenspolitik und Schlussfolgerungen für die deutsche Verteidigungs-, Rüstungs- und Friedenspolitik vorstellen. (Rubriken: Weltweite Entwicklungen, Osteuropa)
  • Sofi Oksanen beschreibt in ihren Romanen (alle liegen in deutscher Sprache vor) die Lebensverhältnisse, Träume und Leiden von Menschen unter sowjetischer Besatzung, insbesondere in Estland. In ihrem Essay „Putins Kampf gegen die Frauen“ benennt sie die Verachtung der Frauen in Putins Weltbild. Die Besprechung von Norbert Reichel trägt den Titel „Der Kern der Gewalt“ . In Putins Krieg gegen den „Westen“ werden Frauen auf die Rolle der Mutter oder der Prostituierten reduziert. Schonungslos enthüllt Sofi Oksanen, wie das Frauenbild Putins die europäischen Demokratien gefährdet.  (Rubriken: Osteuropa und Gender)
  • Detlev Bauszus und Felix Markgraf verfolgen in ihrem Essay „Jud, gib dein Geld (her), oder du bist des Todes“ Genese und Aktualität einer antisemitischen Chiffre. Die Hamas, Kampagnen gegen George Soros, Politiker und Persönlichkeiten des kulturellen Lebens replizieren (manche unbedacht, andere mit Absicht) Jahrhunderte alte Stereotype. Der angeblich „reiche Jude“ gehört zum „kulturellen Code“ (Shulamit Volkov) des Antisemitismus. Dieses Stereotyp lässt sich jedoch in keiner Weise aus der Tora ableiten, wird aber immer wieder hervorgeholt, um politische und wirtschaftliche Interessen zu reklamieren. Das literarische Modell ist Shakespeares Figur des Shylock. (Rubrik: Antisemitismus)
  • Deborah Schnabel, Co- Leiterin der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main (gemeinsam mit Meron Mendel), spricht über den von ihr und Kolleg:innen der Bildungsstätte herausgegebenen Band „Code und Vorurteil“. Thema Künstliche Intelligenz und Politische Bildung“. Künstliche Intelligenz (KI) kann nur das wiedergeben, was in sie hineingegeben wird. Daraus resultieren Exklusion ganzer Bevölkerungsgruppen sowie strukturelle und institutionelle Diskriminierung. Der gesamte Produktionsprozess der KI muss daher problematisiert werden. Gleichzeitig ist KI ein Möglichkeitsraum, den Politische Bildung nutzen sollte. KI braucht den mündigen und aufgeklärten Menschen. (Rubriken: Kultur, Treibhäuser)
  • Meltem Kulaçatan analysiert die „Diversität im pädagogischem Alltag“ bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Fachkräften der Sozialen Arbeit. Entscheidend für die Zukunft wie für die angemessene Unterstützung eines Kindes sind „soziale Schichtung“ und „Klassenzugehörigkeit“, gerade auch im Kontext einer Migrationsgeschichte. Dies fordert die Soziale Arbeit doppelt im Hinblick auf Prävention und Intervention bei Diskriminierung, rassistischen und klassistischen Stereotypen. Diversitätsbewusstsein lässt sich am ehesten über die Familiengeschichte erarbeiten. Eine wichtige Rolle spielen Netzwerke wie „Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte“. (Rubriken: Migration, Kinderrechte)
  • Juliane Karakayalı, Soziologin an der Evangelischen Hochschule Berlin, erörtert in „All exclusive“ die Frage, warum Bildungs-, Migrations- und Integrationspolitik wissenschaftliche Evidenzen so oft ignorieren und damit Segregation und Rassismus in Schulen verstärken. Fatal ist beispielsweise das Beharren der Politik auf monolingualen Modellen des Spracherwerbs. Einige Schulen sind innovativer als die Politik, stoßen jedoch immer wieder an behördliche Grenzen. Das gesamte Bildungssystem braucht mehr Multiprofessionalität und Fehlerkultur. Ein ebenso großes Problem ist die Ausbeutung migrantischer Careworker:innen, die das Ausmaß des Pflegenotstands verdeckt. (Rubriken: Migration, Kinderrechte)
  • Hans Frey befasst sich nach seiner Analyse der Science Fiction im Kaiserreich im zweiten Teil seines Essays „Der lange Weg der Öko-Science Fiction“ mit „Weimarer Republik und Nationalsozialismus“. Die deutsche Science Fiction dieser Zeit bewegt sich zwischen Demokratie und Faschismus. Werke wie „Utopolis“ (Werner Illing) und „Metropolis“ (Thea von Harbou) zeigen die beiden Seiten eines zwiespältigen Modernismus. Ökologische Aspekte gerieten gegenüber der Kaiserzeit in den Hintergrund. Eine erschreckende Dystopie beschwor Paul Gurk. Zwei Ausnahmeerscheinungen sind Annie Francé Harrar und Ri Tokko. (Rubriken: Science Fiction und Treibhäuser)

Veranstaltungen mit Beteiligung des Demokratischen Salons:

  • 70 Jahre Grundgesetz: Zum 28. Mai 2024, 19 Uhr, lädt die Buchhandlung Bartz in Bonn-Beuel (Gottfried-Claren-Straße 3, 53225 Bonn) zu der von den Mitarbeiter:innen initiierten Veranstaltung „70 Jahre Grundgesetz – Demokratie leben und schützen“ ein. Die Mitarbeiter:innen lesen Texte aus dem Grundgesetz, über die anschließend debattiert werden kann und soll. Der Anlass: Eine Mitarbeiterin fand in der Bonner Straßenbahnlinie 62 fünf Handzettel, in denen für das Buch von Martin Sellner geworben wurde, das die Grundlage der von Correctiv aufgedeckten und nachweislich von weiten Teilen der AfD angestrebten „Remigration“, sprich Deportation zahlreicher Menschen aus Deutschland enthält. Die Stadtwerke Bonn kündigten an, ihr Personal zu schulen, um solche Aktionen zu unterbinden.
  • Mehr Demokratie wagen! Die Deutsche Einheit und das Grundgesetz: Im Rahmen des Begleitprogramms zur Ausstellung „Für Alle! Demokratie neu gestalten!“ findet am 25.  Juni 2024, 19.00 bis 21.00 Uhr in der Bundeskunsthalle in Bonn die erste von drei Gesprächsrunden statt. Veranstalter sind Bundeskunsthalle, Gustav-Stresemann-Institut, Bundesstiftung Aufarbeitung und Demokratischer Salon. Teilnehmende sind Markus Meckel, ehemaliger Außenminister der DDR-Regierung 1990, bis 2009 Abgeordneter im Deutschen Bundestag, Christina Morina, Universität Bielefeld, Judith C. Enders, 3te Generation Ost, und Sandro Witt, Projektleiter Initiative Betriebliche Demokratiekompetenz beim DGB Bundesvorstand. Zum Inhalt: Nach dem Mauerfall gab es Hoffnung auf eine gesamtdeutsche Verfassung nach Artikel 146 GG. Ergebnis war ein Beitritt nach Artikel 23 GG. Ein Entwurf des Zentralen Runden Tischs geriet in Vergessenheit. Und dennoch war die Deutsche Einheit eine „verhandelte Einheit“ (Markus Meckel), sie wurde nicht vom damaligen Bundeskanzler „gemacht“. Heute stellt sich angesichts anti-demokratischer Entwicklungen in Ost und West die Frage, wie in „einer sich selbst befreienden Gesellschaft der Nährboden für eine anti-demokratische Revolte entstehen“ konnte (Christina Morina). Wie könnten sich demokratische Parteien und Zivilgesellschaft gegen Anti-Demokraten wehren? Welchen Schutz bietet das Grundgesetz? Tickets sind an der Abendkasse sowie über die Internetseite der Bundeskunsthalle erhältlich (8 EUR, ermäßig 4 EUR) Save the Date: Weitere Begleitveranstaltungen unter dem Label „Mehr Demokratie wagen!“ finden am 27. bzw. 28. August (Termin wird noch geklärt) zum Thema Migration und am 1. Oktober zur Rolle der Künste statt.
  • Tage des Exils in Bonn: In der ersten Septemberwoche 2024 beteiligt sich der Demokratische Salon an den Tagen des Exils in Bonn (weitere Informationen auf der Seite der Körber-Stiftung), am 2. September, 19.00 Uhr, im Gustav-Stresemann-Institut zum Exil von DDR-Autorinnen und -Autoren im Westen (mit Ines Geipel und Franziska Groszer), am 3. September, 19.00 Uhr, in der Beueler Brotfabrik über die Jeckes in Israel (mit Shelly Kupferberg, die aus ihrem Roman „Isidor“ liest, und Esther Gardei vom Bonner Zentrum für Versöhnungsforschung), und am 6. September, 19.00 Uhr, ebenfalls in der Brotfabrik, über die „Grenzenlose Hoffnung“ von Geflüchteten im Exil (Szenische Lesung und Musik mit Alvaro Solar, Cristina Collao und Klaus Farin). Weitere Partner sind unter anderem die Landeszentrale für politische Bildung NRW, die Theatergemeinde Bonn, die Bundesstiftung Aufarbeitung sowie die Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung. Details und Anmeldemodalitäten demnächst hier.
  • Unter Verschluss: Nach dem Erfolg der szenischen Lesung „Unter Verschluss“ im Oktober 2022 in Bonn gibt es zwei weitere Veranstaltungen am 5. November 2024, 19.00 Uhr in Düsseldorf in der Stadtbibliothek und am 7. November 2024, 19.00 Uhr, im Zentrum für verfolgte Künste in Solingen, jeweils mit Ines Geipel und Franziska Groszer. Vorgestellt wird auch die im März 2024 im Lilienfeld Verlag erschienene Neuauflage von „Gesperrte Ablage“, die ein ausführliches neues Nachwort enthält.
  • „KlimaFiktionen 2024“: Das Festival findet am 16. November 2024 in Bochum statt. Der Demokratische Salon veröffentlicht seit Februar 2024 Texte rund um das Festival und stellt die Akteur:innen vor, im Februar 2024 Aiki Mira mit dem Manifest „Post-Cli-Fi“, in den Monaten März, April und Mai mit dem dreiteiligen Essay „Der lange Weg der Öko-Science Fiction“ von Hans Frey. Im Juni erscheint ein Essay von Norbert Reichel zum Thema der KI in Star Trek.

Veranstaltungen, Ausstellungen, Wettbewerbe:

  • Benefizkonzert für Nir Oz: Am 5. Mai 2024, 11 Uhr, präsentieren im Rüngsdorfer Kulturbad (am Schwimmbad 8, 53179 Bonn) Silke Weishaet, Sonja Scholz, Agnes Grube, Lev Gordin, Alexander Lifland, Yoichi Murakami, Roman Salyutov und Klezmer-Band „Freylechs“ Werke von J. S. Bach, F. Gernsheim, G .F. Händel, G. Mahler, F. Mendelssohn-Bartholdy sowie Perlen der jiddischen Volksmusik. Der Eintritt ist frei, um eine Spende wird gebeten. Die Spenden sind für die Opfer und deren Angehörige im Kibbuz Nir Oz gedacht. Am 6. Oktober 2023 lebten dort noch 450 Menschen. Weitere Konzerte und Veranstaltungen werden auf der Seite der Solidaritätspartnerschaft Bergisch Gladbach Nir Oz e.V. angeboten, zum Beispiel am 28. August 2024 im Darmstädter Schloss.
  • Demokratie braucht Öffentlichkeit: Aber nicht jede Öffentlichkeit fördert die Demokratie. Dies ist der Grundgedanke der Bielefelder Debatte zur Zeitgeschichte, die am Donnerstag, 16. Mai 2024, 14-19 Uhr, am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) Bielefeld stattfindet. Unter dem Titel „Öffentlichkeit und Demokratie – Wandel und Zukunft eines fragilen Verhältnisses“ diskutieren auf dem ersten Panel Ute Daniel (Braunschweig) und Till van Rahden (Montreal), moderiert von Claudia Gatzka (Freiburg). Das zweite Gespräch führen Steffen Mau (Berlin) und Thomas Wischmeyer (Bielefeld), moderiert von Christina Morina. Um Anmeldung wird gebeten. Es wird zum Nachhören eine Aufzeichnung und zum Nachlesen eine Buchveröffentlichung geben. Es geht um den Umgang mit der „gegenwärtigen Erosion und möglichen Neuformierung des ‚strukturell gekoppelten‘ (Thomas Mergel) Verhältnisses zwischen Medien und Politik, und im weiteren Sinne dem historischen, gegenwärtigen und zukünftigen Zusammenhang von (digitaler) Öffentlichkeit und Demokratie.“ Das Thema wird aus historischer, rechtswissenschaftlicher, soziologischer und demokratietheoretischer Perspektive diskutiert.
  • Utopie und Alltag: Das Museum Utopie und Alltag führt das Dokumentationszentrum Alltagskultur in Eisenhüttenstadt und das Kunstarchiv Beeskow zusammen. Zum Museumsbestand gehören 170.000 Objekte in Eisenhüttenstadt und 18.500 Kunstobjekte in Beeskow. Einige sind zurzeit in Sonderausstellungen in Berlin (im Haus der Kulturen in der Ausstellung „Echos der Bruderländer“ bis zum 20. Mai 2024), Dresden, Nürnberg und Frankfurt am Main zu sehen. Andrea Wieloch und Axel Drieschner haben das Angebot im Journal für politische Bildung portraitiert. Sie verstehen „Kunst- und Alltagsgegenstände aus der Vergangenheit als Denkanstoß für Zukunftsvisionen“ und verweisen auf die „Ambivalenz von Erinnerungen an die DDR“. Sie schreiben, hier werden Hoffnungen und Sehnsüchte verhandelt, wie sie die Menschen von je her bewegten (…). Es werden Bedeutungen transportiert, die teils fragwürdig sind, teils aktiviert werden können, um uns selbst zu hinterfragen.“ Neben den temporären Ausstellungen kann die Dauerausstellung besucht werden.
  • Ausstellung zur Demokratie in Bonn und Dresden: Die Ausstellung „Für Alle! Demokratie neu gestalten!“ wird am 29. Mai 2024, 19 Uhr, von Eva Kraus, Intendantin der Bundeskunsthalle, und Thomas A. Geisler, Direktor Kunstgewerbemuseum / Design Campus Dresden, SKD, eröffnet. Sie wird von Johanna Adam, Amelie Klein und Vera Sacchetti kuratiert. Sie ist bis zum 13. Oktober 2024 in der Bundeskunsthalle in Bonn und von Juni bis November 2025 in Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu sehen. Es geht um Wahlen, Parteien, die Beteiligung der Bürger:innen und nicht zuletzt die Frage, ob unsere freiheitliche Demokratie tatsächlich eine Demokratie „für alle“ ist. Zu sehen sind künstlerische Annäherungen an die Demokratie, Dokumente und Zeugnisse der politischen Kulturgeschichte, der Architektur und aus Film und Fotografie. Eine grundlegende Frage und eine ebenso grundlegende Antwort: „Braucht die Demokratie ein Update? Haben wir uns zu lange darauf verlassen, dass unsere Demokratie durch nichts zu erschüttern ist? Mit Demokratie ist es nämlich so: Es gibt sie nur, wenn wir fortwährend an ihr arbeiten.“ Der Demokratische Salon beteiligt sich an den Begleitveranstaltungen.
  • Ostdeutsche Demokraten in der Nachkriegszeit: Unter dem Titel „…denen mitzuwirken versagt war.“ bietet die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eine zum Preis von 40 EUR erwerbbare Plakatausstellung, die all den Demokratinnen und Demokraten gewidmet ist, die an der Erarbeitung des Grundgesetzes nicht beteiligt werden konnten, weil sie auf dem Gebiet der SBZ beziehungsweise der DDR lebten. Kuratiert wurde die Ausstellung von Anna Kaminsky und Alexander Frese unter Mitarbeit von Sara Brand und Carlotta Strauch. Die Ausstellung umfasst 20 Tafeln im Format DIN A 1, darunter 15 biografische Tafeln, die jeweils zwei Personen porträtieren. Jede Tafel enthält einen QR-Code, der auf Begleitmaterialien im Internet verweist.
  • Osteuropa, die EU und die NATO: Die Akademie für politische Bildung Tutzing bietet vom 7. bis zum 9. Juni 2024 in Zusammenarbeit mit AMUROST die Tagung „Vom Mauerfall zum russischen Überfall“ Anmeldung wird bis zum 29. Mai 2024 erbeten. Themen der Tagung sind die Entwicklungen der postsozialistischen Staaten, die Komplexität des Westbalkans, die möglichen Beitritte von Ukraine und Moldau zur EU, das Verhältnis zwischen NATO und EU zu Russland und umgekehrt, die Rolle der Visegrád-Staaten, Georgiens Polens und Serbiens sowie die Suche nach einem gemeinsamen Erinnerungsrahmen zwischen Deutschland und Tschechien.
  • Science Fiction Club Andymon: In den Räumen des Kulturrings Berlin-Treptow (Ernststraße 14-16, S-Bahnstation Baumschulenweg) trifft sich jeden zweiten Donnerstag im Monat der SF-Club Andymon. Das nächste Treffen findet am 13. Juni 2024, 18.30 Uhr statt, auch wieder als Beitrag zum Kongress der Utopien. Thema ist ein Austausch über „Ein Psalm für die wild Schweifenden“ von Becky Chambers, erschienen bei Carcosa. Alle Termine des Jahres 2024 finden Sie hier. Der Club bietet Informationen und Austausch über aktuelle Themen der Science Fiction, neue Publikationen und Filme, Jahrbücher und Zeitschriften sowie Debatten mit Autor:innen über Texte und Filme vergangener Zeiten.
  • Sachliche Fotografie: Die Ausstellung „Die sachliche Fotografie von Hugo & Karl Hugo Schmölz“ ist bis zum 15. Juni 2024 in der Galerie van der Grinten (Gertrudenstraße 29, 50667 Köln, Mi bis Fr 11-18 Uhr, Sa 12-18 und nach Vereinbarung) zu sehen. Die Ausstellung zeigt ausgesuchte Inkunabeln der Fotowerkstätte Schmölz. Gezeigt werden minimalistisch strenge Aufnahmen, Kinoinnenräume, Treppenhäuser, Industriebauten. Eines der Markenzeichen von Karl Hugo Schmölz (1917-1986) ist die künstlerische und technische Perfektion mit einer zum Teil hyperrealen Schärfe und Tiefe. Er bereitete jede Aufnahme intensiv vor, um nicht nur Oberflächen, sondern auch Raum und Atmosphäre abzubilden. Eine frühere Ausstellung stellte Franz van der Grinten im Demokratischen Salon unter dem Titel „Bestandsaufnahme einer Zerstörung“.
  • Generative Art Summit Berlin: Diese Konferenz findet vom 3.  bis zum 6. Juli in der Berliner Akademie der Künste (Pariser Platz 4) statt und wird von „arts meets science – Stiftung Herbert W. Franke“ organisiert. Thema: „Von der Kamera zur Künstlichen Intelligenz 1954 bis 2024“. Die Konferenz findet in englischer Sprache statt. Unter anderem geboten wird eine wohl seltene oder gar einmalige Veranstaltung mit der Aufführung des malerisch-konzertanten Theaterstücks „Sandfiction 4K: The Orchid Cage“ nach Motiven des Romans „Der Orchideenkäfig“ von Herbert W. Franke sein. Karten zum Preis von 25 EUR.
  • Menschenrecht Pressefreiheit: Die deutsche Sektion von „Reporter ohne Grenzen (RSF)“ feiert 2024 ihr 30-jähriges Bestehen. Initiiert vom Förderkreis des Zentrums für verfolgte Künste und kuratiert von der Fotoredakteurin Barbara Stauss zeigt „Reporter ohne Grenzen“ vom 4. Mai bis 8. September 2024 im Museum Zentrum für verfolgte Künste die Fotoausstellung „Keine Freiheit ohne Pressefreiheit“. Die Eröffnung findet am 4. Mai 2024, 16 Uhr statt. Zu sehen sind Arbeiten von sechs internationalen Fotojournalist:innen aus Myanmar (anonym), Violetta Savchits aus Belarus, Andrès Cardona aus Kolumbien, Gilles Sabré aus China, Anoek Steketee aus Ruanda sowie Miguel Angel Sánchez und Nuria Tesón aus Ägypten.
  • Gewalt gegen die Demokratie: Die Topographie des Terrors zeigt bis zum 1. September 2024 die Ausstellung „Gewalt gegen Weimar“. Anschließend ist die Ausstellung auch in Hamburg und in Weimar zu sehen. Es geht um die Zeit zwischen 1918 und 1923: „Sie macht sichtbar, wie Extremisten und Separatisten die Weimarer Republik an den Rand eines Bürgerkriegs brachten, mit welch drastischen Mitteln der Staat vorging und wie Sprache und Literatur der Zeit auf die Brutalität der Ereignisse reagierten. Zugleich stellt die Ausstellung die Frage nach den Kontinuitätslinien einer langen Geschichte politischer Gewalt in Deutschland – von der Weimarer Republik über die NS-Zeit bis heute.“ Das von Martin Sabrow herausgegebene Buch „Gewalt gegen Weimar – Zerreißproben der frühen Republik 1918 bis 1923“ erschien 2023 im Wallstein-Verlag. Es gibt ein attraktives Begleitprogramm, am 11. Juni 2024 zum Thema „Hassen lernen“ und am 16. Juli 2024 mit dem Titel „Weimar und wir?“ Alle Veranstaltungen jeweils um 19 Uhr und im Livestream. Mit Martin Sabrow diskutieren Heiko Biehl, Andreas Braune, Silke Fehlemann, Alexander Gallus, Eva Högl, Heike Kleffner, Franka Maubach, Sönke Neitzel, Mike Schmeitzner und Benjamin Ziemann.
  • Ausstellung Nexus V: Künstler:innen der Arbeitsgruppe Rheinland-Pfälzischer Künstler e.V. treten in einen Dialog mit allen Facetten der Sayner Hütte in Bendorf. Die Ausstellungsreihe begann im Jahr 2002. Die fünfte Ausstellung ist bis zum 9. Juni 2024 in der Gießhalle der Hütte zu sehen. Sie wird wie folgt angekündigt: „Thematisch sind Bezüge zum Beispiel zum Fortschritt der Industriekultur, zur Architektur des Gebäudes und zu den Menschen von einst zu sehen. Alle Genres der zeitgenössischen Kunst, darunter Skulpturen, Installationen, Malerei, Fotografie und mehr, sind präsentiert und ermöglichen es den Besuchern, die Sayner Hütte auf eine neue Art und Weise zu erleben.“ Es beteiligen sich 32 Künstler:innen.
  • Sandra del Pilar in Halle an der Saale: Sandra del Pilar lebt in Cuernavaca (Mexiko) und in Soest. Ihre Arbeit ist im Demokratischen Salon präsent, im Titelbild der Rubrik „Opfer und Täter*innen“, in Gesprächen und Texten über ihre Arbeit, zuletzt über die Geschichte der Malintzin, die die mexikanische Geschichte und vielleicht auch manche Kolonialgeschichte in einem neuen Licht erscheinen lässt.‘ Vom 21. Juli bis zum 13. Oktober 2024 ist in Halle an der Saale, im Kunstmuseum Moritzburg, die Ausstellung „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten“ (Bertolt Brecht) zu sehen. Kuratorin ist Manja Wilkens. In der Ankündigung der Ausstellung heißt es: „Die Ausstellung möchte den Blick auf eine interessante Position einer ‚postautonomen‘ Malerei lenken, die selbstsicher und ästhetisch präzise die Themen unserer Zeit ins Bild setzt und reflektiert. Die für die Ausstellung vorgesehene Werkauswahl aus den letzten 20 Jahren soll einen Beitrag dazu leisten, den Begriff der Malerei erneut zu hinterfragen und zu präzisieren, und die Frage aufwerfen, ob das, was uns Gemälde heute zu sagen haben, tatsächlich so ungehört verhallen muss, wie einst der Ruf der antiken Seherin Cassandras.
  • Ergreifung und Prozess Adolf Eichmanns: Im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst (SMÄK) ist jetzt bis zum 4. August 2024 die Ausstellung „Operation Finale“ unter dem Titel „How To Catch A Nazi“ zu sehen. Sie zeigt, wie der israelische Geheimdienst Mossad und der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Jahr 1960 Adolf Eichmann in Argentinien ausfindig machten, wie seine Entführung nach Israel durchgeführt und wie ihm schließlich der Prozess gemacht wurde. Es war der erste große Prozess, indem Opfer des Holocaust vor der Weltöffentlichkeit Zeugnis von den Verbrechen der Nazis ablegten. Die Ausstellung ist eine Multimedia-Ausstellung. Sie stammt aus Israel und den USA und wurde von der Adolf Rosenberger gGmbH und dem SMÄK erstmalig nach Deutschland gebracht. Der Film „Operation Finale“ ist auch bei Netflix im Programm. Weitere Informationen zur Ausstellung siehe auch in dem im Demokratischen Salon veröffentlichte Gespräch mit Christoph Rückel.
  • Jugendsubkulturen in der DDR: Die Ausstellung „Heavy Metal in der DDR“ beleuchtet anhand originaler Objekte von Bands und Fans, Fotografien sowie Stimmen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die mutmaßlich größte Jugendsubkultur in der DDR. Die Ausstellung im Museum in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg (Knaackstraße 97) ist bis Februar 2025 zu sehen (Di-Fr 9-18 Uhr; Sa, So, Feiertage 10-18 Uhr, Eintritt frei).

Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen:

  • Hochschulalltag in der Ukraine: Anastasia Kovalenko, eine der Übersetzerinnen der Dragomanov-Universität Kyiv. wohnt in Saporischschja, die Stadt ist nicht weit weg von der Front. Es ist schon passiert, dass sie plötzlich in den Flur rennen musste, weil es nicht weit von ihrem Haus einen Raketenanschlag gab. Das hat sie während des Unterrichts erklärt. Und sie hat doch weitergelernt, online im Unterricht (ohne Video, aber mit dem Ton). Valeriia Semeniuk sprach für den Tagesspiegel mit Viktor Greshta, seit dem 23. Februar 2022 Rektor der Universität Saporischschja: „Trotz Frontnähe verzichten wir nicht völlig auf Präsenz“. Zur Situation in der Ukraine lesenswert die Reportage von Tim Judah „Gloom in Ukraine“ in New York Review of Books vom 18. April 2024 (Stand: 20. März 2024).
  • Hackathon gegen Antisemitismus 2024: Mit dem Projekt „Der sprechende Aktenschrank“ gewannen die beiden Bonner Nachwuchswissenschaftler Alexander Ermakov und Esther Gardei einen Preis in Es dem bundesweiten Wettbewerb beteiligten sich 16 Teams. Die Projektidee: „Wir fragen den Aktenschrank, den wir vorher mit den digitalisierten Daten ‚füttern‘ und er antwortet“, erklärte Alexander Ermakov, Data Scientist und KI-Experte vom Bonn Center for Digital Humanities. Esther Gardei vom Bonner Zentrum für Versöhnungsforschung sagte: „Unser Ziel ist es, einen neuartigen und schnelleren Zugang zu den ständig wachsenden Archivbeständen zu den Themen Verfolgung, Antisemitismus, Arisierung, aber auch Restitution und Versöhnung mit der KI zu ermöglichen.“ Die Schirmherrschaft lag bei Karin Prien, Bildungsministerin des Landes Schleswig-Holstein, und Felix Klein, dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.
  • Antisemitismus im Alltag: Dazu Dana von Suffrin (Autorin von „Otto“ und des neu erschienenen Romans „Nochmal von vorne“, beide bei Kiepenheuer & Witsch), im Gespräch mit Julia Rothaas in der Süddeutschen Zeitung am 12. April 2024: „Es vergeht kein Tag oder vielmehr keine Stunde, an dem ich nicht daran denke, was da passiert ist und dass es wieder passieren könnte. Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober hat sich das natürlich verstärkt. 2005 sagte mein Vater noch zu mir: ‚Die Deutschen werden schon nicht so blöd sein und bringen zweimal das gleiche Volk um. Wir sind hier sicher.‘ Nun ja.“ Ergänzend zu empfehlen sind die Lektüre der Reportage von Cathrin Kahlweit über jüdischen Alltag in der Wiener Leopoldstadt „Wie blind bin ich?“ und eine erschreckende Dokumentation der ZEIT über antisemitische Übergriffe in Deutschland nach dem 7. Oktober. OFEK e.V., Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung, hat die regelmäßig erstellte Statistik antisemitischer Gewalt seit dem 7. Oktober aktualisiert. Das Beratungsaufkommen hat sich seit dem 7. Oktober versiebenfacht: „Trotz der zeitlichen Distanz von sechs Monaten ist das Fallaufkommen weiterhin stark erhöht. Die Zahl der Beratungsfälle im Zeitraum vom 7. Oktober 2023 bis zum 6. April 2024 beläuft sich auf 1.333 Beratungsanfragen. Die aktuelle Zahl übertrifft die Gesamtzahl aller Beratungsanfragen seit dem Bestehen von OFEK e.V. Im Zeitraum von Juli 2017 bis Juni 2023 verzeichnete die Beratungsstelle bundesweit 1.110 Fälle.“
  • Auswandern aus Deutschland? Es gibt inzwischen viele Menschen in Deutschland, die darüber nachdenken, im Fall einer Regierungsbeteiligung der AfD das Land zu verlassen. Ronen Steinke widerspricht in seinem Essay „Wir bleiben. Ist nämlich unser Land hier“!“ in der Süddeutschen Zeitung. Wer gegen Rechtsextremismus kämpfen will, muss dies hier tun, niemand sollte der AfD den Gefallen tun, dass alle, die ihr nicht passen, das Handtuch werfen. Ronen Steinke glaubt im Übrigen nicht, dass das Modell 1933 drohe, eher das Modell Ungarn, der schleichende Tod der Demokratie unter dem Scheinlabel der „illiberalen Demokratie“. Ich erlaube mir zu ergänzen: Es gibt Hoffnungszeichen. In Polen wurde eine rechtspopulistische Regierung, die die Gewaltenteilung zumindest schwer beeinträchtigte, die Medien schikanierte beziehungsweise auf Regierungskurs zwang, abgewählt. In der Slowakei gewann zwar der Präsidentschaftskandidat der Regierung Fico, aber die Zivilgesellschaft bleibt ihm mehr als der sprichwörtliche Dorn im Auge, in der Türkei verlor die Partei Erdoǧans bei den Kommunalwahlen deutlich. Und in Deutschland gehen die Werte der AfD in den aktuellen Umfragen der Meinungsforschung zurzeit zurück, langsam, aber offenbar stetig. All dies heißt nicht, dass der Staat nicht entschiedener gegen Demokratiefeinde vorgehen müsste. Die Reduzierung von Mitteln für Demokratieprojekte in den Haushalten des Innen- und des Familienministeriums im Namen der heiligen Schuldenbremse ist und bleibt ein Skandal.
  • Neues Buch von Marina Weisband: Marina Weisband war bereits mehrfach Gast im Demokratischen Salon, zuletzt mit dem Gespräch „Eine Machtfrage“. Jetzt ist ihr neues Buch erschienen: „Die neue Schule der Demokratie – Wilder denken, wirksam handeln“, ein Bericht über den Erfolg des von ihr geleiteten Projekts „aula“. Barbara Nolte und Hans Monath sprachen mit ihr für den Tagesspiegel. Die Überschrift: „Das Allererste, was wir tun müssen, ist ein AfD-Verbot anzustreben“. Ungeachtet der Erfolgsaussichten und des langwierigen Prozesses eines Parteiverbots erwartet sie von einem Verbotsverfahren eine große Verunsicherung der Partei. Dies dürfte nicht allzu weit hergeholt sein, wenn wir sehen, welche Irritationen die Correctiv-Recherche und jetzt die Informationen über unzulässige Russland- und China-Kontakte bis hin zur Spionage bewirken. In dem Gespräch spricht Marina Weisband natürlich auch über die Gestaltungsmöglichkeiten von Schüler:innen und all deren Hindernisse, Bedürfnisse, über hiesigen Antisemitismus, den Krieg in der Ukraine und den Krieg um Israel und in Gaza. Zur Frage, ob man als Jüdin:Jude aus Deutschland auswandern müsse, sagt sie: Ich höre gerade oft von Deutschen: ‚Wenn die AfD an die Macht kommt, wandere ich aus.‘ Ich antworte: ‚Ey, Leute, ihr seid die Letzten, die etwas zu befürchten haben. Seid mal solidarisch mit denen, die sich nicht mal Urlaub leisten können, geschweige denn auswandern, und deren Leben wirklich in Gefahr ist.‘ Ich finde, man muss bleiben und gegen die Faschisten kämpfen.“
  • Sechs Monate: Der 7. Oktober 2023 bleibt ein Fanal. Ein Pogrom, ein Massaker. Mit Recht gibt es Kritik an Netanjahu, am Vorgehen der israelischen Verteidigungskräfte im Gaza-Streifen, auch in Deutschland, aber niemand sollte vergessen: es begann mit dem Massaker vom 7. Oktober. Steffi Hentschke dokumentiert in der ZEIT, wie Menschen in Israel jetzt leben, sie stellt eine Beduinin vor, die für die Befreiung der Geiseln demonstriert, unter denen auch arabische Israelis sind, eine Palästinenserin aus dem Norden spricht über die elf Deutschen unter den Geiseln. Der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland Avi Primor benennt das Dilemma in einem Gastkommentar in der Süddeutschen Zeitung: „Netanjahu will keine Lösung“. Er vergleicht den 6. Oktober 1973 und den 7. Oktober 2023 und beantwortet eine höchst kritische Frage: „Wieso waren wir wieder so überrascht, wieso waren wir wieder so fürchterlich unvorbereitet? Es hat damit zu tun, dass wir immer noch hochnäsig sind. Eine Hochnäsigkeit, die wir 1967 entwickelt haben.“ Der Direktor des israelischen Militärgeheimdienstes Aharon Haliva ließ am 22. April 2024 mitteilen, dass er sich seiner Verantwortung stelle und daher zurücktrete.
  • Der Schlüssel liegt im Iran: Eine Befriedung des Mittleren und Nahen Ostens wäre leichter, wenn das Regime der Mullahs im Iran die Macht verlöre. Doch dies ist bisher leider keine sonderliche Priorität in der deutschen Politik. auch hier wieder: „Appeasement“. Die Bundesaußenministerin wendet die von ihr propagierte Feministische Außenpolitik offenbar nicht auf den Iran an. Deutlich dazu immer wieder Natalie Amiri, 2015- 2020 Iran-Korrespondentin der ARD, so am 15. September 2024 in der Süddeutschen Zeitung, in dem Essay „Eskalation in Zeitlupe“: „Indem man wegsieht, lässt man zu, dass dem Regime in Teheran Milliarden in die Kassen gespült werden. Nicht in den Staatshaushalt, sondern auf die Konten der Revolutionsgarde – die mit diesem Geld wiederum ihre Ableger-Organisationen in der Region bezahlt. Islamistische Terroristen, die die Vernichtung Israels im Fokus haben.“ Im Demokratischen Salon siehe dazu den Essay „Eine feministische Revolution“. Farzad Amini berichtet auf der Plattform Mena-Watch der Wirkung von Israels Angriff im Iran, unter anderem von Graffiti, die Israel unterstützen, zum Beispiel: „Hit the Israel, Iranians are behind you.“ Leider macht sich auch mancher deutsche Journalist – vorsichtig gesprochen – Illusionen. In einer ARD-Dokumentation wurde Ali Khamenei als ein alter Mann vorgestellt, der hauptsächlich Theologe sei und sein „Lebenswerk“ nach seinem Tod „in guten Händen“ sehen wolle. Stefan Frank berichtete auf mena-watch. Leider nicht so ganz ungewöhnlich in der ARD. Leider nicht so ganz ungewöhnlich in der ARD.
  • Paneuropaunion: Die Ausgabe von „Aus Politik und Zeitgeschichte“ vom 23. März 2024 beschäftigte sich mit dem Thema „Europa“. Besonders erhellend ist der Beitrag von Claudia Weber mit dem Titel „Furchtlosigkeit und Überzeugungskraft“. Die Autorin beginnt mit den Hoffnungen auf eine friedliche Zukunft nach dem Abschluss des Vertrags von Locarno im Jahr 1925 und stellt ausführlich das von Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi betriebene Projekt der „Paneuropaunion“ vor, das immerhin in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre prominente Unterstützung in der Staatengemeinschaft fand, aber nach wenigen Jahren diese auch wieder verlor. Claudia Weber nennt fünf kritische Punkte, die wie vor 100 Jahren auch heute die europäischen Debatten bestimmen: Krieg und Frieden, Demokratie versus Diktatur, nationale und transnationale Verfasstheit, Europa als Elitenprojekt und die sozialen und gesellschaftlichen Bedürfnisse der breiten Bevölkerung, nicht zuletzt das Thema Migration. Nicht vergessen werden sollte das fatale Scheitern der Evian-Konferenz von 1938, als außer der Dominikanischen Republik kein Staat bereit war, Jüdinnen und Juden aus Deutschland aufzunehmen.
  • Zuversicht in Krisenzeiten: Manches geht voran, wenn auch langsamer als es sollte, aber immerhin gibt es ungeachtet verbreiteter apokalyptischer Ängste auch Anlass zu Zuversicht. Hannah Ritchie von der Universität Oxford belegt in ihrem bei Piper erschienenen Buch „Hoffnung für Verzweifelte“, welche Entwicklungen ermöglichen dürften, dass der weltweite Temperaturanstieg im Schnitt unterhalb von zwei Grad bleiben könnte. Aber vor allem müssen sieben Aspekte in ihren Wechselbeziehungen betrachtet werden: „Luftverschmutzung, Klimawandel, Abholzung, Ernährung, biologische Vielfalt, Überfischung und Plastik im Meer“. Die Bevölkerungszahlen werden sinken, der Anteil von Menschen in absoluter Armut ist auf 10 Prozent gesunken. Sie stellte ihr Buch in der Süddeutschen Zeitung im Gespräch mit Marlene Weiß. Darin enthalten sind mehrere aufschlussreiche Graphiken.
  • Präsidentschaftswahlen in der Slowakei: Gewonnen hat der Kandidat Ficos, Peter Pellegrini, allerdings schnitt sein liberaler Gegenkandidat Ivan Korčok hervorragend ab. Michal Hvorecky kommentierte das Ergebnis für den Demokratischen Salon: „1.200.000 Stimmen für den proeuropäischen Liberalen Ivan Korčok – das ist noch um 200.000 mehr als damals Zuzana Čaputová bekommen hat. Wir sind immer noch sehr viele. Die Wahl Peter Pellegrinis wurde durch die offene Einmischung der Diktatoren Putin und Orbán in den Wahlkampf und auch durch die Algorithmen der sozialen Netzwerke stark begünstigt. Die Zivilgesellschaft darf nicht resignieren und jammern, sondern muss sich im Gegenteil noch stärker mobilisieren, die Ereignisse und die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen und sofort reagieren. Es wird schwieriger sein, aber wir sollten uns daran erinnern, wie lange sie in Polen für den Wandel gekämpft haben!“ Ausführlicher hierzu Michal Hvorecky im Gespräch für Radio RBB.
  • Russische Propaganda: Für die Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit haben Edgar Vardanyan und Mikayel Zolhan die russische Propaganda in Georgien und Armenien Die beiden Autoren betonen die Nähe russischer Propaganda und (extrem) rechtsgerichteter Narrative, in denen es immer wieder um den „Kampf zwischen Gut und Böse“ gehe. Liberalismus werde hingegen mit Korruption, „gay propaganda“, „gender ideology“ und „immoral globalists“ verbunden, die die „traditionell“ genannten Werte Russlands und des orthodoxen Christentums bekämpften. In patriarchalischen Gesellschaften fallen solche Narrative durchaus auf fruchtbaren Boden, nicht zuletzt in Äußerungen aus der georgischen Regierung, die zurzeit versucht, nach russischem Muster Nicht-Regierungsorganisationen in ihrer Arbeit zu behindern. In Armenien liegt der Fall etwas anders, weil die russische Propaganda im Kontext des Krieges zwischen Aserbeidschan und Armenien durch die ausgebliebene russische Hilfe konterkariert wird. Fazit: Russische Propaganda und Rechtspopulismus beziehungsweise Rechtsextremismus stärken sich gegenseitig.
  • Kriminalität von Ausländer:innen? Statistiken lassen sich immer interpretieren. Die Polizeiliche Kriminalstatistik 2023, die die Bundesinnenministerin am 9. April 2024 vorstellte, zeigte unter anderem, dass der Anteil von ausländischen Straftäter:innen gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 um 32 Prozent gestiegen ist. Christan Endt, Dana Hajek und Christian Vooren haben die Daten am 9. April 2024 für die ZEIT differenziert analysiert. Etwa die Hälfte dieser Straftaten wurde von Menschen begangen, die nicht in Deutschland leben, zum Beispiel von Tourist:innen. Etwa ein Viertel der Straftaten sind Taten, die nur von Ausländer:innen begangen werden können, wie illegale Einreise und Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht. Einzurechnen ist die deutlich gestiegene Zuwanderung, insbesondere aus der Ukraine und aus Afghanistan. Im Verhältnis zur Zahl der ausländischen Bevölkerung in Deutschland hat sich, wenn man diese herausrechnet, nichts verändert. Die Zahl von Gewaltverbrechen ging sogar im Vergleich zur Gesamtzahl leicht zurück. „Die Polizeikriminalstatistik zeigt also, dass Ausländer in Deutschland nicht krimineller geworden sind. Der Anstieg der erfassten Strafverdächtigen ohne deutschen Pass lässt sich allein durch die starke Zuwanderung erklären. Unter Deutschen zeigt sich dagegen selbst dann ein Anstieg der Kriminalität, wenn man das Wachsen der Bevölkerung berücksichtigt. Trotzdem werden Ausländer statistisch betrachtet deutlich häufiger als polizeilich verdächtig geführt als Deutsche. Tatsache ist auch: In absoluten Zahlen steigt die Kriminalität in Deutschland durch Zuwanderung an.“ Die Bundesinnenministerin sprach mit Recht davon, die sozialen Ursachen von Kriminalität bekämpfen wollen. Diese Botschaft dürfte jedoch nach den bisherigen Erfahrungen in der Berichterstattung eine geringere Rolle spielen als die Forderung nach schneller(er) Abschiebung von Straftäter:innen, auch von Menschen, die gar nicht straffällig geworden sind. Offen bleibt nach wie vor auch, wie mit Abschiebehindernissen umzugehen wäre (zum Beispiel bei Staatenlosen, bei drohender Lebensgefahr oder bei fehlender Aufnahmebereitschaft im Zielland der Abschiebung). Es bleibt bei einer der Lebenslügen der Migrationspolitik, dem – wie ich es nenne – „Lampedusa-Syndrom“.
  • Asylanträge: Die ZEIT hat ausführlich dokumentiert, in welchen Monaten seit dem Jahr 2014 aus welchen Ländern Menschen kamen, die in Deutschland einen Antrag auf Asyl stellten, und wie sich jeweils aktuelle politische Entwicklungen in diesen Ländern beziehungsweise in der deutschen Migrationspolitik, beispielsweise durch Erklärung eines Landes zum sicheren Herkunftsland oder die Eröffnung legaler Einwanderungswege auswirken. Interaktive Statistiken beleben beispielsweise die Entwicklungen in Afghanistan, in den Ländern des Westbalkan, in Moldau, in der Türkei, in der Ukraine. Ersichtlich ist auch der Stand der Bearbeitung der Anträge und der jeweilige Status nach Entscheidung.
  • Mit Rechten reden? Die einen wollen die Neuen Rechten stellen, die anderen erst gar nicht mit ihnen reden. Mario Voigt hat es gewagt, mit Björn Höcke zu reden, 70 Minuten in WELT-TV. Die Kommentare danach unterschieden sich deutlich. Während manche meinten, Höcke habe unwidersprochen seine kruden Gedanken aussprechen können, vermerkten andere, Mario Voigt habe auf diese Art nur seinen Bekanntheitsgrad steigern wollen. Beides ist sicherlich nicht ganz falsch, aber ich denke, am ehesten trifft die Analyse von Martin Machowecz in ZEIT Online unter der Überschrift „Ab durch den Höcke“ den Sachverhalt. Er schrieb, Mario Voigt habe es geschafft, Björn Höcke in die Defensive zu drängen, sodass dieser außer „Larmoyanz“ nicht viel zu bieten gehabt habe, vor allem habe Mario Voigt geholfen, dass er gut vorbereitet war. Die Strategie Mario Voigts fasst Martin Machowecz wie folgt zusammen: „Es ist die Strategie, erst Höcke eins reinzuhauen (EU ist gut), dann die EU trotzdem zu kritisieren, wie es sich für einen Konservativen gehört (Antiverbrennerverbot und so weiter), dann wieder Höcke eins reinhauen (nur weil mal eine Lampe kaputt ist, Haus nicht abreißen). So zu sprechen, ist in mehreren Dimensionen schlau: Man tut nicht so, als wäre jede Kritik an der aktuellen Lage falsch, aber man macht die Grenze zum Zerstörungswahn klar.“ Man kann im Übrigen inzwischen vom „Sicherheitsrisiko AfD“ sprechen, so Thomas Holl in der FAZ angesichts der denkwürdigen Nähe der Partei zu Russland und China.
  • Gefährdete Verfassung in Thüringen: In der Süddeutschen Zeitung benannte Ronen Steinke sieben Sicherheiten, die durch Präzisierungen der Verfassung geschaffen werden könnten, um antidemokratischen Entwicklungen vorzubeugen. Er stützt sich dabei auf den Verfassungsblog von Maximilian Steinbeis. Die Vorschläge betreffen die Wahl der Verfassungsrichter:innen mit einfacher Mehrheit, auch auf Vorschlag des Verfassungsgerichts, die Beteiligung des Landtags bei der Kündigung von Verträgen (statt nur durch Ministerpräsident:in), die Erweiterung des Vorschlagsrechts für Landtagspräsident:in auf alle Fraktionen, gesetzliche Absicherung der Landeszentrale für politische Bildung, Absicherung der Chefs von Polizei und Verfassungsschutz als unabhängige Beamt:innen, damit diese als politische Beamt:innen nicht einfach entlassen werden können, Verbot von Volksbefragungen nach ungarischem Muster, offene Wahl von Ministerpräsident:in.
  • „Wir“ und „die Anderen“: Diese Opposition gehört zum Framing des „Othering“ beziehungsweise der „VerAnderung“ (Julia Reuter) von Menschen und ganzen Gruppen, die somit völlig homogen als ein unwandelbares Konstrukt gesehen werden, das keine Individualität mehr zulässt. Wer „wir“ sagt, muss auch sagen, ob jemand ausgeschlossen wird oder diese Formel ohne jede Ausnahme inklusiv gemeint ist. Das ist leider nicht immer klar, wenn jemand ein wie auch immer gemeintes „wir“ beschwört. Dieses Problem sieht Christian Geyer-Hindemith in der FAZ mit seinem Beitrag „Bürger in ‚Wir‘-Uniform“ bei Reden des Bundespräsidenten, deren Quintessenz er jetzt in dem Buch „Wir“ zusammengefasst habe. Christian Geyer-Hindemith fragt: „Ist nicht auch die Indienstnahme des Ich für ein staatlich ausbuchstabiertes Wir eine Variante der Homogenitätserwartung?“
  • Wahlen in den USA: Für den Tagesspiegel sprach Juliane Schäuble mit Ken Block, der vom Trump-Stab nach der Präsidentschaftswahl 2020 beauftragt wurde, Wahlbetrug nachzuweisen. Er fand nichts, das in irgendeiner Richtung die Wahlergebnisse verändert hätte. Trump habe vor der Wahl auch immer deutlich gemacht, dass er an den Stimmen gemäßigter Republikaner nicht interessiert sei. Die Macht der Hardliner in der republikanischen Partei ist nach wie vor ungebrochen. In dem Gespräch spricht Ken Block auch über dringend erforderliche Reformen im Wahlrecht. Insbesondere müsse das Gerrymandering verboten werden, das dazu führt, dass sich gewählte Politiker:innen über den jeweiligen Kongress die Wahlkreise so zuschneiden lassen, dass sie nicht mehr abgewählt werden könnten. Es täte der amerikanischen Demokratie auch gut, wenn es mehr Parteien gäbe. Ken Block ist Mitglied der republikanischen Partei. Wen er im Jahr 2024 wählen werde, sagte er nicht, er verstehe sich als „der unparteiische Lieferant von Fakten“. Er geht davon aus, dass sich die Betrugsvorwürfe bei einer Niederlage Trumps wiederholen werden.
  • Männlicher Machtmissbrauch: Für den Tagesspiegel sprach Constanze Neuhaus mit der italienischen Regisseurin Paola Cortellesi. Anlass war der große Erfolg ihres Films „Morgen ist auch noch ein Tag“ (italienischer Originaltitel: „C’è ancora domani“). Thema waren „Femizide, Muttersöhnchen und Giorgia Meloni“. Die italienische Ministerpräsidentin nannte den Film „mutig“ und lud Paola Cortellesi zu einem Treffen ein (durchaus als Zeichen an manche unter ihren Parteikollegen zu sehen). Der Film erinnert an neorealistische Filme der 1960er Jahre, aber es gibt – so die Regisseurin, die auch gleichzeitig eine der Schauspielerinnen ist – einen entscheidenden Unterschied: „Die Dynamiken einer toxischen Beziehung sind heute die gleichen wie damals: Das Opfer wird entwürdigt, isoliert, schwach gehalten, ist finanziell abhängig. Mit dem Unterschied, dass all das vor 80 Jahren als normal galt.“ Paola Cortellesi fordert, dass Emotionen schon in der Grundschule als Schulfach unterrichtet werden: „Beziehungen, Respekt, Freiheit, all das. Wer zurückgewiesen wird, empfindet erst einmal Wut. Er hat nicht das bekommen, was er wollte. Diese Wut zu kanalisieren, sollten Kinder von klein auf lernen. Denn das ist der Kern von Femiziden.“
  • Nachruf auf Peter Sodann: Die meisten Deutschen kennen und schätzen ihn als Kommissar von Polizeiruf 110 in Halle. Er war ein Mann, der Bücher liebte. Als er sah, wie Menschen nach dem Mauerfall ihre Bücher entsorgten, rettete er etwa zwei Millionen Bände. Daraus entstanden Bücherkisten, die weitergegeben wurden, an Menschen, die die Vergangenheit besser kennenlernen wollten. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur nahm diese Bücherkisten in ihre Ausstellung „Leseland DDR“ auf, in der Menschen über Bücher sprachen, belletristische Bücher, Sachbücher, Krimis, Kochbücher, Märchenbücher, Science Fiction: Ines Geipel, Christine Lieberknecht, Christoph Links, Anna Kaminsky, Markus Meckel, Ralf Neukirchen und eben auch Peter Sodann. Peter Sodann war nie ein Jasager. Sein kritisches Kabarett wurde 1961 aufgelöst und er verbrachte zehn Monate im Gefängnis. Stefan Locke in der FAZ: „Freiheit war für ihn, sich in alles einzumischen.“ Er kandidierte im Jahr 2009 für die Linke für das Amt des Bundespräsidenten. Peter Sodann starb am 5. April 2024 in Halle an der Saale. Er wurde 87 Jahre alt.
  • Nachruf auf Jürgen Serke: Am 13. April 2024 starb Jürgen Serke kurz vor seinem 86. Geburtstag. Das Zentrum für verfolgte Künste würdigt sein Lebenswerk wie folgt: „Im Mittelpunkt seiner journalistischen Arbeit stand der Widerstand der Schriftsteller gegen die beiden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Mit seinem Buch ‚Die verbrannten Dichter‘ (1977) leitete er in der Bundesrepublik Deutschland die Wiederentdeckung jener Autoren ein, deren Werke 1933 von den Nazis verbrannt wurden. 2008 wurde Jürgen Serkes Sammlung von Büchern, Bildern und Dokumenten von der Else-Lasker-Schüler Stiftung übernommen, die zusammen mit der Kunstsammlung Gerhard Schneider die Basis des Zentrums für verfolgte Künste legte.Jürgen Kaumkötter, Direktor des Zentrums, stellte die Sammlung im Demokratischen Salon vor. Auf der Seite des Zentrums wurde ein ausführlicher Nachruf veröffentlicht. Ohne Jürgen Serke wären unsere Literaturgeschichte und unsere literarische Welt ein großes Stück ärmer. Es gelingt Diktaturen eben doch nie, alle Autor:innen für immer zum Schweigen zu bringen. Dafür gebührt Jürgen Serke unser Dank.
  • NS-Völkermord an Sinti und Roma: Der Völkermord der Nazis an den Sinti und Roma, der Porajmos, fehlt in vielen historischen Darstellungen. Oft ist er nur eine Fußnote. Umso wichtiger ist es, dass es jetzt eine umfassende Darstellung gibt, an der bereits 90 Autor:innen aus 25 Ländern mitwirkten, die „NS-Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa“.
  • Rassismus in Bildungsmedien: Bildungsmedien sind wie alle anderen Medien anfällig für Stereotypen, Vorurteile und Falschinformationen. UNESCO und Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung (GEI) haben gemeinsam den Leitfaden „Unmasking Racism: Guidelines for Educational Materials“ Der Leitfaden richtet sich an Menschen, die Lehrpläne erstellen, Bildungsmedien produzieren sowie an Bildungspolitik und Lehrkräfte. Ihnen werden Kriterien an die Hand gegeben, Bildungsmedien zu bewerten. Der GEI Policy Brief „Über Rassismus lernen“ bietet weitere Informationen.
  • Antiasiatischer Rassismus in Deutschland: Es gibt nicht nur eine Form von Rassismus. Während der Corona-Pandemie wurden Menschen, die als „asiatisch“ gelesen wurden, immer wieder beschimpft. Der Nationale Diskriminierungs und Rassismus-Monitor (NaDiRa) hat dies jetzt aufgearbeitet und in einer lesenswerten Studie dokumentiert. Autor:innen sind Kimiko Suda und Jonas Köhler. Grundlage der Studie sind ein quantitativer Survey und eine qualitative Tagebuchstudie im Herbst / Winter 2020. Berücksichtigt wurden unter anderem auch sozialpsychologische Faktoren und Genderaspekte, nach wie vor wirkende Rassismen aus der deutschen Besetzung im ostasiatischen und pazifischen Raum während der Kolonialzeit, die Rolle diasporischer Communities, beispielsweise von Vietnames:innen in Bundesrepublik und DDR.
  • Auswandern aus Polen? Dramatisch klang ein Titel der FAZ von Gerhard Gnauck vom 4. April 2024: „Viele Polen planen schon ihre Flucht“. Es gäbe in Polen viele Menschen, die aus Angst vor einem russischen Angriff das Land verließen und sich im Westen, beispielsweise durch den Kauf von Häusern in Spanien, eine alternative Zukunft aufbauen wollten. Die Zivilverteidigung werde in Polen ausgebaut, in Warschau gebe es das Programm „Warschau schützt“, für das 27 Millionen EUR vorgesehen sind, Menschen kauften sich Schusswaffen. Donald Tusk habe auf eine Bitte des spanischen Premiers Pedro Sánchez, der ihn gebeten hätte, das Wort „Krieg“ nicht zu verwenden, geantwortet: „Krieg ist in unserem Teil Europas nicht länger abstrakt. Es ist unsere Pflicht, sich auf Verteidigung vorzubereiten.“ Grundlage war – so erfuhr ich von Agnieszka Łada-Konefał aus dem Deutschen Polen-Institut – ein Artikel aus der polnischen Zeitschrift Polityka von Juliuz Ćzwieluch „Die polnischen Vorkriege“ (automatische Übersetzung). Eine „massive Bewegung“ sei dies nicht, festzustellen sei jedoch das allgemein verbreitete Gefühl, dass man Russland nicht vertrauen dürfe. Daher auch die staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung.
  • Kommunalwahlen in Polen: Die Kommunalwahlen in Polen waren kein Erdrutsch, aber sie bestätigten weitgehend den Kurs der von Donald Tusk geführten Regierung. Nach dem zweiten Wahlgang steht fest, dass die PiS auch in ihren ursprünglichen Hochburgen in Zukunft keine Mehrheiten mehr hat. Sie verlor die Bürgermeisterämter unter anderem in Krakau, Zakopane, Radon und Kielce. IN Kiecle setzte sich beispielsweise die 42jährige LGBTI*-Aktivistin Agata Wojda Interessant, dass eine luxemburgische Zeitung relativ ausführlich berichtete. In Deutschland dominierten offenbar andere Themen.
  • Ostfrauen: Für die ZEIT hat Carolin Würfel über die Popularität von Frauen aus dem Osten Deutschlands geschrieben: „Eine Liga für sich“. Der Text beginnt mit Bildern von Jenny Erpenbeck (2001), Sandra Hüller (2006) und Angela Merkel (1992): „Ihr Stil ist nie niedlich, macht sie nicht kleiner, auf keinen Fall gefälliger und versucht auch nicht, ihr Alter oder breite Schultern zu kaschieren. Ihr Stil folgt keinem Trend und ist vor allem deshalb cool, weil er ehrlicherweise nicht der Rede wert ist. Er spielt einfach keine Rolle, und wie viele andere Frauen, die im Rampenlicht stehen, können das schon von sich behaupten? Viel wichtiger als ihre Kleidung oder ihr Aussehen sind aber ihr Blick, ihr Auftreten, ihr Tun, ihre Posen. Wie sie ihre Hände falten, wann sie lachen, wie sie lachen. Ihr größter Trumpf: Sie sind nie in die Süße-Mädchen-Falle getappt und sind damit ihrer, auch unserer Zeit noch immer voraus.“ Lohnenswert zur Vorgeschichte auch das Buch von Anna Kaminsky „Frauen in der DDR“ (erschienen im Christoph Links Verlag), das ich im Essay „Die fortschrittliche Ostfrau“ vom April 2022 vorgestellt habe.
  • Geschlechtsgerechte Sprache: Eigentlich ein Wortmonstrum, aber es gibt nicht so viele Varianten, mit denen sich sagen ließe, dass Sprache möglichst alle Geschlechter berücksichtigen sollte. Der sicherlich einfachste Begriff wäre das „Gendern“, aber das mögen viele schon gar nicht, weil sie damit Kunstpausen innerhalb eines Wortes, Doppelpunkte oder Sternchen und Ähnliches verbinden. Tatsache ist, dass in Behörden fast durchgehend die Doppelformel gilt, zumindest in Außenkontakten: „Lehrerinnen und Lehrer“. In den Schulen wurde auch nie etwas anderes gelehrt, auch wenn manche das behaupten. Rainer Schulze wertet in der FAZ als „Fehler“, dass die hessische Landesregierung das „Gendern“ mit Sonderzeichen in Abiturarbeiten als „Fehler“ werten lassen möchte. Was geschieht, wenn die Anti-Verbotsparteien CSU und FW etwas verbieten, was – unabhängig davon – sogar nie vorgeschrieben war, lesen Sie in einer Reportage von Jennifer Battaglia in ZEIT online. Aber wie auch immer: vielleicht hilft die Debatte um das Gendern, etwas geschickter zu formulieren. Die Internetseite geschickt gendern hilft dabei. Nur ein Beispiel: statt von „Hörer:innen“, „Hörenden“ oder „Teilnehmer:innen“, „Teilnehmenden“ könnte man einfach von „Publikum“ (oder „Auditorium“) sprechen. Die Seite bietet noch einiges mehr. Vielleicht sollte man aber auch einfach die sprichwörtliche Kirche im Dorf lassen.

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Mit den besten Grüßen verbleibe ich

Ihr Norbert Reichel

(Alle Internetzugriffe erfolgten zwischen dem 18. und 28. April 2024.)

P.S.: Sollte jemand an weiteren Sendungen meines Newsletters nicht interessiert sein, bitte Nachricht an info@demokratischer-salon.de. Willkommen sind unter dieser Adresse natürlich auch wertschätzende und / oder kritische Kommentare und / oder sonstige Anregungen.